Carrie
Reid und ich wollen gerade das Bürogebäude von West Enterprises betreten, als er mich plötzlich zurückhält und um die Ecke in eine schmale Straße zieht.
»Was willst du den Leuten sagen, wenn sie dich fragen, wo du jetzt wohnst? Die werden sicher von dem Brand gehört haben.«
»Ich … hm … Was soll ich denn sagen?«
»Bei mir, Carrie. Wir haben uns ein Riesengeschäft gesichert, für die Anteilseigner und die Angestellten, und jetzt wohnen wir zusammen. Das lässt sich nicht so leicht verheimlichen, und das will ich auch gar nicht.«
Ich lege meine Hand auf seine Brust. »Willst du nicht?«
»Nein. Wie sieht’s mit dir aus?«
»Ich will das auch nicht.«
Sein Blick erwärmt sich. »Gut. Wir verhalten uns weiterhin professionell, aber wir verheimlichen auch nicht mehr, dass wir zusammen sind. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Er zieht mich an sich und küsst mich. »Dann lass uns mal nach oben gehen.«
Sanft nimmt er meine Hand und führt mich zum Eingang, lässt mich jedoch los, als wir das Gebäude betreten. Und es ist gut, dass wir gerade dieses Gespräch hatten, denn in dem Moment, als wir den ersten Schritt durch die Tür zum Geschäftsführerbereich setzen, werden wir auch schon von Sallie und Connie bestürmt.
»Wir haben das mit dem Brand gehört«, sagt Connie. »O mein Gott, das tut mir so leid.«
»Ich hab versucht, dich anzurufen«, meldet Sallie sich zu Wort.
So geht es noch mehrere Minuten weiter, bis ich schließlich sage: »Meine Wohnung mal außen vor gelassen: Wir haben den Japan-Deal so gut wie abgeschlossen, und darüber hinaus werden wir eine Reihe von Aufträgen von Grayson Bennett bekommen. Deshalb muss ich die Sache mit meiner Wohnung auch jetzt abhaken und mich in die Arbeit stürzen.«
Die beiden sind gleichermaßen begeistert, und als Sallies Telefon klingelt, schaut Reid Connie an. »Ich erwarte heute noch einige Dokumente von meinem Vater. Ruf mal in seinem Büro an und frage nach, wie weit die sind.«
»Okay. Was für Dokumente?«
»Er weiß Bescheid«, entgegnet Reid. Dann fällt sein Blick auf mich, und er deutet auf mein Büro. »Wir müssen was besprechen.«
Ich nicke bestätigend und mache mich auf den Weg. Er folgt mir, und während er die Tür hinter sich schließt, umrunde ich meinen Schreibtisch und stelle meine Aktentasche ab, die zum Glück bei Reid war und deshalb nicht dem Feuer zum Opfer gefallen ist. Reid geht zum Fenster hinüber und dreht mir den Rücken zu. Stirnrunzelnd geselle ich mich zu ihm.
»Was ist los?«, frage ich.
Er wendet sich mir zu und sieht mich an. »Unsere Leben sind jetzt eng miteinander verbunden.«
»Ja, das stimmt.«
»Dann solltest du noch etwas wissen.«
»Okay«, sage ich zögernd.
»Mein Vater wollte als Bedingung für seinen Rückzug eine Klausel in den Vertrag einbauen, die jede Verbindung zwischen den Maxwells und den Wests – egal, ob beruflich oder privat – verbietet.«
»Mit anderen Worten: Dass ich bei dir eingezogen bin, heißt, er zieht sich nicht zurück«, vermute ich.
»Es ist noch vielschichtiger: Gabe und ich haben uns darauf geeinigt, dass wir unsere Anteile an der Kanzlei verkaufen, falls er meine Bedingungen für seinen Ruhestand nicht bis heute unterschreibt.«
Ich werde blass. »Moment, Maxwell und Maxwell würden sich aus Maxwell, Maxwell und Maxwell zurückziehen?«
»Ganz genau.«
»Du kannst doch nicht meinetwegen deine Kanzlei aufgeben, Reid. Nein, das will ich nicht.«
Er legt die Arme um mich. »Gabe und ich eröffnen einfach eine neue Kanzlei. Ich hab gar nichts dagegen, und wir beide haben genügend Geld und Kontakte, um erfolgreich zu bleiben.«
»Und was ist mit Japan? Ich nehme mal an, als Geschäftsführer steht dir und der Kanzlei ein Anteil an den Gewinnen zu. Wie viel würdest du denn verlieren, wenn du aus der Kanzlei aussteigst?«
»Ich leite zwar eher die Erweiterung der Firma, aber ich bin trotzdem geschäftsführender Partner. Meine Auszahlung wird großzügig ausfallen, genau wie die von Gabe. Er ist ebenfalls geschäftsführender Partner. Außerdem habe ich jede Menge Geld, Carrie. Du musst dir also keine Sorgen machen. Ich weiß, dass du ein gewisses Polster brauchst, um dich sicher zu fühlen.«
Ich schlucke hart, geschockt, wie gut er mich tatsächlich versteht. Aber ich will auch nicht, dass er denkt, mein Sicherheitsstreben würde sich negativ auf uns auswirken.
»Ich fühle mich sicher bei dir, wegen deiner Persönlichkeit und dem, was zwischen uns ist – nicht wegen deines Geldes.«
»Ich will, dass du dich bei mir wegen meiner Persönlichkeit und meines Geldes sicher und geborgen fühlst.« Er küsst mich. »Aber wir haben noch genug Zeit, das auszudiskutieren. Ich muss jetzt in die Kanzlei, mich mit Gabe absprechen. Ruf mich an, wenn es irgendwas Neues aus Japan gibt.«
»Ja. Natürlich.«
Zärtlich streicht er mir über die Wange. »Bis bald.«
Mein Handy klingelt, und Reid geht in Richtung Tür. »Lass sie offen, bitte«, rufe ich ihm hinterher, während ich zum Schreibtisch hinüberrenne, wo mein Telefon liegt. Als ich es aus meiner Handtasche hole, leuchtet der Name Cat auf dem Display auf – den muss Reid heute Morgen eingegeben haben.
»Hey, Cat«, melde ich mich. »Noch mal vielen Dank für deine Hilfe gestern Abend.«
»Du klingst aber ziemlich gut gelaunt nach allem, was passiert ist.«
»Der Megadeal, an dem Reid und ich arbeiten, ist so gut wie abgeschlossen. Das ist total aufregend und … Na ja, mit Reid und mir läuft es auch gut. Ich ziehe tatsächlich bei ihm ein, und ich habe keine Bedenken mehr.«
»Das ist ja toll. Gestern war ich mir nicht so sicher, ob das für dich funktioniert.«
»Wir haben noch lange geredet. Sag mal, weißt du eigentlich, dass er und Gabe vielleicht aus der Kanzlei aussteigen?«
»Ja«, entgegnet sie. »Gabe hat mir das erzählt, und ganz ehrlich: Wenn die beiden sich tatsächlich dazu entschließen und etwas Eigenes gründen, bringen sie das hundertprozentig zum Laufen. Die zwei verstehen sich und sind beide wahnsinnig gut in ihrem Job.«
»Ist mir schon aufgefallen«, sage ich. »Das liegt offensichtlich in der Familie. Und da wir gerade dabei sind: Ich würde dich gerne demnächst zum Mittagessen einladen und dich dabei über deine Kolumne ausfragen. Wie du weißt, bin ich dein Fan.«
Sie lacht. »Das ist echt lieb von dir. Ich würde auch super gerne mit dir essen gehen, aber momentan arbeitet Reese an einem großen Fall, über den ich berichte. Ach, das weißt du ja schon, schließlich liest du meine Kolumne. Wir könnten also nur am Wochenende gehen.«
»Das passt. Ich rufe dich Mitte der Woche noch mal an.«
»Super. Ach, und Carrie: Du tust ihm wirklich gut. Meine Mom wäre begeistert.«
Als sie aufgelegt hat, steht Sallie in der Tür. »Was kann ich tun?«, fragt sie.
Ich winke sie zu mir, und sie setzt sich auf einen der Besucherstühle vor meinen Schreibtisch. »Kannst du dich um meine Versicherung kümmern, damit ich das Geld bekomme? Ich muss mich auf Japan konzentrieren.«
»Klar. Brauchst du einen Vorschuss von denen für Klamotten und eine Übernachtungsmöglichkeit?«
»Quetsch am besten so viel wie möglich aus«, entgegne ich.
»Brauchst du ein Hotelzimmer oder eine Mietwohnung für den Übergang?«
»Nein, aber erschrick jetzt nicht«, warne ich sie vor. »Ich wohne bei Reid.«
Ihre Augen weiten sich. »Was? Aber ihr zwei hasst euch.«
»Nein. Das tun wir nicht. Wir sind zusammen.«
»Wow. Das ging aber schnell. Extrem schnell. Bist du dir sicher, Carrie?«
»Absolut. Und ja, es ging schnell, aber ich hatte noch nie solche Gefühle. Er ist kein Arschloch – na ja, okay, er kann eins sein, aber das treibe ich ihm gerade aus.«
Einen Moment lang mustert sie mich prüfend. »Du bist also glücklich mit ihm?«
»Wie sehe ich denn aus, nachdem gestern mein Apartment abgebrannt ist?«
»Glücklich«, sagt sie, und in ihrem Tonfall schwingt Überraschung mit.
»Ja, glücklich. Ich bin noch am Leben und die Firma auch. Und Reid … Er bedeutet mir sehr viel.«
Draußen auf ihrem Schreibtisch läutet das Telefon, und sie greift sich meins, um dranzugehen. »Eric«, sagt sie, »einen Moment, bitte.« Fragend blickt sie zu mir, und ich nicke ihr zu. »Ich stelle Sie zu Ms West durch.« Sie gibt mir das Telefon und eilt zurück an ihren Schreibtisch.
»Eric«, begrüße ich ihn. »Ich freue mich, dass wir mit Ihnen zusammenarbeiten.«
»Und ich freue mich schon auf die Projekte, die Sie für uns auftun werden. Nachdem Sie uns schon das Eventcenter gesichert haben – und das, obwohl gerade Ihre Wohnung abgebrannt ist -, bin ich wirklich gespannt auf das, was da noch kommt. Ich maile Ihnen und Reid gleich den Vertrag. Ich nehme an, die juristischen Details bespreche ich mit ihm, aber vorher wollte ich Sie bei uns an Bord willkommen heißen.«
»Vielen Dank. Wir werden Sie nicht enttäuschen.«
»Davon bin ich überzeugt. Dann bis bald, Carrie.« Nachdem er die Verbindung beendet hat, rufe ich Reid an.
»Eric schickt uns gleich die Verträge für die anderen Projekte. Ich schaue sie dann durch.«
»Das mache ich von der Kanzlei aus.«
»Okay, ich maile dir meine Notizen.«
In seiner Leitung tutet es. »Das ist Eric«, informiert er mich. »Ich sage dir Bescheid, falls wir noch irgendwas Neues besprechen.«
In dem Moment, als ich auflege, klingelt mein Festnetztelefon. Ich muss lächeln. Ich liebe diesen Tag. Und ich liebe Reid. Mit diesem Gedanken greife ich zu meinem Telefon und stürze mich in die Arbeit. Genau hier gehöre ich hin. Und hier will ich sein.
***
Reid kommt am späten Nachmittag wieder zurück ins Büro, und mittlerweile haben er und Eric unseren Vertrag ausgehandelt. Eine Stunde später unterschreiben wir eine Absichtserklärung für den Geschäftsabschluss mit den Eigentümern des Eventcenters in Japan. Nun haben wir einen Monat Zeit, uns zu einigen, ansonsten geht das Objekt erneut auf den Markt. Es ist schon neunzehn Uhr, als wir endlich die Firma verlassen und uns auf dem Nachhauseweg bei unserem Lieblingslokal Sandwiches bestellen.
Nach Hause.
Mit Reid.
Das ist wirklich surreal.
Erst auf dem Weg durch Battery Park fällt mir plötzlich ein, dass wir noch gar nicht über seinen Vater und dessen Rückzug gesprochen haben.
»Was ist mit deinem Vater?«
»Er hat nicht reagiert, daher werden Gabe und ich noch unsere laufenden Projekte abschließen, aber keine neuen Mandanten mehr annehmen, und in sechs Monaten steigen wir offiziell aus. Nach der Vorstandssitzung nächste Woche informieren wir die Angestellten.«
»Und wie geht es dir damit?«, frage ich, während wir sein Wohnhaus betreten.
»Das ist alles irgendwie surreal«, entgegnet er. »Die Kanzlei war mein Leben, trotzdem fühlt es sich richtig an. Und Gabe hat das Gleiche gesagt.«
Surreal, geht mir durch den Kopf, als wir in der Wohnung ankommen. Das könnte die Überschrift für den heutigen Tag sein.
Eine halbe Stunde später sitzen wir in Jogginghosen auf der Couch, jeder ein Glas Wein vor sich und die Arbeit vor uns auf dem Tisch ausgebreitet, als unsere Sandwiches geliefert werden. Reid stellt sie ebenfalls auf dem Tisch ab und überrascht mich dann mit der Frage: »Gibt es irgendwas in der Wohnung, das du gerne ändern würdest?«
»Ändern? Nein, es ist wunderschön hier. Ich will in deiner Wohnung nichts verändern, Reid.«
»Das ist jetzt unsere Wohnung, Carrie, und so soll sie sich auch anfühlen. Wir können alles umgestalten, wenn du willst. Oder weißt du was: Wir verkaufen sie und kaufen uns was Neues. Es soll sich wie dein Zuhause anfühlen.«
»Uns gefällt es doch beiden hier in Battery Park.« Ich rutsche näher an ihn heran und lege meine Hand auf seinen Oberschenkel. »Danke, aber du bist mein Zuhause. Ich brauche hier nichts zu verändern. Und außerdem finde ich die Wohnung wirklich toll.«
Er drückt mich rücklings auf die Couch und legt sich auf mich. »Du bist toll.« Dann beugt er sich vor und küsst mich.
»O nein«, wehre ich ab, als ich seine Erektion an meinem Bauch fühle. »Zuerst brauche ich was zu essen. Ich hab den ganzen Tag nichts gehabt. Danach kannst du mich nach oben ins Bett bringen und all die unanständigen Dinge mit mir tun, die dir einfallen.«
»Ich glaube, mit diesem Deal kann ich leben.« Er zieht mich wieder hoch, und wir nehmen uns jeder ein Sandwich.
»Wenn wir uns eine andere Wohnung kaufen würden, könnten Gabe und ich vielleicht im selben Gebäude unsere Kanzlei eröffnen. Wobei wir ihn dann dauernd bei uns sitzen hätten, weil er wahrscheinlich auch in das Haus ziehen würde.«
»Willst du wirklich die Wohnung verkaufen und was Neues suchen?«
»Man könnte einfach mal darüber nachdenken«, sagt er.
Wir sprechen noch eine Weile darüber, bevor ich ihm von Cats Anruf erzähle.
»Unsere Mom wäre tatsächlich begeistert, Carrie«, versichert er mir. »Es ist wirklich schade, dass du sie nicht mehr kennenlernen kannst.«
Es läutet an der Tür.
»Wer hat denn alles eine Sicherheitsfreigabe?«, frage ich.
»Nur meine Familie, das heißt, es ist Gabe.« Reid wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Mein Vater hat noch zwei Stunden Zeit, um uns die Papiere zu schicken. Wahrscheinlich will Gabe hier warten.«
»Oder er hat es sich doch noch mal anders überlegt?«
»Nein, Gabe nicht. Der überlegt es sich nicht anders. Das wirst du auch noch feststellen.«
Reid geht an die Tür, und ich höre, wie er sie öffnet. Dann ertönt eine tiefe, maskuline Stimme. Überrascht stehe ich auf. Das ist sein Vater. Ich halte den Atem an und warte. Etwa sechzig Sekunden später kommt Reid zurück ins Zimmer und wedelt mit einem Briefumschlag in der Hand.
»Er hat mir seine Einwilligung in die Hand gedrückt und gesagt: ›Ihr habt gewonnen.‘»
»Und?«
»Und dann ist er gegangen.«
»Also kaufen wir keine neue Wohnung, damit du eine neue Kanzlei im selben Gebäude aufmachen kannst? Falls wir nämlich hierbleiben, muss ich dir sagen, diese Lampe da«, ich deute auf die hohe Stahlleuchte, die aussieht wie eine Straßenlaterne, »ist ziemlich hässlich.«
Lachend kommt er zu mir herüber. »Okay, die Lampe verschwindet. Hauptsache, du bleibst.«