18. Kapitel

Er parkte hinter einem ramponierten Kleintransporter und stieg aus. Ein schmuckloser, ungepflasterter Hof, ergrauende Holzfassade, dazu ein modriger Geruch in der Luft. Stirnhohe Metallkäfige standen in zwei Reihen in der Auffahrt, überfüllt mit Federvieh – Truthähne, Gänse, Enten und Hühner –, die Betonböden übersät von Kacke und altem Stroh. Das Haus hielt sich mit Mühe aufrecht, ein Besenstiel stützte mithilfe dreier Ziegelsteine die Veranda. Rauch drang aus den Ritzen des bröckelnden Schornsteins.

»Mein Gott«, sagte Frankie. »Von Champagner und Sexgelagen mit Richtern ist es ja ein gewaltiger Sprung nach hier.«

»Von hier zu Champagner und Richtern aber noch viel weiter.«

Sie warf ihm einen Blick zu. »Ganz der Philosoph, was?«

Die gesamte Fahrt über hatte sie rumgezappelt. Das Fenster runtergelassen, die Belüftungsdüsen neu ausgerichtet, alle halbe Stunde das Handy ausgewickelt, um nachzusehen, ob eine Nachricht gekommen war. Er hatte aufgegeben, sie darauf hinzuweisen, dass es zu früh war, auf eine Meldung der Kidnapper zu hoffen.

Eine Frau öffnete auf Frankies Klopfen. Irgendwas zwischen vierzig und siebzig, keine Spur von Quinn in ihren eingefallenen Wangen und tief liegenden Augen. Die Gerüche des Hauses quollen heraus: feuchte Wände, viel zu frisches Feuerholz, ewig alte Mahlzeiten. Die Art Armut, die sich fast dominant durch ganze Stammbäume vererbte. Sein Vater hatte solche Häuser zur Warnung genutzt: Arbeite hart, sonst waren all meine Mühen vergebens.

»Mrs Renbarger?«, fragte Caleb.

»Wer sind Sie?«

»Wir sind keine Journalisten.« Er hielt ihr eine Visitenkarte hin.

Sie schaute nicht mal darauf. »Ich habe nicht gefragt, was Sie nicht sind.«

»Wir suchen Quinn. Wir sind mit ihrer Chefin befreundet.«

May Renbarger wollte die Tür wieder schließen, doch Frankie schob einen Fuß in den Spalt. Ein kurzes Kräftemessen, dann schauten sie beide zu etwas hinter ihm.

Quinn war zwischen den Käfigen aufgetaucht und kam auf sie zu, eine Schaufel in der Hand, die Haare zu einem losen Zopf zusammengebunden. Kein weiterer Wagen auf dem Grundstück: entweder war sie getrampt oder hatte sich herbringen lassen. Sie rief etwas, woraufhin May sich zurückzog und die Tür schloss.

Frankie ging die Stufen hinunter, schien die Befragung übernehmen zu wollen. Das würde nicht funktionieren – Frankie konnte Menschen Dinge entlocken, die sie vor sich selbst verheimlichten, aber gerade war sie dafür viel zu nervös dafür.

Er trat neben sie. »Ich übernehme.«

»Ich fass nachher alles für dich zusammen. Du bist zu müde, um uns beiden zu folgen.«

»Ich schaff das, im Gegensatz zu dir. Lass mich das machen.«

Widerspruch durch einen kühlen Blick, zusammengebissene Zähne. »Sie ist meine Nichte, nicht deine.«

»Ganz genau.«

Frankie hielt seinem Blick stand, trat dann einen halben Schritt zurück.

Quinn blieb ein Stück entfernt stehen, eine Hand fest am Griff der Schaufel. Dieselbe ätherische Schönheit wie auf Delaneys Fotos, allerdings mit alles andere als einladender Miene: Augenbrauen zusammengezogen, Kopf etwas vorgeschoben. Unter der alten Regenjacke lugte eine Seidenbluse hervor, auf ihrer maßgeschneiderten Hose prangte eine lange Schliere aus Vogelkacke. Als sie seinen Blick bemerkte, lief sie rot an, reckte dann das Kinn. »Was wollen Sie?« Klare Sprache, trotz ihrer unübersehbaren Anspannung.

»Wir sind wegen Maggie hier. Ich bin Caleb, das ist Maggies Schwester, Frankie.«

»Mir gegenüber hat sie noch nie eine Schwester erwähnt.« Weil Frankie sie sofort finster anfunkelte, musste sie lachen und hielt die Schaufel gleich lockerer. »Ah ja, jetzt seh ich’s.«

Caleb versuchte vergeblich, ein Lächeln zu unterdrücken. »Was machen Sie hier, Quinn?«

»Sollte das nicht eher ich fragen?«

Guter Punkt, noch mal neu: »Jemand hat heute Morgen Maggies Tochter gekidnappt. Wir wollen sie finden.«

Quinns Mund klappte auf. »Tilda? Das ist ein Scherz, oder?«

»Sie kennen Tilda?«

»Klar, alle kennen Tilda. Eigenartiges Mädchen. Aber sehr nett. Wer hat sie gekidnappt?«

Alle . Seine Hoffnung, den Kreis der Verdächtigen eingrenzen zu können, schwand. Frankie ließ den Kopf sinken.

»Das wissen wir nicht. Wir hatten gehofft, Sie könnten uns helfen.«

»Fuck, ich habe keine Ahnung. Ich bin seit gestern Nacht hier, das wird Mum Ihnen bestätigen.«

Dann hatte sie Melbourne wenige Stunden nach dem Überfall auf Maggie verlassen. Ohne Wechselklamotten, ohne Auto, ohne Handy. War in ein Haus zurückgekommen, dem sie offenbar nur zu gern den Rücken gekehrt hatte.

»Haben Sie mitbekommen, dass Maggie etwas passiert ist?«, fragte Caleb.

»Ja. Hab bei ihr angerufen, ein Bulle ging dran. Aber mehr weiß ich auch nicht.«

Frankie bewegte sich, aber Caleb hielt den Blick auf Quinn gerichtet. »Wieso haben Sie Ihren Termin mit Rhys Delaney abgesagt?«

»Mit wem?«

»Dem Mann, den Sie in die Sexfalle locken wollten. Er hat bei einer Party vergangene Woche eine Reihe von Fotos von Ihnen gemacht.«

Quinn stockte kurz der Atem, doch sie kaschierte es schnell mit einem Husten und blinzelte ihn grinsend an. »Ich kenne viele Männer, manche machen Fotos. Ich kann Ihnen leider nicht helfen. Auf Wiedersehen.« Sie wandte sich ab.

Caleb drehte sich zu Frankie und gebärdete: »Sag deinen Spruch und geh.«

»Dann frischen Sie mal lieber Ihr Make-up auf«, sagte Frankie zu Quinn. »Ich verständige gleich meinen guten Freund Bobby James von The Daily Dirt . Er wird vermutlich zu dem Schluss kommen, dass Sie Geheimnisse über jeden von Maggies Kunden ausgeplaudert haben, ganz egal, ob das nun zutrifft oder nicht. Das wird eine großartige Sendung.«

Quinn war wie erstarrt, Angst auf dem Gesicht.

»Dann los«, sagte Frankie zu ihm und machte sich auf den Weg zum Wagen.

Er wollte ihr folgen.

Quinn ließ die Schaufel fallen und packte ihn am Arm. »Das können Sie nicht zulassen. Die bringen mich um.«

»Es ist ihre Nichte, sie ist verzweifelt.«

Schon lag Motorengestank in der Luft, der sich mit dem der Vögel mischte. Perfektes Timing von Frankie, um Quinn vollständig in Panik zu versetzen.

»Okay, okay.« Quinn ließ ihn los. »Aber sagen Sie ihr bitte, sie soll aufhören, so aufs Gas zu treten. Sonst kriegt meine Mum Panik.«

Caleb machte eine Geste in Frankies Richtung, die den Motor wieder abstellte.

Quinn holte eine Packung Zigaretten aus der hinteren Hosentasche. Ihre Hände zitterten zwar nicht, trotzdem brauchte sie ein paar Versuche, um sich eine anzustecken. »Zwei Jahre ohne diese verdammten Dinger, und jetzt schlote ich wieder, als hätte ich nie aufgehört.« Sie inhalierte tief und blies den Rauch von ihm weg. Offenbar hatte sie sich noch nicht mit sich selbst darauf geeinigt, ob sie lieber charmant oder abweisend zu ihm sein wollte. Ob sie je ganz sie selbst war?

»Wovor haben Sie Angst?«, fragte er. »Delaney?«

»Dem Sack? Der wäre nur gefährlich für jemanden mit einer Schweißallergie.«

»Was ist dann bei der Party passiert?«

»Nichts.«

»Quinn, Sie haben sich erschrocken, als ich sie erwähnt habe.«

»Tja, das lag an dem riesigen Typen, der mir dorthin gefolgt ist.« Sie redete schnell. Seit sie sich entschieden hatte, mit ihm zu sprechen, wollte sie wohl fast verzweifelt alles loswerden. »Ich dachte, das war einfach so der typische Widerling, aber dann hat Maggie angerufen. Gestern, vermutlich kurz bevor sie selbst überfallen wurde. Sie hatte Angst, so hab ich sie noch nie gehört. Hat gesagt, dass jemand ein Großreinemachen veranstaltet und ich die Stadt verlassen soll.«

Caleb stand ganz still. Es bestand immerhin die Chance, dass sie damit nicht meinte, was er befürchtete. »Wie hat sie das gemeint mit dem Großreinemachen?«

»Dass jemand Beweise vernichtet – und Leute. Ich war in der Stadt, als sie angerufen hat, also bin ich nach Hause, um meine Sachen zu holen. Meine Wohnung liegt direkt an der Straßenbahn, man fährt dran vorbei, dann erst kommt die Haltestelle. So hab ich den Typen gesehen, von der Party. In meiner Wohnung, kam grad aus dem Bad. Dass ich dann Panik bekommen habe, muss ich wohl kaum erwähnen. Ich bin in der Straßenbahn geblieben und hab den Bus hierher genommen.« Sie schaute zu den Käfigen, ihr Mund verzog sich, als hätte sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge. »Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe.«

»Wie sah er aus?«

»Blond, glaube ich. Groß, also im Sinne von muskulös, schwer. Bisschen größer als Sie, vielleicht eins neunzig.«

Könnte Frankies Killer sein. Guter Hinweis, der sie aber auch nicht weiterbrachte.

»Kennt Maggie jemanden, der Kirner oder so ähnlich heißt?«

»Keine Ahnung, Maggie ist nicht gerade sehr mitteilsam.« Sie warf einen Blick zum Wagen. »Muss schön sein, mit der netteren Schwester zu arbeiten.«

Scheiße. Keine Namen, keine Spuren. Zwei Stunden Fahrt, um herauszufinden, dass jemand es auf Maggie und ihre Leute abgesehen hatte.

»Was können Sie mir sonst noch sagen?«

»Das war’s. Mehr habe ich nicht zu bieten.« Ein heftiger Zug an der Zigarette, die Wangen wölbten sich weit nach innen. »Meinen Sie, mit Tilda ist alles in Ordnung? Hat dieser Riese sie entführt?«

»Die meisten sind innerhalb weniger Stunden tot.«

»Das weiß ich nicht.«

»Melden Sie sich, wenn Sie was wissen? Dann kann ich vielleicht auch wieder schlafen. Was meinen Sie, kreuzt der auch hier auf? Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«

»Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter, ich habe Sie auf Delaneys Fotos erkannt.«

»Wie denn erkannt?«

»Von dem Sexskandal mit Lovelay.«

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Das Aufflackern eines echten Gefühls, ganz ohne aufgesetzten Charme oder Härte, dies war reiner Schmerz. »Nennen Sie das nicht so. Das war eine Beziehung, kein Skandal.«

»Entschuldigung, das war mir nicht klar.«

»Ihnen und allen anderen auch nicht. Angus war das Beste, was mir je passiert ist, ein echter Schatz. Aber ein Blick auf mich, und alle Welt hat beschlossen, dass das nur was Schmutziges sein konnte.« Ihr Blick wanderte über den Hof und verharrte auf dem baufälligen Haus. »Ich hätte es besser wissen müssen, was? Die Vergangenheit bleibt für immer an einem kleben, oder?«