Das Zelt stand in der Seitengasse hinter Alberto’s Café . Größer, als Caleb erwartet hatte; das Dach war zu mehreren kleinen Türmchen geformt, die Wände bestanden aus weißem Segeltuch. Alles war mit Lichterketten und Blumen geschmückt, Heizpilze wärmten die Luft. Nur die Schirme und Pfützen am Eingang zeugten von dem donnernden Regen draußen. Nick stand bei der Küchentür und schaute in seine Richtung. Caleb ignorierte ihn und begleitete Kat durch die Menschenmenge zu einem leeren Tisch, froh darüber, dass er seine Hörgeräte zu Hause gelassen hatte. Eine fünfköpfige Band spielte einen dröhnenden Tanzbeat auf der Holzbühne, die Verstärker waren bis zum Anschlag aufgedreht. Es tanzten bereits einige auf den Brettern, fast alle barfuß.
Kat setzte ihre Ohrstöpsel ein, kaum dass sie sich gesetzt hatten: Mit ihrem Orange passten sie zu ihrem Kopftuch. Kat in ihrem wallenden, roten Rock und dem hautengen Top war ein fröhlicher Farbtupfen. Mit dreiundzwanzig Wochen versteckte sie ihren Babybauch nicht mehr.
»Dein Outfit gefällt mir«, sagte er.
»Warte ab, bis du mich darin tanzen siehst.«
»Du willst tanzen?« Kat beim Tanzen zuzusehen war ein Geschenk – sie bewegte sich so frei und voller Freude, mit Moves wie aus einem schlechten 70er-Jahre-Film.
»Du auch. Und sag bloß nicht, dein Bein würde zu sehr wehtun, ich weiß, dass du jeden Tag laufen gehst.« Eine sanfter Hinweis: Ihr war bewusst, dass er wieder in sein Zwangsverhalten verfallen war. Dass er einen Termin mit Henry Collins vereinbaren sollte. Dass er sie mit seinem aufgesetzten Lächeln nicht täuschte.
Sie winkte jemandem hinter ihm zu. Alberto bahnte sich den Weg zu ihnen, wieder ganz der Alte, keine Spur mehr von den blauen Flecken, die vor ein paar Wochen sein Gesicht entstellt hatten. »Meine Liebe«, gebärdete er, »du siehst wunderbar aus.«
Eine Umarmung und ein Kuss für Kat, eine Umarmung für Caleb. Die noch nicht wieder ganz so die Rippen knacken ließ wie einst, aber schon fast. Alberto hatte Calebs Entschuldigung wohlwollend angenommen, schien seine erfundene Geschichte zu glauben, dass Jimmy Puttnam seinen Betrieb aufgrund einer Verwechslung im Visier hatte. Hoffentlich fand er nie die Wahrheit heraus.
»Ich bin so froh, dass du gekommen bist«, sagte Alberto zu Caleb. »Ohne dich hätten wir es nicht geschafft.«
»Keine weiteren Probleme?«
»Nein.«
Es sollte auch keine weiteren geben: Lovelay hatte er nicht lange überreden müssen, Puttnam die offene Summe zu zahlen. Vielleicht, weil er einer anderen Familie und ihrem Sohn helfen wollte, der auf Abwege geraten war. Vielleicht, weil Caleb versprochen hatte, seinen Namen der Polizei gegenüber nicht zu erwähnen.
Alberto verneigte sich vor Kat. »Darf ich bitten?«
»Selbstverständlich.« Sie stand auf und warf Caleb einen vielsagenden Blick zu. »Du bist der Nächste, Travolta.«
Caleb schaute ihnen nach und ging dann zu Nick. Besser, er brachte das gleich hinter sich. Nick hatte mit ihm sprechen wollen, seit Caleb ihm erklärt hatte, dass das Problem gelöst war. Er warf dem jungen Mann einen Blick zu und trat dann in die kalte Nacht. Nick folgte ihm. Der Weg zwischen Küche und Zelt war mit Planen gesichert worden, damit die Bedienungen und das Essen nicht nass wurden. Wasser sammelte sich darauf und lief langsam herunter. Caleb erschauderte, als ihm etwas in den Nacken tropfte.
Nicks Kopf wackelte vor Nervosität. »Ich wollte mich bei dir bedanken für … das, was du getan hast. Ohne dich wären wir geliefert gewesen.«
»Ich habe das nicht für dich getan, sondern für Alberto. Aber das war ein einmaliges Ding, diese Geldquelle ist versiegt. Wenn du noch mal Schulden machst, stehst du allein da.«
»So war das nicht. Das war nicht meine Schuld.«
Ganz wie Frankie, immer alle anderen verantwortlich machen. Aber eine Diskussion war auch überflüssig, die Menschen änderten sich nicht. Caleb wandte sich ab, doch Nick griff nach seinem Arm. Seine Lippen zitterten. »Ehrlich, das waren Dads Schulden. Dieser Typ, Jimmy, tauchte zu Hause auf, als Mum gerade weg war, erzählte, wir müssten zahlen, weil Dad abgehauen war. Er wusste alles über uns, hatte alles notiert, soweit ich weiß.« Ihm lief die Nase, Tränen kullerten über seine Wangen. Er wischte sie mit dem Ärmel weg. »Er hat gesagt, er würde Mum und Opa was antun. Hat mir Videos gezeigt, wie er Leute zusammenschlägt, so auspeitscht. Hat gesagt, das macht er mit ihnen.«
Es fühlte sich an, als würde er die Wahrheit sagen. »Warum hast du das denn niemandem erzählt?«
»Das konnte ich Mum nicht antun.«
»Und Alberto? Der hätte doch geholfen.«
»Er hätte das Café verkauft, und das hätte ihn umgebracht.«
Vielleicht, aber es gab noch einen Grund für Nicks Zögern. Das arme, dumme, verängstigte Kind.
»Du wolltest nicht, dass Alberto das über deinen Vater erfährt.«
»Dad wollte uns nicht in Gefahr bringen.«
Als würde jemand, den man liebte, einen nicht verletzen, einem nicht das Herz rausreißen. Einen zerstören.
»Dein Vater ist schwach, nicht du. Lass dich von ihm nicht in so was reinziehen.«
Er ließ Nick stehen und kehrte in die Wärme des Festzelts zurück. Die Leute gebärdeten und tanzten, Tabletts mit Essen und Trinken wurden gereicht, aus den Verstärkern dröhnte ein lateinamerikanischer Rhythmus. Alberto war verschwunden, aber Kat mitten auf der Tanzfläche, barfuß und rotwangig, ihr Rock drehte sich wie eine farbenfrohe Spirale um sie. Caleb zog seine Schuhe aus und ging zu ihr.
Ein leuchtendes Lächeln, als sie ihn sah, ihre Augen strahlten. Sie legte ihm die Arme um den Hals, zögerte kurz, als sie merkte, wie angespannt seine Schultern waren. Er presste sie an sich und drehte sich mit ihr. Bewegte sich in ihrem und dem Rhythmus der Musik, die durch ihn pulsierte. Er versuchte, nicht an das zu denken, was er verloren hatte, was er vielleicht verlieren würde. Klammerte sich an diesen Moment. Versuchte zu atmen.