Geld ist logisch, mathematisch, objektiv. Wenn irgendetwas ein harter Fakt in unserem Leben ist, dann ist es Geld. Oder?

Schon im ersten Jahr lernen die neuen Banklehrlinge die wesentlichen drei Funktionen von Geld: Geld ist erst mal ein universelles Tauschmittel, das beliebig in Waren und Dienstleistungen konvertiert werden kann. Zweitens dient es als Aufbewahrungsmittel, als Wertspeicher, um ebendiesen Tausch zu einem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft durchführen zu können. Und drittens hat Geld offenbar die Eigenschaft, sich (auf wunderbare Weise) selbst zu vermehren, wie es in der klassischen Bankenwerbung heißt: »für Sie zu arbeiten«, seinen Tauschwert parallel zum Vergehen von Zeit erhöhen.

Geld scheint so unemotional zu sein wie sonst nur Naturgesetze. Sein Wert wird überwacht von hochkomplexen Zentralbanken mit topausgebildeten Volkswirten und Finanzmathematikern. Geldmengen werden kalkuliert und gesteuert, Inflationsraten verfolgt, Zinssätze definiert, und auch die Kapitalmärkte sind dabei so unbarmherzig wie logisch und effizient.

Doch diese Rationalität ist nur die eine Seite der Medaille: Geld hat ein Janus-Gesicht – es hat zwei widersprüchliche, nein, sich komplementär ergänzende Seiten. Was sollte man von einer Sache, die lange Zeit nur als Münze im Umlauf war, auch anderes erwarten? Die postulierte Rationalität von Geld ist im Grunde nur ein Gegengift, ein Psychopharmakon, das verschleiern soll, wie das Thema Geld, ja Geld selbst, vermint ist mit Dutzenden irrationalen, emotionalen und sich widersprechenden (Wert-)Vorstellungen.

Das beginnt damit, dass das Geld als solches ja nichts anderes ist als eine kollektive Fiktion: ein Stück weitgehend wertloses Metall mit dem Bild eines Gottes oder eines Kaisers. Ein Blatt Papier, versehen mit der Garantie des Staates und einer Strafandrohung an etwaige Fälscher: »Wer Banknoten nachmacht oder verfälscht, oder nachgemachte oder verfälschte sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.« So stand das früher auf jedem D-Mark-Schein. Doch staatliche Sanktionen sind bei Weitem nicht alles: »In God we trust« heißt es auf der Dollarnote, was nichts anderes bedeutet, als dass das Auge von Gott selbst über den Wert des Geldes wacht. Diese Garantie wird umso brüchiger wird, je laizistischer unsere Gesellschaft wird und je mehr sich das Geld in einen virtuellen Raum von Buchgeld, von Nullen und Einsen zurückzieht.

Die religiöse Metaphorik im Umfeld von Geld ist unübersehbar. Die ersten Bankenpaläste – etwa die New York Stock Exchange in der Wall Street – sahen aus wie Tempel. Dekorierte Volkswirte und Experten, auch als »Auguren« tituliert, haben mit ihren Wirtschafts- und Börsenprognosen die Rolle der delphischen Pythia und anderer antiker Seher übernommen – inklusive einer ritualisierten, oft animistischen Rhetorik respektive Liturgie. Und nicht zu vergessen der (Priester-)Ornat – dunkelblauer Anzug mit weißem Hemd, dunkelroter Krawatte und goldenen Manschettenknöpfen –, der Wohlanständigkeit und Professionalität ausstrahlt.

Wenn die Geld- und Welterklärungsmodelle von Volkswirten und Notenbankern in der Ersatzreligion Kapitalismus an die Stelle heiliger Texte und schamanischer Rituale getreten sind, dann ist es auch kein Zufall, dass sich schamanische und volkswirtschaftliche Erzählungen und Modelle frappierend ähneln. Schamanen wie Wirtschaftsweise versuchen, anhand komplexer, weitgehend fiktionaler Gedankenkonstrukte, eine feindliche, kaum begreifbare Welt verstehbar und damit erträglich zu machen. Sollten Amulette, die Jahrtausende gegen Geister und Hexen geschützt haben, nicht wenigstens in der Lage sein, die Inflation unter Kontrolle zu halten? Teilweise mit den gleichen grafischen Mitteln? Einen Hinweis darauf sehen Sie in den beiden folgenden Abbildungen. Ich habe ihn wie so vieles Andreas Beck zu verdanken.

Abbildung 2: Weltmodell – Sami-Mythologie

Quelle: Wikipedia8

Kein Zufall auch, dass sich das Wort »Kredit« vom lateinischen credere (deutsch: glauben) ableitet – wenn es sich auch nicht um den Glauben an das eigene Seelenheil handelt, so doch um den Glauben an die durch die EZB garantierte Stabilität des Geldes, konkreter: den Glauben daran, das eigene Geld in ferner Zukunft irgendwann wiederzubekommen. Denn Vertrauen in den Wert des Geldes ist das A und O des Funktionierens einer Währung: Solange alle fest daran glauben, dass Geld existiert und funktioniert, solange zumindest alle fest daran glauben, dass genügend andere Menschen fest daran glauben, ist alles in Ordnung. Und so wird das Funktionieren des Geldes nicht nur durch Gott, den Staat und die Hohepriester der Währung garantiert, sondern gleichsam durch das Kollektiv der Gläubigen beziehungsweise der Gläubiger. In diesem Sinne befindet sich im Psychopharmakon Geld relativ wenig konkreter Wirkstoff, seine Heilkraft ist vielmehr die eines Placebos, eines Schadenszaubers, der auf kollektiver Autosuggestionskraft beruht.

Doch die religiös informierte und strukturierte Fiktionalität von Geld selbst ist lediglich ein Aspekt der hohen emotionalen Aufladung von Geld. Die Magie des Geldes reicht weiter. Schauen wir uns daher die drei Funktionen des Geldes laut dem Textbuch für den Banklehrling an noch mal genauer: Wertspeicher, Selbstvermehrung und universelles Tauschmittel.

Als Wertspeicher ist Geld selten einfach nur Geld, ein Wintervorrat, der Konsum – potenziell bis nach unserem Tod – in die Zukunft verschiebt. Es ist stets auch eine Chiffre, ein Symbol, ein Gradmesser, erklärt durch sein Vorhandsein – ebenso wie durch seine Abwesenheit – zumindest teilweise, wer wir sind. Es definiert und konserviert unseren Status, unseren Erfolg, unsere Macht, was wir wert sind.

Dies reicht bis in die Sprache hinein: Englisch, die Muttersprache des Kapitalismus, ist da meist ein Stück deutlicher und brutaler als Deutsch: »Mr. Miller has a net worth of $ 5 million« heißt nicht nur: »Mr. Miller hat ein Nettovermögen von 5 Millionen US-Dollar«, es heißt wörtlich ebenso: »Mr. Miller ist (netto) fünf Millionen US-Dollar wert.« Das funktioniert nicht nur mit dem Geld, das bereits als Vermögen vorhanden ist, und es funktioniert beileibe nicht nur im Englischen: »I earn 5 000 Euro«, zu Deutsch: »Ich verdiene 5 000 Euro«, heißt ja nicht einfach: »Ich bekomme für meine geleistete Arbeit 5 000 Euro« – ich verdiene sie, »I earn it«, und dadurch, dass ich sie verdient habe, bewertet der Zahlungsstrom nicht nur meine Leistung, er bewertet auch mich selbst, meinen Selbstwert. Was, wenn ich 5 500 Euro verdienen würde? Wäre ich dann nicht 10 Prozent mehr wert?

So wird die komplexe Bewertung eines Menschen durch das, was er ist, erst ersetzt durch das, was er tut – was wesentlich einfacher ist –, dann durch das, was dieses Tun monetär gemessen wert ist, um schließlich den Wert eines Menschen im schlimmsten Fall auf eine mit einem Währungszeichen versehene Zahl zu reduzieren. Haben statt Tun, Tun statt Sein. Nicht zufällig heißt Vermögen ja auch die Fähigkeit, etwas zu tun.

So toxisch diese Bewertung von Menschen durch ihr Vermögen auch ist, so besitzt sie nicht nur für Vermögende mitunter eine Eigendynamik, der man schwer widerstehen kann. Während sich die Frage, was »genug« ist, kaum beantworten lässt, verengt sich die Antwort auf die Frage, wie viel Geld man haben möchte, schnell auf eine Vokabel: »Mehr.« Denn wäre Mr. Miller mit 10 Millionen US-Dollar nicht doppelt so viel wert als mit 5? Und da die unbegrenzte Geldvermehrung zumindest im Diesseits irgendwann ja keinen Sinn mehr ergibt, knüpft sich an Vermögen oftmals auch der Traum, nach dem eigenen Tod ein Vermächtnis zu hinterlassen, etwas, das bleibt, ein kleines Stück säkulare monetäre Unsterblichkeit. Wenn am Geld also nicht nur die unmittelbare Finanzierung meines Lebens hängt, sondern mein Selbstwert und ein Stück Unsterblichkeit – ist es dann verwunderlich, dass der Umgang des Menschen damit so von Ängsten geprägt ist? Braucht er auch deshalb die Amulette einer nur bedingt belastbaren Finanz- und Wirtschaftswissenschaft, damit er sich im Dunkeln nicht so sehr vor den Gespenstern seiner Existenz fürchtet?

Angst und die Kehrseite der Angst – die Gier – prägen auch die Funktion des Geldes, Werte nicht nur zu speichern, sondern auch den wundersamen Umstand, dass Geld sich (angeblich) aus sich selbst heraus vermehren kann. Eine Magie, die offenbar insbesondere die Finanz-Alchemisten der Finanzmärkte beherrschen, um aus Geld immer mehr Geld zu machen – unbegrenzt und immer schneller. Diese Logik hat ihre diversen Nebenwirkungen und Kippmomente: zum einen, weil der Versuch, sein Vermögen möglichst schnell zu maximieren, häufig in den Verlust ebendieses Vermögens mündet. Geld muss nämlich ekelhafterweise seinen Tauschwert über die Zeit gar nicht erhöhen, sondern kann ihn – nicht nur durch die Inflation – auch wieder verlieren. Zum anderen, weil sich bei der Fixierung auf Geldvermehrung auch die Besitztumsverhältnisse schnell umdrehen: Dann gehört das Vermögen nicht mehr uns, sondern wir dem Vermögen. Es nimmt im wörtlichen Sinne Besitz von uns.

Blicken wir zuletzt auf die Funktion des Geldes als universelles Tauschmittel. Auch hier setzt sich die Magie des Geldes fort. Wenn der Kapitalismus in unserer säkularen Welt in weiten Teilen an die Stelle der Religion getreten ist, dann ist das Geld darin logischerweise das Geheimnis des Glaubens: ein Medium, in dem eine immer fortwährende magische Wandlung stattfindet. Das ist für uns ebenso angsteinflößend wie bezaubernd. Und aus der Perspektive der Religion erweist sich der Generalverdacht gegenüber dem Mammon mehr als berechtigt. Was für eine lästige, mächtige und vor allem moralfreie Konkurrenz!

Geld kann in weit mehr eingetauscht werden als einfach nur in Waren und Dienstleistungen. Es tauscht sich (zumindest bedingt) in so unterschiedliche und flüchtige Dinge wie Erinnerungen, Beziehungen, Freiheit, Sicherheit, Status, Identität, Zufriedenheit, (Aus-)Bildung, ja sogar Zeit, genauso aber auch in Hass, Angst, Neid, Einsamkeit oder Macht über andere. Dabei funktioniert die Transaktion nicht nur in eine Richtung: Wenn man Geld etwa durch die Finanzierung einer Ausbildung oder eines Studiums in Bildung verwandeln kann, so knüpft sich daran ja fast immer auch die Erwartung eines monetären Return on Investment.

Ähnlich sieht es bei der Verwandlung von Geld in Beziehungen aus, sei es die Einladung eines Mandanten zum Mittagessen, die Bestechung eines Beamten in der Baubehörde oder der Besuch im Bordell. Dabei gestaltet sich auf beiden Seiten der Transaktion die Gewichtung von Beziehungs- und monetären Interessen unterschiedlich: Für den einen tauscht sich Geld in Beziehung, für den anderen Beziehung in Geld. Und wenn ich mir keine Liebe kaufen kann, dann doch zumindest die Illusion davon oder die Beschleunigung meines Bauantrags.

Am trügerischsten ist die Transaktion von Geld in Zeit. Denn während Geld zumindest theoretisch unbegrenzt und dauerhaft zur Verfügung steht, ist die menschliche Lebenszeit begrenzt und ihre Dauer ungewiss, sodass der Versuch, die zu Geld gefrorene Zeit im Alter wieder aufzutauen, immer wieder scheitert: Wir sind nicht mehr die gleichen, unser soziales Umfeld ist nicht mehr das gleiche, die Gesundheit brüchig und im schlimmsten Fall sind wir selbst schlicht nicht mehr da.

Am Ende erweist sich Geld als eine Art flüssiger Energie, als geronnene, nicht realisierte Möglichkeit. Es wirkt wie ein Brandbeschleuniger, ein großer Ermöglicher oder eben auch als großer Verhinderer. Solange Geld nicht durch eine Transaktion in einen anderen Zustand gewandelt wird, ist es als solches eigentlich erst einmal wertlos: Was ist die zu Geld gefrorene Zeit, wenn sie nicht wieder aufgetaut wird? Erst in der Transaktion entfaltet sich die enorme, oft konstruktive und ebenso häufig zerstörerische Kraft des Geldes. Geld ähnelt in diesem Aggregatszustand in gewisser Weise dem Feuer: Man kann damit ein Haus ebenso heizen wie niederbrennen. Geld ist damit im wahrsten Sinne brandgefährlich, und es ist absolut fahrlässig, wie naiv und unreflektiert die meisten Menschen damit umgehen und somit sich und andere gefährden.

Wir sollten daher dringend genauer beobachten und reflektieren, was wir mit Geld machen, vor allem aber sollten wir verhindern, dass Geld etwas mit uns macht. Dass es Besitz von uns ergreift, Macht über uns bekommt. Die meisten Menschen lassen sich zwar von der Magie des Geldes verzaubern – den wenigsten gelingt es allerdings, diese Magie für sich selbstbestimmt zu nutzen. So ist es alles andere als verwunderlich, dass wir angesichts des irrationalen, fiktionalen und emotionalen Dickichts, das Geld umgibt, angesichts der eigenen Sprech- und Denkunfähigkeit bei einem der zentralsten Themen unseres Lebens überfordert sind. Wie Sie schon in der ersten Geschichte gesehen haben: Es geht nicht in erster Linie um unser Geld, es geht um unser Leben. Schauen wir uns das weiter an.