Disclaimer: Die Finanzindustrie hat eine fast unlimitierte Feuerkraft für Lobbyismus, Gefälligkeitsgutachten und Rechtsstreitigkeiten. Vor diesem Hintergrund: Bitte bemühen Sie sich nicht weiter. Alle Geschichten sind frei erfunden und entspringen ausschließlich meiner Fantasie. Falls sich trotzdem der eine oder die andere wiedererkennen sollte, mögen er oder sie sich bitte an die eigene Nase fassen. Dann habe ich mir vor dem Hintergrund meiner Berufserfahrung eben zufällig etwas ziemlich Realistisches ausgedacht. In diesem Sinne bitte ich insbesondere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Rechtsabteilungen von Finanzvertrieben, davon auszugehen, dass das »Ich« in meinen Erzählungen ein erzählerisches Ich ist.
Ein Ratgeber ohne Ratschläge
4 × 7 + 2 = 30
»Über Geld spricht man nicht.« Dieser Glaubenssatz ist vermutlich die wichtigste Ursache dafür, dass sich viele Menschen beim Thema Geld nicht nur inkompetent fühlen, sondern es auch sind. Worüber ich nicht sprechen kann, darüber kann ich auch nicht nachdenken.
Dem Thema Geld über den Verstand, durch Zahlen, Daten und Fakten, nahezukommen, funktioniert nur sehr bedingt. Es gibt zwar – neben ziemlich viel finanzpornografischem Mist – auch einige brauchbare Bücher zum Thema Geld.1 Doch auch bei den Leserinnen und Lesern guter Finanzratgeber klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was sie eigentlich verstanden haben, und dem, was sie tun. Sie sind erstaunlich konsequent darin, die erhaltenen Ratschläge zu ignorieren – ähnlich wie auch Konsumentinnen und Konsumenten von Ernährungs- und Fitnessratgebern unabhängig von deren Qualität meist nicht schlanker und durchtrainierter werden.
Die meisten Menschen lesen Finanzratgeber ohnehin gar nicht oder nur äußerst ungern. »Ist doch nur über Geld, wie langweilig«, sagen sie naserümpfend. Irgendwie kann ich es verstehen: Wenn Geld primär als universelles Tauschmittel betrachtet wird, das man in Waren und Dienstleistung umwandeln kann, wenn Geld als ein logisches Abstraktum verstanden wird, lohnt es sich dann, sich damit zu beschäftigen? Oder beleidigt das nicht eher den eigenen Intellekt? Ist es gar das Einfallstor zum Bösen? Und so scheitert der rational-kognitive Zugang zu Geld regelmäßig: zu komplex, zu abstrakt, zu wenig relevant, zu schwierig in konkretes Handeln zu überführen und von moralisch zweifelhafter Provenienz.
Ich versuche, dieses Dilemma in Geld oder Leben aufzubrechen. Noch deutlicher als bei meinem in weiten Teilen dann doch klassischem Ratgeber Über Geld nachdenken stelle ich nicht das Geld selbst in den Mittelpunkt des Buches, sondern Themen, die für uns viel eher unmittelbar mit dem Leben zu tun haben – ja, die mitunter Kern unseres menschlichen Seins sind. Einige dieser Themen haben offensichtlich auch mit Geld zu tun, etwa Luxus, Reichtum, Ungleichheit, Unternehmertum, Betrug oder Erfolg. Andere Themen scheinen dagegen kaum einen Bezug zu Geld zu haben: Angst, Geschlechterrollen, Liebe, Freundschaften, Familie, Identität, Glück, Spiritualität, Schuld, Tod, Erlösung.
Die Verstrickung von Geld mit allen relevanten Lebensbereichen veranschauliche ich neben kurzen theoretischen Essays vor allem durch das Erzählen von insgesamt 30 Geschichten. Warum? Zum einen sind Geschichten viel unterhaltsamer und spannender als nüchterne Theorie. Nur wenige Menschen kauen sich vor Aufregung an den Fingernägeln, weil sie es kaum aushalten können, herauszubekommen, wie Low Volatility mit den klassischen Fama-French-Faktoren korreliert. Außerdem habe ich während des Schreibens dieses Buches so bewegende Geschichten erfahren, dass nicht nur die Protagonistinnen und Protagonisten, sondern letztlich auch die Geschichten selbst ein Recht darauf haben, gehört zu werden.
Der wichtigste Grund ist aber, dass menschliches Verstehen über Jahrtausende ausschließlich über Geschichten funktionierte – vermutlich, seit unsere Urahnen angefangen haben zu sprechen und sich auch dadurch ihrer eigenen Existenz bewusst wurden. Etwas verkitscht kann man sich gut vorstellen, wie sich Jäger und Sammlerinnen in einer Höhle am Feuer gegenseitig die Welt erklärten und diese Geschichten von Generation zu Generation weitergaben oder an die Wand malten, lange bevor die Schrift erfunden wurde. Heilige Schriften, Märchen, Sagen, Dramen, Romane, Hollywood oder Netflix: Bis heute funktioniert menschliches Verstehen primär über Geschichten – diese Art des Verstehens ist ganz tief in unserem kulturellen Gedächtnis, ja, in unserer DNA verwurzelt. Und: Dieses Verstehen über Geschichten prägt auch weite Teile wissenschaftlicher oder sachlicher Texte. Allerdings ignorieren selbst die meisten Geisteswissenschaftler diese Erkenntnis, von Volkswirtinnen oder Juristen ganz zu schweigen.
Im Grunde genommen gibt es in unserer Kultur nur vier grundlegende »Meister-Erzählungen«, auf die sich jede Geschichte in der einen oder anderen Form zurückführen lässt.2
Erstens, die Komödie: Die Hauptpersonen erleiden ein paar meist heitere Irrungen und Wirrungen, und zum Schluss gibt es ein Happy End – meist in Form einer Liebesbeziehung: Così fan tutte. Ein Sommernachtstraum. Verrückt nach Mary.
Zweitens, die Romanze: Ein – meist männlicher – Protagonist, wendet unter oft immensen Leiden (s)eine Katastrophe ab, um am Ende als Sieger hervorzugehen. Das ist Joseph Campells archetypischer »Monomythos«, Voglers klassische »Heroe’s Journey«.3 Auch hier steht am Ende meist ein Happy End, oft in Form einer Liebesbeziehung: Die Odyssee. Star Wars. Harry Potter. Vereinfacht lauten die Zutaten: Drache – Prinzessin – Ritter – Schwert.
Drittens, die Tragödie: Die Heldin oder der Held der Geschichte geraten durch eigene Schuld, Zufall oder rachsüchtige Gottheiten in die Mühlen des Schicksals. Die tödlichen Spielregeln oder Verstrickungen der Geschichte werden ihnen – wenn überhaupt – erst im Laufe der Geschichte bewusst. Am Ende sind die wesentlichen Charaktere tot oder zumindest gescheitert: Antigone. Hamlet. Titanic.
Viertens, die Groteske: Die Spielregeln der Geschichte ergeben sowohl für das Publikum als auch für die Hauptfiguren nur noch bedingt einen Sinn. Eine groteske bis absurde Welt ist letztlich nicht mehr verstehbar, es vermischen sich satirische, tragische und komische Elemente: Alice im Wunderland. Der Besuch der alten Dame. Die Bilder von Hieronymus Bosch.
Zu insgesamt sieben Themen erzähle ich jeweils eine Komödie, eine Romanze, eine Tragödie und eine Groteske: Reichtum, Erfolg, Betrug, Angst, Männer, Luxus und Zeit. Dazu kommt noch je eine Geschichte in der Einleitung und im Schlussteil, die fast alle dieser Kern-Themen aufgreift. Die Abgrenzung der Themen ist dabei bewusst nicht trennscharf: Je mehr Lebensbereiche in einer Geschichte mit dem Leitmotiv Geld verwoben sind, umso besser. Ebenso sind die Übergänge der Erzählformen fließend. Was für den einen Protagonisten eine Groteske zum Thema Luxus ist, kann für seine Gegenspielerin eine Romanze zum Thema Erfolg sein. Auch das ist bewusst so gemacht. Und wie gesagt: Das Geld steht dabei nicht im Zentrum der Geschichte, es ist eher ein Leitmotiv, die entscheidende Zutat. Für die Leser und Leserinnen mit literarischer Vorbildung: Es ist oft so etwas wie der Falke in der klassischen Novelle – Symbol und Gegenstand einer entscheidenden Wendung.
Zum Schluss eine Warnung: Der intuitiv narrative Zugang zum Thema Geld kommt nicht zum Nulltarif. Ratschläge sind auch Schläge, und Sie werden sie in diesem Buch nur ganz am Rande finden und wenn, dann sehr abstrakt. Auch werde ich die erzählten Geschichten nicht im Sinne konkreter Handlungsanweisungen auswerten, analysieren oder kommentieren. Der narrative Zugang soll es gerade ermöglichen, einen Kommunikationsraum zu öffnen, in dem Sie selbst über Geld sprechen und nachdenken können und der Ihnen hilft, Frieden mit Ihrem Geld zu schließen und weniger Unsinn damit anzustellen.
Sie müssen also selbst entscheiden, mit wem Sie sich identifizieren wollen und welchem Handelnden Sie wie viel glauben wollen – schließlich sind die Geschichten oft sehr subjektiv, ja parteiisch. Zudem müssen Sie selbst darüber nachdenken, welche Rolle Geld in der Geschichte eigentlich spielt: Ist es die Ursache für ein Scheitern, ein Brandbeschleuniger oder nur ein Symptom? War es die treibende Kraft hinter einem gelungenen Lebensentwurf oder eher eine zufällige Begleiterscheinung? Ist der Protagonist oder die Protagonistin einer Geschichte eine ihr Schicksal gestaltende Heldin oder ein Getriebener, ein tyrannisches Monster oder doch nur ein traumatisiertes Kind? Und vor allem: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für sich selbst? Dabei wird sich sicher nicht alles auflösen lassen. Vermutlich werden einige Geschichten Sie – wenn auch auf höherem Niveau – verwirrt zurücklassen. Mir geht es zumindest oft so.
Ich bin sehr gespannt, zu welchen Schlussfolgerungen Sie kommen. Die ersten Rückmeldungen haben mir gezeigt, wie weit die Interpretationen auseinandergehen können. Ich finde das großartig. Wenn Sie wollen, schreiben Sie mir gern dazu an: nachdenken@neunundvierzig.com.