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Sonntag, 19. Januar
»Also, bist du wirklich sicher, dass ich nicht noch ein paar Tage in New York bleiben soll?«, fragte ihre Mom bestimmt zum fünften Mal, seit sie sich an den Esstisch gesetzt hatten. »Ich habe mir immer vorgestellt, dass ich, wenn du mal heiratest, mit dir das Kleid aussuchen gehe.«
»Und wenn ich heirate, dann wirst du das auch«, versicherte Audrey Kathleen. Falls es überhaupt jemals dazu kommt. »Aber zum hundertsten Mal, Clarke und ich werden nicht wirklich heiraten.«
Ihr Vater gab hinter dem Wall Street Journal ein Knurren von sich.
»Wolltest du etwas sagen, mein Lieber?«, fragte Kathleen, strich ein wenig Himbeermarmelade auf ihr Croissant und biss zierlich davon ab, während sie ihrem Mann einen Blick zuwarf.
Gemächlich faltete er seine Zeitung zusammen und legte sie beiseite. »Nun, ich finde nur, dass man zu meiner Zeit …«
»Oh nein«, unterbrach ihn Audrey und griff nach dem Cranberry-Scone auf der Gebäckplatte, die ihre Mutter bei einer ihrer langjährigen Lieblingsbäckereien bestellt hatte. »Diese Einleitung verheißt nie etwas Gutes.«
»Zu meiner Zeit«, fuhr ihr Vater unbeirrbar fort, »wurde das Ehegelöbnis zwischen zwei Menschen, die einander zugetan waren, sehr ernst genommen.«
»Halt den Mund, Richard«, sagte Audreys Mom und wischte sich den Mund ab. »Wir beide haben nur geheiratet, weil ich mit Anderson schwanger war.«
»Ich wusste es«, rief Audrey in dramatisch-empörtem Ton.
Im Grunde wusste es jeder. Die Geburtsurkunde ihres älteren Bruders sagte so ziemlich alles. Aber Mussheirat oder nicht, ihre Eltern hatten dafür gesorgt, dass ihre Ehe funktionierte. Nein, das traf es nicht ganz. Was ihre Mom und ihren Dad verband, ging weit über bloße Zufriedenheit hinaus und hatte auch nichts damit zu tun, dass sie das Beste aus ihrer Situation gemacht hatten. Sie gehörten zu jener Art von Paaren, denen es irgendwie gelungen war, ihre Individualität zu bewahren, aber dennoch höchst ungern von dem anderen getrennt zu sein.
Es war Liebe, rein und schlicht. Die Art von Liebe, die Audrey sich mit Brayden eingebildet hatte und jene Art von Liebe, der sie jetzt extrem skeptisch gegenüberstand.
»Du hast doch mitgekriegt, warum sie das hier machen«, nahm Kathleen ihre jüngste Tochter nun in Schutz. »Irgendwelche eifersüchtigen Blödmänner haben Audrey ins Kreuzfeuer genommen und versuchen, sie in den Dreck zu ziehen. Du weißt doch selbst nur zu genau, wie es in Manhattan oft läuft. Obwohl ich dieses Haus vermisse. Genau wie das Gebäck von Orwashers«, sagte sie und warf der Platte mit den Teilchen einen liebevollen Blick zu.
Audreys Eltern gehörte noch immer das Penthouse auf der Madison Avenue, und selbst jetzt, da Audrey ausgezogen war, lebte dort eine Haushälterin, die sich darum kümmerte für den Fall, dass sie sich in der Stadt aufhielten oder dass Freunde einen Platz zum Übernachten suchten, wenn sie in der Stadt waren. Heute war Audrey zum Brunch herübergekommen, um Zeit mit ihnen zu verbringen, bevor sie heute Nachmittag wieder zurückflogen.
»Ich weiß in der Tat, wie Nachbarn sein können«, stimmte Audreys Dad zu. »Deshalb bin ich ja nach Kalifornien gezogen.« Er sah Audrey an. »Du solltest auch nach Kalifornien ziehen.«
»Ja, denn in L.A. gibt es wunderbarerweise keinerlei oberflächlichen Klatsch und Tratsch«, meinte Audrey ironisch.
Dieser Einwand war natürlich nicht von der Hand zu weisen, und zustimmend wiegte er den Kopf hin und her, griff dann wieder zur Zeitung, nur um sie erneut abzulegen, als könne er sich nicht entscheiden, ob er weiterreden wollte oder nicht.
Anscheinend wollte er, denn er warf ihr einen scharfen Vaterblick zu. »Ich verstehe nur nicht, warum du diese Leute nicht einfach darauf ansprichst. Sag ihnen, sie sollen aufhören, Lügenmärchen über dich zu verbreiten.«
»Aber es sind keine Lügen!«, antwortete Audrey. »Ich war ja tatsächlich mit Brayden zusammen, während er noch verheiratet war. Und mit diesem Randy habe ich mich auch getroffen.«
Audreys Eltern hatten der offenen Kommunikation mit ihren Kindern immer höchste Priorität eingeräumt. Sie hatten zu den ersten Menschen gehört, die sie angerufen hatte, nachdem sie von Braydens Betrug erfahren hatte, und heute Morgen hatte sie ihnen von Randy und dem Instagram-Nachspiel berichtet.
»Aber du wusstest doch nicht, dass sie verheiratet waren.«
»Doch«, widersprach Audrey und knabberte an ihrem Scone. »Ich wusste nichts von Randys Frau. Davon hatte ich keine Ahnung. Aber von Claire wusste ich durchaus, erinnert ihr euch? Ich dachte allerdings, sie seien getrennt.«
Kathleen seufzte. »Ältester Trick der Welt.«
»Auf den ich hereingefallen bin«, ergänzte Audrey. Sie konnte sich einfach nicht verzeihen, dass sie dazu beigetragen hatte, Claires Illusion von einer glücklichen Ehe zu vernichten.
»Aber ich kapiere immer noch nicht, was das damit zu tun haben soll, dass Clarke und du so tut, als wolltet ihr heiraten.«
»Er beschützt mich damit, Daddy«, versicherte Audrey in ihrer besten Cher-Horowitz-Stimme, »damit mein Ruf nicht nachhaltig ruiniert ist.«
»Man nennt sie jetzt Teuflische Tate«, ergänzte Kathleen.
»Ich habe heute Morgen zwei Stunden im Netz verbracht. Was da läuft, ist zutiefst niederträchtig.«
Audrey vergrub das Gesicht in den Händen. Sie fand, dass der Spitzname Teuflische Tate absolut zutreffend war.
Zu ihrer Überraschung schienen die Witze und Sticheleien ihrer Mutter ihren Vater zu besänftigen. »Wahrscheinlich dauert es geraume Zeit, bis die Bombe dieser Klatschbase entschärft ist.«
»Ich hätte es vielleicht etwas anders formuliert, aber ja, darauf läuft es wohl hinaus«, antwortete Audrey.
»Ja, aber das klappt nur, wenn du noch einen Zahn zulegst«, sagte ihre Mutter, schob ihren Teller von sich und sah Audrey scharf an.
»Oh-oh«, meinte diese und nippte an ihrem Kaffee. »Was will dieser Blick mir jetzt sagen?«
»Damit man dir abnimmt, dass du heiratest, muss man dir glauben, dass du verliebt bist. Du darfst dich nicht nur darauf beschränken zu behaupten, dass du verliebt bist. Du musst es zeigen.«
Audrey nestelte nervös am Henkel ihrer Tasse herum. »Habe ich das nicht?«
»Das Einzige, das annähernd leidenschaftlich wirkte, war dieser Kuss. Clarke war überzeugend. Aber du hast ausgesehen, als sei dies dein erster Kuss überhaupt mit diesem Mann.«
»Das war es ja auch!«
»Tatsächlich?« Neugierig legte Kathleen den Kopf schief. »Ich habe immer gedacht, dass ihr beiden früher schon miteinander herumgemacht habt. Neugierige Teenager und so weiter.«
Audrey stöhnte. »Mom. Jetzt übertreib es bitte nicht.«
»Ja, bloß nicht!«, fügte Richard hinzu und vergrub sich wieder hinter seiner Zeitung.
»Kein intensives Petting? Nichts? Okay, na ja, egal. Du und Clarke, ihr beiden müsst, du weißt schon … euch ein bisschen begrapschen. Du musst ihn anstarren, als könntest du es gar nicht erwarten, ihn nach Hause zu zerren.«
»Bitte, hör auf«, rief Richard.
Kathleen ignorierte ihren Mann, sondern fixierte ausschließlich Audrey und beugte sich vor. »Und, Liebes, ein kleiner Ratschlag von einer Frau, die einst einen Zickenkrieg mit einem Ex-Flittchen deines Vaters führte …«
»Ooh!« Audrey setzte sich gerade hin. »Diese Geschichte kenne ich ja noch gar nicht.«
»Und du wirst sie auch nicht kennenlernen«, sagte Richard und warf seiner Frau über die Zeitung hinweg einen vielsagenden Blick zu, bevor er sich wieder seiner Lektüre widmete.
»Später?«, formte Audrey mit den Lippen.
»Später«, signalisierte ihre Mutter zurück und nickte.
»Jedenfalls meine ich es ernst, Audrey«, fuhr ihre Mom mit normaler Stimme fort. »Die Macht einer zielstrebigen Ex-Freundin sollte man nie unterschätzen, insbesondere, wenn diese Ex-Freundin einen Haifisch wie Linda West an ihrer Seite hat.«
»Was meinst du damit?«, fragte Audrey beklommen.
»Ich meine, dass Clarkes blitzgescheit aussehende Freundin in dem blauen Kleid ihn den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen hat. Nur ein einziges Mal, und da hat sie dir einen wütenden Blick zugeworfen. Ich weiß, wenn eine andere Frau Probleme zu machen droht. Und dieser Dame stand das deutlich ins Gesicht geschrieben.«