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Mittwoch, 18. März

»Gütiger Himmel, was ist denn das?«, fragte Clarke, trat an den Küchentisch und blickte ihr über die Schulter.

Sie schnaubte. »Die Tischordnung. Offensichtlich.«

»Sieht aus wie ein Schlachtplan«, bemerkte er skeptisch. »Und dieses Gelb wird definitiv jegliches Pink verdrängen.«

»Was?«, fragte sie, notierte einen Namen auf dem kleinen gelben Klebezettel und pappte ihn sich an die Lippe, während sie darüber nachdachte, ob sie ihren Cousin, der es keine fünf Minuten aushielt, ohne die Yankees zu erwähnen, neben Clarkes sportbegeisterte Kollegen setzen sollte oder zu seiner eigenen Familie, die ihn liebte, aber Baseball hasste.

»Kommt mir nur so vor, dass die beiden einsamen pinkfarbenen Leute keine Chance haben«, meinte Clarke und deutete auf die Mitte des Kartons, der ihr als provisorischer Sitzplan diente.

»Das sind wir«, sagte sie. »Siehst du, wir sitzen am mittleren Tisch, und alle anderen – alle durch Gelb markiert, denn ich unterscheide nicht zwischen deinen und meinen Gästen – besetzen die größeren Tische um uns herum. Ist das wirklich wahr? Du warst bestimmt schon bei neunhundert Hochzeiten dabei und weißt immer noch nicht, wie das mit dem Haupttisch läuft?«

»Hmm, wahrscheinlich habe ich Braut und Bräutigam nie so recht wahrgenommen.«

»Na toll«, sagte Audrey sarkastisch. »Was hat deine Braut doch für ein Glück.«

Er gab ihr einen beinahe zerstreuten Kuss auf den Scheitel. »Hauptsache, sie weiß das.«

Sie weiß es.

Es war genug, rief Audrey sich ins Gedächtnis, genau wie sie es seit anderthalb Wochen dauernd tat, seit ihrem Zusammenbruch in dem Kleidergeschäft. Es war genug. Es musste reichen.

Nach einer dreistündigen Unterhaltung mit Naomi und Claire war sie zu der Entscheidung gelangt, dass man, wenn man jemanden liebte, von ihm eben nahm, was man kriegen konnte. Man liebte den Betreffenden so, wie er es verdient hatte, geliebt zu werden, auch wenn er die Liebe nicht auf gleiche Weise erwiderte.

Noch nicht, erinnerte sie sich.

Jungs können ziemlich dumm sein, hatte Claire ihr versichert. Sogar die guten. Gib ihm Zeit.

Mädels können ebenfalls ziemlich dumm sein, hatte Naomi hinzugefügt. Oliver und ich hätten unser Märchen niemals bekommen, wenn er nicht so geduldig gewesen wäre.

Geduld. Die hatte sie.

Clarke war es wert. Sie beide waren es wert.

»Darf ich aufgrund der Tatsache, dass dieser Sitzplan sich in meiner Küche befindet, zu hoffen wagen, dass du geneigt bist, nach dem großen Tag hier zu wohnen?«, fragte er hoffnungsvoll und kehrte zur Anrichte zurück, um sich noch einen Kaffee einzugießen.

»Nope«, antwortete Audrey und widmete sich wieder ihrem Klebezettelplan. »Aber ich brauchte einen großen Tisch, und auf meinem stapeln sich momentan die handgeschriebenen Dankeskarten für die Hochzeitsgeschenke.«

»Stimmt ja. Brauchst du Hilfe dabei?«

Sie lächelte. »Pluspunkte fürs Fragen. Aber du bist raus, allerdings vornehmlich, weil deine Handschrift grässlich ist.«

»Kannst du bitte an Mrs Kerry schreiben und ihr das mitteilen? Sie hat mir wegen meiner Schrift immer die Hölle heißgemacht, und ich würde ihr gern mitteilen, dass gerade das Fehlen dieser Fähigkeit mich vor einer dieser Hochzeitsverpflichtungen bewahrt hat. Ich würde es ja selbst machen, aber sie würde meine Nachricht nicht lesen können.«

»Klar«, stimmte Audrey geistesabwesend zu. »Gern! Ich habe in den nächsten paar Wochen ja sonst nicht allzu viel zu tun. Nur drei Anproben, dann muss ich mich um mein Hochzeits-Make-up kümmern, auf den letzten Drücker eine Harfenistin auftreiben, da unsere doch schon ausgebucht war, dem Hochzeitsprogramm den letzten Schliff geben, Gesichtsmasken machen, um diesen Pickel loszuwerden und meine Mom zu überreden versuchen, sich ein Kleid auszusuchen, das nicht zu hundert Prozent mit Glitzer bedeckt ist. Ich langweile mich eigentlich, deshalb ja, ich nehme mir die Zeit, deiner Lehrerin aus der dritten Klasse zu schreiben und sie über dein heutiges Gekritzel in Kenntnis zu setzen.«

»Yep. Sarkasmus am Morgen ist definitiv meine Zukunft. Noch etwas Kaffee?«

»Ja, bitte«, sagte sie und überlegte, ob Clarkes Freund Paul aus dem College es versäumt hatte, Jess Thomson nach einem One-Night-Stand anzurufen oder Jen Thomson. Ein Fehler konnte ein Feuerwerk lostreten. Sie tippte sich an die Lippe. Dann beschloss sie, Paul einfach zwischen die beiden Frauen zu setzen und darauf zu hoffen, dass sie alle gelernt hatten, sich wie Erwachsene zu benehmen.

»Na gut«, sagte Clarke, kehrte zum Tisch zurück, stellte die Kaffeekanne neben die Klebezettel und mühte sich damit ab, irgendeinen Plastikdeckel zu entfernen. »Zeig es mir.«

»Was soll ich dir zeigen?«, fragte sie, ohne aufzublicken. »Ich meine, ich habe eine Liste, und an oberster Stelle steht, dir beizubringen, wie man Wäsche anders zusammenfaltet als ballförmig.«

Er schob ihr ein kleines Fläschchen hin. »Wie viel von diesem Klebzeug tust du rein?«

Audrey warf einen Blick darauf, dann setzte sie sich gerader hin. »Wo hast du das denn her?«

»Online«, antwortete er, hob das Fläschchen an die Lippen und versuchte, das Plastiksiegel mit den Zähnen zu öffnen. Das war immer ziemlich ätzend. Audrey wusste es aus Erfahrung, denn sie bestellte das Zeug in großen Gebinden.

Es war ihr Lieblings-Schokoladensirup. Genau der, den sie immer in ihren Kaffee gab.

»Wo online?«, fragte sie.

»Bei …« Clarke hielt das Fläschchen vom Mund weg und las das Etikett. »Wie man das auch ausspricht. Ihre Website.«

Audreys Herz pochte wild. »Woher kennst du den Namen?«

»Ich habe ein Foto von dem Fläschchen gemacht, als ich das letzte Mal bei dir war«, antwortete er und warf ihr einen genervten, fragenden Blick zu. »Was soll denn das Verhör? Hast du der Schokolade jetzt abgeschworen oder so etwas?«

»Nein!«, rief Audrey und wischte sich hastig die Augen. »Nein, es ist nur … ich habe gar nicht gemerkt, dass du registriert hast, wie ich meinen Kaffee trinke.«

»Natürlich habe ich das«, antwortete er. »Ich meine, ich finde es nicht gut. Dieses Zeug ist so dickflüssig, dass es aussieht wie – na ja, ich werde es nicht sagen. Aber weil du in letzter Zeit ja morgens häufig in meinem Haus bist – Dree, warum weinst du?«

»Tu ich ja gar nicht«, widersprach sie und wischte sich noch einmal über die Augen. »Das ist nur der Stress.«

Stress. Liebe. Alles das Gleiche.

Schließlich hatte er den Kampf gegen den Plastikdeckel gewonnen. »Okay, du nimmst einen Klacks, ja? So?«

Er gab einen kleinen Tropfen in ihre Tasse.

»Mehr.«

Er fügte einen weiteren Tropfen hinzu.

»Mehr«, wiederholte sie unter Tränen lachend.

»Also ehrlich, Dree, das ist widerlich. Da, wie sieht es jetzt aus?«

»Perfekt. Absolut perfekt«, sagte sie. Dann beugte sie sich vor und gab ihm einen Kuss. Ein Ablenkungsmanöver, damit er nicht merkte, dass sie mit dem Wort perfekt nicht nur den Kaffee gemeint hatte.

Sondern den Mann.