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Samstag, 18. Januar

NA ALSO, SIE HAT’S ALSO WIEDER GEMACHT. ALS HÄTTE SIE NIE VERSUCHT, DER FRAU DES VERSTORBENEN BRAYDEN HAYES IHREN MANN ZU STEHLEN, STELLT SICH HERAUS, DASS UNSERE KLEINE EHEBRECHERIN SICH AUF DIE ALTEN TRICKS BESONNEN HAT

–@SCANDALBOYNYC

Clarke stand an der Bar und bestellte sich einen Martini, als seine Mutter ihm schließlich auflauerte.

»Amüsierst du dich?«, fragte Linda milde. Sie hielt dem Barkeeper ihr Glas hin, damit er ihr noch einen Chardonnay eingoss und kümmerte sich gar nicht darum, ja bemerkte es nicht einmal, dass sie gerade die Unterhaltung von fünf Leuten unterbrochen hatte. Clarke wusste, dass dies ihr Vorrecht als Gastgeberin der Party war. Genau wie er wusste, dass seine Mutter sich ohnehin immer dazwischendrängte, egal um wessen Feier es sich handelte.

Niemals wäre ihr der Gedanke gekommen, dass die Ehrenwerte Richterin West mit etwas anderem als Hochachtung bis hin zu Verehrung zu behandeln war. Tatsächlich fügten sich die meisten Leute dieser Vorgabe sogar. In seiner Kindheit und Jugend hatten seine Freunde in ihrer Gegenwart immer nur im Flüsterton gesprochen. Sogar die Lehrer hatten einen gedämpften Ton angeschlagen, wenn sie seine Mutter zum Gespräch gerufen hatten, um ihr mitzuteilen, dass sie sich mal wieder Sorgen um Clarkes Verhalten im Klassenzimmer machten. Und das war auch mit fortschreitenden Jahren nicht besser geworden. Freundinnen, Kollegen, sogar sein eigener Vater – ganz besonders sein Vater – hatten sich verhalten, als sei Linda Wests Wort Gesetz, als seien ihre Wünsche Schicksal.

Jeder, außer Clarke selbst.

Na ja, und Audrey. Selbst als kleines Mädchen mit der unvermeidlichen Schleife im Haar schien Audrey nie der Gedanke gekommen zu sein, seine furchtgebietende Mutter anders zu behandeln als ihre Freundinnen oder ihre eigene Mutter. Das gehörte zu den Dingen, die ihm an Audrey immer am besten gefallen hatten. Sie betrachtete Menschen immer einfach nur als Menschen.

»Doch, ich amüsiere mich prächtig«, antwortete Clarke seiner Mutter, als die beiden sich an die Seite der Bar zurückzogen.

»Audrey scheint ja ganz in ihrem Element zu sein«, bemerkte Linda und nippte an ihrem Wein.

Er wusste, dass die Erwähnung von Audrey meist mit einem beleidigenden Seitenhieb einherging, und automatisch hielt er sogleich nach seiner »Verlobten« Ausschau.

Auch wenn sie nicht die einzige Frau in Weiß gewesen wäre, hätte er sie sofort entdeckt. Nicht nur, weil er immer schon einen siebten Sinn dafür gehabt hatte, wo seine beste Freundin sich aufhielt, sondern weil sich jetzt, wie immer, alles und jedes nur um sie zu drehen schien. Audrey war von jeher alles andere als ein Mauerblümchen gewesen, immer im Zentrum der Aufmerksamkeit, der buchstäbliche Mittelpunkt eines jeden Raumes. Dabei legte sie es gar nicht darauf an, sämtliche Blicke auf sich zu ziehen; sämtliche Augen schienen automatisch auf ihr zu ruhen.

Er lächelte, als der Klang ihres fröhlichen Lachens aus einem halben Meter Entfernung zu ihm hinüberwehte, sogar über das Stimmengewirr der übrigen etwa fünfzig Gäste hinweg.

»Wie nett, dass ihre Eltern es geschafft haben, für diese Feier herzufliegen«, sagte Linda nun.

Clarke hatte keine Ahnung, wo Audreys Vater sich versteckt hatte, aber Audreys Mom stand dicht neben ihr, eine ältere Version ihrer Tochter, mit dem gleichen offenen Lächeln und der lebensfrohen Ausstrahlung.

Kathleen Tate lachte gern und viel und war einem sofort sympathisch und damit das genaue Gegenteil von Clarkes eigener Mutter. In seiner Jugend war es häufig Kathleen gewesen, an die sich Clarke gewandt hatte, wenn er ein Problem in der Schule, mit einem Mädchen oder mit seinen Eltern gehabt hatte. Sicher war Linda das nicht entgangen. Und wahrscheinlich war dies einer der vielen Gründe, warum Linda die Tates nicht mochte.

Abgesehen natürlich von der Tatsache, dass sie »nur auf Party aus waren, ihren Reichtum nur geerbt hatten und keine Ahnung von harter Arbeit hatten«.

»Hat Audrey nicht auch eine Schwester?«, überlegte Linda.

»Adele«, antwortete Clarke, obwohl er genau wusste, dass seiner Mutter sämtliche Fakten über die Tates hinlänglich bekannt waren. »Sie hat vor ein paar Monaten Zwillinge bekommen und konnte nicht kommen.«

»Kathleen und Richard freuen sich sicher sehr über ihre Enkelkinder. Ich nehme an, da keiner von beiden einer geregelten Arbeit nachgeht, können sie sich um die Babys kümmern, sodass Audreys Schwester wieder in ihre Kanzlei zurückkehren kann. Ich bewundere Frauen, die einer stabilen Karriere den Vorzug vor der Kindererziehung geben.«

Clarke verdrehte die Augen. Auf gar keinen Fall würde er sich auf dieses Glatteis begeben. Es war schon beeindruckend, wie seine Mutter es schaffte, ein paar Sätze mit diversen Landminen zu spicken. Wo sind meine Enkelkinder? Nicht, dass ich dafür das Kindermädchen spielen könnte, denn im Gegensatz zu den Tates haben dein Vater und ich zu arbeiten. Oh, und wäre es nicht schön, wenn Audrey einer richtigen Arbeit nachginge, statt den ganzen Tag nur Fotos zu schießen?

»Interessant«, sagte Clarke und nippte an seinem Martini.

»Was?«

»Eben warst du noch gar nicht sicher, ob Audrey eine Schwester hat, und jetzt weißt du schon, was besagte Schwester beruflich macht?«

»Zufallstreffer«, sagte sie, ohne auf seine Provokation einzugehen.

Die Erwähnung des Anwaltsberufs erinnerte Clarke an jene Frau, die in Teilen verantwortlich dafür war, dass er sich überhaupt auf diese Party eingelassen hatte, und er blickte sich nach ihr um. Er hatte Elizabeth den ganzen Abend noch nicht gesehen und fragte sich, ob seine Ex doch so vernünftig gewesen war, den Manipulationsversuchen seiner Mom nicht in die Hände zu spielen, indem sie zu dieser Verlobungsparty kam.

Ohne es zu bemerken, suchte er unter den Partygästen nach Dunkelblau. In puncto Kleidung war das Elizabeths Lieblingsfarbe, angefangen von Kostümen über Freizeitkleidung bis hin zu Ballkleidern.

Und tatsächlich: Dort stand sie, angetan mit einem knielangen dunkelblauen Kleid und passenden Heels. Mit kleinem Absatz, wie er bemerkte, ohne auch nur eine Spur von Spitze, Rüschen oder Schleifchen, wie Audrey sie bevorzugte. Seltsamerweise war er enttäuscht, dass Elizabeth zu der Feier gekommen war. Doch sogleich gestand er sich ein, wie verlogen das war.

Er war schließlich derjenige gewesen, der sich so kindisch über die Versuche seiner Mutter aufgeregt hatte, ihn wieder in Elizabeths Arme zu treiben, dass er sich auf Lindas Bluff und diese dämliche Party eingelassen hatte.

Und Audrey hatte recht gehabt. Eine falsche Verlobung, die man inszenierte, um einem Instagram-Idioten das Klatsch-Handwerk zu legen, machte Spaß. Dann jedoch mit dem Spielchen weiterzumachen, um noch als Einunddreißigjähriger seiner Mutter eins auswischen zu können, war geradezu erbärmlich.

Seine Mutter hatte seine Gedanken wohl gelesen, denn sie trat einen Schritt auf ihn zu und senkte die Stimme, damit keiner sie hörte. »Ich wollte dir nur helfen.«

Clarke machte gar nicht erst den Versuch, so zu tun, als verstehe er sie nicht. »Indem du versuchst, mich zurück in eine Beziehung mit einer Frau zu zwingen, mit der ich seit Jahren nichts mehr zu tun hatte, mit der ich noch nicht mal mehr gesprochen habe?«

»Bist du dir denn sicher, dass ihr beiden nicht zusammenpasst?«, fragte sie, und ihre Stimme klang eine Spur störrisch.

War er das? Um die Wahrheit zu sagen, Elizabeth Milsap war für Clarke immer so etwas wie ein blinder Fleck gewesen. Zwar war die Beziehung zu ihr die längste seines ganzen Lebens gewesen, trotzdem bezweifelte er, diese Frau jemals wirklich gekannt zu haben. Und ganz sicher hatte er sich selbst noch nicht gekannt, als er mit ihr zusammen gewesen war. Sie war anders als alle anderen Frauen, die jemals sein Interesse erregt hatten. Ehrgeizig, ernsthaft, ein wenig schweigsam. Sie hatte immer hohe Anforderungen gestellt – an sich selbst, ebenso wie an ihre Umgebung.

Und als sie ihn verlassen hatte, hatte sie keinerlei Zweifel daran gelassen, dass Clarke diesen Standards niemals genügt hatte. Er wiederum hatte sich selbst und jedem anderen versichert, dass ihm das gleichgültig gewesen war.

Aber in Wirklichkeit hatte ihre Ablehnung ihn getroffen. Denn auch wenn er es nicht gern zugab – nicht einmal sich selbst gegenüber –, hatte er sich bemüht. Er hatte sich bemüht, all das zu sein, was Elizabeth sich wünschte, sogar alles, was sich seine Eltern von ihm erhofften. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich wirklich angestrengt, um einem anderen Menschen zu gefallen. Er hatte kochen gelernt. Er hatte sogar einfach so Blumen mitgebracht, weil Frauen das angeblich so wichtig war. Er hatte gelernt, wie man diesen seltsamen, losen französischen Tee aufbrühte, den Elizabeth so sehr liebte, und hatte sie pflichtbewusst zu jeder Anwalts-Dinnerparty und jeder Wohltätigkeitsveranstaltung begleitet, egal wie langweilig sie gewesen war – und sie waren wirklich quälend stumpfsinnig gewesen.

Das Schlimmste aber war, dass Clarke eigentlich geglaubt hatte, es geschafft zu haben. Er war überzeugt gewesen, dass sie sich zwar langsam, aber stetig und in nicht allzu ferner Zukunft auf einen Ringkauf vorbereiteten. Elizabeth hingegen hatte, ohne mit ihm auch nur Rücksprache zu nehmen, den Job in D.C. angenommen und keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihn für die Art von Mann hielt, mit dem man vor der Ehe seinen Spaß hatte – den man aber niemals heiratete.

Im Nachhinein war er erleichtert darüber. Heute war er ziemlich überzeugt davon, dass sie einander nie glücklich gemacht hätten. Aber damals hatte es ihn gekränkt – sowohl seinen Stolz als auch seine Gefühle, und er hatte kein Interesse daran, diese Erfahrung zu wiederholen. Nie wieder.

»Hättest du mich nicht einfach fragen können, ob ich wieder mit Elizabeth zusammenkommen will?«, fragte er seine Mom erschöpft. »War diese Verlobungsparty nicht ein bisschen viel Aufwand, um das herauszufinden?«

Sie lächelte. »Ich war neugierig, wie weit du und Audrey die Sache treiben würdet. Ihr zieht es durch, wie es scheint.«

»Na ja, nicht komplett«, sagte er und musste unwillkürlich doch lächeln.

»Gut. Denn ich habe kein Problem damit, eine Party für eine vorgetäuschte Verlobung zu geben, aber ich ziehe die Reißleine, sobald es um eine vorgetäuschte Hochzeit geht.«

»Vermerkt. Woher weißt du es?«, fragte er neugierig.

»Dass das hier keine echte Verlobung ist?«

Er nickte.

»Nun, das ist so ein Mutter-Ding. Man weiß ziemlich schnell, wenn der eigene Sohn einen zu provozieren versucht.«

»Steckt ein bisschen mehr dahinter als das«, antwortete Clarke und dachte an diesen kleingeistigen ScandalBoy-Mist.

»Dachte ich mir. Dieses Mädchen verwandelt selbst eine Heirat in einen Werbezirkus.«

Audrey gegen seine Mutter in Schutz zu nehmen war von jeher vergebliche Liebesmüh gewesen. Dennoch hatte Clarke den Versuch niemals aufgegeben. Und er würde auch jetzt nicht klein beigeben.

»Weißt du«, sagte er und trank noch einen Schluck. »In all den Jahren, seit ich Audrey kenne, war sie niemals nicht für mich da, wenn ich sie brauchte.«

»Und?«

Clarke zuckte mit den Schultern. »Ich will damit nur sagen, dass es zwei Arten von Frauen gibt. Die einen, die dir zur Seite stehen. Und diejenigen, die nach Washington D.C. ziehen, ohne dich auch nur zu fragen, ob du mitkommen willst.«

Dann ließ er seine Mutter stehen, damit sie über diese Schlussbemerkung nachdenken konnte und vielleicht – nur vielleicht – erkannte, dass er sein eigenes Leben besser regeln konnte als sie selbst. Er machte sich auf den Weg zu Audrey, wobei er immer wieder stehenblieb, um Hände zu schütteln und Gratulationen entgegenzunehmen. Seltsam, dass diese Party zwar eigentlich nur Show war, die Gratulationen fehl am Platze, sich das alles aber nicht im Mindesten merkwürdig anfühlte. Sollte diese immer weiter fortschreitende Charade ihm nicht so langsam wie ein Riesenirrtum vorkommen?

Eine Hand packte ihn am Ärmel, und Clarke wandte sich um, lächelte, als er Naomi Powell und Claire Hayes vor sich stehen sah. Nein, Claire Turner, korrigierte er sich selbst, als ihm die spontane Heirat mit Scott Turner vor ein paar Monaten wieder einfiel, nach der sie auch den Namen ihres neuen Ehemannes angenommen hatte.

Zu Anfang hatte Clarke Audreys Freundschaft mit den beiden Frauen skeptisch gegenübergestanden, denn immerhin hatten sie auf ausgesprochen eigentümliche Weise zusammengefunden. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass Freundschaften zwischen drei Frauen, die allesamt mit dem gleichen Mann geschlafen hatten, unmöglich von Dauer sein konnten.

Aber er hatte sich geirrt und freute sich darüber. Die drei waren vielleicht durch ihre gemeinsame Verbitterung über Brayden Hayes zusammengekommen und waren zusammengeschweißt worden von ihrem Wunsch, einander vor zukünftigem Herzschmerz zu bewahren, aber was immer sie zusammenhielt, war erheblich stärker, als irgendein Mann es sein konnte. Von allen Freundinnen, die Audrey hatte – und sie hatte Dutzende – waren diese beiden Frauen ihm wahrscheinlich die liebsten.

Abgesehen von Audreys Ursprungsfamilie war Clarke derjenige, dem Audreys Wohlergehen mehr am Herzen lag als irgendjemandem sonst. Aber er wusste, dass Claire und Naomi mittlerweile beinahe genauso für sie empfanden und ebenfalls so gut wie alles für sie getan hätten.

Deshalb verblasste sein Lächeln auch sofort, als er in ihre besorgten Gesichter sah. »Was ist los?«

Naomi deutete mit einem Kopfnicken in eine einsame Zimmerecke, und Clarke folgte ihr.

Wortlos reichte Claire ihm ihr Handy. Sie hatte bereits Instagram geöffnet.

Clarke war augenblicklich in Alarmbereitschaft, als er den fraglichen Account sah: @ScandalBoyNYC.

Und seine Beunruhigung verwandelte sich in Fassungslosigkeit, als er las, was dort stand, bevor ihn tiefer, stiller Zorn erfasste.

Er reichte Claire das Handy zurück. »Dieser Mistkerl.«

»Wer, Randy oder ScandalBoy?«, fragte Naomi.

»Ich würde am liebsten beide vermöbeln, aber zu allererst einmal Randy?«, knurrte Clarke. »Er war verheiratet

»Offenbar«, antwortete Claire. »Und selbst wenn ScandalBoy das alles erfunden hat, ist ein Gerücht genauso schädlich wie die Wahrheit.«

»Besonders dieses Gerücht«, fügte Naomi hinzu. »Es kursiert doch jetzt schon überall, dass sie sich einen verheirateten Mann geangelt hat. Wenn die Leute herausfinden, dass das zum zweiten Mal passiert ist …«

»Sie haben es bereits herausgefunden«, meinte Claire düster und wischte sich durch Instagram. »Der Post ist erst eine Stunde alt, und es gibt schon etwa tausend Kommentare. Und was noch schlimmer ist, sie haben angefangen, Audreys eigenen letzten Post zu kommentieren.«

»Und was ist die Crux des Ganzen?«, fragte Clarke.

Claire hob die Schultern. »Was zu erwarten war. Einmal eine Ehezerstörerin, immer eine Ehezerstörerin. Such dir doch mal einen eigenen Mann.«

»Aber sie hat doch ihren eigenen Mann gefunden«, protestierte Naomi. »Zumindest wissen sie das nicht besser.« Sie deutete auf Clarke.

Claire studierte weiter die Kommentare und schüttelte betrübt den Kopf.

»Anscheinend kaufen sie ihr das nicht ab. Jemand hat gepostet, dass das sogenannte Paar auf seiner ›Verlobungsparty‹ – das hat er in Anführungsstriche gesetzt – keine fünf Minuten zusammen verbracht hat und sich nicht ein einziges Mal berührt hat. Und jetzt wird darüber spekuliert, dass du der Alibifreund bist, mit dem sie Schadensbegrenzung betreibt«, berichtete sie Clarke.

»Na ja, damit liegen sie ja keineswegs falsch«, räumte Naomi ein. »Aber das heißt auch, dass irgendjemand auf dieser Party eifrig Updates auf Instagram postet.«

»Wer?«, rief Claire, sah auf und blickte sich wütend im Raum um. Ihr Zorn war förmlich greifbar.

»Kann jeder sein. Wahrscheinlich sind es gleich mehrere«, meinte Clarke und dachte dabei an ein paar stutenbissige Gäste, denen Audrey schon immer ein Dorn im Auge war, weil sie im Vergleich zu ihrer Sonne nur wie Miniplaneten waren, die maximal um sie kreisen konnten. Hinzu kamen die Frauen, mit denen er im Laufe der Jahre einmal ausgegangen war und die in Audrey den Grund dafür sahen, dass er sie fallengelassen hatte.

»Das ist alles unsere Schuld«, sagte Claire mit betrübter Stimme. »Wir haben beschlossen, einander zu beschützen. Sie hat ihren Teil des Abkommens ohne Wenn und Aber eingehalten, und wir lassen zu, dass ihr so etwas passiert?«

»Ihr nur zu sagen, dass Randy ein Blindgänger war, war einfach nicht genug«, stimmte Naomi bedrückt zu. »Ich wusste, dass mit diesem Typen irgendetwas nicht stimmte. Ich hätte sie mit Handschellen an mich fesseln sollen, bis diese Schmeißfliege jemand anderen belästigt.«

»Nein«, widersprach Clarke. »Ihr beiden habt viel für sie getan. Das hier geht auf meine Kappe.«

»Du hast dich doch schon zum Schein mit ihr verlobt«, führte Naomi an. »Was kannst du denn sonst noch tun?«

Er reichte Claire seinen Drink. »Halt fest. Es wird Zeit, dass Audrey und ich eine überzeugende Vorstellung bieten.«

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Audrey war selbst ein wenig überrascht, wie gut sie sich amüsierte. Eigentlich liebte sie Partys, aber unter den gegebenen Umständen hatte sie eigentlich erwartet, sich hier ein wenig unbehaglich zu fühlen. Stattdessen stellte sie erleichtert fest, dass es sich einfach nur anfühlte wie eine Gruppe von Leuten, die sich im gleichen Raum versammelt hatten, um zu feiern. Und sie feierten die Liebe. Die freundschaftliche Liebe von der nicht-romantischen Art.

»Es läuft hervorragend«, sagte ihre Mutter jetzt, hakte Audrey unter und lächelte glücklich. »Hast du gehört, welche Geschichte ich erzählt habe, nachdem du mich wegen der Verlobung angerufen hast?«

Audrey verdrehte die Augen. »Ich glaube, das hat man in verschiedenen Zeitzonen noch hören können, so enthusiastisch und laut wie du warst.«

»War das übertrieben?«

Audrey gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange, dankbarer denn je für ihre lebenslustige Mutter, die einfach für alles zu haben war. »Es war perfekt. Allerdings glaube ich, wir sollten Clarke kurz darüber informieren, dass er auf einem weißen Hengst ohne Sattel durch den Central Park geritten ist, bevor ihn noch jemand bittet, diese Geschichte zu bestätigen.«

»Du kannst ihn gleich einweihen«, sagte Kathleen, tätschelte Audreys Arm und deutete mit einem Kopfnicken auf Clarke, der geradewegs auf sie zukam. Sie nahm Audrey die Champagnerflöte aus der Hand. »Ich sehe jetzt mal nach deinem Vater und hole uns Nachschub.«

Audrey nickte, dann lächelte sie Clarke entgegen. »Hi! Hab dich den ganzen Abend ja noch gar nicht gesehen.«

»Ja, und das ist auch Teil des Problems«, antwortete er leise.

Ihr Lächeln verblasste, als sie seinen angespannten Ton und seinen besorgten Blick registrierte. »Was ist los?«

Er sah auf ihre Clutch hinab. »Du hast noch nicht aufs Handy geschaut?«

Audrey sank das Herz. »Nein, ich war zu sehr mit Smalltalk beschäftigt. Warum? Was ist passiert?«

Clarke sah auf. Eine allzu lange Atempause würde ihnen nicht vergönnt sein, denn die Gäste wollten nun mal Zeit mit der Hauptperson verbringen. Beziehungsweise, da Clarke nun neben ihr stand, mit beiden Hauptpersonen.

Er kam noch näher und lächelte flüchtig, senkte die Stimme noch mehr. »Sie sind uns auf die Schliche gekommen, Darling.«

»Was meinst du damit?« Aber eigentlich wusste sie, was er andeuten wollte. Die Gerüchteküche hatte bereits Wind davon bekommen, dass sie sich nur zum Schein verlobt hatten. Und Clarkes untypisch ernster Miene zufolge ging die Sache deutlich über kleinkarierten Klatsch hinaus.

»Lächele«, befahl er, kam sogar noch näher und legte ihr den Arm um die Taille. Sie lächelte automatisch, obwohl sie bemerkte, dass seine Hand in ihr Kreuz geglitten war. Sein Gesicht war jetzt unnötig nah an ihrem.

»Clarke …«

»Wappne dich«, raunte er ihr zu.

»Was …«

Seine Lippen umfingen die ihren.

Vor Überraschung riss Audrey die Augen auf. Dann schlossen sich flatternd ihre Lider. Ihre Hände ruderten hilflos durch die Luft, während sie das seltsame Gefühl von Clarkes Mund auf ihrem zu verarbeiten versuchte, bevor sie instinktiv auf seiner Brust landeten.

Keine große Sache, sagte sie ihrem donnernden Herzen. Er küsste sie nur der Form halber, um die Zweifler zum Schweigen zu bringen. Und ehe sie sich’s versah, würde es wieder vorbei sein.

Clarkes Lippen bewegten sich auf ihren. Er neigte den Kopf zur Seite, intensivierte seinen Kuss, während seine Hand ihren Rücken hinaufglitt und sie dichter an sich presste.

Audrey spürte, wie etwas Seltsames, Fremdes sich tief in ihrem Innern regte. Doch bevor sie sich bewusst werden konnte, was es war, hob Clarke den Kopf. Sein Blick blieb lange auf ihren Lippen haften, was ihr einen Augenblick Zeit gab, um ihre Gedanken zu ordnen.

Verdammt. Er ist wirklich überzeugend, dachte sie. Sie wusste, dass er nur eine Show abzog, dennoch hätte sie schwören können, dass sein Blick heiß war, als wünschte er sich im Stillen, die übrigen Gäste mögen verschwinden, sodass nur noch sie beide zurückblieben.

Dann sah er ihr in die Augen, und sie glaubte, einen Hauch Verwirrung darin zu erkennen, bevor er sich aufrichtete und seine Kollegin und deren Mann angrinste, die sie mit verträumtem Lächeln beobachtet hatten.

»Leslie!«, rief er fröhlich. »Wie schön, dass Sie es geschafft haben. Ich muss mich entschuldigen für diesen – äh – Augenblick«, sagte er augenzwinkernd.

»Schon gut«, sagte sie lachend. »Chris und ich waren ja auch mal jung.«

»Du sagst das, als ginge ich schon mit Gehstock«, grummelte ihr etwa fünfzigjähriger Ehemann.

»Trotzdem küsst du mich nicht mehr so«, antwortete sie neckend.

Niemand küsst so, dachte Audrey.

Sie wünschte sich sehnlichst ein bisschen Ruhe, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, um herauszufinden, was diesen Kuss angeregt hatte, aber sie musste mitspielen, also hakte sie ihn unter und plauderte mit dem mittelalten Paar. »Ich freue mich, dass Sie kommen konnten. Ich habe Sie nicht mehr gesehen, seit – ja, seit wann? –, seit Joels Hochzeit vergangenen Sommer?«

Während der darauffolgenden Minuten machte sie Smalltalk, wich Fragen nach ihrer eigenen Hochzeit aus, versuchte aber gleichzeitig, das Gefühl der Panik zu bekämpfen, das Gefühl, dass die Dinge außer Kontrolle gerieten. Ihre Panik steigerte sich ein weiteres Mal, als ihre Mutter sich zu ihnen gesellte und Audrey ein Glas Champagner reichte. Clarke griff nach der anderen Hand, verschränkte seine Finger mit ihren, hob sie an die Lippen und küsste ihren Handrücken, als sei dies das Natürlichste von der Welt.

»Habt ihr etwas dagegen, wenn ich meine Verlobte einen Augenblick lang entführe?«, fragte Clarke nun die Umstehenden. Audrey bemerkte, wie er den Blick ihrer Mutter suchte. Sofort übernahm diese die Kontrolle und stürzte sich in eine lebhafte Schilderung, wie Clarke vom College nach Hause gekommen war, um Audrey zum Ball zu begleiten, nachdem ihr damaliger Highschool-Freund an Pfeiffer'schem Drüsenfieber erkrankt war. Sie hatte damals bereits gewusst, dass er der Richtige war.

Ihre Mom hatte nichts dergleichen gewusst, aber dennoch war Audrey dankbar für die Ablenkung, während sie sich von Clarke durch die Menge und hinaus auf die Dachterrasse führen ließ. Da es im Januar eindeutig zu kalt für Außenaktivitäten war, war es hier vollkommen menschenleer. Clarke zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern. Sie protestierte nicht.

»Was ist los?«

Er schob die Hand in die Tasche und holte sein Handy heraus, scrollte, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Sie war nicht überrascht, als sie sah, dass es sich um einen Instagram-Post handelte, fiel jedoch aus allen Wolken über das, was sie da las.

Unwillkürlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Er war verheiratet? Randy war verheiratet

»Offenbar.«

Sie blickte zu Clarke auf, blinzelte hastig, damit ihr die Tränen nicht die Wangen hinabliefen und ihr Make-up verschmierten. »Warum?«

Er seufzte. »Verdammt, Dree. Keine Ahnung. Männer sind Arschlöcher.«

Sie wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab. »Woher hat ScandalBoy diese Information?«

»Ich nehme an, sein Netzwerk umfasst mehr Informanten, als es Ratten in dieser Stadt gibt, und ist genauso widerwärtig.«

»Und jetzt denkt jeder, dass wir beide das hier nur zur Schadensbegrenzung machen.« Sie lachte kurz auf. »Obwohl sie damit ja durchaus recht haben, stimmt’s? Und sie warten nur darauf, dass wir die Trennung bekannt geben, damit sie wieder im Recht sind.«

»Dann machen wir das eben nicht«, meinte Clarke.

»Was sollen wir nicht machen?«

Er lächelte. »Die Trennung bekannt geben.«

»Clarke.«

»Keine Sorge, ich will damit nicht vorschlagen, dass wir heiraten sollten. Ich wäre ein furchtbarer Ehemann, und den würde ich meiner besten Freundin nun ganz gewiss nicht wünschen. Ich sage nur, warum solche Eile, um unsere Charade zu beenden? Du hast doch selbst gesagt, dass es dir Spaß macht. Nur noch ein paar Tage. Bis die Leute es für echt halten.«

»Ja, aber … mir macht es Spaß, weil ich ein ziemliches Faible für Brautmagazine habe, und ja … okay. Irgendwie habe ich immer davon geträumt, meine Instagram-Aktivitäten auf den Heiratsmarkt auszudehnen. Aber das muss doch dein Liebesleben ordentlich behindern.«

»Tut es in der Tat«, bekannte er. »Aber.« Er beugte sich vor, sodass er ihr direkt in die Augen sah. »Anscheinend bist du mir wichtiger als Sex.«

Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. »Ach ja?«

»Hmm.« Er grinste. »Meistens.«

Er streckte ihr die Hand entgegen. »Komm, Braut. Lass uns den Leuten erzählen, wie ich dir einen Heiratsantrag gemacht habe.«

»Oh, apropos …«, sagte sie, legte ihre Hand in die seine und ließ sich von ihm wieder hineinführen. »Kannst du eigentlich reiten …?«