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Dienstag, 24. März
»Wie nett von dir, dass du in der bedeutsamsten Woche deines Lebens noch ein Zeitfenster für mich hattest.«
»Wow«, antwortete Clarke und gab seiner Mutter einen Wangenkuss. Sie waren in ihrem Lieblingsrestaurant, und er nahm ihr gegenüber Platz. »Passiv-aggressives Verhalten, noch bevor ich die Serviette im Schoß habe. Ein neuer Rekord.«
»Wenn du gelernt hättest, dir direkt die Serviette auf den Schoß zu legen, so wie ich es dir achtzehn Jahre lang jeden Abend gesagt habe, wärest du vielleicht doch noch schneller als ich gewesen.«
»Achtzehn Jahre lang?«, überlegte er. »So kurz nur? Meiner Erinnerung nach hast du meine Tischsitten auch noch bemängelt, als ich schon weit über zwanzig war.«
»Und wie es aussieht, haben sich diese Lektionen endlich bezahlt gemacht«, erwiderte sie mit heiterem Lächeln. »Immerhin wirst du bald ein nettes Mädchen heiraten, die Zügel eines riesigen Unternehmens in Händen halten – oh warte. Diese beiden Dinge laufen ja Hand in Hand, nicht wahr?«
»Hmm?«, fragte Clarke, der die Speisekarte studiert hatte und sich freute, dass sie den Cheeseburger noch nicht gestrichen hatten. Er legte die Speisekarte beiseite und konzentrierte sich auf die Worte seiner Mutter. Als ihm aufging, was sie meinte, musste er lachen. »Ah. Dad hat dich endlich eingeweiht, welche Rolle er in diesem Spiel spielt, oder?«
Sie schnaubte. »Bitte. Ich weiß seit Wochen, dass dein Vater versucht, mich auszubooten. Allerdings bin ich doch ein bisschen überrascht, dass er gewonnen hat.«
Clarke holte tief Luft, wie immer, wenn er einen Wutanfall unterdrücken musste. Im Geiste redete er sich wie üblich gut zu, rief sich ins Gedächtnis, dass es keinen Zweck hatte, sich von seiner Mutter provozieren zu lassen, schon gar nicht in der Woche seiner Hochzeit. Doch dann stellte er erleichtert fest, dass er nicht mal annähernd davorstand, die Nerven zu verlieren. Seine Mutter nervte ihn, gewiss, aber heute war er eindeutig eher amüsiert und nachsichtig. Eigentlich lief er jetzt schon seit Wochen praktisch wie auf Wolken.
Er wusste nicht, ob Audreys Begeisterung für alles, was mit Hochzeiten zu tun hatte, ansteckend war, oder ob er sich tatsächlich wirklich auf Samstag freute oder weil er regelmäßig den besten Sex seines Lebens mit der besten Frau, die er je getroffen hatte, bekam. Clarke hatte das deutliche Gefühl, dass nichts ihm die Stimmung verderben konnte. Am wenigsten von allem seine aufdringliche Mutter.
Clarke grinste und bediente sich an ihrem Wein. Doch schon nach einem Schluck befand er ihn als zu eichig für seinen Geschmack und nahm die Karte zur Hand, um sich stattdessen ein Glas Rotwein zu bestellen. »Einen Scheiß hat Dad gewonnen«, sagte er.
»Entzückende Wortwahl, mein Sohn«, antwortete sie milde. »Und meiner Meinung nach hat er auf jeden Fall gewonnen. Immerhin hat er seinen Willen bekommen, nicht wahr? Ich habe auf Elizabeth gesetzt, er auf Audrey, wahrscheinlich, um mir eins auszuwischen. Ich gestehe, ich hätte nicht gedacht, dass er es so weit treiben würde, sein kostbares York in die Waagschale zu werfen, nur um mich zu schlagen. Und noch weniger hätte ich erwartet, dass du dich darauf einlassen würdest.«
»Warte«, rief Clarke lachend und warf die Speisekarte auf den Tisch. »Du denkst allen Ernstes, dass ich am Samstag heirate, um die Firma zu bekommen?«
»Willst du sie denn nicht?«
»Doch, natürlich, aber doch nicht auf diese Weise«, antwortete Clarke, ein wenig beleidigt, weil sie davon auszugehen schien, dass er nur heiratete, um die Firma zu bekommen, oder dass er die Firma bekam, nur weil er heiratete.
»Wie denn dann?«
»Ich will, dass man mir sie übergibt, weil ich sie mir verdient habe«, erklärte Clarke. »Ich habe mir für diese Firma den Arsch aufgerissen, Mom. Ich weiß, du bist sauer, weil ich nicht Anwalt geworden bin, aber trotzdem kannst sogar du meine Leistungen hier anerkennen.«
»Ich bin nicht sauer, dass du kein Anwalt geworden bist«, widersprach sie, nachdem sie an ihrem Wein genippt hatte. »Ich wollte immer nur, dass du dein Potenzial voll ausschöpfst.«
»Tut mir leid, dich enttäuscht zu haben – wie immer«, murmelte er und griff erneut zur Speisekarte.
»Das hast du gar nicht.«
Sein Kopf fuhr in die Höhe. »Wie bitte? Das klang aber gerade verdächtig nach einem Kompliment.«
Linda seufzte. »Du machst es mir niemals sonderlich leicht, nicht wahr?«
»Was soll ich leicht machen? Du hast mich gebeten, mit dir zu Mittag zu essen, ich habe Ja gesagt. Bislang habe ich mir Vorträge anhören müssen, weil ich mir die Serviette nicht schnell genug in den Schoß lege und jemand anders heirate als die Frau, die du für mich ausgesucht hast, und dann bin ich derjenige, der es dir nicht leicht macht?«
»Ich versuche, mich zu entschuldigen«, antwortete Linda steif.
Clarke lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wow … Das ist … mal etwas ganz Neues.«
»Na ja, ich hatte in der Vergangenheit kaum Grund dazu«, sagte sie und strich das weiße Tischtuch mit den Fingern glatt. »Aber wenn ich mich geirrt habe, dann kann ich es auch zugeben. Und im Hinblick auf Elizabeth habe ich mich geirrt.«
»Weil du geglaubt hast, dass sie die Richtige für mich ist, oder weil du dich in mein Leben eingemischt hast?«
»Beides, nehme ich an.«
»Wow«, wiederholte Clarke ehrlich sprachlos vor Staunen. Er zermarterte sich das Hirn, versuchte sich daran zu erinnern, wann seine Mutter sich jemals entschuldigt hatte. Ihm fiel keine Gelegenheit ein.
»Obwohl ich betonen möchte …«
»Ah, na also«, sagte er mit leichtem Lächeln, war aber überrascht, als sie es nicht erwiderte.
»Ich möchte also betonen, dass ich damals wirklich davon überzeugt war, dass Elizabeth gut für dich war. Ich wusste, dass sie dich verletzt hatte, als sie dich verließ. Ich wusste, dass sie dir etwas bedeutete. Nach ihrem Wegzug bist du niemals wieder eine ernsthafte Beziehung eingegangen. Als mir Elizabeth also berichtete, dass sie wieder herkommen würde, wollte ich sichergehen. Ich wollte dafür sorgen, dass du die Chance hattest, dich bewusst zu entscheiden, was du wolltest.«
Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Hättest du mich nicht einfach fragen können, ob ich wieder mit Elizabeth zusammenkommen wollte?«
Linda warf ihm einen ironischen Blick zu. »Clarke, ich kenne dich jetzt schon dein ganzes Leben. Wann hast du mir jemals eine direkte, ehrliche Antwort gegeben?«
»Stimmt«, bekannte er mit jungenhaftem Grinsen. »Aber andererseits: Wann habe ich jemals nicht genau das Gegenteil von dem getan, das du meiner Meinung nach von mir wolltest?«
»Allerdings«, antwortete sie steif. »Es war ein Fehler, dich zu einem Lunch mit Elizabeth zu locken, obwohl gewiss nicht zu erwarten war, dass du dich dem dermaßen energisch widersetzen würdest.«
»Was? Du hättest nicht gedacht, dass ich mich mit meiner besten Freundin verloben würde?«
»Ich hätte es erwarten sollen. Das wievielte Mal war es. Das dritte?«
Er grinste unbeeindruckt.
»Ich dachte, dass es wieder vorbeigehen würde, wie es bei euch beiden immer der Fall war. Und dann erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte.«
Er lächelte wieder, aber diesmal war es ein echtes Lächeln, das tief aus seinem Innern kam und nicht dem üblichen Reflex entsprang, sein Gegenüber zu provozieren oder mit seinem Charme einzuwickeln. »Ja. Du hast dich geirrt.«
»Das freut mich.«
Schon wieder eine Überraschung.
Clarke öffnete den Mund, um sie zu fragen, wie sie das meinte, schwieg aber dann, als die Kellnerin erschien, um ihre Bestellungen entgegenzunehmen. Clarke bestellte sich den Burger und einen Cabernet Franc, seine Mom gegrillten Lachs und ein zweites Glas Chardonnay.
»Du freust dich, dass du dich geirrt hast?«, fragte er, nachdem die Kellnerin sich wieder entfernt hatte. »Habe ich dich richtig verstanden?«
»Na ja, wir müssen jetzt nicht stundenlang darauf herumreiten«, sagte sie. »Aber wie ich schon sagte, ich will, dass du glücklich bist. Das war mein ursprüngliches Ziel, als ich versuchte, dich wieder mit Elizabeth zu verkuppeln, aber mir wurde beinahe sofort klar, dass deine Gefühle, falls du jemals welche für sie hattest, schon vor langer Zeit erstorben waren.«
»Wann?«, fragte er neugierig. »Wann ist dir das aufgefallen?«
»An dem Abend, als wir dich und Audrey zu eurem ›Verlobungsdinner‹ eingeladen hatten.«
Er schnaubte ungläubig. »Klar. Wenn du so frühzeitig schon Bescheid wusstest, warum hast du dann versucht, uns mit dieser Verlobungsparty dazu zu zwingen, Farbe zu bekennen?«
Sie sah ihm fest in die Augen, und Clarkes Herz pochte heftig.
»Und mit der Hochzeitsplanerin? Als du diese Verabredung trafst, ging es dabei denn nicht darum, uns in Zugzwang zu bringen und zum Aufgeben zu bewegen?«
»Nein«, antwortete sie. »Und als Gail Mareas Tochter ihre Verlobung löste, bot ich an, die Hälfte der Stornierungsgebühren für das Plaza zu zahlen, wenn sie Alexis Morgan anrief, um euch als erstem Paar den Tipp zu geben, dass hier ein Termin frei wurde.«
»Warum?«
»Du weißt, dass ich Audrey nie so recht verstanden habe. Sie war immer ein nettes Mädchen, und ich schätze sie, weil sie dir stets eine so gute Freundin war. Aber ehrlich gesagt hatte ich anscheinend übersehen, dass sie keine flatterhafte Fünfzehnjährige mehr ist, die sich vornehmlich dafür interessiert, ob ihr Haar auch glänzt. Genau wie ich mir nie eingestanden habe, dass du deine Sturm- und Drangzeit hinter dir gelassen hast.«
»Du hattest also eine Erleuchtung?«
Linda nickte. »An jenem Abend beim Essen. Ihr habt uns das mit der Verlobung nur vorgemacht, das wusste ich. Aber dann sah ich, wie ihr euch angesehen habt, nur eine Sekunde lang. Ein ganz ungezwungener Blick, wie Paare ihn sich halt zuwerfen, aber da wurde mir alles klar. Die Verlobung war nur gespielt. Aber die Liebe nicht. Dieser Teil war echt.«
»Nein«, widersprach Clarke automatisch. »Das war nur Show. Sie versuchte, ihren Ruf zu retten, und ich versuchte …« Er verstummte, denn ihm wurde klar, wie erbärmlich die Gründe sogar in seinen eigenen Ohren klangen, wie erbärmlich sie immer schon gewesen waren. Und ganz plötzlich erkannte er, warum er in den letzten paar Wochen immer so gut gelaunt gewesen war. Es lag nicht daran, dass Audreys Begeisterung für die Hochzeit auf ihn abfärbte oder an der Tatsache, dass es im Job gut lief. Noch nicht einmal daran, dass er regelmäßig fantastischen Sex hatte. Es lag an Audrey. Wie es immer schon an Audrey gelegen hatte.
»Woher wusstest du es?«, fragte er fassungslos. »Wieso wusstest du es sogar vor mir?«
»Dass du in sie verliebt bist?«
Er nickte. Er war in Audrey verliebt. Das war die bedeutsamste und doch offensichtlichste Erkenntnis seines Lebens, die er blindlings akzeptierte.
Sie beugte sich vor und tätschelte seine Hand. »Oh Clarke. So etwas weiß eine Mutter immer.«