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Samstag, 18. Januar
GROSSE ENTSCHEIDUNGEN FÜR EINEN GROSSEN ABEND WERFEN IHRE SCHATTEN VORAUS! LOUBOUTINS ODER MÖRDERISCHE STUART WEITZMANN-BOOTS? HILFE! KOMMENTAR BITTE UNTER EUREM VOTE!
–@THEAUDREYTATE
Die Louboutins mit Knöchelriemchen hatten die Abstimmung gewonnen, trotzdem wiegte Audrey immer noch unentschlossen den Kopf hin und her.
Die Loubs waren herzallerliebst und auf jeden Fall brautgemäßer. Aber die schenkelhohen taubengrauen Weitzmans – oder Stuis, wie sie sie nannte – waren praktischer, wenn man das »durchwachsene Winterwetter« bedachte, das der Wetterbericht für heute Abend vorausgesagt hatte.
Falls sie eines Tages eine richtige Verlobungsparty feiern würde, würde sie sie auf jeden Fall nicht auf ein Datum mitten im Winter legen. Sofort fiel ihr ein, dass eine Heirat für sie ja niemals in Frage kam, also griff sie nach den Louboutins.
Wenn sie das hier nur ein einziges Mal machte, dann auch richtig.
Sie würde kalte Füße haben, dafür aber süß aussehen.
Sie streifte sie über, griff nach der weißen Satin-Clutch, für die sie ein Vermögen ausgegeben hatte. Sie passte perfekt zu dem trägerlosen weißen Cocktailkleid, das ebenfalls sündhaft teuer gewesen war. Immerhin, wenn man schon so tat, als ob man »heiraten wollte«, warum nicht dann auch eine verdammt große Show abziehen?
Audrey nahm ihr Handy von der Ladestation und wollte es gerade in die Clutch gleiten lassen, als es vibrierte. Ungläubig starrte sie auf das Display, dann ging sie hastig ans Telefon. »Anderson?«
»Kleine Schwester. Du klingst überrascht.«
»Nur weil du der König der Hosentaschenanrufe bist.«
»Eine meiner Studenten hat mir gezeigt, wie ich mein Telefon sperre, solange es in meiner Tasche ist.«
»Ich bin so stolz auf dich«, sagte sie mit liebevollem Lächeln, während sie sich ihrem Schmuckkasten zuwandte. Eine Kette passte nicht zum Halsausschnitt des Kleides, aber ein einfaches Armband war perfekt. »Also, was gibt es Neues?«
»Lass mich scharf nachdenken«, überlegte er. »Ich war beim Friseur. Meine Lieblings-Cornflakes haben jetzt eine andere Verpackung, die mir nicht gefällt. Oh, und meine jüngste Schwester hat sich verlobt.«
Audrey hielt gerade einen rosé-goldenen Armreif in die Höhe, den sie von Naomi geschenkt bekommen hatte. Doch jetzt erstarrte sie. Und machte sich gar nicht erst die Mühe, das Entsetzen in ihrer Stimme zu verbergen. »Oh Anderson. Es ist doch nicht das, was du denkst.«
»Dass du es nicht für nötig befunden hast, mir die Neuigkeiten mitzuteilen?«
»Nein. Ich meine, ja.« Sie ließ den Armreif sinken und legte eine Hand auf ihre Brust, um den schuldbewussten Druck zu mildern. »Irgendwie schon. Es ist kompliziert …«
Verdammt. Ihr Bruder glaubte, dass sie heiratete und es ihm nicht mitgeteilt hatte.
Sie und Anderson trennte ein beträchtlicher Altersunterschied. Mit seinen sechsunddreißig Jahren war er sieben Jahre älter als sie. Die Tatsache, dass er ein regelrechtes Genie war und in der Schule sogar eine Klasse übersprungen hatte, hatte den Abstand zwischen ihnen im Laufe der Jahre sogar noch größer gemacht.
Hinzu kam, dass er in Seattle lebte, also in einer anderen Zeitzone, und dass er als Biologie-Professor an der University of Washington arbeitete. Sie hatten also nicht allzu viel gemeinsam. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihn nicht abgöttisch liebte, und definitiv hätte sie ihn von ihrer »Verlobung« selbst informieren müssen. Das Schlimmste aber war, dass ihr nicht einmal der Gedanke gekommen war, ihn anzurufen oder dass er es erfahren würde. Anderson hatte das gesellschaftliche Umfeld New Yorks schon lange hinter sich gelassen und gegen die akademische Welt der Westküste eingetauscht.
Über eine tatsächliche Verlobung hätte er Bescheid wissen wollen, weil er sie liebte. Eine vorgetäuschte Verlobung aber hätte sein akademisches Fassungsvermögen überstiegen.
»Woher weißt du es?«, fragte sie neugierig.
»Instagram«, bekannte er.
Sie lachte verblüfft auf. »Ernsthaft?«
»Ist ganz neu«, grummelte er. »Hab mir gedacht, ich versuche mal, mich in deiner Welt zurechtzufinden. Wusste nicht, wie aufschlussreich das sein kann!«
»Anderson, es tut mir so leid. Aber es ist nicht so, wie du denkst.«
»Du und Clarke gebt euch also endlich das Ja-Wort?«
»Nein! Warte, was meinst du mit endlich?«
Er schnaubte. »Ich bin ja vielleicht der Nerd der Familie, bin aber deshalb noch lange kein vollkommener Sozial-Legastheniker. Selbst ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war.«
»Na ja, du bist halt nicht in allen Dingen der Superschlaue«, antwortete sie. »Wir haben die Verlobung nur vorgetäuscht.«
»Und was jetzt?«, fragte er und klang, wie erwartet, vollkommen ratlos.
»Kurzversion: Irgendeinem Troll aus den sozialen Medien ist es gelungen, mich mit nur einer Handvoll Posts als männermordende Ehezerstörerin und bemitleidenswerte alte Jungfer zu brandmarken.«
»Und?«
»Und mein Fell war halt nicht so dick, wie es hätte sein sollen«, bekannte sie. »Ich war die unzähligen Kommentare leid, warum ich in den sozialen Netzwerken niemals von einem Freund schrieb, und ich wollte den Leuten … einfach das Gegenteil beweisen.«
»Hmm.«
»Klingt falsch«, gab sie zu.
»Nein«, widersprach er bedächtig. »Ich bin vielleicht als dein Follower auf Instagram neu, aber selbst ich habe mitbekommen, dass die Audrey Tate nicht einmal pupsen kann, ohne dass Tausende von Leuten davon erfahren und ihre Meinung darüber zum Besten geben.«
»Anderson, Mädchen pupsen nie. Ich dachte, Adele und ich hätten dir das von klein auf beigebracht.«
Er lachte. »Du weißt doch, was ich meine. Ich verstehe dein Bedürfnis, dich selbst zu schützen. Aber … gleich zu heiraten?«
»Ich tue nur so, als ob ich heirate«, stellte sie hastig klar. »Nach der heutigen Verlobungsparty lösen wir das Ganze wieder.«
»Audrey«, meinte er lachend.
»Ich weiß«, stimmte sie in sein Lachen mit ein. »Glaub mir, ich weiß es wirklich. Es ist völlig bescheuert. Aber weil du mich liebst und ich verletzlich bin: Können wir die Standpauke, die du mir halten willst, um eine Woche verschieben?«
Er seufzte. »Ich werde dir keine Standpauke halten. Und ich glaube … na ja, wie immer bin ich dankbar für Clarke. Er kümmert sich um dich auf eine Weise, wie ich es nicht tun kann.«
»Stimmt doch gar nicht«, widersprach sie loyal.
Ein wenig stimmte es allerdings doch. Anderson war ein guter großer Bruder gewesen, aber durch den Altersunterschied hatten sie kaum eine gemeinsame Kindheit erlebt, und schon gar keine gemeinsame Schulzeit. Und selbst wenn sie es gehabt hätten, so war Anderson der schlaksige Teenager gewesen, der stets die Nase ins Buch steckte und dadurch ganz eigene soziale Probleme hatte. Er war wohl kaum die Art von Bruder gewesen, mit dem man vor den Angreifern protzen und behaupten konnte: »Mein großer Bruder schlägt dich gleich zusammen.«
Nicht, dass Audrey auf sozialer Ebene, abgesehen von dem gelegentlichen Ärger auf dem Schulhof oder dem gemeinen Highschool-Girl, irgendwelche Schwierigkeiten gehabt hätte. Aber ihr Bruder war offenbar der Ansicht, dass der Grund dafür, dass sie abgesehen von der Brayden-Geschichte im Leben so wenige Schwierigkeiten gehabt hatte, bei Clarke lag. Letzterer hatte sie immer grimmig verteidigt, war ihr loyalster Gefährte gewesen. Bewaffnet mit seinem guten Aussehen, einem üppigen Selbstbewusstsein und viel zu viel Charme hatte er sich überall herausgeredet und alle Probleme gelöst – sowohl seine eigenen, als auch Audreys.
»Stimmt schon«, sagte Anderson sanft, der ihre Gedanken erriet. »Aber ich weiß es zu schätzen, dass du mich immer noch so tun lässt, als sei ich dein großer Bruder.«
»Du bist mein großer Bruder, und es tut mir leid, dass ich dich nicht eingeweiht habe. Und dass du ausgerechnet über Instagram davon erfahren musstest. Ich hätte es dir sagen sollen, als ich Mom und Dad davon erzählte.«
»Oh Gott.« Er lachte. »Ich wette, Mom ist von der Idee begeistert.«
»Ich glaube, sie war erheblich aufgeregter, weil wir alle zusammen diese Charade spielen, als sie es bei einer tatsächlichen Hochzeit gewesen wäre.«
»Na ja, sie erinnert uns ja immer wieder gern daran, wie gern sie Schauspielerin geworden wäre. Bislang haben wir kein einziges Weihnachtsfest erlebt, ohne uns anhören zu müssen, wie sie auf der Highschool die Hauptrolle in Hallo, Dolly! hatte.«
»In Annie Get Your Gun.«
»Worin auch immer.«
»Nun, wahrscheinlich werde ich mich heute Abend mit eigenen Augen davon überzeugen können, wie gut sie als Schauspielerin ist.«
»Was passiert denn heute Abend?«
»Verlobungsparty«, erinnerte sie ihn. »Mom und Dad sind hergeflogen.«
»Sie haben einen Sechsstundenflug für eine vorgetäuschte Verlobungsparty auf sich genommen?«
»Im Firmenjet, also so hart ist es auch wieder nicht«, erklärte Audrey. »Außerdem hat ihnen Clarkes Mom mehr oder weniger zugesetzt, damit sie kommen.«
Sie konnte förmlich hören, wie er ungläubig den Kopf schüttelte. »Du führst ein seltsames Leben, kleine Schwester.«
»Stimmt. Ja, wirklich. Aber kann ich dich morgen anrufen, um zu hören, was es bei dir so Neues gibt? Ich muss jetzt die zukünftige Braut im NoMad Hotel spielen und meine Umgebung davon überzeugen, dass Clarke und ich bis über beide Ohren ineinander verliebt sind.«
»Keine Sorge. Das schaffst du schon.«
❊ ❊ ❊
Die Party sollte erst in zwei Stunden beginnen, aber Audrey, Naomi und Claire hatten vereinbart, sich vorher auf ein Glas Champagner zu treffen.
»Und wisst ihr, was das Seltsamste von allem ist?«, fragte Claire. »Nicht, dass ihr beiden eine Scheinverlobung eingegangen seid – obwohl das schon fast hollywoodreif ist, sondern dass es euch jeder abnimmt. Ich hatte ein halbes Dutzend potenzieller Kunden, die es fast schon aufregender fanden, dass ich deine Hochzeitseinladungen schreiben soll, als dass ich ihre eigenen schreibe.«
»Nur fürs Protokoll«, meinte Audrey und deutete mit der Champagnerflöte auf Claire. »Wenn ich wirklich mal heiraten würde, dann müsstest du aber so was von meine Einladungen schreiben.«
Während der vergangenen paar Monate hatte Claire ihre kalligrafischen Fähigkeiten entstaubt und war bereits angesagt genug, um potenziellen Auftraggebern einen Korb geben zu müssen.
»Du weißt schon, dass digitale Einladungen momentan total in sind?«, fragte Claire. »Nicht elektronische Vorlagen, in die man einfach nur die persönlichen Daten einfüllen muss, wie sie schon seit Jahren kursieren, sondern maßgeschneiderte Einladungen von Grafikdesignern mit handgeschriebenen digitalen Umschlägen und freundlichen Grüßen.«
»Und wie funktioniert das?«, fragte Naomi. »Muss man alles einscannen?«
»Nope. Ich habe mir selbst beigebracht, wie Lettering mit iPad und Apple Pencil geht«, erklärte Claire. »Ich habe noch viel zu lernen, aber es macht Spaß.«
»Na bitte, Aud«, sagte Naomi. »Wenn du und Clarkey euch entschließt, die Sache durchzuziehen, kann Claire dir dabei helfen, das im Stil des einundzwanzigsten Jahrhunderts durchzuziehen.«
Audrey fischte einen Cashewkern aus der kostenlosen Nussschale, die man ihnen zu den Drinks serviert hatte. »Ich werde Clarke nicht heiraten.«
»Sagt die strahlend schöne Frau in Weiß wenige Minuten vor ihrer prächtigen Verlobungsparty. Du siehst wirklich fantastisch aus.«
»Danke«, erwiderte Audrey grinsend. »Ich freue mich, dass du das findest, denn ich will, dass du auf jeden Fall ein Foto machst, bevor ich gehe.«
»Okay, ich will dich auch ganz gewiss nicht verurteilen«, sagte Claire leise. »Und ich bin total froh, dass ScandalBoy sich zurückgezogen hat, seit du diese Scheinverlobung inszenierst. Aber findest du es nicht trotzdem merkwürdig, deinen Followern weiszumachen, dass du verlobt bist?«
»Anfangs schon«, bekannte Audrey. »Und ich kann auch nicht behaupten, dass es sich gut anfühlt zu lügen. Aber dann bekam ich so viele Kommentare von zukünftigen Bräuten, die meine Ratschläge toll finden, die mir Millionen von Fragen über Brautfrisuren, Make-up und Locations gestellt haben. Der Hochzeitsmarkt ist riesig und unterversorgt. Unvoreingenommene Influencer sind rar. Entweder hast du auf der einen Seite diejenigen, die etwas verkaufen wollen, oder auf der anderen die zukünftigen Bräute selbst, von denen viele die Details ihrer Hochzeitsplanung für sich behalten, entweder, weil sie sie für zu persönlich halten, oder weil sie nicht wollen, dass jemand ihre Ideen kopiert.«
»Ooh. Du könntest ihre Aufmerksamkeit auf digitale Einladungen lenken!«, rief Claire.
Audrey lachte. »Genau. Anfangs war es eine rein egoistische Geschichte, aber die begeisterten Reaktionen haben mich aufgerüttelt. Ich kann also einen gewissen Einblick in die Hochzeitsplanung in New York City gewähren. Deshalb habe ich meine Rolle neu definiert. Ich bin keine falsche Braut. Ich bin eine Undercover-Braut.«
»Guter Trick, um nachts wieder ruhig schlafen zu können«, meinte Naomi und legte die Hand auf die Brust. »Noch nie war ich so stolz auf dich.«
»Ich habe eben aus deinem Geschäftssinn gelernt«, antwortete Audrey und warf ihrer ungeheuer erfolgreichen Boss-Babe-Freundin einen Luftkuss zu.
»Ich finde es toll, dass wir alle drei Unternehmerinnen sind«, sagte Naomi glücklich.
»Ich spiele da wohl kaum in der gleichen Liga«, meinte Claire lachend. »Deine Firma macht achtstelligen Umsatz. Achtstellig. Und Audrey hier hat in Sachen Follower die Millionenmarke passiert. Buchstäblich eine Million Menschen folgen ihr in allem, was sie tut.«
»Aber du liebst deine Arbeit doch, oder?«, fragte Audrey. »Diese Kalligrafie-Geschichte?«
Claires haselnussbraune Augen leuchteten vor Freude. »Ja. Wenn ich bedenke, wo ich noch vor einem Jahr gestanden habe, kann ich kaum glauben, dass ich so viel erreicht habe. Ein florierendes kleines Unternehmen, in dem ich tun kann, was ich liebe. Ein Hund. Ein Ehemann.«
Audrey lachte, als ihre Freundin ungläubig den Kopf schüttelte, von ganzem Herzen froh, dass Claire nach Braydens Betrug mit Audrey doch noch ihr Glück gefunden hatte.
Auch für Naomi freute sie sich, obwohl Audrey vermutete, dass Brayden sie von ihnen dreien am wenigsten verletzt hatte. Sicherlich hatte er sie nicht unberührt gelassen – es war schließlich alles andere als leicht, wenn man herausfand, dass der eigene Lover (a) gestorben war und (b) die ganze Zeit über verheiratet gewesen war.
Naomis Affäre mit Brayden hatte kürzer gedauert, und auch sie hatte bis zu seinem Tod nichts von Claires Existenz gewusst. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber Audrey hatte immer angenommen, dass ihre segensreiche Unwissenheit Naomi vor den Schuldgefühlen bewahrte, die sie selbst bis heute noch heimsuchten.
Sie hätte ihre Hausaufgaben machen sollen, hätte nicht für bare Münze nehmen sollen, dass er und Claire, wie er behauptet hatte, nicht mal mehr im gleichen Haus lebten. Hätte ihm nicht glauben sollen, als er ihr verkündet hatte, sehr bald die Scheidungspapiere unterzeichnen zu können.
Heute kannte Audrey Claire. Wusste, dass nichts davon der Wahrheit entsprochen hatte. Diese Wahrheit bestand unter anderem darin, dass Audrey die andere Frau gewesen war. Die ganze Zeit über hatte sie geglaubt, ihre Liebe des Lebens gefunden zu haben und hatte dabei die Ehe einer anderen zerstört. Einer Frau, die, wie Audrey entdecken musste, eine glückliche Ehe mehr als alles andere verdient hatte.
»Okay, ich muss dich jetzt fragen«, sagte nun Naomi. »Wie lange willst du dieses Undercover-Braut-Ding noch durchziehen?«
»Oh, nicht mehr allzu lange. Ich glaube, wenn wir den heutigen Abend hinter uns haben …«
»Ja, warum machen wir das hier heute Abend überhaupt?«, fragte Claire neugierig. »Versteh mich nicht falsch. Ich freue mich total, dass ich mal wieder Gelegenheit habe, mich aufzuhübschen und mit meinen engsten Freundinnen auf eine elegante Party zu gehen, aber eine Verlobungsfeier kommt mir …«
»Übertrieben vor?«, ergänzte Audrey. »Was du nicht sagst. Wahrscheinlich kapiert ihr das erst, wenn ihr Clarkes Mom kennenlernt. So verrückt es ist, ich verstehe irgendwie, warum er sich auf den heutigen Abend eingelassen hat. Sie war bei diesem Abendessen in seinem Elternhaus einfach dermaßen selbstgerecht. Wahrscheinlich hätte ich bei allem Möglichen mitgezogen, nur um ihr eins zu verpassen.«
»Ich bin so neugierig auf Clarkes Eltern«, meinte Naomi.
»Geht mir genauso«, bekannte Claire. »Wahrscheinlich sind sie ein wichtiges Stück in dem Puzzle namens Clarke.«
Audrey blinzelte überrascht. »Was meinst du damit?«
Für sie war Clarke ein offenes Buch.
»Auf den ersten Blick kommt er einem so unbeschwert und absolut sorglos vor«, erklärte Claire. »Aber je näher man ihn kennenlernt, umso eher ahnt man, dass unter der Oberfläche irgendetwas brodelt. Und so wie er über seine Eltern redet, spielen sie dabei sicher eine Rolle.«
»Ja«, antwortete Audrey und sah auf ihr Champagnerglas hinab. »Sie sind sehr … keine Ahnung. Sie sind sicher keine schlechten Menschen. Nur womöglich einfach nicht geeignet als Eltern. Sie haben Clarke immer wie eine Erweiterung ihrer selbst behandelt, und nicht wie einen eigenständigen Menschen. Sein Dad hat eigentlich sowieso nur Augen für seine Firma. Und ich weiß, es ärgert Clarke, dass Alton immer davon ausgegangen ist, dass Clarke in seine Fußstapfen tritt. Gleichzeitig betont er jedoch ständig, dass es keineswegs ausgemachte Sache ist, dass Clarke eines Tages den CEO-Titel erbt. Als wolle er, dass Clarke ihn sich erst verdient, ihm aber nicht sagt, wie er das machen kann.«
»Und was ist mit seiner Mom?«
»Kontrollfreak«, erklärte Audrey und nippte an ihrem Champagner. »Ihr Mann tut alles, was sie sagt, und es hat sie von jeher geärgert, dass Clarke ihre Forderungen nie so wie sein Vater erfüllt – noch nicht mal als Kind hat er das getan. Wenn sie wollte, dass er lernte, spielte er lieber Baseball. Er war Ballkönig, während sie sich wünschte, dass er die Abschlussrede hielt.«
»Klassischer Fall von Rebellion«, meinte Naomi wissend.
»Aber das war keineswegs von Anfang an so«, ergänzte Audrey. »Ich kenne Clarke jetzt schon seit unserer Kindheit und habe ihn sämtliche Stadien durchlaufen sehen. Verwirrung, dass seine Eltern so gegen die Dinge waren, die er liebte. Sport, Insekten und einfach jeden um den Finger zu wickeln, der ihm über den Weg lief. Dann durchlief er eine Phase, in der er alles erduldete, in der er versuchte, den Naturwissenschafts-Club oder die Fachschaft an der Uni zu lieben. Das dauerte etwa einen Monat, dann brach der wahre Clarke wieder aus ihm hervor. Und dann gab er offenbar einfach nur … auf. Ironischerweise verwandelte er sich erst als Erwachsener in einen ausgewachsenen Rebellen. Als gäbe er sich die größte Mühe, all das zu tun, was sie nicht wollen.«
»Und dazu gehört auch die Ehe mit dir?«
Audrey grinste. »Seine Mom hasst mich.«
»Unglaublich!«, sagte Claire kopfschüttelnd. »Ich habe noch nie Freunde gesehen, die einander so treu ergeben sind wie ihr beiden.«
»Okay, vielleicht ist es nicht gerade Hass«, räumte Audrey ein. »Aber ein Ausbund an Toleranz ist sie mir gegenüber nicht gerade. Sie hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie eine andere Vorstellung von Clarkes Partnerin hat als eine ehemalige Cheerleaderin, die anschließend in einer Sorority unter lauter anderen Studentinnen aktiv war und nun als Instagram-Influencerin arbeitet.«
»Sie will ihn also nicht an der Seite einer heißen Frau sehen«, schloss Naomi.
»Ich glaube, sie stört sich an meiner Unbedarftheit.«
»Aber du bist doch nicht unbedarft.«
»Nein, aber eine Elizabeth Milsap bin ich ebenso wenig«, antwortete Audrey und war selbst überrascht über die Schärfe in ihrem Ton.
Auch ihre Freundinnen wirkten verblüfft. Sie tauschten einen Blick. »Wie wer?«
Sie zwang sich zu einem lässigen Schulterzucken. »Clarkes Ex; sie ist mit ein Grund, warum wir überhaupt in diesem Schlamassel gelandet sind. Sie und Clarke trennten sich, als sie vor ein paar Jahren nach D.C. zog. Jetzt ist sie wieder in der Stadt, und Clarkes Mom hat es sich in den Kopf gesetzt, dass Elizabeth die perfekte Schwiegertochter wäre.«
»Wäre sie das tatsächlich?«
Audrey zögerte. »Keine Ahnung. Sie ist smart, ehrgeizig, wortgewandt.«
»Gähn«, sagte Naomi.
»Ich finde sie eigentlich gar nicht so unsympathisch«, meinte Audrey. »Ich kannte sie nicht allzu gut. Aber wann immer wir Zeit miteinander verbrachten, war sie eine interessante Gesprächspartnerin. Und obwohl sie meist ernst ist, blitzt zuweilen ein scharfer Sinn für Humor auf.«
»Und was hält Clarke von ihr?«
Gute Frage. Audrey gab es nicht gern zu, aber sie war sich nicht so ganz sicher, wie Clarke zu seiner schönen, wenn auch etwas mysteriösen Ex-Freundin stand. Einerseits gab er sich große Mühe, um die Kuppel-Pläne seiner Mutter zu vereiteln. Andererseits war er auch nicht einfach gegangen, als seine Mutter ihn zu diesem Mittagessen mit seiner Ex gelockt hatte. Und auch gegen die Tatsache, dass sie bei ihrem Verlobungsdinner anwesend gewesen war, hatte Clarke keinerlei Einwände erhoben.
Liz. Sie hörte es im Geiste immer wieder, konnte nicht aufhören, sein Gesicht vor sich zu sehen, als er diesen Spitznamen äußerte. Wie hatte sie übersehen können, dass er sich anders verhielt, als Liz’ Name fiel? Und was noch wichtiger war: Warum kümmerte sie das überhaupt? Schließlich waren sie ja nicht wirklich verlobt. Und ganz sicher waren sie nicht ineinander verliebt.
»Keine Ahnung«, gab Audrey zu. »Ich hielt sie eigentlich nur für eine weitere der Millionen von Frauen, die durch sein Leben gezogen sind, wenn auch für eine, die ein bisschen länger blieb. Aber vielleicht ist mir ja irgendetwas entgangen.«
»Vielleicht ist sie ja seine Meredith«, sagte Claire.
»Oder seine Bridget«, meinte Naomi mit unheilverkündender Stimme.
»Wer?«, fragte Audrey, die keinen der beiden Namen kannte.
»Scotts und Olivers Ex-Verlobte«, erklärte Claire.
»Oh, stimmt ja«, sagte Audrey und tippte mit dem Finger an ihr Glas. »Ich hatte ganz vergessen, dass die Jungs ja beide verlobt waren, bevor sie euch kennenlernten.«
»Ich versuche es auch immer zu vergessen«, antwortete Naomi und machte sich gar nicht erst die Mühe, weniger besitzergreifend zu klingen. »Bridget verließ Oliver, nachdem seine beiden Elternteile innerhalb kürzester Zeit erkrankten. Für mich ist sie gestorben.«
»Und Meredith hat Scott betrogen, alsoooo …« Claire verstummte, denn schließlich war damit alles gesagt.
»Du meine Güte«, murmelte Audrey.
»Daher diese ganz entzückenden Vertrauensprobleme, die Claire und ich mit ihnen abarbeiten müssen«, meinte Naomi grinsend. »Vielleicht liegt der Fall bei Clarke und dieser Elizabeth ja ähnlich. Vielleicht haben all unsere Jungs ihre individuelle weibliche Version von Brayden. Ihr wisst schon. Ihren Dämonen.«
»Okay, da gibt’s nur einen entscheidenden Unterschied«, betonte Audrey. »Clarke ist nicht mein Junge.«
»Sorry, aber wer hat dir doch gleich diesen Tiffany-Ring gekauft?«
»Und wer ist quasi deine bessere Hälfte seit – seit wann? – deinem siebten Lebensjahr?«, fügte Claire hinzu.
»Ihr wisst doch, was ich meine«, antwortete Audrey. »Das ist nicht das Gleiche. Und wenn ihr fragt, ob Elizabeth Clarke genauso verletzt hat, wie diese anderen Mädels eure Jungs, dann kann ich nur sagen: Glaube ich nicht.«
»Er hat nie etwas erwähnt?«
Audrey nestelte an ihrem Ohrring herum. »Nein.«
»Aber er erzählt dir doch sonst alles! Also war sie vielleicht nur irgendeine vorübergehende Geschichte, mit der er sich jetzt nicht belasten will, nur weil seine seltsame Mom einen Plan hat. Übrigens fängt in zehn Minuten die Party an, und als Ehrengast ist eine mondäne kleine Verspätung wohl kaum angemessen. Wir sollten gehen«, sagte Naomi und legte ihre Kreditkarte auf die Rechnung, die der Kellner ihnen gerade vorgelegt hatte.
Claire beobachtete Audrey scharf. »Du bist dir nicht sicher, wie Clarke in Bezug auf diese Elizabeth empfindet.«
»Stimmt«, bekannte Audrey, auch wenn es ihr einen Stich versetzte. »Mich beschleicht das Gefühl, dass ich die Wirkung, die ihre Trennung auf Clarke hatte, unterschätzt habe.«
»Glaubst du, sie ist der Grund, warum er sich darauf eingelassen hat, es mit dieser falschen Verlobung so weit zu treiben, dass wir jetzt sogar auf eine elegante Party gehen?«
»Keine Ahnung«, antwortete Audrey, als sie aufstanden. »Aber mit eurer Hilfe werde ich es herausfinden.«
»Wie das?«
»Weil«, murmelte Audrey, »ihr sie kennenlernen werdet. Clarkes Mutter hat seine Ex-Freundin zu meiner Verlobungsparty eingeladen.«