Das Essen war wundervoll. Kerstin gefiel die Schlichtheit, außerdem liebte sie rohen Fisch. Sie musste das unbedingt notieren. Vielleicht sollte sie wirklich einen Blog mit interessanten Rezepten ins Leben rufen. Es schwebte ihr schon lange so etwas vor, aber sie hatte die Idee bisher nicht weiterverfolgt. Auch das leckere Gericht aus dem Erdofen, das sie Weihnachten kennengelernt hatte, konnte darin einen Platz finden.
»Ich finde es blöd, dass Izzy nur über den Chat mit uns kommuniziert. Und über Logan hat sie kein einziges Wort verloren. Ist euch das auch aufgefallen?«
»Ach Mel, du bist immer noch so geradeheraus wie früher. Vielleicht will sie uns dabei in die Augen sehen, wenn sie uns von ihrer Liebe erzählt.« Sarah stand auf und räumte die Schälchen zusammen. »Aber stimmt, ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht. Ich brauche dringend einen Kaffee. Möchte noch jemand einen?«
Kerstin und Mel nickten.
»Ich helfe dir.« Kerstin erhob sich ebenfalls.
In der Küche bearbeitete Sarah die Kapselmaschine. »Mel ist so offen und ehrlich. Manchmal wünschte ich, ich wäre auch so.«
Kerstin dachte an ihr Treffen an der Ostsee. Da hatte Mel verschlossen wie eine Auster gewirkt. Hier auf Oahu blitzte ab und an wieder die lustige und vorwitzige Mel von früher auf. Aber das konnte sie Sarah nicht so zwischen Tür und Angel erklären. Also nickte sie nur und lächelte.
Als sie mit den Kaffeetassen wieder auf die Veranda kamen, war Mel in ihr Telefon vertieft.
»Ich lese immer wieder die Zeilen von Izzy. Irgendwie bin ich gekränkt, dass sie ihren Job wichtiger findet als uns.«
»Das habe ich auch erst gedacht«, bekannte Kerstin. »Aber sie lebt davon. Und wenn ein Hollywood-Produzent ruft, dann darf man nicht ablehnen.«
»Wahrscheinlich hast du recht.« Mel rutschte auf ihrem Stuhl umher.
Kerstin versuchte ihre Freundin auf andere Gedanken zu bringen. »Warum lässt sie eigentlich deine Tochter so ausdrücklich grüßen?«
»Kim hat doch vor einigen Monaten ein Praktikum bei einem Film gemacht, in dem Izzy mitspielt.«
»Stimmt, das hast du uns geschrieben, ich erinnere mich.«
Kerstin horchte auf. Anscheinend hatte sie die richtige Frage gestellt.
»Kim hat mit dem Hauptdarsteller geschlafen. Jetzt bildet sie sich ein, dass sie sich lieben.« Mel verzog das Gesicht. »Ich habe das erst vor Kurzem erfahren.«
»Hoffentlich hat es sie nicht so heftig erwischt.« Sarah legte eine Hand auf Mels Arm.
Mel nickte und trank einen Schluck Kaffee. »Trotzdem finde ich es blöd, dass Izzy jetzt nicht bei uns ist.«
»Sie hatte sich das sicher auch anders vorgestellt«, verteidigte Kerstin ihre Freundin. »Immerhin hat sie uns drei schon mal wieder zusammengebracht.« Sie breitete ihre Arme aus. »Wir sind hier doch im Paradies und haben endlich mal Zeit füreinander.«
Seltsamerweise verbrachten sie den Rest des Tages getrennt.
Sarah hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, Mel machte einen Spaziergang am Strand und Kerstin setzte sich in den Garten unter eine Palme und versuchte, ein Buch zu lesen.
Schon nach kurzer Zeit legte sie es aber wieder zur Seite. Weder Sarah noch Mel hatten gefragt, ob sie etwas zusammen unternehmen wollten. Und sie selbst hatte sich irgendwie nicht getraut. Ob es den anderen beiden auch so gegangen war? Es war komisch, jetzt plötzlich, nach etlichen Jahren, zusammen in einem Haus zu sein. Kerstin war dankbar, dass die Freundinnen ähnlich wie sie empfanden und erst mal eine kleine Auszeit voneinander nahmen. Sie hatten alle das Wissen, dass sie die nächsten Tage zusammen verbringen würden, was Kerstin ein warmes Gefühl bescherte.
In der Garage fand sie neben dem Mini Cooper auch noch zwei Fahrräder. Kerstin prüfte die Luft an einem der Räder und fuhr dann einfach los. Bei ihrem Gang zu Marys Haus an Weihnachten war ihr gar nicht aufgefallen, wie schön die Häuser in ihrer Straße waren. Die Gärten waren liebevoll gepflegt, ringsum blühten Blumen und überall liefen Hühner herum. Und zwar nicht die ausgemergelten Tiere aus deutschen Hühnerfarmen, sondern richtig wohlgenährte Prachtexemplare. Sie bog in eine Seitenstraße ab, wo ein Schild ihre Aufmerksamkeit erregte: »Hibiscus-Lady«. Kerstin lehnte das Rad an den Holzzaun und blickte in den Garten. Hier standen Hibiskussträucher in großen Kübeln herum.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Eigentlich nicht. Ich bewundere nur die Blumen.«
»Wir kreuzen hier Hibiskus. Möchten Sie reinkommen?« Die Frau war Kerstin vom ersten Moment an sympathisch. Etwas älter als sie selbst, die grauen Haare ganz kurz geschnitten. Sie trug ein luftiges blaues Kleid, ihr Lächeln war offen.
»Gerne, aber ich bin hier nur als Touristin«, sagte sie, um falschen Erwartungen vorzubeugen. Im Garten der Villa standen schon genug Pflanzen.
»Ich bin Giselle«, stellte sich die Frau vor und öffnete einladend das Tor. »Kommen Sie und sehen Sie sich um. Sie müssen nichts kaufen. Ich freue mich, wenn jemand Interesse an meinen Hibiskuskreationen hat.«
»Im Garten meiner Freundin stehen auch einige Sträucher, aber hier …«, Kerstin machte eine umfassende Geste, »so viele unterschiedliche Blüten und Farben habe ich noch nie gesehen.«
»Wo wohnen Sie denn? Hier in der Nähe?«
»Ja, Izzy ist eine Freundin aus …«
»Ach, das Forrester-Anwesen«, unterbrach Giselle sie.
Hieß Logan mit Nachnamen Forrester? Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht.
»Izzy wohnt dort ja jetzt allein, seit Logan … Ach, es ist gut, dass sie endlich eine Freundin eingeladen hat, ihr beizustehen. Sie hatte sich vollkommen zurückgezogen.«
»Wir sind sogar zu dritt«, erklärte Kerstin. »Zurzeit ist Izzy noch in Kalifornien, aber wir erwarten sie bald zurück. Warum haben Sie das Haus das Forrester-Anwesen genannt?«
»Logans Familie lebte dort seit mehreren Generationen. Sie ist in dem Haus aufgewachsen. Ihre Eltern sind sehr früh gestorben und haben es ihr vermacht.«
»Und jetzt, wo Logan nicht mehr da ist, gehört es Izzy«, schlussfolgerte Kerstin.
»Richtig. Aber lassen Sie uns nicht von so traurigen Dingen sprechen. Ich zeige Ihnen jetzt meine blühenden Schätze.«
Nach einer Stunde in Giselles Garten schwirrte Kerstin der Kopf von den vielen Fachbegriffen, dem Duft der Blumen und der Vielfalt der Farben. Die Hibiscus-Lady ging wirklich ganz und gar in ihrer Arbeit mit den Pflanzen auf.
»Sind die Hibiskuspflanzen in unserem Garten von Ihnen?« Ihr waren schon am ersten Tag die vielen prächtigen Exemplare aufgefallen.
»Ja, natürlich. Ich habe sogar auch mal geholfen, eine Palme einzupflanzen. Das muss vor einigen Jahren gewesen sein. Damals war die ganze Nachbarschaft mit von der Partie. Izzy und Logan hatten sich in den Kopf gesetzt, zusammen einen Baum zu pflanzen. Eigenhändig. Die beiden hatten einen ganzen Tag lang gebuddelt und ein riesiges Loch ausgehoben.« Ein Lächeln ging über ihr Gesicht, verschwand dann aber so schnell, wie es gekommen war. »Es war viel zu tief, die Palme versank fast vollständig darin. Zusammen haben wir es dann doch noch irgendwie geschafft. Inzwischen ist sie richtig groß geworden. Sie steht gleich neben der Veranda bei dem rot blühenden Hibiskus.«