Lächelnd beobachtete Sarah ihre Freundinnen durch die Fensterscheibe der Boutique. Sie waren schon seit Stunden unterwegs, und Sarah hatte sich auf eine Bank direkt vor dem Geschäft gesetzt.
Die Ala Moana Mall war eine der größten in Honolulu. Angenehm an diesem weitläufigen Einkaufszentrum war, dass es sich fast überall in den blauen Himmel öffnete. Aber das Beste waren die vielen Sitzmöglichkeiten. Überall standen Bänke und luden die Einkaufswütigen zu einer Pause ein. Sarah fühlte sich fast so fertig wie auf ihrer gestrigen Wanderung. Kerstin hatte Mel in unzählige Geschäfte gezogen, um sie mit ein paar fetzigeren Sachen auszustatten, wie sie sich ausgedrückt hatte. Sarah war zu Anfang versucht gewesen, sich selbst auch etwas Neues zu kaufen, aber dann hatte die Vernunft gesiegt. Denn in Wahrheit konnte sie sich das einfach nicht leisten. Auf ihrem Konto herrschte Ebbe.
Deshalb saß sie jetzt auch hier, in sicherer Entfernung von den Versuchungen, und beobachtete die vielen Touristen, die um sie herumschwirrten. Ab und zu warf sie einen Blick Richtung Boutique, wenn Mel ihr ein neues Teil durch die Scheibe vorführte.
»Warum kommst du nicht rein und schaust dich auch ein bisschen um?« Kerstin stand in der Tür und sah sie auffordernd an.
»Ich bin müde. Außerdem habe ich genug Klamotten«, erwiderte sie etwas lahm. Noch nicht mal, dass sie pleite war, konnte sie ihren Freundinnen gestehen.
Kerstin gab sich damit zufrieden und ging zu Mel zurück.
Die strahlte wieder wie früher. Schon heute Morgen beim Frühstück hatte sie so viel Energie versprüht wie schon lange nicht mehr.
Ganz im Gegensatz zu Sarah. In dem Wirrwarr der Gefühle, die in ihr tobten, gab es eines, dass ihr sagte, dass sie mit den anderen reden musste. Gestern Abend war ihr klar geworden, dass sie es konnte. Mel hatte so erlöst gewirkt, nachdem sie ihnen von Svens Betrug erzählt hatte. Was für ein Arschloch war dieser Typ. Sie hatte ihre eigene Geschichte so lange in die hinterste Schublade ihrer Erinnerungen geschoben, dass sie langsam nicht mehr sicher war, was damals wirklich passiert war oder wie viel die anderen davon überhaupt mitbekommen hatten. Vielleicht hatte sie ihnen die ganze Zeit unrecht getan?
Sarah war so in ihren Gedanken versunken, dass sie Kerstin und Mel erst bemerkte, als die beiden direkt vor ihr standen.
»Na, wovon träumst du?«, fragte Mel. »Ich hoffe, es ist etwas Schönes.«
Sarah versuchte ein Lächeln und stand schnell auf. »Und, bist du fündig geworden?«
Okay, die Frage war saublöd, schließlich stand Mel mit mehreren Tüten bepackt vor ihr, aber etwas anderes war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen.
»Ja.« Mel strahlte über das ganze Gesicht. »Kerstin hat tolle Sachen für mich gefunden. Ich selbst hätte mir das niemals ausgesucht.«
Sie hakte sich bei ihnen unter. »Zum Abschluss möchte ich noch ein Eis.«
Sarahs und Kerstins Handy verkündeten den Eingang einer neuen Nachricht. Mel hob die Hände. »Ich habe meins zu Hause gelassen.«
Neugierig öffnete Sarah den Posteingang.
»Ich hoffe, euer Shopping war erfolgreich«, las sie vor. Wieso wusste Izzy davon?
»Ich hatte ihr heute Morgen geschrieben, dass ihr mich bei der Klamottenwahl etwas beraten wollt«, sagte Mel. »Sie hat mir auch diese Mall empfohlen.«
»Habt ihr Lust auf einen kleinen Stand-up-Paddling-Kurs?«
Jetzt zog auch Kerstin ihr Telefon aus der Tasche. »Das hat sie tatsächlich geschrieben.«
»Es geht noch weiter«, Sarah hielt Mel ihr Telefon hin.
»Wir sollen uns ordentliche Schwimmsachen kaufen und nach Waikiki fahren?« Mel klang so fassungslos, dass Sarah lachen musste.
»Hast du Izzy von meinen Bikinis erzählt?«
»Sorry, aber der war wirklich winzig«, gab Mel zu.
In Windeseile erstanden sie drei Badeanzüge und saßen im Auto. Mel zerkaute ihre Unterlippe, während sie sich in den Verkehr Richtung Waikiki einfädelte. Sarah saß auf dem Beifahrersitz, hatte ihr Telefon als Navi fest umklammert und versuchte, ihre Freundin zu lotsen.
»Wir sollen bis ganz ans Ende der Strandpromenade fahren.«
Kerstin schob sich von der Hinterbank zwischen die beiden Vordersitze. »Ein Abenteuer, wie spannend. Ich finde das total aufregend. Geht es euch auch so?«
»Na ja«, murmelte Mel. »Ich bin etwas überfordert von den vielen Menschen und Autos.«
Sarah sah aus dem Fenster. Mel hatte recht. Die letzten Tage waren sie so behütet und abgeschottet gewesen. Hier brodelte das Leben.
Der berühmte Strand von Waikiki war enttäuschend. Nachdem sie direkt vor einem rosafarbenen Hotel auf die Straße am Strand abgebogen waren, spürte Sarah, dass auch Mel und Kerstin verwirrt waren. »Ich habe mir das ganz anders vorgestellt«, gab sie schließlich zu, da die anderen beiden verstummt waren.
»Geht mir genauso«, sagte Kerstin.
Mel nickte nur und konzentrierte sich auf den Verkehr.
Auf der rechten Seite glitzerte das Meer. Der eigentliche Strand war eher schmal, es gab aber eine Art Grünstreifen mit Gras und Bäumen, der die Straße vom Strand trennte. Unzählige Menschen flanierten auf der Promenade und der Sand war kaum zu sehen, so viele Menschen bevölkerten ihn.
Auf der anderen Seite der Straße stand ein Hochhaus neben dem nächsten. Die meisten Hotels, vermutete Sarah.
»Gott, ist es hier hässlich«, sprach Mel das aus, was sie alle dachten.