Kapitel 9 - Rack
»Na, macht es dir Spaß, von allen Frauen angestarrt zu werden?«, flüsterte mir Lady C ins Ohr.
Ich verzog das Gesicht, denn ihre Stimme glitt wie Honig durch meinen Körper und wärmte mich an Stellen, die in diesem Moment nicht gebraucht wurden.
»Mir wäre es lieber, wenn wir weniger Aufmerksamkeit auf uns ziehen würden.« Ich lächelte einer älteren Dame zu, die mich musterte, als ob ich eine Antiquität wäre, die sie erwerben wollte.
»Das vergeht nachher. Glaub mir, spätestens wenn Lady Shepards Mann auftaucht und womöglich Reste eines fremden Rouges an seinem ach so steifen Kragen kleben.«
»Wie kannst du es nur in so einer Umgebung aushalten?«, fragte ich, als wir vor dem ersten Raum warteten, in den wir eingelassen werden sollten. Es war der Rubinraum, den ich am Vortag zusammen mit Jean besucht hatte. Dort standen jedoch keine Rubine mehr, sondern Tische, mit blütenweißen Tischdecken belegt. Darauf blitzten silberne Schalen mit Früchten, Platten voller Süßigkeiten, deren Namen ich noch nicht einmal aussprechen konnte, und einige Törtchen mit Fruchtschalen als Verzierung.
An den Wänden waren Plasmastrahler angebracht, die in einem sanften Rot flimmerten.
»Ich hatte jahrelanges Training, um mit solchen Menschen klarzukommen.« Sie lächelte und hakte sich bei mir ein, während wir warteten, um in den Raum eingelassen zu werden. »Das ist auch der Grund, warum ich euch so eine Hilfe bin. Dieser Morast aus Lügen und Betrügereien in der Unterwelt von Victoria ist nichts im Vergleich zu den Intrigen in meinem Teil der Gesellschaft. Du glaubst gar nicht, was für Heimtücke es hier gibt, der man lieber aus dem Weg geht.« Sie lehnte sich ein Stück weit hinüber. »Siehst du die dicke Frau mit den zwei Reticule?«, fragte sie und lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine Dame in einem roséfarbenen Tüllkleid, das mich stark an das Traumkleid einer Vierjährigen erinnerte.
»Sie hat einen Ehemann, der in der Gilde von The Stick arbeitet. Er ist ein ehrlicher Mann. Sie hingegen hat zwei Liebhaber.«
Ich schmunzelte. »Ist das nicht üblich, dass eine Lady auch einen Herren hat, der sie noch beglückt? Ich dachte immer, was die Männer dürfen, dürft ihr ebenfalls?«
»Meistens stimmt es. Allerdings sind es dann nicht zwei Liebhaber zur selben Zeit«, sagte sie und zwinkerte mir zu.
Ich stutzte, glaubte, mich verhört zu haben. Theos Gesicht wollte ich mir im Velocar nicht vorstellen. Der hatte sich vermutlich an den Weintrauben verschluckt, die Jean ihm als Verpflegung eingepackt hatte.
»In Ordnung. Aber das ist doch nicht so schlimm, so dass es als Intrige bezeichnet werden könnte«, murmelte ich und behielt die Umgebung im Auge. Zwei Wachmänner standen nicht weit von unserer Position entfernt und bewachten den Eingang zum Rubinraum. Die anderen Kollegen sah ich nicht. Sie mussten sich wohl auf die übrigen Räumlichkeiten aufgeteilt haben.
»Natürlich nicht, aber es ist ein Geheimnis, das nur wenigen bekannt ist. Wenn du eine Intrige möchstest, bitte sehr. Mal sehen. Wen haben wir denn noch hier?« Lady C drehte sich in alle Richtungen und mich an ihrem Arm gleich mit dazu.
Schließlich tippte sie mir auf meinen, mit einem schwarzen Anzug bekleideten Oberkörper. »Der Mann dort hinten ist Mr. Scrat. Er hat vor einem Jahr eine Brauerei im nördlichen Viertel Eastend gekauft. Ihm wurde die Lizenz nur genehmigt, weil er den Mann vom Amt erpresst hat. Außerdem hat er das Geld für den Kauf aus einem äußerst lukrativen Verkauf seiner eigentlich unverkäuflichen Immobilien erhalten. Das gesamte Geschäft ist illegal gewesen, aber niemand weiß es. Er wird als der nächste große Bierbrauer von Victoria gefeiert, da er aus dem Nichts eine brummende Unternehmung aufgebaut hat.«
»In Ordnung. Ich verstehe. Du kennst die Geheimnisse vieler reicher Menschen. Ähnlich wie ich die zahlreicher Ganoven. Siehst du, Leonora. Wir ergänzen uns doch wunderbar. Zusammen könnten wir ganz Victoria zu Fall bringen.« Ich grinste.
Als sich der Mann hinter uns räusperte und mich mit einem pikierten Blick anstarrte, wusste ich gleich wieso. Nicht, weil wir uns über Geheimnisse unterhielten und diese vielleicht aus Versehen zu laut ausgesprochen hatte. Nein, das störte den Kerl nicht im Geringsten. Ihn störte es, dass ich Lady C nur mit ihrem Vornamen angesprochen hatte.
»Verzeihung, Sir. Wenn Sie etwas zu trinken wünschen, können Sie sicher einen der Kellner ansprechen«, sagte ich freundlich und drehte mich wieder um.
Lady C kicherte, so dass ich die Bewegungen ihres Oberkörpers genau spürte. Kurz darauf wurde der Rubinraum für die Gäste geöffnet. Die Flut der Menschen drang hinein und stürmte den aufgebauten Tisch. Wenn es um das Essen ging, war es egal, welches Einkommen jemand hatte. Jeder wollte der Erste sein, um davon zu probieren.
Lady C zog mich jedoch in die gegenüberliegende Ecke des Raums.
»Es folgt die Rede des Museumsdirektors, Theo«, sagte sie. »Du kannst alles vorbereiten.«
»In Ordnung. Ich bin in fünf Minuten zurück«, antwortete unser Mann im Velocar.
Ich nickte ihr zu. Die nächsten Minuten waren wir ohne Verbindung zu Theo und somit alleine. Da uns die Ansprache des Museumsdirektors bevorstand, schlug ich mich zum Buffett durch und besorgte jeweils einen Teller mit verschiedenen Delikatessen. Wir suchten uns eine ruhige Ecke und warteten ab. Die Rede war genauso langweilig, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Lady C lauschte ihr jedoch mit aufmerksamer Miene. Nach einigen Minuten sank ich gegen die Wand hinter mir und eine Frau in hochgeschlossenem Kleid und mit grauer Haartracht schnalzte mit der Zunge.
»Du solltest stehenbleiben. Anlehnen gilt als unhöflich, selbst für euch Männer.« Sie lächelte, während sie das sagte, als ob sie mir gerade ein Kompliment machte.
Ich stieß mich wieder ab und setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. »Die Schuhe. Ich denke, ich muss den Schuster wechseln«, sagte ich zu der älteren Lady. Diese nickte anscheinend zufrieden und brachte ein paar Schritte zwischen sich und uns.
»Das war die Herzogin von Sachsen-Anhalt. Eine herrschsüchtige alte Dame. Sei froh, dass Sie dich nicht gleich hat rausschmeißen lassen.« Lady C zog mich ihrerseits etwas zur Seite. Neben uns befand sich nun niemand mehr, nur eine zweite Wand. Selbst die anderen Besucher hatten sich entweder näher an den Tisch gestellt oder lauschten der Rede.
»Das soll sie mal versuchen.« Die Wachmänner am Eingang beobachteten mich, so dass ich doch lieber bei Lady C blieb und wir so taten, als ob wir zuhörten. So gerne ich auch die Aufmerksamkeit der Frauen genoss, so wenig wollte ich sie im Moment auf mich ziehen. »Hast du alles dabei?«, fragte ich, während ein Zwischenapplaus aufbrandete.
Lady C nickte und tätschelte ihre Hüfte. Sie trug ein Kleid, das links und rechts aufgebauscht war. Darunter hatte Jean in den Reifrock einige Dinge gehängt, die sie für den Raub brauchte. Ihr Dietrichset war das kleinste Utensil davon.
»Und wie kommst du an die Sachen ran?«, fragte ich. Jean und Lady C hatten sich um die Einbruchsmaterialien gekümmert, während Marcus und ich uns mit der Technik beschäftigt hatten.
»Es gibt einen Einlass in meinem Kleid, dadurch kann Jean reingreifen.« Sie drehte sich von mir weg. »Theo, ist Jean in Position?«, flüsterte sie.
Ich wartete darauf, dass er antwortete, doch das einzige, was ich hörte, war ein leises Grundrauschen, das durch den Äther ausgelöst war.
»Wir müssen wohl noch etwas zuhören.« Ich hatte das Gefühl, meine Ohren würden sich durch die monotone Sprechweise des Museumsdirektors weiter verschließen. »Möchtest du eines von diesen Fischtörtchen? Die sind köstlich.«