Kapitel 10 – Theo
»In Ordnung. Ich bin in fünf Minuten wieder zurück«, rief ich und legte die Metallkörper auf die Maschine vor mir. Zuerst griff ich nach der Tasche, die Rack mir vorbereitet hatte. Dann lugte ich am Vorhang vorbei aus dem Velocar heraus. Direkt vor meinem Fahrzeug war niemand, also stieg ich unauffällig aus und lief hinten herum.
»Hei, hast du mal Zündhölzer, Bursche?«, fragte mich ein älterer Herr, der an einer Kutsche lehnte.
»Tut mir leid, Sir, nein.« Ich huschte vorbei, während er sich abstieß und in die andere Richtung verschwand. Ich versuchte herauszufinden, welches Gefährt wem gehörte. Viele Fahrer hatten sich in Grüppchen zusammengefunden und sprachen miteinander, einige schliefen auf ihrem Bock. Der Eingang zum Museum befand sich nicht weit hinter mir, als ich die richtige Kutsche fand. Der Fahrer war nicht in der Nähe. Ich war alleine. Dann ließ ich mich unter den Aufbau gleiten. Der Boden war feucht und schmutzig, aber ich hatte Wechselkleidung ins Velocar gelegt. Ich legte mich, so gut es ging, in die Deckung eines Rades und öffnete die Tasche. Das Gerät in der Form einer Faust wurde von einem Metallrahmen umgeben und verfügte über einen Aufsatz, wie ihn diese neumodischen Grammophone mitbrachten, nur deutlich kleiner. An der Unterseite des Geräts gab es zwei Haken, die ich um die Achse der Kutsche legen und auf der anderen Seite zusammenführen konnte. Meine Finger zitterten wegen der Kälte, aber das Gerät war schnell befestigt. Zu mir zeigte nun der Trichter, aus dem die Laute kommen sollten. Ich richtete es auf das Museum aus und betätigte einen Schalter. Ein grünes Licht leuchtete. Marcus hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Ich zog das Kabel vor und warf mir die leere Tasche über den Rücken. Das Kabel steckte ich in das Gerät und am anderen Ende befand sich ein Auslöser.
Jetzt kam der schwere Teil: Ich musste ihn zum Velocar zurückbringen, ohne dass jemand das Kabel fand oder mich beim Verlegen entdeckte. Auf dieser Straßenseite standen kaum Menschen. Die Kutscher unterhielten sich alle auf der Seite des Bürgersteigs, um den Museumseingang im Blick zu haben. Gut, einen Versuch war es wert.
Mein rauchiger Atem war so weiß wie Jeans Haut, als ich hinter der Kutsche wegsprang und zeitgleich das Leitungskabel von meinem Arm abrollte. Vor jeder Lücke zwischen den Fahrzeugen rollte ich mehr ab, damit ich möglichst unauffällig vorbeigehen konnte. Es dauerte länger, als geplant, aber ich kam endlich am Velocar an. Das Kabel war lang genug, so dass ich es durch das Fenster ins Innere legen konnte. Jetzt durfte nur niemand auf der Straßenseite an meinem Fahrzeug vorbeilaufen.
»Jean, wie weit bist du?« Ich steckte mir den Metallkörper für den Kommunikator ins Ohr.
»Lange bereit.« Ich hörte ein Schmatzen. Aß sie etwa schon wieder? »Was ist mit den anderen?«
»Moment, das kläre ich noch.« Ich schaltete ihren Knopf aus und betätigte den nächsten. »Rack, Jean ist in Position. Was ist mit euch?«
»Wir haben alles mit eingerechnet, was es als Sicherheitsmaßnahmen gibt, aber nicht, dass der Museumsdirektor mich mit seiner übermäßig langen Rede einschläfern könnte.«
Ich lachte. »Ist ein Ende in Sicht?«, fragte ich Lady Leonora, während ich den dritten Punkt abhakte.
»Ich denke, fünf Minuten brauchen wir.«
Nach der angekündigten Zeit erklang tatsächlich Klatschen aus den Mikrophonen von Rack und Lady Leonora.
Ich erhob mich aus meiner liegenden Position und drückte Jeans Knopf. »Mach dich bereit. Es geht gleich los.«
Mehr als ein leises Pfeifen aus Jeans Mund hörte ich nicht. Das war wohl ihre Art den anderen mitzuteilen, dass sie bereit war. Wir hatten den Dieben keine Möglichkeit gegeben, mit uns zu sprechen, da sie sowieso die meiste Zeit in Jeans Nähe bleiben sollten.
»Wir gehen in Richtung Ausstellungsraum. Hoffen wir, dass wir alles bedacht haben«, sagte Rack. Von da an musste die Nutzung des Ätherkommunikators auf ein Minimum reduziert werden. Mein Job wurde deutlich schwerer, denn ich konnte zwar frei reden und mit ihnen kommunizieren, aber die anderen nicht, ohne belauscht zu werden.
Lady Leonora entschuldigte sich bei Rack, um zur Toilette zu gehen.
»Jean, Lady Leonora ist auf dem Weg zu dir. Schick deine kleinen Wichtel los. Sie können ihrer Aufgabe nachgehen.«
Jean schickte zwei der vier Diebe aus der Toilette im unteren Stockwerk los. So der Plan. Wenn alles korrekt abgelaufen war, würden sie sich als Diener des Museums ausgeben und unter die Menge mischen, die auf dem Weg zum Ausstellungsraum war.
Ich wünschte, im Innern sein zu können. Stattdessen hing ich im Wagen fest und musste mich mit dem Blick auf das Haus zufriedengeben.
»Pass auf, dass du vollkommen darunter verschwindest«, hörte ich Lady Leonora.
Mein Finger lag auf dem Knopf für Rack. »Jean und Lady Leonora sind zu einer Person verschmolzen. Sie kommen jeden Augenblick zu dir.«
»Ich hätte nie gedacht, dass wir das wirklich so durchziehen würden«, murmelte Rack so leise, dass ich ihn über den Lärm in seine Umgebung kaum verstand. »Im Gefängnis war es ja schon verrückt gewesen, aber hier noch viel mehr. Jeder beäugt hier jeden.«
»Warten wir ab, ob es funktioniert«, kommentierte ich und ließ Racks Knopf los.
Die Menschen in Racks Nähe sprachen darüber, wie gespannt sie auf die Smaragde im Nebenzimmer waren. Ich lernte in diesen paar Minuten, in denen wir auf Lady Leonora und Jean warteten, mehr über diese Steine, als ich Lust dazu hatte.
»Endlich dürfen wir hinein«, hörte ich Lady C, als sie wieder bei Rack war.
»Ja, ich kann es kaum erwarten.« Racks Stimme war laut und sollte wohl sowohl die Umgebung als auch ihn überzeugen. Leise fügte er hinzu: »Sag Jean, dass sie nicht so sehr mit ihrem Hintern wackeln soll. Leonoras Kleid ist weit, aber auch das hat Grenzen.«
Ich konnte mir gut vorstellen, was Rack meinte und gab die Information an Jean.
»Es geht los!«, sagte Lady Leonora.