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»Mann, wie ich aussehe«, jammerte Angel. Sie zupfte an ihrer Perücke herum, die schlaff wie nasse Zuckerwatte auf ihrem Kopf lag. Vor einem Schaufenster blieb sie stehen, betrachtete ihr ramponiertes Spiegelbild und versuchte dann vergeblich, ihre künstlichen Wimpern wieder anzupappen. Sie hatten sich vom Lid gelöst und baumelten wie Spinnenbeine über ihren Augen.

»Meine schöne Perücke! Die ist aus Echthaar«, regte Angel sich weiter auf. »Die war sauteuer!« Ein Absatz ihrer Stöckelschuhe verfing sich im Straßenpflaster und sie knickte um. »Verdammt noch mal!«

Elli sah der Frau mit den beiden Mädchen nach, die ihnen so unerwartet zu Hilfe gekommen war. Was für eine liebenswerte Person. Die Kleine hatte Elli ja schon im Park kennengelernt, da passte die hilfsbereite Mutter natürlich. Elli wollte der Frau etwas Nettes hinterherrufen, ihr ein Kompliment machen, sich revanchieren oder wenigstens richtig bedanken, aber auf die Schnelle fiel ihr nichts Passendes ein. Dass so etwas überhaupt noch vorkam.

Die meisten Leute guckten nur angestrengt weg, wenn irgendwo auf der Straße ein Streit ausbrach. Oder sie lachten sich halb tot und hielten ihre Handys hoch, um das Spektakel zu filmen und ins Netz zu stellen. Besonders, wenn eine schillernde Figur wie Angel die Hauptrolle spielte, deren lädierte Perücke jetzt immer wieder störrisch vom Kopf rutschte, als habe sie den ihr zugewiesenen Platz ein für alle Mal satt.

»Scheiße!«, rief Angel wütend.

In unmittelbarer Nähe kicherte jemand. »Ey, die Alte, voll krass.«

Elli hatte keine Lust, erneut die Aufmerksamkeit gelangweilter und sadistischer Teenager auf sich zu lenken, genau wie sie nicht das geringste Verlangen danach verspürte, den Rest des Tages mit Angel an der Seite durch die Straßen zu ziehen. Ein vages Gefühl der Verantwortung hielt sie jedoch davon ab, sich einfach aus dem Staub zu machen. Wenn sie Angel jetzt alleine ließ, würde diese mit schöner Zuverlässigkeit in das nächste Malheur stolpern. Vor ein Auto laufen oder mit ihren Absätzen im Gully steckenbleiben oder aus Versehen einen der Tische des kleinen Bistros da vorn rammen, wo frustrierte Tagestrinker nur darauf warteten, ihre schlechte Laune an jemandem wie Angel auszulassen. Im günstigsten Fall beklaute man sie, auch wenn es bei Angel wahrscheinlich kaum etwas zu holen gab.

 

»Los, komm mit.« Elli zog Angel am Ärmel. »Wir machen uns erst mal irgendwo frisch.« Sie sah sich um. Im Park gab es keine Toiletten, denn die Stadtplaner gingen offenbar davon aus, dass die sich stundenlang dort aufhaltenden Kinder und Spaziergänger im Leben nie aufs Klo mussten. Weiter vorn am Scheffelplatz gab es öffentliche, doch die kosteten pro Benutzung einen Euro, was Elli persönlich als eine Frechheit empfand. Wenn man drei Mal am Tag dorthin ging, waren das neunzig Euro im Monat. Davon konnte man sich fast sein eigenes Dixiklo mieten! Letztere mied sie allerdings, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Dixiklos waren kleine blaue Vorkammern der Hölle, bei jedem Atemzug litt man Qualen und jeder Blick nach unten zeigte einem die Abgründe der Menschheit.

Elli entschied sich für das Kaufhaus an der Ecke. Dort herrschte immer Personalmangel, und Elli brauchte nicht zu fürchten, dass gelangweilte Angestellte sich wie Habichte auf sie stürzten, sobald sie zur Tür hereinkam. Dort spielte einlullende Dudelmusik und es gab saubere Toiletten mit Flüssigseife und einem Handtrockner für Ellis besudelten Mantel. Keine Klofrau würde sie argwöhnisch mustern. Und außerdem gab es im Erdgeschoss diese tolle Kosmetikabteilung mit ihren tausend herrlichen Parfümtestern. Eine Prise Dior und eine Ladung Anti-Aging-Handcreme hatten Elli schon über so manchen beschämenden Tag hinweggeholfen.

 

Die Bevölkerungsdichte im Kaufhaus war angenehm, lediglich ein paar Kunden schlenderten in der Kosmetikabteilung herum. Ein junges Paar mit Baby hielt die einzige sichtbare Verkäuferin mit irgendwelchen Sonderwünschen auf Trab, eine alte Frau inspizierte misstrauisch verschiedene Fußpflegetinkturen. Die wenigen Leute auf der Rolltreppe nach oben waren Smartphone-Zombies, die nicht mitbekamen, wie Angel beim plötzlichen Entfalten der Treppenstufen die Balance verlor, einen hysterischen Triller von sich gab und mit den Armen ruderte.

»Pass auf.« Elli hielt sie fest.

»Ups.« Angel fing haltlos und schrill an zu lachen, was Elli echt nervte. Wenn sie noch lauter lärmte, konnten sie nämlich gleich wieder gehen. Elli alleine fiel nie auf. Man merkte ihr nichts an. Den meisten wohnungslosen Frauen sah man nichts an, denn sie verstanden, dass ein gepflegtes Aussehen die einzige wackelige Brücke war, die sie vor dem Absturz bewahrte. Saubere Klamotten und Haare waren ein absolutes Muss, schon aus Selbstschutz. Fingernägel nicht abgeknabbert, sondern am besten lackiert, ein bisschen Schminke, ein schönes Parfüm, das bekam man ja alles von den Testern, wenn man es geschickt anstellte.

Unter Umständen war die Frau da vorn, die sich gerade hingebungsvoll mit je einem Männer- und einem Frauenduft einnebelte, ja auch ohne Bleibe. Wer wusste das schon?

Zum Glück hatte Angel sich wieder beruhigt und Elli genoss das langsame und lautlose Schweben der Rolltreppe nach oben und den Ausblick in die Welt der Dinge, die sie weder brauchte noch je in der Lage sein würde zu kaufen. Handtaschen aus Straußenleder zum Aktionspreis, Fotobücher, Pfeffermühlen, Stabmixer, Reiseadapter, Teetassen mit neckischen Aufschriften. Bester Papa, Liebste Kollegin, Willkommen im Irrenhaus.

Das meiste war unnötiger Mist, das war klar. Wann hatte Elli in den letzten zwanzig Jahren einen Handstaubsauger vermisst? Wann ein Mikrofasertuch zum Reinigen von Tafelsilber? Wenn man keine Wohnung hatte, brauchte man auch den ganzen anderen Krempel nicht, und das war gut so, denn man hätte ihn ohnehin nicht bezahlen können.

Dennoch zog sie gern durch Kaufhäuser, besonders an kalten Tagen. Es lag etwas Beruhigendes und zutiefst Tröstendes darin, ziellos durch die Abteilungen zu schlendern. Ab und zu etwas in die Hand zu nehmen oder das Material von Handtüchern zu befühlen, über eine glänzende Espressomaschine zu streichen, sich einen Pullover anzuhalten und überhaupt für eine Weile einfach so zu tun, als habe man tatsächlich ein schönes Zuhause, das man mit all diesen Dingen füllen konnte.

 

Sie kamen im zweiten Stock an, in dem die lähmende Stille eines Bestattungsinstitutes herrschte. Hier gab es flauschige Kissen und Decken, getöpferte Schüsseln, Lampen wie aus Tausendundeiner Nacht und sogar eine kleine Möbelecke, für die tolle Wohnung, die Elli sich nie würde leisten können.

»Toiletten sind dort.« Elli zeigte Angel den Weg, damit die nicht zielstrebig in die Besenkammer lief. Immerhin schien sie nicht mehr ganz so sehr zu torkeln und steuerte selbstbewusst in Richtung Damen.

Elli kam ihr zuvor, sah sich rasch um und stieß alle Türen nacheinander auf. Die Kabinen waren leer, Gott sei Dank. Sie befanden sich zwar in einem Viertel, in dem es von Hipstern, Multikulti, Nachhaltigkeit und Bioläden nur so wimmelte, aber man wusste nie, wie viele Leute wirklich in der Lage waren, über die eigene Restmülltonne hinauszuschauen. Unter Umständen bekamen die Kundinnen dieses schicken Kaufhauses ja einen Anfall, wenn eine Transsexuelle mit Tränensäcken, Fusselhaaren und zerrissener Strumpfhose sich vor den Waschbecken ausbreitete und dabei lauthals aus ihrem Liebesleben berichtete.

»… haben doch alle Angst, sich zu binden«, erklärte Angel, während sie ihre Perücke unter den Handtrockner hielt. »Und jedes Mal denke ich – jetzt hast du ein Juwel von Mann gefunden – und dann werde ich wieder enttäuscht und ausgenutzt und …« Der Rest ging im Röhren des Handtrockners unter. »… ist das denn zu viel verlangt?«, konnte Elli noch ausmachen.

»Nee, du hast was Besseres verdient«, bekräftigte sie. Mit etwas Seife versuchte sie den Rotwein aus ihrem Mantel zu waschen. Allerdings verrieb sie dadurch alles nur zu einem großflächigen rosa Fleck. Der Mantel war hin, aber wenigstens roch sie jetzt nach Flieder.

»Wo hast du eigentlich die ganze Zeit gesteckt, Schätzchen? Ich hab dich schon ewig nicht mehr gesehen.« Angel spitzte die Lippen vor dem Spiegel zu einem Kussmund und zog mit einem entnervten Ratschen die Kunstwimpern endgültig ab.

»Ich hab eine …« Elli stockte. Nein, sie würde Angel nichts von ihrem geheimen Schlafplatz in der Gartenlaube verraten. Dann rückte die womöglich dort noch ein und verdarb alles. Jemand wie Angel würde in der Schrebergartenanlage auffallen wie ein bunter Hund. »Ich hab seit einer Weile eine feste Bleibe. Bei einer Freundin.«

»Echt?« Angel sah sie misstrauisch an, war aber zum Glück noch zu benebelt, um sich zu fragen, warum Elli immer noch in den alten Jagdgründen auf der Straße abhing, wenn sie doch angeblich irgendwo wohnte. »Oh, Mann, hast du es gut. Wo denn?«

»Auf einem Campingplatz. Dort arbeite ich auch.« Das war nicht mal gelogen. Hatte Elli ja bis vor Kurzem. Genau genommen, bis vor knapp zwei Jahren, als der Traum vom fast normalen Leben abrupt zu Ende gegangen war. Katrin, die nette Besitzerin des Campingplatzes, hatte Elli jahrelang kostenlos in einem alten Wohnwagen wohnen lassen. Das Ding hatte seine Glanzzeiten in den Siebzigern gehabt, roch ziemlich muffig, und die orange gemusterten Gardinen, die in offener Feindschaft mit der rot geblümten Tapete lebten, hätten wahrscheinlich jeden anderen in die Migräne getrieben, aber Elli war das egal. Ihr kleines Reich hatte sogar eine Tür, die man abschließen konnte.

Doch dann war Katrin zu ihrem neuen Freund nach Holland gezogen und hatte das ganze Gelände an einen jungen Investor mit Vollbart und Hornbrille verkauft, der ständig an einem Mate-Eistee nuckelte und aus dem gammeligen Campingplatz einen ganzjährigen Erlebniszeltplatz mit Kletterwand und Schwitzyoga machen wollte. Er hatte keinerlei Interesse daran gezeigt, Elli mit zu übernehmen. Innerhalb weniger Tage hatte sie deshalb nicht nur ihre gemütliche Bleibe, sondern auch ihren kleinen Job im Laden des Campingplatzes verloren. Mal wieder war ein Hoffnungsschimmer hinter den grauen Wolken der Realität verschwunden.

»Ui, Campingplatz. Wie romantisch.« Angel holte eine verklumpte Wimpernspirale aus der Handtasche, schwankte, verfehlte knapp ihr Ziel und stach sich ins Auge. »Mist!«

Die Tür ging auf, eine Frau im Trenchcoat rauschte herein und stürzte, ohne sie beide zu beachten, in die erstbeste Toilettenkabine. Sekunden später erklang ein prasselndes Geräusch.

»Das war knapp.« Elli schmunzelte. »Los, komm jetzt.« Sie zog Angel mit sich.

 

Sie strichen durch die menschenleere Einrichtungsabteilung. Hier war alles makellos. Fast nur gedämpfte Erdfarben. Elli hatte es lieber bunter, praller, fröhlicher.

Angel ließ sich auf eine Wildledercouch fallen. »Wohnlandschaft Kyle mit Relaxfunktion«, las sie von einem Schild ab. »Knapp dreitausend Euro. Und wo steckt der gute Kyle? Kriegt man den zum Relaxen mitgeliefert?« Sie gackerte los. »Das wär’s doch. Abends mit einem schnuckeligen Kyle hier sitzen, Flasche Schampus im Kühler, Schmusebubu-Musik und Kerzenlicht.«

»Kyle können sie behalten. Das Sofa nehm ich aber gerne«, meinte Elli.

»Yep.« Angel seufzte und schloss die Augen.

Elli setzte sich neben sie. Das Polster war unbeschreiblich weich und roch so schön neu und sauber. Sie atmete tief ein. Ausruhen. Auf einer Couch einen verregneten Sonntag verdösen, die Beine hochlegen, einen leckeren Tee trinken, Fernsehen gucken oder lesen, von niemandem aufgescheucht werden. Welch ein Luxus. Irgendwann würde ein glücklicher Mensch diese Couch hier für knappe dreitausend Euro kaufen und genau das tun. Elli träumte sich sofort in das Leben dieses unbekannten Glückspilzes hinein und stellte sich dessen geschmackvolle Wohnung vor. Sie war geräumig, hatte hohe Decken und Türen, vielleicht sogar Stuck. Auf jeden Fall war es ein eleganter Altbau. Natürlich mit Parkett, vielleicht stand auch ein Klavier oder ein Cello in der Ecke. Dann ein großer Fernseher, schöne Kerzenhalter, eine Bücherwand …

»Chhhhh …« Leises Schnarchen erklang neben ihr. Angel war zur Seite gekippt und schlief mit offenem Mund. In weniger als einer Sekunde würde sie auf die Wohnlandschaft mit Relaxfunktion sabbern.

»Mensch, Angel!« Elli rüttelte ihre Freundin an der knochigen Schulter. »Nicht einschlafen!« Das hatte ihr gerade noch gefehlt. »Los, hoch mit dir.«

Angel blinzelte einen Moment lang verwirrt, dann rappelte sie sich auf. »Ich bin einfach immer so müde. So verdammt müde. Du auch?«

»Ja.« Natürlich war Elli das. Sie hätte überall im Stehen einschlafen können, besonders seit den letzten Wochen. Das kilometerlange Laufen den ganzen Tag lang schlauchte. Von der Gartenlaube zum Park waren es drei Kilometer. Vom Park zum Tageszentrum noch mal drei. Jeden Tag, hin und zurück, oft mehrmals. Und der Nachtschlaf war unruhig, weil man wie ein gehetztes Tier immer wachsam bleiben musste.

»Manchmal kotzt mich das alles so an.« In Angels Augen schimmerte es verdächtig feucht. Die Stimmung drohte abrupt zu kippen. »Mein ganzes Leben. Ich krieg einfach nichts auf die Reihe.«

»Nicht weinen.« Elli umarmte sie. »Gib nicht auf, das wird schon wieder. Niemals aufgeben, Angel.«

»Ich ziehe das Unglück an.« Angel schniefte. »Ich weiß auch nicht warum. Ich hab so eine Scheißangst, dass es nie wieder besser wird. Und es heißt ja immer, dass man genau das anzieht, wovor man sich fürchtet.«

»Ach ja? In dem Fall hab ich ab heute ganz schreckliche Angst vor einer Million Euro.«

»Du nun wieder.« Angel tupfte sich vorsichtig mit einem Taschentuch über die Augen, lächelte aber dabei.

»Alles gut? Dann gucken wir jetzt mal unten bei der Kosmetik, was das Haus Chanel Neues zu bieten hat, okay?« Angel konnte weiß Gott mehr als eine Brise Wohlgeruch gebrauchen, aber diese Bemerkung verkniff Elli sich. Die Arme hatte es schwer genug.

 

Nachdem sie drei verschiedene Hautcremes aufgetragen, Lipgloss und Puder ausprobiert, ein Haaröl einmassiert und ein aluminiumfreies Deo benutzt hatten, gingen sie zu den Parfümtestern über. Das von Angel hatte Glitzerpartikel und duftete laut Werbung orientalisch-puderig, das von Elli hatte eine Grapefruitnote, die angeblich eine neue, reine Weiblichkeit verströmte.

»Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen«, bemerkte Elli. Angel gab ein glucksendes Geräusch von sich. Sie wirkte nicht mehr ganz so fertig.

»Lass uns runter in den Keller in den neuen Biomarkt gehen«, entschied Elli. »Da haben sie immer leckere Käsehäppchen und so was. Vom Feinsten.«

Sie hatte recht. Auch heute standen wieder zwei auf Öko-Bäuerin getrimmte Angestellte in sandfarbenen Leinenschürzen im Laden und boten Landbrotecken mit Bärlauchquark und Ziegenkäse an. Elli nahm sich von jedem eins, Angel von jedem zwei.

»Lassen Sie es sich schmecken«, ermunterte die falsche Landbäuerin sie beide mit einem mitleidigen Blick auf Angel. Ein mütterlicher Typ. Vielleicht konnten sie eine Runde drehen und dann noch mal bei ihr vorbeikommen? Sie gingen weiter.

Angel schnüffelte an dem Ziegenkäse. »Riecht irgendwie nach Zoo«, beschwerte sie sich. »Was soll denn daran gut schmecken? Und ist garantiert schweineteuer.«

Elli zuckte mit den Schultern. Das war nicht ihr Problem. Sie wäre zum Beispiel nie im Leben auf die Idee gekommen, fünfzehn Euro für kalt gepresstes Olivenöl auszugeben, aber offensichtlich gab es genug Leute, die dazu bereit waren. Gerade griff eine schlanke blonde Frau in einer wunderschönen grauen Strickjacke nach zwei Dosen von genau diesem Öl und stellte sie in ihren Einkaufswagen.

»Das ist im Angebot, guck mal, Laura«, sagte sie zu ihrer Freundin, einer ebenso gutaussehenden Frau mit brünettem Pagenschnitt.

»Au ja du, da nehm ich auch was mit.« Die Brünette langte nach einer Dose. »Aaron steht total auf Spaghetti mit Anchovis und Olivenöl. Er war schon immer ein ungewöhnlicher Junge.« Sie lächelte stolz.

»Was hat er denn nun eigentlich nach dem Abi vor?« Die Blonde packte noch ein Töpfchen Basilikum in ihren Wagen.

»Du, der Aaron geht nach Botswana. Das hat er letztens entschieden. Der will den Menschen dort helfen, das ist ihm ein echtes Anliegen.«

»Wow.« Die Blonde zeigte sich schwer beeindruckt. Elli konnte den Blick nicht von ihrer Strickjacke lösen. Genau so eine hätte sie für ihr Leben gern gehabt. Was war das für Material? Kaschmir? Alpakawolle? Etwas sündhaft Teures, so viel war klar.

»Was will er denn da machen?«, erkundigte die Blonde sich. Das interessierte Elli jetzt allerdings auch und sie blieb hinter den beiden stehen und studierte akribisch das Etikett auf einer Essigflasche für zehn Euro. Was machte man in Botswana?

»Er wird als Hilfslehrer an einer Schule unterrichten. Er lernt jetzt sogar Setswana.«

»Was ist denn das?«

»Na, die Sprache dort. Und Marimba, das ist so ein afrikanisches Instrument.«

»Ist ja der Wahn-sinn. Da könnt ihr aber echt stolz auf ihn sein. Ich finde …« Die Blonde suchte nach Worten. »Ich finde, unsere Kinder sind heutzutage alle so unheimlich sozial eingestellt. Da haben wir schon eine Menge richtig gemacht, meinst du nicht?«

»Du, absolut.«

Die beiden Frauen schlenderten zum Obst weiter und Elli folgte ihnen wie magnetisch angezogen.

»Anna-Lena ist ja gerade mit Lisa und Leonie bei Taekwondo.« Die Blonde begab sich zu den Pfirsichen und hob einen nach dem anderen hoch. »Anna-Lena zeigt auch total viel Empathie, das ist unglaublich. Neulich hat sie mindestens zwanzig Plüschtiere aussortiert und wollte, dass ich sie zum Roten Kreuz bringe, damit noch andere Kinder damit spielen können. Kinder, die es nicht so gut haben wie ich, Mama, hat sie zu mir gesagt.«

»Toll.« Die Brünette griff nach einem Apfel und betrachtete ihn. »Nee, echt jetzt, aus Frankreich?«, regte sie sich plötzlich auf. »Müssen wir wirklich Äpfel aus Frankreich einführen? Gibt es denn hier in der Gegend nicht genügend Apfelbäume?«

Die Blonde antwortete nicht. Sie hatte Angel neben sich entdeckt, die genüsslich an einem Pfirsich schnupperte und ihn sacht mit dem Finger streichelte. Elli kannte das, diesen Drang, etwas zu berühren, das perfekt und schön und frisch und appetitlich war.

Die Blonde legte ihren Pfirsich wieder hin. »Ich glaube, ich nehme heute Birnen.« Elli konnte sehen, wie sie im Weitergehen unauffällig die Hand an ihrer schicken Strickjacke abwischte.

»Kann ich Ihnen helfen?« Aus dem Nichts war eine Verkäuferin hinter Angel aufgetaucht, ihr Blick ein einziger in Feindseligkeit marinierter Pfeil.

»Ähm, ich …« Angel ließ verschreckt den Pfirsich fallen.

»Äpfel aus Frankreich?«, sprang Elli ihr bei. »Gibt es denn hier in der Gegend nicht genügend Apfelbäume? Ist ja nicht gerade lokal und saisonal. Was da allein wieder an Transportkosten vergeudet wird. Das können Sie mal an die Verkaufsleitung weiterleiten.«

»Natürlich«, beeilte die Verkäuferin sich zu sagen. Einen Moment lang stand sie da wie bestellt und nicht abgeholt, dann schnappte sie sich einen leeren Karton und ging betont aufrecht davon.

»Wie wär’s mit noch etwas Ziegenkäse?« Elli zwinkerte Angel zu.