Kapitel 4 - Schicksalsfäden
Josh gönnte seinem Vater den freien Nachmittag, kam wegen der neuerlichen Überstunden jedoch selbst total erschöpft am Abend zu Hause an, schaltete das Licht ein und gähnte. Eine kurze Dusche schaffte er gerade noch so, dann schlurfte er todmüde, mit halb geschlossenen Augen in Richtung Schlafzimmer. Als er die Tür öffnete, ereilte ihn jedoch um ein Haar ein Herzinfarkt.
Dana lag in einem violetten Negligé auf dem Bett und las, doch sobald sie ihn bemerkte, warf sie das Buch weg und präsentierte sich. »Hallo Schatz, da bist du ja endlich! Na, gefalle ich dir?« Ihre ehemals langen, braunen Haare waren zu einer wasserstoffblond gefärbten Kurzhaarfrisur mutiert, aber das war noch nicht mal das Schlimmste! Ihren Pony durchzogen roten Strähnen, sodass sie aussah, als hätte sie weihnachtliche Zuckerstangen an ihrer Stirn kleben. »Na, ist das nicht toll? Ich wollte mal etwas ganz Neues, Verrücktes ausprobieren! Cindy hat mir diese Frisur empfohlen, sie stammt aus einem sehr teuren Modemagazin!«
Josh war wie gelähmt, reagierte nach einer Verzögerung dann aber doch. »Erinnere mich daran, dass ich mich bei Cindy bedanke «, keuchte er wie in Trance, als seine Frau ihn umarmte und ihm der Gestank von Chemie in die Nase stieg.
Dana zog Josh aufs Bett. »Also Liebling, du wolltest doch letzte Nacht so gerne ... du weißt schon. Nachdem du dich so lieb zurückgehalten hast, darfst du heute mal wieder!«
›Wow ... ein Mitleidsfick? Wie gnädig‹ , dachte Josh und bemühte sich um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck.
Dana palaverte indes weiter. »Ich habe heute einen richtigen Schreck bekommen.«
»Hast du in den Spiegel gesehen?«
Sie sah ihn entsetzt an. »Ja, genau! Cindy hat mich darauf angesprochen! Sie hat doch letztens Rohan gesehen, über den wir übrigens dringend noch einmal reden müssen, und als sie mich heute auf etwas hingewiesen hat, ist es mir auch aufgefallen! Im Laufe der Jahre, in denen wir jetzt zusammen sind, bin ich ihm optisch immer ähnlicher geworden! Ich habe mir die Haare dunkler gefärbt und genauso lang wachsen lassen, und meine Art, mich zu schminken, glich auch seiner. Kannst du dir das vorstellen?«
Josh fühlte sich ertappt und seufzte. »Ja, ist mir aufgefallen.« Er hatte hart daran gearbeitet, sie immer mehr in diese Richtung zu lenken, ohne dass sie es merkte.
»Aber jetzt ist das zum Glück ein für alle Mal vorbei!« Dana sprühte vor Begeisterung über ihre Erneuerung, sodass sie gar nicht bemerkte, wie deprimiert Josh darüber war.
»Komm her, mein Hasipupsi!«, quiekte sie freudig, als sie sich auf Josh stürzte. Der schaffte es gerade noch im letzten Moment, das Licht zu löschen.
***
Halb komatös und sturzbetrunken schwankte Rohan zur Haustür herein. Er hatte Noah am Morgen in der Krippe abgegeben, ihn am Nachmittag auch wieder abgeholt und zu Hause bei Dana abgeliefert. Danach hatte er sich für den Gig mit seiner Band in einem kleinen Club am Rande der Stadt fertig gemacht, hatte nach seinem Auftritt wie immer die Zeit vergessen und war mit seinen Freunden an der Bar versackt.
Er zog sein Tanktop aus, bemerkte dabei, dass er nach Schweiß, Rauch und Club stank, schmiss es in die Ecke und stolperte hoch ins Bad, um sich in die Wanne zu legen. Für eine Steh-Session in der Dusche hatte er nämlich keine Kraft mehr. Als er jedoch den Lichtschalter betätigte, rieb er sich ungläubig die Augen.
Josh lag auf dem Rücken und Dana saß in einer seltsamen Pose nackt auf ihm. Erstarrt glotzten ihn beide schockiert an, während Rohan langsam realisierte, dass er nicht im Badezimmer gelandet war.
»Äh ... sorry ... falsches … falscher ... äh ihr wissd schon ...«, lallte er unüberhörbar besoffen, drehte sich um und schloss die Tür hinter sich, nur um sie nach kurzem Überlegen erneut aufzureißen. »Ey Josh ... sachma ... seit wann schteschst`n du auf fedde, kleine Jungs? ... Wird Dana nisch jefalln, wennse dit mitkrischt.«
»Ich bin Dana!«, fuhr ihn diese an, und endlich reagierte auch Josh, bevor sich sein Bruder noch mehr verplapperte.
»Zombie , verschwinde aus unserem Schlafzimmer, verdammt! Los raus !!!«
Rohan zuckte nur mit den Achseln und wankte hinunter ins Gästezimmer. Das Bad zu suchen, war ihm in seinem Zustand nun doch zu anstrengend.
***
Am nächsten Morgen quälten Rohan hämmernde Kopfschmerzen, alleine schon deshalb, weil Dana seit mehreren Minuten in der Küche ihren Sohn anschrie, der im Hochstuhl saß und ebenfalls nicht aufhören wollte zu plärren. Josh stand gerade unter der Dusche, demzufolge konnte er auch nicht helfen, obwohl er das Spektakel mitbekam.
»Halt endlich die Klappe!!! «, keifte Dana und donnerte die leere Nuckelflasche in die Spüle. »Was willst du denn noch? Du hast gegessen und deine Windel ist sauber , also hör auf, mich zu nerven! Aaahh , ich halte dieses ständige Geplärre nicht mehr aus!«
Mit eingeschäumten Haaren, erst halb fertig und nur mit einem Handtuch um die Hüften kam Josh schließlich vorzeitig aus dem Bad, um die Wogen zu glätten. »Nimm ihn doch auf den Arm! Vielleicht braucht er einfach nur deine Nähe?!« Statt diesen Rat zu befolgen, griff Dana jedoch zum Telefon, was ihren Mann stutzen ließ. »Was machst du denn jetzt?«
»Ich rufe Cindy an, sie soll mit Mimi herkommen, dann können die Kinder spielen und jedem ist geholfen!«
Josh verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen, und nahm seinen Sohn selbst auf den Arm, welcher sich dort langsam beruhigte.
»Bitte nicht die! Wenn du das unbedingt willst, dann lass ihn mit dem Nachbarskind spielen! Leon und Noah vertragen sich eh viel besser und außerdem will ich deine kreischende Freundin nicht an einem Samstagmorgen hier haben!«
Daraufhin fauchte ihn Dana an: »Wenn du deinen Störenfried von Bruder hierbehältst, der uns sogar beim Sex unterbricht, kann ich auch meine beste Freundin herholen!« Dann hielt sie bereits den Hörer ans Ohr, denn Cindys quietschende Stimme drang daraus hervor.
Josh hielt zähneknirschend den Mund, drehte um und ging mit Noah zusammen in Rohans Zimmer, um diesem Bescheid zu geben.
»Boah! Hier stinkt es ja wie im Pumakäfig«, bemerkte er, als er die Tür öffnete und ihm eine Mischung aus Schweiß, Moschus und Rauch entgegenkam. Er schloss sie hinter sich, riss das Fenster auf und schubste Rohan an, welcher voll bekleidet im Bett lag. Ganz langsam öffnete dieser die Augen und hörte Josh nun direkt in sein Ohr flüstern: »Morgen … du ... Asi!« Gefolgt von fröhlichem Kleinkindglucksen.
Rohan murrte nur »Lass mich in Ruhe« und schmiss halbherzig ein Kissen in seine Richtung. Dann drehte er sich um und wollte weiterschlafen.
»Los, du Freak, ich meine es ernst! Zieh die stinkenden Klamotten aus und dusch dich! Wir bekommen gleich Besuch!«
Knurrend setzte sich Rohan auf, kramte wortlos in seiner Tasche und holte eine Zigarette heraus, doch Josh schnippte sie ihm sofort aus der Hand.
»Ey, was soll das? Ich hab jetzt echt keinen Bock auf Spielchen!«
»Im Haus wird nicht geraucht! Das hab ich dir schon hundertmal gesagt!«, rügte Josh ihn und zeigte auf seinen Sohn. »Außerdem: Siehst du das hier?« Noah gluckste, denn er bemerkte, dass es um ihn ging. »Das ist ein Wonneproppen! Und in Gegenwart von kleinen Wonneproppen raucht man nicht, denn sonst sind sie ganz schnell nicht mehr wonnig! Davon abgesehen hast du versprochen, dass du endlich damit aufhörst!« Kurzerhand schnappte sich Josh auch noch die Zigarettenpackung und warf diese gekonnt in den Mülleimer, fast wie ein Basketballspieler. »Heute wäre ein guter Tag, um damit anzufangen!«
Rohan hörte ihm gar nicht mehr zu, denn er hatte bemerkt, dass Josh nur mit einem klammen Handtuch bedeckt war, und zog ihm dieses kurz entschlossen vom Leib, ehe er seine nackten Hüften umklammerte.
»Leg dich doch noch ein bisschen zu mir«, bettelte er. »Hmm ... deine Haut ist so schön weich … und sie riecht gut.«
»Ja!«, warf Josh lachend dazwischen. »Im Gegensatz zu dir, denn du stinkst wie Sau!«
Rohan sah beleidigt nach oben, ließ ihn schnaufend los, erhob sich, nahm ein paar Klamotten vom Fußboden und verließ wortlos den Raum.
»Hoffentlich findest du diesmal das Gästebad!«, rief ihm sein Bruder spöttisch hinterher, ehe er seinen beruhigt brabbelnden Sohn seiner Frau übergab und selbst zurück in die Dusche ging, um sich fertig zu machen.
***
Die Türklingel schellte mehrmals und Dana öffnete ihrer Freundin mit dem abermals plärrenden Noah auf dem Arm. »Ah, endlich!«, seufzte sie erleichtert, als sie Cindy und deren leicht geschockt glotzende Tochter umarmte. Die beiden Kleinen wurden in den Laufstall gesetzt, doch Noahs Geheule verstummte erst, als Mimi ihm ihren Schnuller lieh.
Cindy trug eine grüne, kurze Hose und ein orangefarbenes, mit Strasssteinen besetztes Shirt, welches farblich zu ihren auftoupierten Haaren passte.
Josh kam in einem sommerlichen Hemd und einer lockeren Jeanshose von oben dazu.
»Oh Joshyyy , schickes Outfit! Man sieht dich ja sonst immer nur in deiner Arztrobe!«, flötete ihm Cindy entgegen und er machte sich nicht mehr die Mühe, ihr zu erklären, dass nur Richter und Magier Roben trugen. Stattdessen begrüßte er sie höflich und setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch. Ihr Parfüm stank allerdings so aufdringlich, dass ihm fast der Appetit verging.
Dana liebte den Duft. »Oh, ist das dieses neue Fleur de Cross , von dem du erzählt hast?«
»Ja, genau! Schön, dass du es bemerkt hast! Das Zeug ist der Hit diesen Herbst!«, quietschte Cindy.
Josh kam in den Sinn, seine Meinung über die Stinkeplörre zwischen die beiden auf den Tisch zu kotzen, aber leider hatte er dafür noch zu wenig gegessen.
»Wo ist denn dein schicker Bruder, Josh? Oder hat die böse Dana ihn schon rausgeschmissen?«
Diese räusperte sich, dann antwortete sie für ihren Mann: »Nein, er ist noch hier, aber ... Hey, ich hab eine tolle Idee! Du solltest ihn mal unter deine Fittiche nehmen! Sein Stil ist ja so was von katastrophal! Manchmal sieht er aus, als sei er dem Mittelalter entstiegen, dann wieder wie irgendein Satansjünger oder bestenfalls ein Zuhälter! Wenn du mit ihm zusammen wärst, würde ihn das vielleicht endlich zur Vernunft bringen!«
Josh unterdrückte in diesen Minuten so viele böse Kommentare, dass ihm fast der Kiefer explodierte. Warum dachte er sich eigentlich so wunderbar fiese Dinge aus, wenn die doch nicht gesagt wurden? Dann endlich hörte er, wie Rohan die Treppe herunterkam.
Cindy freute sich sehr, als sie den schönen, großen Mann erblickte. Die schwarze Jeanshose und das weiße Muskelshirt spannten sich um seinen athletischen Körper, seine Haare hingen noch feucht und offen herunter.
»Ey Dana, ist deiner Putzfrau irgendein Kloreiniger ausgekippt oder warum stinkt es hier so dermaßen nach Duftstein?«
Josh lachte befreit los, denn genau das war auch seine erste Assoziation gewesen. Dana und Cindy kicherten sogar verlegen mit.
»Hach, da sieht man es mal wieder ... Männer haben eben keine Ahnung von gutem Parfüm«, kommentierte Cindy überheblich und wedelte mit der Hand.
»Also nur, weil diese Klotabs nach Zitrone stinken, würde ich sie noch lange nicht als Parfüm bezeichnen«, kam von Rohan ein wenig plump, als er sich neben Josh setzte, der schon wieder prustete. Cindy vertiefte dieses Thema lieber nicht weiter.
Dana stand auf, um noch eine Kanne Kaffee aufzusetzen, und bat Josh freundlich, den Aufschnitt aus dem Kühlschrank zu holen, damit Cindy die Gelegenheit bekam, allein mit seinem Bruder ein Gespräch anzufangen. Rohan stützte die Ellbogen auf den Tisch, nippte an Joshs Kaffee und sah ihm gedankenverloren hinterher, als Cindy plötzlich seine Hand nahm. »Also, schöner Mann, haben Sie eine feste Freundin?«
Angewidert zog das Objekt ihrer Begierde seine Pranke aus ihren dürren Fingern. »Äh ... nein.«
Cindy, die hocherfreut war, grabschte jedoch erneut nach seiner Hand, denn sie hielt ihn einfach nur für schüchtern. »Oh, das ist ja wunderbar! Na, wenn Sie noch zu haben sind, dann können wir beide ja mal zusammen Essen gehen? Vielleicht schon morgen? Da muss mein Ex mal auf unsere Tochter aufpassen und ich bin frei für alle Schandtaten! Ach, was ich noch fragen wollte: Wie schaffen Sie … ach, ich darf doch du sagen, nicht wahr? Also, wie schaffst du es eigentlich, dass deine Haare so dick und kräftig sind? Und sie glänzen auch so schön. Welches Shampoo nimmst du?« Schon fummelte sie in seinen schweren, halbtrockenen Wellen herum.
Rohan war ein bisschen überfordert von Cindys schneller und greller Sprechweise. Er wusste, er durfte ihr nicht die Meinung sagen oder unhöflich sein, denn er wollte Dana keinen weiteren Grund servieren, ihn zu verscheuchen. Zum Glück erschien Josh in diesem Moment und stellte den übervollen Teller mit dem Belag ab.
»Alles okay, Roi?«, fragte er besorgt, als er seinen um Hilfe suchenden Bruder sah, doch Cindy nahm ihm die Antwort ab.
»Oh, wir verstehen uns blendend . Rohan ist ja so ein guter Zuhörer! Wir werden morgen zum Essen ausgehen und vielleicht bringe ich ihn danach gleich mal zu meinem Starfriseur. Mit seiner Haarpracht kann man sicher viel machen.«
»Nein , bloß nicht!« Josh schrie lauter, als er wollte, aber Danas verschandelte Optik war bereits Strafe genug. Jetzt auch noch Rohans wunderschöne Haare, das ging eindeutig zu weit! Josh bat ihn kurzerhand nach den Kindern zu schauen, und sein Bruder war froh über alles, was ihn von dieser dummdreisten Person wegbrachte. Als er das Weite gesucht hatte, wandte sich Josh an sie: »Bitte Cindy, nimm Dana für deine Modeexperimente, wenn es unbedingt sein muss, aber lass Roi da raus!«
»Ja, ja, schon gut«, versprach sie seufzend und erhob sich. »Ich wollte doch nur helfen.« Daraufhin stöckelte sie Rohan hinterher.
Schon wieder schellte die Türklingel. Josh fluchte leise, ging aber zum Eingang und öffnete.
»Hey Bro!« Paula schnalzte mit der Zunge und tippte sich an die Stirn, ehe sie direkt in Richtung Brötchen durchmarschierte.
»Hi ... ähm ... schön, dass du uns besuchen kommst ... so völlig unangemeldet.«
»War grad in der Nähe«, antwortete sie nur locker. Aus ihr war eine hübsche, junge Dame geworden, doch ihren Kleidungsstil konnte man bestenfalls als gewöhnungsbedürftig beschreiben. Ihre schlanke Figur zierte ein blauer Minirock, ihre Beine, gehüllt in eine leicht zerrissene Strumpfhose, steckten in rosa Stiefeln und obenherum bedeckte ein Fetzen Pullover gerade so ihre Brüste. Die braunen Haare waren zur Hälfte abgeschoren und ihre Haarspitzen leuchteten in einem kräftigen Blau.
»Ist Roi hier?«, fragte sie übermütig, als sie Dana begrüßt und sich ein Brötchen geklaut hatte.
»Ja. Er ist im Kinderzimmer«, entgegnete Josh, dann jedoch kam ihm eine Idee. »Paula! Warte mal!« Er hielt sie an der Schulter fest und flüsterte ihr ins Ohr, damit seine Gattin nichts mitbekam. »Da ist gerade so eine Frau bei Roi, die ihn unbedingt umstylen und zu einem Anwaltsverschnitt machen will. Könntest du ihr vielleicht deinen Standpunkt als seine Freundin klarmachen?« Dabei zwinkerte er seiner kleinen Halbschwester verschwörerisch zu und drückte ihr einen Zehner in die Hand. Paula grinste Josh zuerst begeistert an, dann linste sie böse in Richtung Kinderzimmer.
»Immer gern doch, Bruderherz!«, versicherte sie enthusiastisch, danach folgte sie dem Klotabgeruch.
Cindy hatte schon wieder ihre Hand auf Rohans Schulter gelegt, der Noah wie ein menschliches Abwehrschild auf dem Arm hielt und diesen zu beruhigen versuchte. Mimi hatte ihn gepiesackt und immer wieder den Nuckel rausgezogen, nur um ihn danach erneut in seine Gusche zu stopfen. Rein, raus, rein, raus. Sie gackerte sich dabei halb tot, doch Noah fand das gar nicht witzig.
Als Paula ins Kinderzimmer kam, sagte sie nichts, schlug aber ziemlich barsch Cindys Hand von Rohan, packte diesen am Hals und küsste ihn auf den Mund. »Hi mein Schatz, da bin ich!«, grüßte sie lächelnd und zwinkerte ihm zu. »Wer ist das?«
Er verstand sofort, worauf sie hinauswollte und spielte mit, denn Paula war ihm allemal lieber als diese stinkende Tussi. »Ähm, das ist die Freundin von Dana, den Namen hab ich vergessen.«
»Cindy! Freut mich«, stellte diese sich selbst vor und wollte der frechen Göre noch die Hand geben, doch die drehte sich weg und nickte nur.
»Paula. Tach auch.« Sie nahm ihrem Freund Noah ab, gab ihm ebenfalls einen Kuss und setzte ihn wieder in das Laufgitter zu der Nuckelspieltrine. »So, kleiner Pupser, die Erwachsenen müssen jetzt was besprechen! Hasi , können wir kurz nach draußen gehen und eine rauchen?«
»Äh, ja. Klar.« Rohan ließ sich mitzerren. Kaum waren sie am Ziel angekommen, atmete er erleichtert durch. »Puh. Danke Kleine! Länger hätte ich den Gestank dieser Frau echt nicht mehr ausgehalten.«
»Klar doch«, flötete sie und hing sich an seinen Hals. »Wir können das gerne auch noch ein bisschen weiterspielen.« Dabei küsste sie ihn auf die Wange.
»Danke, aber ich hab für heute erst mal genug von liebesbedürftigen Ladys.« Rohan wuschelte ihr durch die Haare, um sie aufzuheitern, denn er wusste, dass sie in ihn verliebt war, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Deshalb knutschte sie ihn auch ständig und er war daran schon gewöhnt.
»Ja, ja, verstehe«, seufzte sie, sah ihn dann aber mit großen Augen an. »Kann ich heute trotzdem bei dir schlafen? Anna hat ihre Freundin über Nacht da und die beiden gackern die ganze Zeit herum und spielen mit ihren blöden Barbies.«
»Teilst du dir immer noch mit deiner Schwester das Zimmer?« Rohan fuhr sich durch die Haare und setzte sich auf die kleine Gartenbank. Gerade verfluchte er Josh, der ja seine letzten Zigaretten geschrottet hatte. »Meine Güte, du bist fast achtzehn! Wird es nicht Zeit, dass Renè dir einen eigenen Bereich zuspricht?«
Paula nickte. »Die getrennten Arbeitszimmer brauchen sie, meint er. Meine Mum hat zwar ihr Nähzimmer geräumt, aber das hat Emil bekommen und ich hänge weiter bei der nervigen Göre fest. Also, kann ich heute bei dir bleiben?«
»Ich hab das nicht zu entscheiden, Paula! Ich bin hier auch nur zu Gast«, sagte er gähnend und streckte sich. »Frag Dana oder Josh, ob die was dagegen haben.«
»Oki!« Freudig rannte Paula zurück ins Haus, machte die beiden im Wohnzimmer ausfindig und zuppelte an Joshs Hemd herum wie ein juckiges Äffchen. »Darf ich biiiiiiitteeeee heute Nacht hierbleiben?«, fragte sie bettelnd, erwähnte jedoch bewusst nicht, dass sie vorhatte, bei Rohan zu schlafen. Das Pärchen gab seine Zustimmung, denn ihr ruhiges Wochenende war eh gelaufen. »Coolio, danke! Dann fahr ich nur nochmal schnell nach Hause, um ein paar Sachen zu holen! Bin gleich wieder da!«
Paula lief nach draußen und schwang sich aufs Fahrrad. Zum Glück war es nicht weit, denn Joshs Haus war nur wenige Straßenzüge von dem seines Vaters entfernt.
***
Als Paula nach gut zwei Stunden zurückkehrte, sah sie aus, als wolle sie auf den Abschlussball. Sie hatte sich aufgebrezelt wie noch nie! Die sonst eher fransigen Haare waren akkurat mit einem Hitzestab gelockt, sie war geschminkt und ihren schlanken Körper zierte ein blaues, beinahe schon galamäßiges Sommerkleid.
Gegen zwanzig Uhr sahen sich alle gemeinsam einen Film an: Dana mit Josh auf der 3er-Couch und Rohan mit Paula auf dem kleineren 2-Sitzer. Paula lag dabei halb auf dem Schoß ihres Schwarms und fing mitten im Film an, auf seinem Schritt herumzudrücken. Rohan empfand das allerdings nicht als erotisch, wie von ihr geplant, denn genau genommen war es einfach nur schmerzhaft. Deshalb befreite er sich aus dieser Situation, indem er vorgab, müde zu sein. Er drückte Josh wie üblich einen leichten Kuss auf die Wange, wünschte allgemein eine gute Nacht und ging dann in sein Zimmer. Paula missverstand das als Aufforderung, in private Räumlichkeiten zu wechseln, und folgte ihm, indem sie kurz darauf sagte, sie müsse zur Toilette.
Als Rohan aus dem Bad kam, lag Paula schon in seinem Bett und starrte ihn mit großen Augen an, als er, nur noch mit Schlafshorts bekleidet, die Tür öffnete. »Ähm ... ich dachte, du pennst auf der Couch?«, fragte er irritiert und blieb stehen.
»Josh und Dana gucken doch noch ... und ich bin auch müde«, redete sie sich heraus.
»Oh Mann ... na schön«, seufzte Rohan und fragte sich, ob der Tag noch schlimmer werden konnte, dann legte er sich neben sie, auf die Decke.
Nach einer Weile flüsterte ihm Paula zu: »Roi ... wird dir nicht kalt? Leg dich doch wenigstens zu mir unters Laken.«
Rohan war schon halb weggeratzt und begriff überhaupt nicht, wie ernst die Situation für das junge Mädchen war. Für ihn stellte sie nur eine kleine Göre dar, die absolut nichts Sexuelles an sich hatte ... fast als würde er mit einem übergroßen Hamster im Bett liegen. Also ließ er sich widerstandslos von ihr zudecken und bemerkte gar nicht, dass sie dichter an seinen Rücken rutschte.
Eine Weile wartete Paula ab, aber als von seiner Seite aus nichts passierte, wurde sie mutiger und legte ihren Arm um ihn. Sie tastete nach seinem harten Bauch, dann rutschte ihre Hand weiter runter und stoppte am Hosenbund.
Paula schnaufte ein wenig frustriert, weil Rohan noch immer seine Schlafshorts trug. Sie hingegen lag vollkommen nackt neben ihm, doch das schien er gar nicht gerafft zu haben, so wie sie nicht mitgekriegt hatte, dass er längst eingeschlafen war.
›Wie kann der einfach so hier liegen, wenn ich zum ersten Mal neben ihm schlafe? ‹, fragte sie sich selbst. ›Na ja, vielleicht hat er Angst, mich zu überfordern? Möglicherweise will er auch nur von meinem Dad oder seinem Bruder keins auf den Deckel kriegen, weil er mich angefasst hat?‹
Sie beschloss, noch eindeutiger die Initiative zu ergreifen, betastete erst seine Hüfte und dann seinen mächtigen Schwanz, der sich unter ihren Berührungen und seinen Träumen nun doch langsam verhärtete. Paula drehte den deutlich älteren Mann mit Mühe und Not auf den Rücken, setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn auf den Mund. Rohan reagierte im Schlaf auf ihre Zuwendung, ohne es zu wissen, und küsste sie zurück, woraufhin sie schließlich seine Hand zu ihrer nassen Vagina führte.
Dann endlich, ganz langsam, erwachte Rohan.
»Oh … Roi, bitte sei sanft zu mir«, flüsterte Paula und schmatzte weiter auf seinen Lippen herum.
»Hä? Was ... ich?« Noch völlig verschlafen bemerkte Rohan erst kurz darauf, wo er mit seiner Hand gerade war. Paula hielt sie fest und drückte sie immer stärker an ihren Körper.
»Igitt!!!« Endlich reagierte er, zog ruckartig die Finger aus dem feuchten Pfläumchen und war plötzlich hellwach. »Was zur Hölle tust du da?!«
Paula schockierte seine Reaktion, doch sie wollte sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen und säuselte einfach weiter: »Roi, bitte entjungfere mich! Ich will, dass du es tust und kein anderer!«
»Was??? « Rohan traf fast der Schlag und plötzlich wurde ihm klar, dass die Sache mit dem zusammen Schlafen von Anfang an geplant war. »Ganz sicher nicht ! Dein Alter bringt mich um, wenn ich dich anrühre«, stotterte er nun doch ein wenig verlegen.
»Er muss es ja nicht erfahren!«, flüsterte sie und fühlte sich nur in ihrer Theorie bestätigt, aber Rohan zerschlug diese sogleich.
»Ich bin schwul, verdammt!!! Warum wollt ihr Weiber mich alle umpolen?!«
»Aber ...« Paula wollte das einfach nicht akzeptieren und blieb demonstrativ auf ihm sitzen. »Joshua hat mal erzählt, du hättest früher auch eine Freundin gehabt! Ähm ... Maria oder so? Also weißt du doch, wie es geht?«
»Die war nicht meine Freundin ! Das war nur ein Herumprobieren meinerseits, ein Versuch, der -«
»Biiiitteeee!«, quengelte Paula weiter und machte sich damit nur noch unattraktiver. »Ich will endlich wissen, wie sich ein G-Punkt-Orgasmus anfühlt! Und den kriegt man nur durch einen Penis!«
Rohan überlegte kurz, dann kam ihm eine Idee. »Na schön! Ich besorg’ dir einen Orgasmus, aber danach fängst du nie wieder mit dem Thema an, klar?«
Paula dachte sich, wenn er einmal in ihr gewesen war, würde er es immer wieder wollen, denn so kannte sie es aus den Erzählungen ihrer Freundinnen. Also willigte sie sofort ein. »Ja, okay!« Ein wenig verwundert war sie dann aber doch, als Rohan sie von seinem Schoß schmiss, in seinem Nachtschrank herumwühlte und sie hörte, wie er eine Plastikverpackung aufriss.
»Hah, danke Steve, du Penner! Hätte nie gedacht, dass dein dämliches Geschenk irgendwann nochmal nützlich sein würde«, murmelte er, und ehe Paula nachfragen konnte, bugsierte Rohan sie auf den Rücken und schob ihre Beine auseinander. »Jetzt schließ die Augen, halt die Klappe und entspann dich, klar?«, schallten seine Anweisungen und sie folgte aufgeregt.
Paula spürte, wie etwas Kühles, Glitschiges in sie eindrang, deutlich schmaler als Rohans Schwanz, aber dafür auch kaum schmerzhaft. Sie keuchte auf, als sich dieses Ding in ihr drehte und der dickste Punkt von innen gegen ihre Bauchdecke drückte. Dann begann dieses Teil zu klopfen. Es schlug aus, ganz leicht, und wurde noch dazu minimal vor- und zurückgeschoben, was ihr unglaublich schöne Gefühle bescherte.
Paula stöhnte schüchtern. Schon nach ein paar Minuten wurde ihr wärmer, dann heiß und schließlich krampfte sich ihre ganze Beckenbodenmuskulatur so sehr zusammen, dass Rohan den G-Punkt-Vibrator kaum noch bewegen konnte. Paula war schwindelig. Warme Wonneschauer durchzogen sie und sie keuchte befriedigt, als der mechanische Freudenspender ihren Körper verließ.
Das Teil war ein Scherzgeschenk seines Schlagzeugers Sven zum alljährlichen Weihnachtswichteln seiner Band gewesen und lag auch nach drei Jahren immer noch originalverpackt zwischen Rohans Sexspielzeugen. Nun hatte es endlich seine Bestimmung gefunden.
»Haaah ... das war ... einfach toll!«, seufzte Paula.
»Ich schenke ihn dir!«, flüsterte ihr Rohan zu und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, drehte sich dann um und ließ sie liegen. »Gute Nacht!«
***
Regen prasselte leise auf das Dach des Hauses. Josh erwachte allmählich aus seinem verworrenen Schlaf, gähnte übermüdet und erhob sich langsam. Es war sehr ruhig im Haus an diesem Morgen, denn alle anderen schliefen noch.
Er zog sich seinen flauschigen Bademantel über, schlunzte die Treppe hinab und setzte sich in einen der Bambusstühle auf die überdachte Terrasse. Der frische Geruch der nassen Wiese und Bäume entspannte ihn, und noch während er die Arme hinter dem Kopf verschränkte, sagte er ganz beiläufig: »Denk nicht mal daran!«
Rohan, der pitschnass hinter ihm stand und gerade seine langen Haare über ihm auswringen wollte, trat jetzt etwas enttäuscht neben ihn auf den kalten, gefliesten Boden.
»Och menno ... woher wusstest du, dass ich da bin?«
Josh zog den Spaßvogel sanft auf seinen Schoß, nahm ihn wie ein zu großes Kind in den Arm und umwickelte seinen nassen, kühlen Körper mit seinem Bademantel.
»Ich kenne dich, seit du geboren wurdest, Zombie. Deine Anschleichversuche waren noch nie besonders leise.«
Rohan kicherte. »Jetzt bist du trotzdem nass!«
»Du warst schon wieder im See, hm?«
Zufrieden nickend kuschelte sich der Badefrosch an seinen Bruder.
»Ich hoffe, eines Tages beißt dir mal ein dicker Wels in den Hintern!«
»Ach, das wünscht du mir?« Für diese Bemerkung kniff Rohan ihm in die Seite und fragte belustigt: »Sag bloß, dich törnen geschwollene Ärsche an?«
»Natürlich, sonst würde ich deinen ja nicht andauernd durchnehmen!« Josh lachte, als ihm dafür scherzhaft eine Kopfnuss verabreicht wurde.
Der Schauer nahm zu und der Wind frischte auf.
»Andauernd ist ja wohl übertrieben! Wie oft haben wir denn schon noch Sex? Dreimal im Monat?« Rohan seufzte, während Josh ihm liebevoll auf die Stirn küsste.
»Auf jeden Fall mehr als ich mit meiner Frau habe, also halt die Gusche und genieß’ den Regen.«
Plötzlich vernahmen die beiden ein leises Geräusch, blickten hastig zur Terrassentür und entdeckten dort Paula, die sie fassungslos anstarrte. Erst liefen ihr nur ein paar Tränen über die Wangen, doch dann schluchzte sie los, während sie Rohan taxierte.
»Deshalb willst du mich nicht? Wegen Josh ?« Der schob seinen geschockten Bruder sofort von sich herunter, stand auf und wollte Paula beruhigen, doch die stieß ihn weg und brüllte ihn an: »Ihr seid ja so was von ekelhaft ! Ihr seid doch Brüder ! Wie kann man so abartig sein?«
Wie auf der Flucht rannte sie zurück ins Gästezimmer, schloss sich dort ein und rief von ihrem Handy aus ihren Vater an, der sie sofort abholen sollte.
Als Josh ihr völlig panisch hinterherlaufen wollte, hielt Rohan ihn fest.
»Warte! Überleg dir jetzt ganz genau, was du tust! Was ist dir wichtiger? Dein ganzes zukünftiges Leben oder die eh schon bescheidene Beziehung zu deiner Halbschwester?« Josh sah ihn perplex an, doch Rohan erläuterte ihm seinen Gedankengang. »Hör zu! Paula wollte gestern Nacht mit mir schlafe n, was ich natürlich abgeblockt habe! Du behauptest jetzt einfach, dass sie deshalb wütend auf mich ist und sich ’ne Story ausgedacht hat, um es mir heimzuzahlen, klar?«
»Aber ... das kann ich doch nicht -«
»Willst du lieber vor allen zugeben, dass sie recht hat?«, fiel ihm Rohan ins Wort und sah ihn ernst an.
»Nein, aber ... ich ... Mann!!! So eine verflucht verdammte Scheiße! « Josh bekam sich gar nicht mehr ein. Er fragte sich, wie er nur so dämlich gewesen sein konnte, solch explizite Dinge auszusprechen, während er doch genau wusste, dass Dana und Paula im Haus waren? Letztere war jetzt natürlich geschockt und Josh befürchtete, dass sie jedem in ihrer Familie und vor allem Dana erzählen würde, was sie gehört hatte.
Josh sah nur zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Er konnte sich vor seine Familie stellen, alles zugeben und darauf hoffen, dass sie ihn nicht als perversen Wichser in der Luft zerreißen würden, oder es leugnen und damit weiterhin alle Menschen um sich herum belügen. Dafür würde seine Schwester ihn vermutlich für den Rest ihres Lebens hassen.
Josh sah zu Rohan rüber. Konnte er ihm das tatsächlich antun? Sie beide, oder eher gesagt Josh, hatten bis jetzt erfolgreich alles dafür getan, dass ihre Affäre unentdeckt geblieben war. Rohan musste sich die ganze Zeit wie eine versteckte, kleine Geliebte vorgekommen sein, und Josh schoss durch den Kopf, dass sie im Grunde gar keine echte Beziehung mehr hatten. Eigentlich war Sex das Einzige, was sie in letzter Zeit verband. Josh wollte das aber nicht. Er liebte Rohan nach wie vor über alles und wusste auch noch ganz genau, wie schmerzhaft ihre damalige Trennung in der Uni gewesen war. Eine weitere kam für Josh nicht in Frage, denn die würde er nicht verkraften. Rohan könnte vielleicht seinen Weg finden, aber Josh fühlte sich nicht so stark wie sein geliebter Bruder.
Dana würde vermutlich durchdrehen, ganz klar! Doch sie würde sich wahrscheinlich nicht von ihm trennen. Dafür hatte sie ein viel zu gemütliches und gesichertes Leben an seiner Seite. Sie würde darauf bestehen, Rohan hinauszuwerfen, und garantiert wäre sie davon überzeugt, dass dessen Verführungskünste nur deshalb von Erfolg gekrönt waren, weil sie in letzter Zeit nicht mehr so oft mit ihrem Ehemann geschlafen hatte. Sie würde es vermutlich als eine Art fehlgeleitete Phase durch Vernachlässigung bezeichnen, wenn sie mit anderen darüber sprach, und Josh würde sich mit mitleidigen und verständnisvollen Blicken und Sprüchen konfrontiert sehen.
Doch dieses Spiel würde er nicht mitmachen. Wahrscheinlich würde es so enden, dass er Rohan wieder ausfindig machte und sich heimlich mit ihm traf. Oder aber er würde komplett durchdrehen und Dana eine riesige Szene machen. Er würde sich aufführen wie ein Drogenabhängiger, der seinen Betreuer in der Entzugsklinik um eine Dosis seines Stoffs anbettelt, dabei unter Tränen zusammenbricht und ihn verflucht, anschreit und bedroht, weil er ihm nicht geben will, was er so dringend braucht.
Nachdenklich blickte er in Rohans fragendes Gesicht und traf eine Entscheidung.
»Also?«, fragte dieser vorsichtig nach, denn bisher hatte er ja keine Antwort bekommen. »Was machen wir jetzt? Paula unter Druck setzen und hoffen, dass sie nichts verrät, oder einfach alles leugnen?« Josh hörte den sarkastischen Unterton in seiner Stimme und wusste genau, woher dieser rührte. Er selbst hatte die Schnauze voll von dem Versteckspiel und dem, was sie allen anderen vorspielten. Es war für sie beide belastend, aber für Rohan musste es noch viel schlimmer sein, denn immerhin war er derjenige, der verleugnet wurde.
Josh war emotional total erschöpft, er umfasste seinen Bruder, drängte sich an ihn und legte ihm die Arme um die Schultern. Verunsichert erwiderte dieser die Umarmung, drückte ihn sanft an sich und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Schläfe.
»Heißt das jetzt ... Good Bye?«, fragte sein Geliebter kleinlaut, doch noch während sie sich so innig umschlungen hielten, wusste Josh, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
***
Paula war so elend zumute, dass sie zitterte. So wütend war sie noch nie zuvor gewesen.
›Wie können die mir so etwas antun? ... Wie können sie das überhaupt tun? Die sind doch Halbbrüder?!‹
Paula liebte ihren großen Bruder durchaus, aber noch viel mehr liebte sie Roi, und diese neueste Erkenntnis war etwas, das sie nur schwer überwinden konnte. Für sie war es einfach vollkommen unverständlich, was die beiden machten.
Als sie das Auto ihres Vaters vorfahren hörte, schloss sie die Gästezimmertür auf, rannte mit ihrem Rucksack durch die Haustür nach draußen und brach dabei erneut in Tränen aus. In aller Eile stieg sie ins Auto ein und rief schon beinahe panisch: »Fahr los! Ich will endlich weg hier!«
Renè war völlig bestürzt, seine Tochter so zu sehen, und fragte gleich nach: »Schätzchen, was ist denn los? Was ist passiert?« Paula weinte jedoch derart heftig, dass es schwer war, sie zu verstehen. »Paula, jetzt beruhige dich doch bitte erst einmal! Ich verstehe dich ja kaum. Was ist mit Josh und Rohan? Ist ihnen etwas zugestoßen?«
Paula schüttelte nur den Kopf und forderte wimmernd: »Fahr bitte erst von hier weg! Ich will nach Hause!«
Obwohl ihn das Verhalten seiner Tochter beunruhigte, tat er, was sie verlangte, und schon nach wenigen Minuten rollten sie in die Einfahrt ihres eigenen Hauses. Nachdem Paula sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, erzählte sie ihrem Vater noch einmal von ihren Beobachtungen, diesmal verständlicher. Renè hörte ihr aufmerksam zu, zeigte jedoch keinerlei Anzeichen von Überraschung oder Bestürztheit, was seine Tochter sehr verwunderte.
»Was ist los Papa? Wie kannst du nur so ein gelassenes Gesicht machen? Hast du nicht richtig zugehört? Josh und Rohan haben Sex miteinander und das anscheinend schon sehr lange!«
Renè ließ nicht erkennen, ob er die Frage verstanden hatte. Seine Gedanken richteten sich kurz auf Goh, bevor er sich über die Stirn wischte und Paula ernst ansah. »Was du bei den beiden gehört hast, behältst du bitte für dich! Es geht dabei nicht um dich , okay? Die zwei müssen das ganz allein entscheiden! Das Ganze geht uns nichts an!«
Paula sah ihren Vater verständnislos an, bis sie endlich begriff. »Du ... du wusstest es schon, stimmt ’s? Du hast es die ganze Zeit über gewusst! Bist du vielleicht noch stolz darauf, was dein perverser Sohn so alles treibt?«
Das war zu viel für Renè. Er war furchtbar stolz auf seinen Joshua, zwar nicht unbedingt auf dessen Beziehung zu Rohan, aber auf all das, was er in seinem bisherigen Leben geleistet hatte. Er würde nicht zulassen, dass seine Tochter so abwertend über ihn sprach.
»Wage es ja nicht , so über deinen Bruder zu reden, verstanden?!« Renè schlug einen lauteren Tonfall an, den er nur selten bei seinen Kindern gebrauchte. »Natürlich bin ich besorgt, wenn ich so mitbekomme, wie die Beziehung zwischen Josh und Rohan aus dem Ruder gelaufen ist, aber ich toleriere es, da ich die ganzen Jahre über gesehen habe, wie sehr sie sich brauchen! Die beiden teilen eine verzweifelte Liebe, die in der Öffentlichkeit verurteilt wird. Liebe kann man aber nicht einfach so ablegen wie einen Mantel. Du bist hauptsächlich deshalb so außer dir, Paula, weil du dich in deiner Ehre als junge Frau gekränkt fühlst und deine Gefühle von Rohan nicht erwidert werden.«
»Aber … aber das mit den beiden ist doch verboten , oder?!« Paula schluchzte heftig.
»Nein, meine Große, da irrst du dich. Es ist verboten , wenn ein Bruder mit seiner Schwester schläft. Doch bei Brüdern verhält sich das anders. Sie können keine Kinder in ihrer Beziehung zeugen und der homosexuelle Akt an sich ist auch nicht gesetzeswidrig ... Nun komm her!« Renè öffnete seine Arme und Paula klammerte sich weinend an ihn. »Du wirst schon drüber wegkommen, mein Kind, ganz sicher. Bald kannst du das alles mit Abstand betrachten und hoffentlich die starke Zuneigung zwischen den beiden sehen, genauso wie ich es tue.«
Paula nickte. Natürlich war es für sie ein großer Schock, den sie verarbeiten musste, aber sie hatte ihren Bruder lieb und Rohan war ihre erste große Liebe, also wollte sie die beiden auch nicht ins Verderben stürzen.
»Versprichst du mir, dass du es niemandem erzählst?«, wollte Renè wissen und Paula zögerte einen Moment, nickte dann aber. »Okay. He, wie wär’s? Du beruhigst dich, trocknest deine Tränen und wir fahren zusammen was Frühstücken, hm? Wär das okay?« Renè lächelte sie betont aufmunternd an.
»Ja, klingt gut.« Paula erwiderte das Lächeln ihres Vaters und bemühte sich, die Tränen versiegen zu lassen.
***
Als Dana aufwachte, hörte sie, wie jemand in der Küche den Tisch zu decken schien. Das Klappern von Geschirr war zu vernehmen und ihr stieg der angenehme Geruch von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase. Sie erhob sich verwundert, zog sich einen leichten Satinbademantel über und überzeugte sich mit einem kurzen Blick ins Babybettchen, ob der kleine Noah noch schlief. Er enttäuschte seine Mutter nicht und sie seufzte dankbar, da sie befürchtet hatte, sich sofort wieder um ihn kümmern zu müssen, ohne erst mal ihren morgendlichen Kaffee getrunken zu haben. Langsam schlich sie die Treppe hinunter, um zu sehen, wer denn da gerade Frühstück machte.
In ihrem Kopf spukten schon wieder unschöne Fantasien von Rohan herum, der für irgendeinen Stricher hin und her räumte und diesem von ihrem Essen und ihrem Kaffee servierte, gleichwohl so etwas noch nie vorgekommen war. Im selben Augenblick echauffierte sie sich innerlich, dass er sich nicht einmal anteilmäßig am Kauf der Nahrungsmittel beteiligte und alles in ihrem Haus nutzte, als wäre es seins! Einem Haus, in dem es ein kleines Kind gab, das von solchen Menschen ferngehalten werden sollte! In letzter Zeit hatte sie immer mehr das Gefühl, Rohan und Joshua würden hier wohnen und sie selbst sei nur zu Gast!
Als sie schließlich an der Tür zur Küche stand, entkam ein überraschtes »Oh!« ihrer Kehle, als sie sah, wer da wirklich herumwerkelte. Da sah sie doch tatsächlich ihren Ehemann mit einer Kochschürze, der gerade ein paar Spiegeleier briet. Viel mehr fiel ihr jedoch auf, dass der Tisch nur für zwei Personen gedeckt war.
»Guten Morgen!«, begrüßte ihn Dana freundlich.
»Guten Morgen«, erwiderte Josh und gab ihr sogar einen kleinen Kuss.
»Was ist denn los? Ist Paula schon weg? Und möchte Rohan heute nicht mit uns zusammen frühstücken?«
Josh sah sie kurz an und schmunzelte amüsiert. »Doch, aber ich nicht. Ich mache mir schnell etwas fertig und verschwinde dann in die Praxis. Es ist ja schon nach zehn! Wir machen heute Inventur.«
»Hrmpf.« Dana war enttäuscht. »Es ist Sonntag ! Könnt ihr das denn nicht in der Woche erledigen?« Sie hatte gehofft, endlich mal mit ihrem Mann ganz alleine am Tisch zu sitzen, ohne dass sein Bruder dabei war. Und jetzt musste sie sogar ohne Joshs Beistand mit ihm essen.
»Leider geht das nicht, wenn wir laufenden Betrieb haben, und gestern hatte Dad irgendetwas Wichtiges vor, deshalb haben wir es auf heute verschoben. Tut mir wirklich leid.« Er seufzte, doch dann strich er ihr liebevoll über den Oberarm. »Hör mal Dana, wenn ich heute Abend zurückkomme, sei bitte ausgehfertig, ja? Ich möchte etwas Wichtiges mit dir besprechen und deshalb dachte ich, wir gehen in dieses edle Restaurant, in das du die ganze Zeit wolltest?!«
Dana stockte vor Freude fast der Atem. »Wirklich? Oh, wenn ich das Cindy erzähle! Die wird sicher ganz grün vor Neid!« Sie fiel Josh um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich.
In diesem kurzen Moment erkannte er sogar einen Funken von dem Mädchen wieder, das er geheiratet hatte. »Also dann, ich muss los. Bis heute Abend!« Er drückte sie noch einmal kurz und ging dann zur Haustür.
Sobald diese ins Schloss gefallen und das Motorengeräusch seines wegfahrenden Autos zu hören war, schnappte sich Dana wunschlos glücklich und zufrieden ihr Handy und setzte sich an den Tisch. Sie telefonierte mit Cindy und hörte damit auch nicht auf, als sich Rohan wenige Minuten später mit an den Tisch setzte. Selbst die Tatsache, dass er das nur in Boxershorts tat, konnte ihr die Laune nicht verderben. Heute spielte das für sie keine Rolle, obwohl sie es sonst hasste und sich sicher war, dass er das ganz genau wusste und sich nur aus Trotz so spärlich bekleidet an den Tisch wagte. Dass Rohan heute jedoch alles andere als trotzig, sondern eher missmutig dreinsah, bemerkte sie gar nicht.
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Den ganzen Tag über spukte Rohan nur ein einziger Gedanke im Kopf herum: Wie würde Josh sich entscheiden? Würde er ihre Beziehung weiterhin verheimlichen oder sie gar beenden? Nur zu gern hätte er wenigstens einmal gehört, dass Josh sich dagegen sträuben würde, alles weiter geheim zu halten. Dies wäre in seinen Augen ein viel größerer Liebesbeweis als der Sex oder seine Liebesgeständnisse. Natürlich hätte er ihn gleich wieder zur Vernunft gebracht, aber es wäre doch schön gewesen, es einfach mal zu hören. Insgeheim war er von seinem Bruder inzwischen ziemlich enttäuscht. Neben dem perfekten Kleinstadtleben, das er sich mit Haus, Frau und Kind aufgebaut hatte, führte er nun schon so lange diese heimliche Affäre mit ihm, die irgendwie auch verhinderte, dass er sich fest auf jemand anderen einlassen konnte.
Wer weiß, wo er jetzt wäre, wenn sie sich damals endgültig getrennt hätten? Vielleicht hätte er inzwischen einen Partner, mit dem er auch in einem Haus wohnen und Kinder adoptieren konnte? Insofern er denn wollen würde ... Jedenfalls würde er sicher nicht mehr so sehr an Joshua kleben und ständig in seinem Gästezimmer wohnen.
Ja, Rohan kam sich auf eine gewisse Art ausgenutzt vor. Immerhin kann man jahrelang »Ich liebe dich! « sagen, aber wenn man keine Taten sprechen lässt, was sind diese Worte dann wert?
›Sind Joshs Gefühle für mich vielleicht doch abgekühlt? Bin ich nur noch so etwas wie der Fick für zwischendurch?‹
Ihm wurde bei diesem Gedanken plötzlich ganz anders. Möglicherweise hatte Dana Josh doch davon überzeugen können, dass sie als Frau besser für ihn war? Nein, daran wollte er nicht denken! Vor allem würde Dana Josh nicht sexuell umlenken können, und mit dieser merkwürdigen, neuen Frisur erst recht nicht, denn immerhin sah sie aus wie eine übergewichtige, weibliche Kopie von Jack Frost !
Rohan seufzte schwer. Wieso konnte in seinem Leben nicht einmal etwas völlig unkompliziert ablaufen? Er fragte sich, was Josh Dana heute Abend sagen wollte? Ging es um ihn? Das bezweifelte er stark. Dana wäre empört, würde sicher eine riesige Szene machen und aus Rache vielleicht sogar noch seinen Ruf als Arzt zerstören. Er seufzte erneut. Josh würde hoffentlich wissen, was er tat, allerdings hätte er seine Entscheidung gern vorher gewusst.
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Dana war so aufgeregt wie lange nicht mehr. Schon beim Frühstück verabredete sie sich mit ihrer Freundin Cindy, um sich zum Shoppen in ihrem Designerladen zu treffen. Zwar arbeitete die dort nur als Verkäuferin, doch sie hatte die Schlüssel und konnte so jederzeit hinein. Ein neues, kostspieliges Kleid musste her, was dem Anlass gerecht wurde! Dazu ein Korsett, um in den Fummel hineinzupassen, Kompressionsstrumpfhosen und ein schicker Push-up BH! Dazu legte Cindy ihrer Freundin noch ein Gala-Make-up auf. Als sie fertig waren, erholten beide sich in einem Café bei Frappuccino und Kuchen.
»Es ist wirklich erstaunlich, dass er dich plötzlich zu so etwas einlädt, sonst ist er doch immer so knickrig mit euren Ausgeh-Abenden.« Cindy rauchte gerade ihre zwölfte Zigarette und sah Dana durch den Qualm hindurch erfreut an. In leicht quiekender Tonlage fuhr sie fort: »Er scheint endlich aufgewacht zu sein und erkennt, was er an dir hat!«
Dana nippte an ihrer Tasse. »Ja, nicht wahr? Hach ... Cindy, du weißt gar nicht, wie glücklich ich darüber bin. Vielleicht kann ich ihn ja heute oder zumindest in nächster Zeit auch endlich davon überzeugen, seinen dämlichen Bruder vor die Tür zu setzen! Ich denke kaum noch an etwas anderes!«
Begeistert fiepste Cindy auf. »Dann schickt den doch am besten zu mir! Ich habe mehr als genug Platz! Und die Miete muss er mir dann in Naturalien zahlen.« Sie gackerte laut, aber Dana schüttelte nur den Kopf.
»Ich kann einfach nicht verstehen, was du so toll an ihm findest, wo ich dir doch schon so viel von seinem Wesen erzählt habe. Ist es nur, weil er einen tollen Körper hat? Außerdem macht er es mit Männern , ist dir das klar? Wie kannst du so jemanden überhaupt noch anfassen wollen?!«
Cindy winkte ab. »Ach was, das hindert mich nicht! Männer sind erziehbar, und den beiden hier«, sie zeigte dabei auf ihre Brüste, » konnte bis jetzt noch keiner widerstehen!« Sie lachte wieder und Dana stimmte mit einem beschämten Kichern ein.
»Wenn ihn eine ans weibliche Ufer bekommt, dann du!«, verkündete Dana, von den Qualitäten ihrer Freundin überzeugt.
»Sag mal, wer kümmert sich heute eigentlich um deinen kleinen Noah?«, wechselte Cindy auf einmal das Thema und Dana verzog das Gesicht.
»Ich habe leider so kurzfristig keinen Babysitter finden können und darum ...«
»Darum hast du ihn bei deinem ach so furchtbaren Schwager gelassen, stimmt ’s?«
Grummelnd stimmte sie ihrer Freundin zu. »Na ja, er kümmert sich ganz gut um ihn, das muss ich schon zugeben. Ich musste ihm zwar einige Instruktionen geben und klarstellen, was er alles sein lassen soll, aber seitdem klappt es ganz gut.«
Cindy grinste verschmitzt. »Na siehste! Wenn er reif genug ist, sich um ein Kind zu kümmern, sollte ich die Pille wohl bald wieder absetzen, was?«
Doch diesmal stimmte Dana nicht in das Lachen ihrer Freundin ein, denn sie wusste, Cindy meinte stets ernst, was sie sagte. Darüber konnte sie auch mit ihrem Lachen nicht hinwegtäuschen. Oft genug hatte sie versucht, ihr zu erklären, dass Rohan einer der Männer war, die sich definitiv nicht fortpflanzen sollten. Außerdem wusste sie, dass er ihre Freundin abstoßend fand. Irgendwie tat Cindy ihr leid, sie hatte sich in eine völlig hoffnungslose Schwärmerei verrannt und schien davon nicht loszukommen. Vielleicht musste sie Rohan erst mal mit einem anderen Mann sehen, um zu begreifen, was Dana ihr schon die ganze Zeit zu verdeutlichen versuchte.
***
Am Abend wartete Dana nervös auf ihren Mann.
›Hoffentlich hat er es sich nicht anders überlegt.‹
Meist war er so erschöpft von seiner Arbeit, dass er zu rein gar nichts mehr Lust hatte, aber heute war ja nur Inventur, also würde es wohl nicht ganz so schlimm werden.
Sie wurde nicht enttäuscht, denn nachdem Josh nach Hause gekommen war und sie für ihr schönes Aussehen gelobt hatte, bat er sie, kurz zu warten. Er wollte sich nur noch schnell duschen und seinen Anzug anziehen. Bevor sie sich auf den Weg machten, gab er seinem Sohn einen Kuss auf die Stirn und sprach danach ganz kurz mit seinem Bruder, der auf den Kleinen aufpassen würde.
»Was hast du deinem Bruder denn gesagt?«, fragte Dana neugierig, sobald sie im Auto saßen.
Josh zuckte nur mit den Schultern. »Ich habe ihn begrüßt und ihm Bescheid gegeben, dass wir jetzt losfahren. Außerdem habe ich ihm die Telefonnummer des Restaurants notiert, sollte er mich auf dem Handy nicht erreichen. Immerhin muss ich den Ton ausschalten, wenn wir dort essen.«
Sie nickte zufrieden und strich ihrem Mann liebevoll übers Gesicht. »Du bist so ein umsichtiger Mensch.«
Josh lächelte nur. »Ich weiß ...«
***
Der Abend verlief sehr vielversprechend für Dana. Josh hatte einen erstklassigen Tisch reservieren lassen, der bei ihrem Eintreffen im Restaurant bereits mit Kerzen dekoriert worden war. Neben dem Tisch stand ein kleines Wägelchen mit einem Eiskübel, in dem eine Flasche Sekt darauf wartete, geöffnet zu werden. Das Essen schmeckte ausgezeichnet, und auch wenn es nur winzige Portionen waren, gefiel Dana der Abend so gut, dass sie ganz vergaß, dass ihr Mann etwas Wichtiges mit ihr besprechen wollte.
Josh war ein paar Mal kurz davor, seine Rede zu beginnen, doch als er sah, wie glücklich seine Frau strahlte, beschloss er, den Abend einfach nur zu genießen und das Gespräch auf den nächsten Tag zu verschieben.
Dana machte alberne Witze, benahm sich aber auch ganz schüchtern, wenn der noble Kellner kam, und wirkte fast wie zu der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten. Dann gackerte sie plötzlich ungehemmt vor sich hin, was wohl dem Alkohol geschuldet war. Doch trotz aller Harmonie kreisten Joshs Gedanken immer mal wieder um seinen Bruder und er fragte sich amüsiert, ob dieser gerade fieberhaft darüber nachgrübelte, was bei ihnen im Restaurant passieren würde. Josh wusste zwar, was er selbst vorhatte, und erahnte die ungefähren Auswirkungen, aber er hatte doch ein wenig Angst vor der Realität. Er sah Dana an und diese strahlte ihm mit einem zufriedenen Lächeln entgegen. Sie genoss diesen Abend und war außerordentlich gut gelaunt, während es Josh bei einigen der sich ihm aufdrängenden Gedanken zunehmend mulmiger wurde. Er würde eine langjährige Beziehung beenden und dann würde kein Funken Frieden mehr in seinem Haus herrschen, obwohl … eine glückliche Person gäbe es sicher.
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Josh brachte die zum Schluss sturzbetrunkene Dana nur noch ins Bett, fragte Rohan, ob alles in Ordnung war und nahm den kleinen Noah auf den Arm, welcher auf der Brust seines Bruders geschlafen hatte. Ohne ein weiteres Wort über den Abend zu verlieren, wünschte er eine gute Nacht und ging nach oben.
Am folgenden Tag begann Joshs zweiwöchiger Urlaub und er wollte die Zeit nutzen, um endlich klare Verhältnisse in seinem Leben zu schaffen.
Nachdem sie lange ausgeschlafen hatten, schwebte Josh in der Küche eine glückliche Dana entgegen und drückte ihm einen überschwänglichen Kuss auf die Lippen. »Guten Morgen, Hasipupsi! Setz dich!« Daraufhin schob sie ihn sanft zum Esstisch, an dem Rohan bereits Platz genommen hatte, und servierte mit einem Lächeln hausgemachte Eierkuchen. Josh nickte seinem Bruder nur zu, bedankte sich höflich bei seiner Frau und fing dann an zu essen.
Rohan beobachtete die beiden eine Weile und sein mulmiges Gefühl wuchs sekündlich. Danas euphorischer Reaktion nach zu urteilen, konnte die Aussprache nicht so verlaufen sein, wie er selbst es sich erhofft hatte. Schließlich überwand er sich zu einer Frage. »Also ... wie war euer Abend?«
Bevor Josh darauf antworten konnte, drehte sich Dana zu Rohan um und überschüttete ihn mit einem wahren Redeschwall: »Ach, es war einfach wundervoll ! Der Tisch war ganz exquisit mit Kerzen geschmückt, das Essen war erstklassig und der überaus höfliche Kellner füllte immer fleißig mein Sektchen nach! Es gab sogar eine kleine Band, die für romantische Musik sorgte, und wir haben miteinander getanzt. Hach … es war so schön!« Sie warf Rohan ein leichtes Schmunzeln zu. »Vielleicht lernst du ja auch mal jemanden kennen, dem du so wichtig bist, dass er dich an einen solch noblen Ort ausführt! Das würde dir bestimmt gefallen!«
So kannte er Dana gar nicht. Was war denn plötzlich in sie gefahren? Der Abend musste wie eine Bombe eingeschlagen haben, wenn sie zumindest für einen Augenblick sogar ihren Hass auf ihn vergaß.
»Ja.« Rohan warf Josh einen herausfordernden Blick zu. »Ist nicht leicht, jemanden zu finden, der es so ernst mit einem meint.«
Josh wich seinem Blick jedoch aus und beendete wortlos sein Frühstück. Als sich Rohan dann einen weiteren Eierkuchen auf den Teller legen wollte, legte Josh seine Hand auf die seines Bruders, um ihn daran zu hindern. Danach sah er ihm zum ersten Mal an diesem Morgen direkt in die Augen. Sein Ausdruck war reserviert, fast schon kühl, und das, was er dann sagte, brachte Danas Herz zum Hüpfen. »Rohan, es tut mir leid, aber wir brauchen das Gästezimmer wieder für unsere Besucher! Dafür war es schließlich gedacht. Seit einer Ewigkeit müssen Freunde, die uns besuchen kommen, auf der Couch schlafen, weil du das Zimmer belegst. Ich würde dich also bitten, deine Sachen zusammenzupacken.« Josh zog seine Hand zurück und trank seinen Kaffee, als hätte er gerade übers Wetter geredet. Rohan hingegen stockte der Atem. Er konnte nicht fassen, was sein Bruder soeben zu ihm gesagt hatte.
Völlig perplex stotterte er: »I-Ich ... bist du sicher? Ich ... ich dachte, dass -«
»Am besten sofort !«, unterbrach ihn Josh.
»Wie du meinst ...« Zu keiner weiteren Reaktion mehr fähig, stand Rohan auf, blickte nur noch auf den Boden und ging dann ins Gästezimmer, um seine Sachen auszuräumen.
Dana war die fassungslose Freude über das Gehörte ins Gesicht geschrieben, doch bevor sie sich bei ihrem Mann bedanken konnte, richtete er auch schon das Wort an sie: »Dana, du weißt, ich wollte gestern etwas besprechen.« Schnell stellte sie ihren Teller in der Spüle ab und kam wieder zu ihm. »Setz dich bitte.« Sie kam seiner Aufforderung sofort nach und pflanzte sich grinsend auf den Stuhl. Josh nahm ihre Hand und sah ihr mit ernstem Gesicht tief in die Augen. »Dana, bitte sag mir ehrlich .... bist du mit unserer Ehe zufrieden?«
Sie stutzte, denn diese Frage hatte sie nicht erwartet. »Was? Wie meinst du das?«
Josh holte tief Luft. »Nun ... wir haben in den letzten zwei Jahren mehr gestritten als je zuvor, vor allem wenn es um meine Familie ging.« Er sagte absichtlich nicht, dass er damit eigentlich nur seinen Bruder meinte.
Dana lachte jedoch nur und winkte ab. »Ach Schatz, Streit ist für ein Ehepaar nichts Ungewöhnliches. Außerdem haben wir uns doch beide dazu entschieden, ein Kind zu bekommen, um unsere Ehe zu kitten!?«
»Hat es geklappt?« Josh zog fragend eine Augenbraue hoch, obwohl er die Antwort wusste.
Fassungslos starrte Dana ihren Ehemann an und realisierte nur langsam, dass er über eine Trennung nachdachte. »Ich ... ich hatte schon das Gefühl, ja!?« Das war gelogen. Sie wusste selbst, dass mit ihrer Ehe etwas nicht stimmte. Es war nur schwer zu sagen, was .
»Du lügst!«, entfuhr es Josh.
Dana zuckte schuldbewusst zusammen, während er sie mit beherrschtem Blick ansah. »Aber ... gestern Abend war es doch so schön. Wenn wir so etwas öfter machen würden, dann -«
»Das können wir uns nicht leisten«, unterbrach sie Josh und schüttelte den Kopf. »Die Qualität einer Beziehung sollte doch auch nicht davon abhängen, wie oft man teuer essen geht?! Ich wollte uns beiden noch eine letzte Chance geben, sehen, was ich fühle, aber ich habe einfach ... gar nichts empfunden.«
»Du hast nichts empfunden?« Dana bekam Schnappatmung. »Willst du mir ernsthaft erzählen, dass du mich nicht mehr liebst und gestern Abend keinen Spaß hattest?« Josh hatte es geahnt. Nun fing sie an, hysterisch zu werden.
»Doch, es hat mir Spaß gemacht, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, mit meiner Frau wegzugehen, sondern eher mit -«
»Jetzt sag nicht mit einer Freundin !«, fuhr sie ihm dazwischen. »Das kann überhaupt nicht sein! In unserem Leben ist alles perfekt! Du liebst mich und ich liebe dich! Das Einzige, was gestört hat, war dein dämlicher Bruder! Du empfindest sehr viel für mich, das weiß ich, und wenn er erst weg ist, wird alles wieder gut!«
»Nein, Dana. Das wird es nicht.« Josh suchte einen Moment nach den passenden Worten. »Ich empfinde für dich nicht das, was ein Mann für seine Frau empfinden sollte. Meiner Ansicht nach hat unsere Ehe keine Zukunft ... weil mein Herz einer anderen Person gehört!«
Dana wurde kreidebleich. »Du hast eine Andere?«
»Ich liebe jemand anderes, ja, das stimmt ...«, gab er endlich zu und wandte sich ab.
»Josh, wie -«
» ... aber es ist keine Frau!«
Dana erstarrte buchstäblich vor Schock und brauchte mehrere Minuten, um das Gesagte zu verarbeiten.
›Er hat sich mit einem anderen Mann eingelassen? Bin ich so abstoßend für ihn, dass er es lieber mit einem Kerl treibt als mit mir? Aber er ist doch hetero!‹
»Das hast du dir gerade ausgedacht, oder? Das … das ist ein Witz ! Bin ich bei der versteckten Kamera? Das kann doch nicht sein! Du bist nicht schwul! «
Josh ignorierte ihre Frage. »Ich weiß, dass das ein riesiger Schock für dich sein muss, aber ich liebe diesen Mann schon seit einer halben Ewigkeit. Ich wollte von ihm loskommen, ein normales Leben führen, aber ich kann einfach nicht ohne ihn. Deshalb habe ich für uns alle entschieden, dass es besser ist, wenn wir uns scheiden lassen!«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, zuckte Dana zusammen und dann stieg unbändige Wut in ihr hoch. »Du weißt doch überhaupt nicht, was du da redest !!! Das … das war ... garantiert dein nichtsnutziger, dämlicher Bruder!! Genau ! Er muss dir eine Gehirnwäsche verpasst haben!«
Josh sah sie belustigt an. »Sei bitte nicht albern! Glaubst du ernsthaft, Roi sei ein psychologisch-manipulierendes Genie?«
Eine Weile herrschte zwischen beiden eine schier unerträgliche Stille, doch nachdem sich Dana ein wenig beruhigt und es irgendwie geschafft hatte, ihre Tränen zurückzuhalten, platzte sie heraus: »Wer ist es? Kenne ich ihn?«
Josh vermochte es nicht mehr, sie anzuschauen. »Das werde ich dir nicht sagen.«
»Wieso nicht ???«, kreischte sie und schlug mit einer Hand auf den Tisch.
»Weil ich nicht will , dass du es weißt !«, wurde Josh ebenfalls lauter.
»Ist es Paul, der Kleine aus unserer Uni-Bücherei? Dieser Jeromè aus dem Fitnesscenter? Oder Pascal, der aus dem französischen Restaurant?«
»Ich werde es dir nicht sagen!«, wiederholte sich Josh nur nachdrücklich und sie gab auf.
Um Danas Beherrschung war es nun endgültig geschehen. Ihre Staudämme brachen und die Tränen strömten ihr über die Wangen, während sie schrie: »Ich werde zu Cindy ziehen, bis du endlich wieder zur Vernunft kommst!«
»Das bin ich bereits! Ich habe mir diesen Schritt sehr gut überlegt, Dana. Ich bin kein kleines Kind mehr.«
»Aber genau so verhältst du dich gerade!«, plärrte sie ihm dazwischen. »Du behandelst alle um dich herum wie Spielzeug! Weil du das eine nicht haben darfst, hast du dir das andere genommen. Jetzt bin ich dir langweilig geworden und deshalb wirfst du mich weg, nach allem, was ich für dich getan habe!«
»Denk davon, was du willst!«, schnaufte er erschöpft. »Mein Entschluss steht fest! Ich werde die Scheidung einreichen!«
»Das werden wir ja noch sehen!«, fauchte sie wütend. »Ich packe jetzt meinen Koffer und Noah nehme ich mit!«
»Das wirst du nicht! Ich lasse nicht zu, dass du den Kleinen in die verqualmte Bude deiner Freundin bringst! Du weißt ganz genau, dass er Probleme mit den Bronchien hat!« Joshs Augen blitzten vor Wut, was Dana jedoch nicht davon abhielt, überheblich zu kreischen:
»Ach, komm schon! Nur weil er ab und zu mal gehustet hat!«
Nun schlug auch Josh mit der Faust auf den Tisch. »Ja! Jedes Mal, wenn deine bescheuerte Freundin in seiner Nähe war und kurz vorher gequalmt hat! Du lässt ihn hier! Wenn du deinen Sohn liebst, dann tu das, was für ihn am besten ist und nicht für dein Ego!«
Dana funkelte ihn wütend an. »Schön! Dann bleibt er halt hier! Aber wenn ihm irgendetwas zustößt, während dein beschissener Lover oder dein schrecklicher Bruder da sind, mache ich dich höchstpersönlich dafür verantwortlich und verklag dich aufs letzte Hemd!«
***
Nachdem Dana ihre Sachen gepackt und die Eingangstür hinter sich zugeknallt hatte, herrschte endlich wieder Stille im Haus. Sie quetschte ihre vollgestopften Koffer ins Auto und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Grenzenlose Erleichterung machte sich in Josh breit. Er hatte sich endlich entschieden und den zukünftigen Lebensweg ausgesucht, den er ab sofort gemeinsam mit Rohan gehen wollte, und nicht mit jemandem, den er nicht einmal halb so sehr lieben konnte wie ihn. Auf dem Weg zu seinem Bruder ins Gästezimmer sah er ihn schon fragend im Türrahmen der Küche stehen.
»Also ... was wird das jetzt? Wirfst du uns beide raus und wirst zum Eremiten?«
In dieser Sekunde lachte Josh los und schüttelte den Kopf. »Nein Zombie, du darfst bleiben. Ich wollte nur, dass du deinen Kram zusammenpackst, damit wir ihn nach oben ins Schlafzimmer verfrachten können!«
»Aber ...« Rohan war sichtlich geschockt. »Was sollte dann bitte das ganze Theater? Hättest du mich nicht einweihen können? Mann ey, ich hab mir fast in die Hose geschissen vor Angst, dass du die Scheiße ernst meinst!!!«
»Genau das solltest du auch«, erwiderte Josh leise und ging auf seinen Geliebten zu, um ihn zu umarmen. »Bitte entschuldige die Scharade, aber es musste echt wirken!«
»Ich hätte mein Entsetzen über den Rausschmiss auch vortäuschen können!«, motzte Rohan leise, war aber unendlich dankbar für die Umarmung.
»Nein. Das hätte sie gemerkt. Du bist ein mieser Schauspieler - Aua !« Ein Seitenhieb grüßte seine Rippen. »Es tut mir leid!« Josh lachte verschmitzt.
»Du bist so ein Arsch!«, gab Rohan lachend zurück, doch dann drückte er seine Lippen zitternd auf Joshs Mund und flüsterte ihm zwischen den Küssen beinahe schluchzend zu: »Ich liebe dich ... ich liebe dich so sehr ...«
»Ich dich auch, mein Hübscher! Mehr als alles andere auf der Welt!« Josh hatte seinen Bruder so gut wie nie weinen sehen, doch nun liefen ihm die Tränen, als wären sie über Jahre hinweg angestaut gewesen. Rohan brach richtig vor ihm zusammen, hielt sich die Hände wie ein kleines Kind schützend vors Gesicht und heulte, doch es waren Tränen des Glücks und der Erleichterung.
Josh hielt ihn fest im Arm, gab ihm den Halt, den er brauchte, auch wenn ihm selbst einige Tränen über die Wangen liefen.
»Jetzt wird alles gut, Zombie. Ich verspreche es dir.« Rohans Versuch zu lachen scheiterte kläglich, er brachte nur ein seltsames Wimmern zustande, während er seinen Kopf in Joshs Halsbeuge vergrub. Es war offensichtlich, dass er es immer noch nicht fassen konnte.
»Ich denke, Dana hat das Wichtigste von ihrem persönlichen Kram mitgenommen«, begann Josh nach einigen Minuten. »Sicherheitshalber schaue ich aber nochmal durch und packe alles in Kartons, was ihr gehört. Hast du das Gästezimmer geräumt, wie ich es gesagt habe«? Rohan nickte nur, Josh aber lächelte und fuhr fort: »Gut, dann kommst du jetzt mit mir nach oben! Ich beziehe das Bett neu und wir weihen deinen Einzug in unser Schlafzimmer ein! Was hältst du davon?«
Sprachlos und einfach nur überglücklich nickte Rohan erneut. Seine Haare klebten ihm dabei an seinem verweinten Gesicht, bis er sie, sich für seinen Gefühlsausbruch schämend, zurückstrich.
***
Im Schlafzimmer sah Josh, dass Dana ein Foto von sich als Erinnerung provozierend auf seinen Nachttisch gelegt hatte. Er nahm es in die Hand und packte es ohne sichtbare Gemütsregung in den Karton zu ihren übrigen Sachen.
Nachdem er ihren restlichen Kram auf dem Dachboden verstaut hatte, drängte er Rohan mit einem Kuss auf das neu bezogene Bett. Sie rissen sich förmlich die Kleidung vom Leib, balgten miteinander, ohne den anderen auch nur für eine Sekunde loszulassen.
Als Rohan zu seiner Hose greifen wollte, um ein Kondom herauszuholen, so wie all die Jahre, in denen Josh nun schon verheiratet war, schlug ihm dieser spielerisch auf die Finger.
»Die Teile brauchen wir nicht mehr! Ich will dich ganz spüren! Und über die Wichsflecken brauchst du dir auch keine Gedanken mehr zu machen! Ich werde die Laken erst wechseln, wenn sie steinhart sind, klar? Komm her!«
Joshua küsste Rohan, bis er jede Stelle an seinem Körper mit seinen Zärtlichkeiten verwöhnt hatte. Ihm stand der Sinn nach richtig schmutzigem, lautem Sex, so wie sie ihn sonst nie haben konnten.
Er nahm sich das kleine Fläschchen mit Massageöl, welches in seiner Nachttischschublade lag, beträufelte damit den nackten, frisch rasierten Unterleib seines Liebsten, verteilte das Öl zwischen seinen samtweichen Schenkeln und fuhr mit den Fingern erregt durch dessen Spalt. Ungeduldig drehte sich Rohan auf den Bauch und endlich schob sich Josh in ihn hinein. Rohan stöhnte auf, krampfte zusammen und versuchte am hohen Bettgestell Halt zu finden. Joshs Augen funkelten gierig. Er spürte, wie sehr der enge Kanal seinen Schwanz zusammenpresste, packte Rohans Hände, hielt sie auf seinem Rücken zusammen, sodass er sich ihm nun völlig wehrlos präsentieren musste. Es machte ihn an, zu sehen, wie sich Rohan vor Geilheit wand, wenn sein harter Pfahl immer und immer wieder in ihn eindrang. Sie hatten es zuvor nur selten bei Tageslicht getan, sodass dieser Anblick einfach nur fantastisch war.
Rohan genoss es, so gedehnt zu werden, und Joshs schnelle Fickstöße ließen ihn keuchen. Josh biss ihm in den Hals, konnte nicht mehr, presste sich nun bis zum Anschlag in ihn und ließ ihn dann seine kontrahierenden, pumpenden Muskeln spüren. Auch Rohan war am Limit und kam mit lautem Stöhnen.
So glücklich und befreit wie heute hatten sich die beiden schon lange nicht mehr gefühlt ... zumindest bis sie bemerkten, dass Noah aufgewacht war.
***
Zunächst war Dana stinksauer auf Josh gewesen. Wie konnte er sie so schändlich verraten? Sie gegen einen Kerl eintauschen! Das durfte einfach nicht wahr sein! In ihrer Vorstellung hatte Josh entweder komplett den Verstand verloren oder dieser kleine Stricher, wie sie den Unbekannten nannte, war irgendein Hypnotiseur.
Bei ihrer Freundin Cindy angekommen, löste sich Danas Wut jedoch nach und nach in Verzweiflung auf. War sie denn so abstoßend für ihren Mann geworden, dass er sich nach einem Kerl umsehen musste? Dabei war ihr Sex doch immer so erfüllend, wenn sie mal welchen hatten!? Oder nicht? Mit einer Engelsgeduld hatte Josh auch all ihre lustlosen Phasen ertragen, ohne sie ein einziges Mal zu bedrängen. Er hatte immer auf das Wiederaufflammen ihrer Leidenschaft gewartet, auch wenn, wie Dana gerade auffiel, seine Sehnsucht nicht ganz so glühend ausgefallen war.
Plötzlich schauderte es sie. ›Wie lange verkehrt er wohl schon mit diesem Kerl? Und was, wenn die beiden Sex hatten, kurz bevor wir ...?‹
Bei dem Gedanken schüttelte es sie. Dass Josh möglicherweise, ehe er mit ihr schlief, bei diesem Typ im Bett gelegen hatte, war eine grauenvolle Vorstellung und ihr wurde regelrecht schlecht davon.
Als Cindy ihr schließlich die Tür öffnete, sah diese eine völlig in Tränen aufgelöste Frau vor sich stehen. »Meine Güte! Liebes, was ist denn los? Ist irgendwas passiert?« Beim Blick auf die Koffer neben ihrer Freundin ahnte sie schon, was geschehen sein musste. »Ach Süße! Komm erst mal rein!«
»Dahaaahankeee«, schluchzte Dana und schleppte ihre Koffer in Cindys Wohnung, die das weinende Häufchen Elend auf ihr Sofa im Wohnzimmer verfrachtete und mit einem Kaffee versorgte. Dann wollte sie natürlich genauer wissen, was los war.
»Also Mäuschen, jetzt sag schon, was ist passiert? War was mit Josh?«
Dana brauchte noch eine Weile und mehrere Taschentücher, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie Cindy alles halbwegs verständlich vorjammern konnte. »Josh hat mich betrogen!«, brach es schließlich aus ihr heraus.
»Was? Das glaub ich nicht! Er ist doch gar nicht der Typ für so was!«
Dana rang schwer nach Luft. »Das dachte ich auch! Aber jetzt will er sich scheiden lassen und ich fürchte, dass er es wirklich ernst damit meint!«
Cindy schüttelte noch immer verwundert den Kopf. »Und was ist mit Noah? Ich meine, will er sich etwa allein um den Jungen kümmern?«
»Was weiß ich? Ich denke schon! Immerhin durfte ich ihn nicht einmal mit zu dir nehmen!«
»Wie, du durftest nicht? Noah ist genauso dein Sohn wie seiner! Außerdem hast du dich doch auch immer allein um ihn gekümmert, wenn dein werter Gatte bei der Arbeit war! Wie will er denn den Haushalt, das Baby und noch dazu seine Praxis unter einen Hut bringen?« Cindy zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch ganz tief. Mimi saß direkt daneben, in ihrem Laufgitter, und spielte. Als Dana das sah, fiel ihr auf, dass die Wohnung wirklich ziemlich verqualmt war. Joshs Besorgnis war also berechtigt. Cindy rauchte zu viel und Noah hätte sich hier zu Tode gehustet. Diese Einsicht versetzte ihr einen weiteren Stich, weil sie sich nun auch als Mutter geringwertig fühlte. »Und, kennst du die Tussi, mit der er dich betrogen hat?«, wollte Cindy wissen.
Dana zuckte kurz zusammen und brach erneut in Tränen aus. Ihre Freundin hielt irritiert ihre Zigarette zwischen den Fingern und fragte sich, was an der Frage einen solchen Dammbruch auslösen konnte. Sie war ja schon immer der Meinung, dass Dana viel zu empfindlich sei. Sie selbst war mindestens ein Dutzend Mal von einem Kerl betrogen worden und hatte es ihm gleich getan. Sie hatte sich ein dickes Fell zugelegt, so etwas konnte sie schon gar nicht mehr aus der Fassung bringen.
»Meine Güte, Mädchen! Jetzt beruhige dich doch! Is’ sie ’ne Bekannte oder was?«
»Noch schlimmer!«, würgte Dana mühsam hervor.
»Wie, noch schlimmer ? Muss ich dir jetzt jedes Wort aus der Nase ziehen? Jetzt sag schon!« Dana schluchzte noch einmal herzerweichend laut und Cindy verdrehte heimlich und von dem Theater genervt ihre Augen. »Na los, sag schon!«
»Wenn es nur eine Frau wäre, dann könnte ich vermutlich irgendwie damit klarkommen und ihm vielleicht sogar verzeihen! So was macht man sicher in fast jeder Ehe durch! Aber er … er …« Langsam verlor Cindy die Geduld, doch dann spuckte Dana endlich die Wahrheit aus. »Es ist ein Kerl
Cindy starrte sie fassungslos und zutiefst schockiert an und ließ sogar ihre Zigarette auf den alten, mit Brandflecken übersäten Teppich fallen. »Bitte was
Dana heulte erneut. »Josh hat mich mit einem Mann betrogen!!! Hörst du mir nicht zu?«
Wie vom Schlag getroffen glotzte Cindy ihre Freundin an, denn Josh war ihr bisher nie schwul vorgekommen. Immerhin hatte er ja auch ein Kind gezeugt! Wie ging denn das? Vor allem: Wann hatte er seinen Liebhaber getroffen? Wenn Dana und sie zusammen beim Shoppen waren? Diese Fragen stellte sie auch ihrer verzweifelten Freundin.
»Was weiß ich? Ich kann mir da auch keinen Reim drauf machen! Wenn ich weggegangen bin, dann hatte er entweder was mit Noah oder mit seinem Bruder vor. Ich meine, wir haben doch nie gesagt, wann wir wieder nach Hause kommen würden! Mal war ich früher wieder da und mal später.«
Eine Weile spielten beide gedanklich verschiedene Erklärungen durch und Dana drängten sich unwillkürlich Bilder aus den letzten Jahren ins Hirn: Da waren zum Beispiel die Tage, an denen Josh noch früher aufgestanden war als sonst und an denen sie ihn später aus Rohans Zimmer hatte kommen sehen, wenn sie bereits in der Küche stand. Rohan, sonst eher ein Langschläfer, war dann meistens ein paar Minuten nach ihm erschienen. Dann waren da noch Joshs schlechte Laune und seine bissigen Bemerkungen gewesen, wenn Rohan sich von einem seiner Liebhaber zu einer Verabredung hatte abholen lassen oder zu einem Date hatte gehen wollen. Josh hatte ihn dann immer sehr ernst zur Seite genommen und auf ihn eingeredet. Erst jetzt fiel Dana ein, was ihr an diesen Szenen so merkwürdig vorgekommen war: Rohan hatte die ganze Zeit über Joshs Hand gehalten und gestreichelt, als ob er ihn beruhigen müsste. Dass die beiden geradezu aneinanderklebten, war ihr schon am Anfang ihrer Beziehung zu Josh aufgefallen. Man hatte sie auch außerhalb ihrer Wohnung nur selten alleine angetroffen. Selbst wenn, dann wollten sie sich meist später irgendwo zu treffen. Außerdem verteidigte Josh bis heute prinzipiell alles, was Rohan tat oder wie er sich kleidete. Er selbst hatte zwar auch ab und zu etwas an seinem Bruder zu bemängeln, doch sagte er es ihm dann eher direkt ins Gesicht, statt sich mal mit seiner Frau darüber zu beraten. Sie hingegen hatte kein schlechtes Wort über ihren Schwager verlieren dürfen, ohne gleich eine Abfuhr ihres Mannes zu riskieren. Sie hatte sich weder in Rohans Pseudo-Wohnungssuche einmischen dürfen, die sicher nur ein Vorwand gewesen war, um sie ruhig zu halten, noch Kritik an seinem verlotterten Leben anbringen dürfen.
Dana wurde schlecht. Sie hoffte, dass sie das Ganze falsch interpretierte, weil sie so aufgewühlt war.
›Nein, das kann nicht sein. Josh würde niemals so etwas Abscheuliches tun … Er würde doch nie … mit seinem Bruder ...‹
Allein die Vorstellung war so ekelerregend für sie, dass ihr speiübel wurde.
***
Renè saß in seinem Behandlungszimmer in der Praxis und quälte sich immer wieder mit Gewissensbissen und was wäre gewesen wenn Fragen herum. Goh hatte seit ihrem Abend im Moon nichts mehr von sich hören lassen. Ihm hinterherzutelefonieren, kam nicht in Frage, denn das hasste sein Freund und noch immer war auch Renès seelisches Gleichgewicht nach dieser Begegnung nicht ganz wiederhergestellt. Zum Glück blieb ihm nicht viel Zeit zum Grübeln, da er sich auf die Arbeit konzentrieren musste, und so verdrängte er jeden weiteren Gedanken, auch wenn es ihm schwerfiel.
Mitten in der Behandlung eines Patienten bekam Renè überraschend das schnurlose Telefon von einer verängstigt dreinblickenden Angestellten gebracht, welche ihm signalisierte, dass es ein wichtiger Anruf von der Polizei sei. Renè nahm verwundert den Hörer entgegen und begab sich ins Labor, um einen Augenblick ungestört zu sein.
»Doktor Winter, hallo?«
»Guten Tag. Kriminalpolizei, Wagner mein Name. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie bei der Arbeit unterbreche, aber wir haben hier einen Fall und Sie sind, wie es aussieht, als einzige Kontaktperson angegeben.«
Augenblicklich begann Renè zu zittern und suchte beinahe panisch nach einem Stuhl, auf den er sich setzen konnte. »Ähm ... okay ... ja? Worum geht es?«
»Es geht um einen Bekannten von Ihnen, Govind Om Acharya. Wir sind noch in den Ermittlungen, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass er sich erschossen hat.«
Wie vom Schlag getroffen sackte Renè in sich zusammen und ließ beinahe den Hörer fallen. Unaufhaltsam brachen die Tränen aus ihm heraus und liefen über seine Wangen. Er spürte, wie ein Teil von ihm unwiederbringlich verloren ging, auch wenn er die Folgen dieser Information noch gar nicht richtig realisierte.
Hätte er doch bloß auf sein Gefühl gehört.
***
Drei Tage lang war Renè zu nichts fähig. Er konnte nicht mehr arbeiten, nicht mit seinen Kindern spielen, nicht mit seiner Frau reden ... nichts. In manchen Momenten kam er sich selbst vor wie tot. Er fühlte sich wie in einem bösen Traum gefangen, aus dem er bald aufwachen würde, und bei jedem Motorrad, das er hörte, sprang er zum Fenster, doch es war vergebens. Goh war tot und er konnte nichts mehr daran ändern.
Der Beamte hatte ihn über die bereits in die Wege geleiteten Schritte unterrichtet und Renè hatte auch erfahren, dass ein Testament gefunden worden war, bei dessen Verlesung er anwesend sein sollte. Es sprach alles dafür, dass Goh diesen Schritt schon lange geplant hatte, und langsam dämmerte Renè auch, warum sein Freund an diesem besonderen Abend sein ganzes Geld auf den Tresen des Hotels gelegt hatte.
›Er hat alles, was er noch besaß, in diesen Abend investiert ... und ich habe ihn vorzeitig abgebrochen ...‹
Renè wusste, dass er sich das niemals verzeihen würde.
Nach langem Überlegen beschloss Renè, niemandem davon zu erzählen. Seine Familie hatte Goh in den letzten Monaten eh kaum noch gesehen und Josh belasteten zur Zeit genug eigene Probleme.
Heute lief Renè im strömenden Regen zu der Adresse, welche ihm der Beamte zur Verlesung des Testaments genannt hatte. Am liebsten hätte er auf der Stelle kehrtgemacht, aber vielleicht erfuhr er ja aus diesem Schriftstück etwas, was ihm die Sache verständlicher machte.
Keiner außer ihm war im Büro anwesend, nur der stoische, schlaksige Schlipsträger vor ihm, welcher den versiegelten Großbrief öffnete, auf dem in kantiger Schrift Letzter Wille stand. Angeblich hatte das Kuvert, geschützt durch eine Klarsichthülle, neben Goh auf dem Tisch gelegen, an dem er sich das Leben genommen hatte. Rene wollte sich gar nicht ausmalen, wie die Szenerie ausgesehen haben musste.
»Nun ... ähm ... wie ich sehe, sind das hier Wohnungsschlüssel und Autoschlüssel -«
»Motorrad«, korrigierte ihn Renè mit brüchiger Stimme und kämpfte schon wieder mit den Tränen, weil er den kleinen Bärenanhänger daran erkannte, den er ihm vor drei Jahren geschenkt hatte. »Das sind seine Motorradschlüssel.«
»Ähm ... ja. Und dann noch zwei Umschläge, wie es aussieht. Der eine beinhaltet das Testament.« Der Notar öffnete und überflog das Schreiben. »Es handelt sich hier aber nur um eine Auflistung von Dingen. Das andere Dokument scheint ein Brief zu sein. Und zwar direkt an Sie! Ich denke, ich kann Ihnen den so aushändigen, damit Sie ihn selbst lesen.«
Mit zitternden Händen nahm Renè das ebenfalls versiegelte Schreiben entgegen und wartete, bis sich der Beamte diskret aus dem Raum entfernt hatte. Dann brach er das Siegel auf und las:
Mein geliebter Renè,
ich weiB, du wirst meinen Entschluss nicht verstehen. Genau deshalb habe ich dir nichts davon erzählt. Ich kann deine tadelnde Stimme beinahe hören, die mir sagt: Es gibt immer einen anderen Ausweg als den Tod! Leider trifft das für mich nicht mehr zu.
Heute ... diese eine Nacht, die du mir geschenkt hast, war alles, wofür ich bisher noch gelebt habe. Lebe ich nun weiter, dann, und das ist sicher, zerstöre ich deine Familie.
Ich könnte es nicht mehr ertragen, wenn du vor meinen Augen jemand anderen küsst, und irgendwann würde ich etwas Schreckliches tun, um dich ganz allein für mich zu haben. Wenn ich mich jetzt nicht selbst aufhalte, werde ich schlimme Dinge tun und das muss ich verhindern.
Ich hoffe, dass du mich nicht zu sehr verabscheust, dennoch muss ich dir ein letztes Geständnis machen. Kannst du dich an die Zeit erinnern, in der du noch mit diesem Mädchen in unserer Gang zusammen warst? Ja genau, ich meine sie ... Joshs Mutter. Tagtäglich hatte sie Sex mit dir ... und danach kam sie zu mir. Es war wie ein Ritual. Sie wollte einfach nur mehr , und ich habe sie mir genommen, weil ich hoffte, deine Wärme in ihr zu spüren. Ich weiB, es ist krank und es war falsch. Du glaubst nicht, wie leid mir die Sache heute tut.
Was ich nicht wusste, war, dass ich nicht ihre einzige Affäre gewesen bin. Du hast sie irgendwann mit einem Anderen erwischt, aber es hätte genauso auch ich sein können. Als ich hörte, dass sie wieder schwanger war, habe ich mir keinen Kopf darüber gemacht, denn es kamen viele Männer in Frage. Deinen letzten Beschreibungen nach befürchte ich nun allerdings, dass Joshs Bruder das Ergebnis meines unentschuldbaren Verhaltens ist.
Der Junge tut mir leid. Wie du weiBt, wollte ich nie Kinder und wäre bis heute ein schrecklicher Vater. Alles, was ich ihm hinterlassen kann, ist die Wahrheit, doch leider bin ich feige. Ich habe lange überlegt, es ihm selbst zu sagen, aber ich wage es nicht. Deshalb sage ich es dir, denn du hast einen guten Draht zu ihm. Ob du es ihm nun letztendlich sagst oder es für dich behältst, lege ich voll und ganz in dein Ermessen.
Zum Abschluss möchte ich dir nur noch sagen, dass ich dir alles vermache, was ich besitze. Die Motorräder bringen eine Menge Geld, wenn du sie verkaufst. Die Schallplatten und mein Keyboard sind auch etwas wert und meine Gitarre hast du ja schon. Nichts davon kann wiedergutmachen, was ich getan habe, aber vielleicht hilft es ein wenig.
Die Wohnung ist zum nächsten Monat gekündigt. Bis dahin nimm dir von dort alles, was du haben möchtest. Der Rest landet dann auf der Müllkippe. Die Entrümpelung habe ich bereits bezahlt, damit ihr euch nicht um meinen Kram kümmern müsst.
Renè - du bist der einzige Mensch, den ich wirklich geliebt habe und immer noch liebe. Bitte verzeih mir!
Lebewohl!
Dein Goh.
Renè brach zusammen, stützte schluchzend die Hände gegen die Stirn und spürte, wie sein Herz so unsagbar schmerzte, dass er es kaum noch aushielt.
Er konnte das alles nicht fassen. Wie konnte Goh bloß so denken? Was hätten sie für eine schöne Zeit haben können: zwei Söhne, zwei Väter, Familie hin oder her. Sie hätten eine Lösung gefunden ... oder etwa nicht? Die Entscheidung hatte er ihm nun genommen.
Die Tür klackte und der Beamte trat ein. Er räusperte sich, gab Renè diskret ein Taschentuch und holte ihn damit zurück in die Situation. »Ich habe hier noch etwas für Sie, das wurde mir heute Morgen zugestellt.«
Renè sah auf und nahm die kleine Schatulle entgegen, die ihm der Mann reichte. Im Inneren befanden sich Gohs Sonnenbrille sowie ein silberner Ring mit einem klaren, funkelnden Stein in der Mitte. Verwirrt sah er zu dem Beamten. »Was ist das? Ein Verlobungsring?«
»Nein«, antwortete sein Gegenüber. »Ihr Freund hat bereits zu seinen Lebzeiten veranlasst, nach seinem Tode verbrannt zu werden, und Ihnen ist vielleicht zu Ohren gekommen, dass es die Möglichkeit gibt, Asche zu einem Diamanten pressen zu lassen ... Nun ...« Mit einer subtilen Handbewegung deutete er auf den Ring. Renè starrte diesen nun an und alles in ihm zog sich zusammen.
In diesem Augenblick brachen all seine Dämme. Obwohl der Fremde vor ihm saß, weinte er wie ein geprügelter Hund und genauso fühlte er sich auch, vor allem, als er die Gravur in dem Ring entdeckte.
»Für immer dein.«