Kapitel 5 - Eifersucht
Gerade als Rohan dabei war, den neuen Bühnenhintergrund seiner Band für den nächsten Auftritt zu planen, kam Josh freudestrahlend ins Arbeitszimmer und umarmte ihn von hinten. Ihr wirklich gemeinsames Leben als Paar war erst vor wenigen Wochen gestartet, trotzdem fühlte es sich für beide so an, als wäre es nie anders gewesen. Überrascht sah Rohan von seinen Skizzen auf und ließ sich von Josh einen Kuss auf die Lippen drücken.
»Was ist denn mit dir los? Wieso so fröhlich?«
Die Augen seines Liebsten glitzerten vor Freude, als der ihm verkündete: »Du glaubst nicht, wer sich gerade bei mir gemeldet hat!«
»Du wirst es mir sicher gleich sagen.«
Josh lehnte sich grinsend an den Schreibtisch. »Olli und Viktor! Sie wohnen wohl beide wieder in der Stadt und wollen zum Grillen herkommen! Kai könnten sie eventuell auch auftreiben, sagten sie!«
»Na dann ... kannst du ihnen schön unter die Nase reiben, was für ein erfolgreicher Snob du geworden bist.« Dabei streckte er ihm lachend die Zunge raus. Rohan freute sich für seinen Bruder. Immerhin waren Oliver, Viktor und Kai zur Zeit der Mittel- und Oberstufe seine besten Freunde gewesen. Doch nach dem Abschluss hatten sie sich irgendwie aus den Augen verloren.
»Auf dich freuen sie sich übrigens auch! Immerhin haben sie dich ja schon als Knirps gekannt!« Josh lachte zuckersüß und wuschelte Rohan liebevoll durch die langen Haare.
»Pfff. Die haben mich doch gehasst!«
»Quatsch! Die Jungs hatten dich sehr gern! ... Außer wenn du genervt hast oder ich nicht mit ihnen was Trinken gehen konnte, weil ich auf dich aufpassen musste.« Josh lachte aufs Neue. »Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Olli damals ’nen richtigen Narren an dir gefressen.«
Rohan zuckte zusammen. »Was? Äh ... Wie meinst du das?«
»Als wenn du das nicht mitbekommen hättest! Weißt du nicht mehr? Auf dem Balkon? Wo er unbedingt wollte, dass du auf seinem Schoß sitzt? Und auch davor, als er dich in deinem Zimmer getröstet
hat?«
Das war nichts, woran Rohan erinnert werden wollte, und er verzog missmutig das Gesicht. »Ja, der Kerl war aufdringlich wie die Pest! Haben sie gesagt, wann sie vorbeikommen wollen?«
Josh überlegte kurz. »Sie meinten, dieser Sonntag wär’ nicht schlecht und, weil wir nichts geplant haben, dachte ich, es wäre okay.«
Rohan nickte, doch nachdem Josh sich mit einem Kuss verabschiedet hatte und zum Einkaufen fuhr, hing er seinen Gedanken nach. Natürlich wusste er noch genau, was damals passiert war und wie sehr
Olli auf ihn gestanden hatte, doch er hoffte einfach, dass ihn das Treffen mit den Jungs nicht allzu sehr in die Vergangenheit katapultierte. Die Gefahr bestand durchaus, wenn sie alle fünf wieder so wie früher zusammensaßen und tranken. Ohne dass er es wollte, verlor sich Rohan in Erinnerungen an sein erstes Mal mit Josh und seufzte.
Josh wusste noch immer nichts von ihrem ersten, intimen Zusammensein und Rohan war sich nicht sicher, ob er es ihm erzählen sollte. Wahrscheinlich würde Josh nicht so krass reagieren wie früher, immerhin trieben sie es jetzt ständig miteinander, doch es war Rohans ganz besonderes Geheimnis. Diese kostbare Erinnerung konnte er Josh nicht so vermitteln, wie er selbst das Erlebte zu dieser Zeit empfunden hatte. Damals war für ihn so etwas wie ein Traum in Erfüllung gegangen. Erst auf der Uni hatten sie es wieder miteinander getan und - welch Wunder - selbst dabei war Josh betrunken gewesen. Jedes Mal
war er betrunken. Ob ihm wohl der Mut gefehlt hatte, ihm zu sagen, was er sich wünschte? Vorstellbar war das und Rohan konnte seinen Bruder verstehen. Josh war schon immer ein sehr geradliniger Charakter und hatte eine gewisse konventionelle Vorstellung vom Leben: ein toller Job, eine süße Frau, zwei oder drei Kinder und ein hübsches Häuschen im Grünen. Da passte das Verlangen, seinen Halbbruder zu vögeln, einfach nicht hinein. Rohan grinste. Armer Josh, er musste ja furchtbare Qualen gelitten haben, als er seine Gefühle für den kleinen Bruder bemerkt hatte, die so gar nicht zu seinem Zukunftsbild passen wollten. Aber jetzt hatten sie es ja geschafft. Fast! Da war noch immer die Sache mit Dana, schließlich wollte Josh die Scheidung und
Dana würde mit Sicherheit nicht so einfach mitspielen. Das Sorgerecht für Noah musste ebenfalls geregelt werden und das zu bekommen, würde unter Umständen in einen Kampf ausarten.
Eigentlich hatte Rohan nichts gegen Dana, nur war sie eben die Frau des Mannes, den er liebte, und da war eine gewisse Abneigung vorprogrammiert. Er hoffte, dass Danas Freundin sie nicht noch mehr vereinnahmt hatte. Vielleicht konnte man ja doch mit ihr reden und eine Lösung für alles finden. Damals, auf der Uni, war Dana ja von ihrer Art her irgendwie niedlich, aber nachdem sie Josh geheiratet und Cindy kennengelernt hatte, entwickelte sie sich immer mehr zu einer modefanatischen, egozentrischen Simulantin. Rohan mühte sich, diese unerfreulichen Gedanken aus seinem Kopf zu bekommen, und wollte sich gerade wieder auf sein Bühnenbild konzentrieren, als es an der Tür klingelte. Er wunderte sich. Josh konnte es nicht sein, der war einkaufen, oder hatte er etwas vergessen? Das würde ihm ähnlich sehen, immer auf dem Sprung und dabei die Hälfte liegen lassen! Aber er hatte doch einen Schlüssel?
Rohan ging zur Tür, einen neckenden Spruch auf den Lippen parat, als ihm plötzlich der Atem stockte. Vor ihm stand nicht Josh.
»Hi! ... Du bist ja immer noch da?!« Man sah Dana sofort an, dass sie sich sehr unwohl fühlte. Vor über zwei Wochen hatte sie das Haus verlassen und sich seitdem einfach nicht mehr blicken lassen.
»Ähm ... Josh ist nicht zu Hause«, teilte Rohan mit und ignorierte ihre Frage.
»Mir egal! Ich will nur meinen Sohn sehen«, forderte sie grantig. »Ihr dürft ihn mir nicht vorenthalten!«
»Hat ja auch niemand vor!« Rohan konnte ihr ja schlecht verbieten, ihr Kind zu besuchen, auch wenn er selbst im Moment keinen wirklichen Nerv für sie hatte. »Er liegt oben in seinem Bettchen und schläft.«
Dana nickte kurz und stieg dann die Treppe hinauf, während Rohan ihr langsam hinterherlief. Oben angekommen, stand sie am Bett ihres kleinen Sohnes und betrachtete ihn liebevoll, ehe sie flüsterte: »Wie geht ’s ihm? Trinkt er auch gut? Schläft er schon durch?«
»Ja, das mit dem Durchschlafen wird langsam. Trinken tut er wie ein Weltmeister! Wir mussten vor vier Tagen schon wieder ’ne neue Packung Milchpulver kaufen, aber er probiert jetzt auch immer mehr
andere Sachen. Gestern hat er ’ne ganze Schale Bananenbrei weggeschnubbelt.«
»Wirklich? Dabei mochte er Bananen bisher nie.« Sie seufzte. »Du, kann ich mal mit dir reden? Ich wollte eigentlich Josh darauf ansprechen, aber … dich betrifft es ja nun auch.«
Rohan zögerte kurz. »Ich weiß nicht.«
»Rohan … bitte …«
»Na gut«, murrte er. »Aber sobald es um eure Ehe geht, bin ich raus!«
»Danke. Vielleicht könnten wir dabei eine Tasse Kaffee trinken?«
»Von mir aus.«
Sie strich Noah noch einmal sanft übers Köpfchen und ging dann mit Rohan hinunter in die Küche. Während er den Kaffee vorbereitete, schwiegen sie beide. Dana hatte sich an den Küchentisch gesetzt.
›Schon komisch, dass man sich in seinem eigenen Haus so schnell wie eine Fremde fühlen kann‹
, ging es ihr durch den Kopf.
Rohan setzte sich zu ihr. »Und? Wie gehts dir?«, leierte er die Höflichkeitsfloskel herunter.
»Na ja, zuerst war ich bei Cindy, aber dann bin ich in ein Hotel gegangen. Ich hab kurz vorher mit Josh telefoniert und er hat zugestimmt, mir mein Zimmer erst einmal zu bezahlen.«
Rohan wunderte das nicht, denn Josh war nun mal ein gutmütiger Mensch. Auch wenn er sich von Dana scheiden ließ, hieß das nicht, dass ihr Schicksal ihn kalt ließ. Er würde sich wahrscheinlich so lange um sie kümmern, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen konnte ... trotz des eigentlich satten Elterngeldes, das sie nach wie vor bekam.
Rohan war zwar ein wenig beleidigt, weil Josh ihm nichts davon erzählt hatte, aber im Grunde war es ja nicht weiter wichtig. Er betrachtete Dana Rohan gegenüber wohl als Tabuthema und wollte ihn nicht damit behelligen.
»Wie läuft ‘s mit deiner Karriere?«, fragte Dana plötzlich, wahrscheinlich mehr aus Verlegenheit, und Rohan war sich zuerst nicht sicher, ob die Frage zynisch gemeint war. Aber als er merkte, dass sie ernsthaft an einer Antwort interessiert war, kam er erneut ins Grübeln, warum sie so unbedingt mit ihm reden wollte.
»Na ja, nicht schlecht. Ich habe mit meinen Jungs regelmäßig Gigs
in Clubs und wir werden auch für private Auftritte gebucht. Konrad, unser Bassist, hat Verbindungen zu einigen Plattenlabels, also wenn alles gut geht, bekommen wir bald einen richtigen Plattenvertrag.«
»Wie schön, das freut mich für dich.«
»Danke.«
Nach dieser kurzen Unterhaltung herrschte wieder eisiges Schweigen, nur das Gluckern der Kaffeemaschine war zu hören. Schließlich überwand sich Dana und versuchte, das Gespräch auf das Thema zu bringen, welches sie wirklich beschäftigte.
»Hör mal, Rohan, ich … ich muss mit dir darüber reden.« Ihr Gesicht drückte Entschlossenheit aus.
»Du meinst meine Band?«
Sie bemerkte natürlich seinen sarkastischen Unterton, ließ sich aber nicht provozieren und atmete tief durch, bevor sie ihr Anliegen in Worte fasste. Dennoch war sie unglaublich nervös. »Du hast ja sicher mitbekommen, dass mich Josh wegen eines Mannes verlässt. Das war ein riesiger Schock für mich! Jedenfalls hätte ich gern gewusst, wie du dazu stehst.«
Rohan bemühte sich um eine ernste Miene. Dana sollte ja noch nicht wissen, dass er
der Mann war, der ihr den Ehemann ausgespannt
hatte. Wenn er sich verquatschte, würde nicht nur sie, sondern auch Josh in die Luft gehen!
»Ehrlich gesagt, habe ich nichts dagegen, warum sollte ich auch? Man muss zu der Person halten, die man liebt. Es ist sein Leben! Warum fragst du mich das überhaupt? Eure Probleme gehen mich nichts an!«
»Ich dachte nur, weil du sein Bruder bist -«
»Eure Probleme! Nicht mein Bier!«
Erneutes Schweigen. Rohan bemerkte, dass der Kaffee durchgelaufen war, und goss sich und Dana welchen ein.
»Du weißt nicht zufällig, wie der Mann heißt, mit dem Josh ein Verhältnis hat? Kennst du ihn?« Dana ließ nicht locker und Rohan wurde nun doch etwas unruhig.
»Wie kommst du denn darauf, dass ich ihn kennen könnte?«
Der Blick, mit dem seine Schwägerin ihn daraufhin ansah, signalisierte ihm deutlich: Meinst du die Frage ernst?
Dennoch beantwortete sie diese.
»Ich dachte nur, na ja ... weil du dich … in diesem Milieu
doch ganz gut … auskennst?« Ihr leicht angeekelter Blick bei dem Wort Milieu
machte ihn ärgerlich. Das war wieder so typisch für sie! Er hatte sich geirrt, denn er hatte gehofft, dass Dana doch nicht so dummdreist war, wie sie immer rüberkam. Aber diese Aussage von ihr sagte wohl alles.
»Na, das ist ja mal ’ne höfliche Formulierung dafür, dass du mich für einen Stricher hältst!«
»Nein
, warte, so habe ich das nicht gemeint!«
»Ach nein, wie dann?«
»Ich dachte nur, weil du ja einen relativ großen Bekanntenkreis
hast, wüsstest du vielleicht, wer mit Josh zusammen ist.«
»Das macht ’s jetzt auch nicht besser!«
Dana verlor die Nerven. »Mann!!! Du hast doch ständig irgend ’nen anderen Kerl! Wie soll ich es denn ausdrücken, ohne dich zu beleidigen, hä? Ich meine, es ist doch egal, was ich sage, du fühlst dich immer angepisst!«
»Weil du mir auch oft genug blöd gekommen bist!«
»Das sagt der Richtige! Du bist doch auch nicht anders! Blockierst hier wochenlang das Gästezimmer und nimmst deinen Bruder nach Strich und Faden aus!!!«
»Ach ja? Wer von uns lässt sich denn von ihm ein Hotelzimmer
bezahlen, weil sie die monatlich tausendvierhundert Flocken Elterngeld lieber für irgendeinen Scheiß rauswirft?« Rohan konnte es nicht fassen. Da saß er hier mit der zukünftigen Exfrau seines Bruders und stritt sich mit ihr! Das sollte eigentlich Joshs Aufgabe sein!
»Okay, … lass uns aufhören zu streiten! Ich -« Dana wollte gerade wieder Frieden herstellen, da hörte sie, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Josh kam mit Einkäufen bepackt in die Küche und blieb wie angewurzelt stehen, als er Dana und Rohan an einem Tisch sitzen sah.
»Ähm … was ist hier los?«
Rohan warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. »Ich kann nichts dafür!«
»Hallo Josh, ich … ich muss mit dir reden«, plapperte Dana dann sofort los.
»Oh je«, war alles, was dieser von sich geben konnte. Er ließ seine
Einkäufe erst einmal auf der Küchentheke stehen, setzte sich neben Rohan und nahm Dana ins Visier. »Du hättest auch anrufen können!«
»Eben nicht. Das müssen wir so klären! Am Telefon geht das nicht.«
»Dann hätten wir uns eben irgendwo verabredet.«
»Nein, ich will das hier
machen. Es geht niemanden was an, worüber ich mit dir reden will!«
Rohan stand auf. »Na, wenn das so ist, verschwinde ich lieber.«
»Nein!«, widersprach Dana ihm in bestimmtem Ton. »Wie ich vorhin schon sagte, hat es auch mit dir zu tun.« Josh sah seinen Bruder fragend an, während Dana sich direkt an ihren Mann wandte. »Ich möchte, dass du mir sagst, wer dein Liebhaber ist!«
»Das werde ich nicht«, stöhnte Josh und fühlte sich wie ein Papagei. »Ich habe meine Gründe, warum ich keinen Namen nenne!«
»Wenn du es nicht sagst, dann sage ich es!«
»Was? Wovon redest du überhaupt?«
Danas Miene verfinsterte sich. »Ich habe da so eine Vermutung.«
Rohan wurde langsam nervös. Er verstand nicht, wie Josh so ruhig bleiben konnte. Dana schien es zu ahnen, und was sollten sie machen, wenn sie es tatsächlich wusste?
Josh ließ jedoch keine Regung erkennen. Er sah seiner Frau weiterhin mit versteinertem Gesichtsausdruck in die Augen. »Eine Vermutung muss nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen.«
Sie seufzte schwer, denn eigentlich hatte sie gehofft, es von Josh persönlich zu hören, aber so …
»Rohan ... du bist der Mann, mit dem Josh eine Affäre hat, stimmt ’s?«
»Ist das dein Ernst?
« Josh sprang wütend auf. »Zieh meinen Bruder da nicht mit rein!«
»Es stimmt doch, oder?
Hör auf, ihn ständig vor der ganzen Welt beschützen zu wollen! Es bringt doch sowieso nichts! Immer musst du für ihn das Wort ergreifen, wenn es ernst für wird! Warum lässt du ihn nicht einfach mal für sich selbst einstehen?«
Nach dieser verbalen Ohrfeige wusste Josh gar nicht mehr, was er sagen sollte. Solch einen Vortrag hatte er von Dana wirklich nicht erwartet. Sie wandte sich wieder an seinen Bruder.
»Du bist es, oder? Dich hat Josh all die Jahre geliebt! Schon in der
Uni … Ihr hattet damals bereits so ein enges Verhältnis, aber ich wäre nie darauf gekommen, dass ihr ...« Rohan sagte nichts. Wozu auch? Dana brauchte keine Bestätigung mehr. Dass Josh dermaßen aus der Haut gefahren war und er zu der Sache schwieg, war Antwort genug. Doch dann nahm sie plötzlich die Hand ihres Ehemanns und sah ihn entschlossen an. »Hör zu Josh, ich bin nicht mehr so naiv wie damals. Ich habe dazugelernt und … ich werde dir helfen! Und ich werde dich nicht aufgeben! Ich werde uns
nicht aufgeben, noch nicht!«
Josh sah sie traurig an. »Dana, da gibt es nichts zu helfen
. Es tut mir leid.«
»Aber -«
»Ich habe dir bestimmt sehr weh getan und das tut mir wirklich leid, aber es gibt keinen Weg mehr zurück! Es ist vorbei!«
Dana konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Ihre mühsam aufgebaute Fassade bröckelte und Tränen standen ihr in den Augen.
»Aber … warum ausgerechnet dein Bruder?«
Ein bedrücktes Lächeln zeigte sich auf Joshs Gesicht. »Glaubst du nicht, ich hätte mich nicht selbst dafür verurteilt? Mich nicht gefragt, was mit mir los ist? Immer wieder sagte ich mir, dass es nicht normal
sein kann! Ich habe Gefühle für ihn empfunden, die doch nur falsch sein konnten. Ich hätte sie für ein Mädchen oder wenigstens für einen anderen Kerl empfinden müssen, aber dem war nicht so. Ich verstehe es selbst nicht, aber ich kann und will einfach nicht mehr ohne ihn sein! Ich kann es nicht!
Schon damals auf der Uni haben wir versucht, voneinander loszukommen. Wir haben es wirklich versucht! Aber es ging nicht
! Ich bin fast dabei zugrunde gegangen, weil ich es nicht ertragen konnte, dass Roi einen anderen Mann als mich an seiner Seite hatte, und ihm erging es damals auch nicht anders.«
Dana sah Josh überrascht an. Sie hatte nicht erwartet, dass ihn solche Zweifel gequält hatten, und auch Rohan ließ dieser Monolog nicht kalt. Er nahm sanft die Hand seines Liebsten, streichelte diese mit dem Daumen und sah ihn besorgt an, ehe er ihm, beinahe zitternd, einen Kuss auf die Schläfe gab.
Für Dana war das schockierend. Sie hatte die beiden noch nie so offen gefühlvoll miteinander gesehen und irgendwie konnte sie nun
zum ersten Mal erahnen, wie tief deren Liebe zueinander war. Josh lächelte Rohan dankbar zu und wandte sich wieder an Dana.
»Es kommt ab und zu vor, dass sich Geschwister ineinander verlieben. Nur ist unsere Situation etwas anders. Wir sind nur Halbbrüder, beide Männer und können keine Kinder zeugen. Also verstoßen wir auch gegen kein Gesetz. Es ist nur die ... allgemeine Auffassung von sittlichen Werten
, die uns entgegensteht.« Er atmete tief durch. »Ich wäre dir wirklich sehr dankbar, wenn du aus unserer Scheidung keine große Sache machen würdest, und schon gar nicht aus deiner Kenntnis, was die Beziehung zwischen Rohan und mir angeht. Wir können das alles sicher friedlich und zur Zufriedenheit aller klären, meinst du nicht? Allein schon für Noah.«
Dana rang sichtlich mit sich, doch schließlich sah sie ein, dass ein Rosenkrieg vor allem für ihr gemeinsames Kind das Schlimmste wäre. Wenn sie wollte, könnte sie mit dem Wissen, das sie jetzt hatte, Joshuas Karriere schaden, sie vielleicht sogar beenden. Sie könnte ihn bloßstellen und dafür sorgen, dass das ganze Viertel wusste, was er in seinem Schlafzimmer trieb. Aber dann würde auch ihr Sohn darunter leiden. Spätestens dann, wenn er in die Vorschule ging, wäre er der Junge mit dem perversen Vater
und das konnte sie nicht verantworten. Also gab sie sich geschlagen.
»Na schön ... aber es fällt mir dennoch schwer, dich aufzugeben.«
»Dana, du hast noch immer die Chance, jemanden zu finden, der dich so liebt, wie du es verdienst. Ich bin nicht der Richtige für dich, glaub mir.«
»Mag sein ... aber ich möchte dich um etwas bitten.«
»Was denn?«
Dana sah Josh tief in die Augen. »Ich will weiterhin hier wohnen, auch wenn die Scheidung durch ist.«
»Du willst was
?« Rohan sah sie entsetzt an und rang nach Luft.
»Ich will hier wohnen! Immerhin lebt mein Sohn hier, oder nicht? Ich
muss mich doch um ihn kümmern! Oder muss ich erst eine Sorgerechtsklage einreichen? Ich werde Noah garantiert nicht einfach hierlassen und mich damit zufriedengeben, ihn nur alle zwei Wochen zu sehen!«
»Dann nimm dir hier irgendwo ’ne Wohnung in der Nähe und schau ab und zu vorbei!« Durch Danas Vorschlag sah Rohan seine
Freiheit in Gefahr, die er mit Josh genießen wollte. Der kleine Noah war zwar auch im Haus, aber das störte ihn nicht wirklich. Er war ja schließlich nur ein Kind, Joshs Kind! Aber jetzt die Exfrau hier weiter wohnen zu lassen, war selbst für ihn zu viel! Das konnte sie doch unmöglich verlangen!
Josh schien Gott sei Dank derselben Meinung zu sein. »Also ich finde deine Forderung doch recht unüberlegt!«
Dana lehnte sich provozierend langsam zurück und schlug die Beine übereinander. »Na gut, du wirst ja sehen, was du davon hast. Ich bin Noahs Mutter
und er braucht mich
am meisten! Wenn ich es richtig anstelle, wird mir das Gericht das alleinige Sorgerecht zusprechen! Dann wirst du Noah nie wieder sehen!«
Josh wurde mit einem Mal furchtbar blass. Diese Aussage traf ihn mehr als alles, was Dana je hätte sagen können. Sie wollte ihm seinen Sohn wegnehmen, seinen geliebten Noah! Sie wollte genau dasselbe tun wie seine Mutter damals mit René! Er stand unter Schock und konnte dazu gar nichts mehr sagen. Also ergriff Rohan das Wort für ihn, der genau wusste, dass Dana einen sehr wunden Punkt in Josh getroffen hatte.
»Jetzt reicht ’s aber!«, fauchte er sie an. »Du blödes Miststück
kommst hierher und glaubst, du kannst uns erpressen? Sei froh, dass Josh dir überhaupt noch hilft! Eigentlich hast du das gar nicht verdient! Du hast keinen Job, keine eigene Wohnung und ständig irgendwelche Depressionsanfälle, was ja wirklich eine tolle Grundlage für die Betreuung und Erziehung eines Babys ist! Denk einfach mal darüber
nach, was das Beste für dein Kind
ist und nicht für dein scheiß Ego!
Und jetzt schwing deinen fetten Arsch hier raus, wenn du nichts Besseres zu tun hast, als uns zu drohen!«
Dana empörte sich: »Wie redest du denn mit mir?«
Als Rohan sich erhob und sie von oben herab ansah, wirkte er plötzlich richtig bedrohlich. »So, wie du es verdienst! Ich dachte, du wärst inzwischen zur Vernunft gekommen, aber du hast wieder einmal das Gegenteil bewiesen!«
»Ihr könnt mir nicht meinen Sohn vorenthalten!«, kreischte Dana und sprang ebenfalls auf.
»Davon
hat nie jemand geredet!!! Du
bist diejenige, die gerade damit gedroht hat, nicht wir
! Wir haben nicht einmal
davon gesprochen, dir Noah wegzunehmen
oder deinen Kontakt einzuschränken! Wahrscheinlich hat dir deine blöde Freundin diesen Scheiß ins Hirn geblasen, oder?« Plötzlich spürte Rohan Joshs Hand auf seinem Arm. Er war immer noch sehr blass, fasste sich aber langsam wieder.
»Lass gut sein, Zombie. Damit kommt sie eh nicht durch. Wie du schon sagtest: Sie hat keine Wohnung und keine Arbeit, kurz gesagt keinerlei Grundlagen, um Noah allein zugesprochen zu bekommen.« Dann wandte er sich wieder direkt an seine Exfrau. »Hör mir zu, Dana! Ich verstehe, dass du Noah nicht hergeben willst, aber bedenke bitte deine momentane Lage. Außerdem bist du nie wirklich gut mit seinen Macken klargekommen! Wenn ich die Diagnose deines Arztes vor Gericht erwähne, hättest du auf jeden Fall verloren, oder hast du schon vergessen, dass du noch immer unter Wochenbettdepressionen leidest?«
»Ich hab keine Depressionen,
verdammt!!!«, platzte es plötzlich aus ihr heraus und Rohan prustete los.
»Wusste ich ’s doch. Alles nur gespielt!«
Erst in diesem Moment begriff sie, was sie da gerade zugegeben hatte. »Nein, ich -«
»Ist ja jetzt auch egal!«, fiel ihr Josh ins Wort, der keine Lust mehr auf Diskussionen hatte. »Ich helfe dir so lange, bis du einen Job und eine eigene Wohnung gefunden hast. Du kannst Noah sehen, so oft du willst. Ich will ihn dir bestimmt nicht wegnehmen, das war nie meine Absicht. Aber ich bestehe darauf, dass der Kleine vorerst hier bei mir bleibt.«
»Und wenn ich dem Richter von eurer perversen Beziehung erzähle? Dann wirst du Noah mit Sicherheit nicht bekommen!«, versuchte Dana es noch einmal, doch Josh rührte diese Androhung kein Stück.
»Mag sein, dass es dem Richter dann ein wenig aufstößt, aber beweisen kannst du es nicht.«
»Und wenn ich einen Detektiv engagiere?«
»Dazu fehlt dir das Geld.«
Dana lief vor Zorn rot an. Sie stand auf und stapfte, ohne sich zu verabschieden, aus dem Haus. Als die Tür zuknallte, zuckten die beiden Brüder zusammen und atmeten dann erleichtert auf.
Josh stützte den Kopf auf seine Hände. Diese Debatte hatte ihn ziemlich erschöpft, da nicht zu erwarten gewesen war, dass Dana diese Karte ausspielte. Aber das würde er sich nicht gefallen lassen. Er wollte nicht dasselbe durchmachen wie sein Vater, und Noah sollte nicht glauben, sein alter Herr hätte ihn im Stich gelassen oder sich nicht mehr für ihn interessiert.
Rohan, der den Schlagabtausch genau verfolgt hatte, setzte sich wieder neben seinen Bruder und sah ihn mitfühlend an.
»Hey, alles in Ordnung?«
»Nimm mich in den Arm, bitte!«
Rohan rührte diese Aufforderung und er kam ihr gerne nach. Josh seufzte wie erlöst. Es tat gut, auch mal derjenige zu sein, der Schwäche zeigen durfte, um sich trösten zu lassen. Die ruhige, innige Umarmung der beiden wurde jedoch durch Noahs Weinen unterbrochen, denn der Kleine war durch das Knallen der Haustür aufgewacht. Rohan drückte Josh einen Kuss auf die Stirn und lächelte ihn liebevoll an. »Dein Söhnchen verlangt nach dir. Oder soll ich gehen?«
»Nein, ich mach schon«, seufzte Josh erneut, doch dann strich er noch einmal über das Gesicht seines Bruders. »Roi?«
»Ja?«
»Hast du Lust, mit mir heute Abend essen zu gehen? Ich könnte einen Babysitter für Noah besorgen, dann machen wir uns einen schönen Abend … so als Paar. Was meinst du?«
Rohans Augen begannen zu leuchten. »Scheiße, ist das dein Ernst?« Sie waren noch nie offiziell als Paar ausgegangen! »Du willst, dass wir in ein Restaurant gehen? Als Paar? Uns dort küssen und alles?«
Josh grinste. Er hatte gehofft, dass Rohan sich darüber freuen würde. »Klar! Warum sollte ich dich nicht küssen, wenn wir zusammen ausgehen? Schließlich bist du jetzt offiziell mein Partner.« Joshs Grinsen wurde noch breiter und Rohan war völlig baff. Allerdings währte diese Situation nicht lange, da der kleine Noah seiner Ungeduld lauthals Gehör verschaffte.
***
Der Abend und die Nacht verliefen traumhaft. Um nicht doch noch Ärger zu bekommen, hatte Rohan Josh jedoch überzeugen können,
mit ihm in ein bekannt homofreundliches Restaurant zu gehen. Die sich anschließende Nacht war heiß und Schlaf das Letzte, woran die beiden dachten. Dementsprechend müde war Rohan am nächsten Morgen.
»Zombie!!!« Josh schüttelte seinen Liebsten unsanft wach. Der erschrak natürlich, blinzelte aber kurz darauf ungläubig, als er ihn fertig, schon in voller Montur sah: weiße Hose, blaues Hemd und sogar eine verdammte Krawatte!
»Was ist denn los? Musst du heute etwa arbeiten? Wieso siehst du schon so geschniegelt aus?« Josh riss Rohan die Decke weg und zum ersten Mal achtete er nicht auf dessen Morgenlatte, die sich in Richtung seines Kinns streckte und allen einen guten Morgen zu wünschen schien.
»Steh auf, du Faulpelz! Wir haben nur noch eine halbe Stunde! Zieh dir ordentliche Klamotten an und räum auch dein Zimmer auf! Dalli!
Ach ja ... und dusch dich ... du stinkst nach Sex!«
Rohan wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, bis Josh ihn regelrecht aus dem Bett schubste, um frische Wäsche aufzuziehen. Er rappelte sich vom Boden auf und schlurfte mürrisch ins Bad, wobei er sich fragte, was zur Hölle in seinen Bruder gefahren war? Wahrscheinlich bekam er wieder einen seiner allmonatlichen Putzanfälle.
Rohan duschte und zog sich an. Seine Haare, die sich durch das Waschen leicht wellten, ließ er offen. Er betrachtete sich im Spiegel und stellte fest, dass er ziemliche Augenringe hatte. Kein Wunder, immerhin hatten sie sich fast jede Nacht um die Ohren gevögelt. Ein wenig seines Herren-Make-ups schaffte Abhilfe und der Kajalstrich tat sein Übriges. Als er fertig und mit seinem Aussehen zufrieden war, schlenderte er in die Küche und machte sich erst mal einen Kaffee.
Auf einmal schellte es auch schon an der Haustür. Josh polterte die Treppen runter, fiel bei der letzten Stufe beinahe auf den Hintern und schlidderte dann in den Eingangsbereich. Rohan amüsierte sich wie immer über die niedliche Aufgeregtheit seines Bruders, die ihn so zauberhaft tollpatschig machte.
Als Josh schließlich die Tür aufriss, standen vor ihm zwei Männer und er hatte Mühe, die beiden zu erkennen. Es war kaum zu glauben:
Kai hatte nichts mehr mit seinem damaligen roten Iro zu schaffen. Aus ihm war ein dünner, großer Kerl geworden, mit lichtem, graublondem Haupthaar und lockeren Jeansklamotten. Viktor hingegen hatte sich weniger verändert, war nur wesentlich korpulenter als früher und trug inzwischen eine Glatze, die im Kontrast zu seinen punkigen, zerrissenen Klamotten, der Metzgerweste und den ausgelatschten Stiefeln stand.
Die beiden sahen Josh aber genauso dösig an, bis Viktor schließlich johlte: »Hey Kolleeeege! Glotz dir einer in die Hackfresse! Wie aus du siehst und wie rum du läufst! Voll der Vorstadtpupikommerzmacker geworden!« Dabei zupfte er belustigt an Joshs Hemd herum.
»Schön zu sehen, dass du
dich kein Stück weiterentwickelt hast, Viktor. Hi Kai!«
Kai freute sich überaus, Josh wiederzusehen, und zelebrierte mit ihm sogar ihr kleines Begrüßungsritual mit der Faust. »Alter Falter, ich wusste schon immer, dass du es mal zu was bringst, aber so fett? Dickes Auto, großes Haus ... und du bist wirklich Arzt geworden? Bin ja mal gespannt auf deine Katalogfrau und deine Vorzeigekinder.«
Josh blieb gelassen. »Danke, aber ich habe nur ein Kind und mit meiner Frau steht die Scheidung an.«
»Oh!« Das verdutzte die beiden nun doch.
»Wo ist Olli? Konntet ihr ihn nicht erreichen?«
»Ist er noch nicht da?« Kai schaute etwas ungläubig. »Tja, dann kommt er wohl später.«
Josh ließ seine alten Freunde ins Haus, die es anerkennend pfeifend unter die Lupe nahmen. Sie watschelten jedoch gleich in den ersten Stock, um das Schlafzimmer und den kleinen Noah zu inspizieren, der bereits in seinem Laufgitter saß und spielte. Diese Gelegenheit nahm Rohan wahr, um sich mit seinem Kaffee nach draußen zu verkrümeln. Dort fläzte er sich auf einen der Liegestühle und wollte sich gerade ein erstes Schlückchen gönnen, als er angesprochen wurde:
»Ist lange her, schöner Mann.«
Erschrocken verschluckte Rohan sich beinahe und drehte sich um. Da stand ein verschmitzt lächelnder Kerl in einem offenen, dunkelgrauen Sportsakko, dessen grüne Augen voller Begierde
funkelten. Rohan checkte in Sekundenschnelle sein Gegenüber: bis auf die Schultern reichende blonde, gewellte Haare, kurz geschnittener Bart um den Mund, der in fein ausrasierten Koteletten endete, teure Armbanduhr, Lacklederschuhe. Nein, er hatte keine Ahnung, wer da vor ihm stand.
»Kennen wir uns?«, fragte er schließlich zögerlich und der Fremde lachte, kam näher und setzte sich zu Rohan auf die Liege, wobei er dessen strammen Oberkörper durch das Shirt musterte.
»Und ob wir uns kennen, mein Hübscher! Ich hatte gehofft, dich heute hier anzutreffen, aber ehrlich gesagt wundert es mich, dass du noch immer mit Josh zusammenwohnst. Hast du inzwischen keine eigene Familie?«
»Ich bin halt nicht der häusliche Typ«, erwiderte Rohan dem grinsenden Kerl skeptisch.
»Das hab ich mir gedacht. Erkennst du mich denn wirklich nicht? Ich gebe dir einen Tipp. Ich hatte dich schon im Arm, als du gerade mal laufen konntest, und du hast früher sehr oft auf meinem Schoß gesessen.«
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Nein ... du ... du kannst unmöglich ... Olli
?«
Auf einmal rutschte der Kerl ganz dicht an ihn heran, um ihm dann zu erklären: »Genau der, und du bist noch umwerfender als je zuvor.« Plötzlich beugte er sich mit dem Oberkörper über ihn und deutete an, ihn küssen zu wollen. Rohan zuckte zurück, doch da klappte die klapprige Lehne nach hinten und Oliver fiel wie automatisch auf ihn drauf. »Hui, so stürmisch?«, neckte der ihn grinsend und drängte seinen Unterleib bereits mit einem eisenharten Ständer zwischen Rohans gespreizte Beine. Der stand wie unter Schock und bewegte sich keinen Millimeter, bis Oliver ihn sogar küsste. »Kannst du dir vorstellen, wie ich mich damals vor Sehnsucht nach dir verzehrt habe?«
Er küsste Rohan auf den Hals, auf die Wangen und wollte gerade noch intimer werden, als das Klacken der Terrassentür um die Ecke zu hören war. Sofort sprang er auf und schloss die unteren drei Knöpfe seines Sakkos vor der Hose, ehe er Rohan ebenfalls hochziehen wollte, doch da kam Josh bereits um die Ecke und erblickte die beiden. Für ihn sah es so aus, als schüttelten sie sich
gerade die Hand.
»Mein Gott ... Oliver
?« Josh umarmte seinen über viele Jahre besten Freund und freute sich, dass auch er gekommen war. »Du siehst ja richtig smart aus!«
»Josh, alte Hütte! Es tut gut, dich wiederzusehen!« Oliver ließ sich nicht anmerken, dass er vor einer Minute noch in bester Vögelstimmung gewesen war, und grinste ebenfalls übers ganze Gesicht.
Rohan stand nach wie vor neben sich. Trotz der äußerlich seriösen Erscheinung roch Oliver nach Gras, genau wie früher, und seinem ganz spezifischen Moschus-Mix schien er auch nicht abgeschworen zu haben, was bei ihm mehr als nur Erinnerungen weckte. Er fühlte sich wie in der Zeit zurückversetzt. Kaum zu glauben, dass ihre letzte Begegnung schon so lange her war.
Er selbst hatte sich wenig verändert, außer dass er sich nicht mehr so schnell erwischen ließ, wenn er irgendwas anstellte. Sein Geschmack, was Männer betraf, hatte sich allerdings gewandelt. Als Kind hatte er jeden geliebt, der Charisma besaß und irgendwie alternativ aussah, doch heute ... Nun ja, er stand auf Josh, obwohl der noch immer nach einer Mischung aus in die Jahre gekommenem Mensastudenten und durchorganisiertem Buchhalter aussah. Davon abgesehen fand er smarte, ältere Männer in den vierzigern geil. Erfahren, reich und versaut. Na ja und gepflegte Rocker oder süße Twinks waren für zwischendurch auch mal ganz nett. Also eigentlich war sein Geschmack ja doch noch recht breit gefächert. Dunkel erinnerte er sich an seine ersten sexuellen Erfahrungen, aber da wurde er schon an seiner Schulter ins Hier und Jetzt zurückgerüttelt.
»Hey!« Josh sah ihn besorgt an. »Was ist denn los mit dir? Ich hab dich schon mehrmals angesprochen und du glotzt hier nur vor dich hin und spielst Freiheitsstatue. Warst in Gedanken versunken, hm?«
Nun räusperte sich auch Kai auffällig und begrüßte den ehemaligen Partykiller. Viktor tat es ihm gleich und beschwerte sich darüber, dass er jetzt der Kleinste in ihrer Runde war.
Josh überlegte schon die ganze Zeit, ob er seinen besten Freunden von seiner Beziehung zu Rohan erzählen sollte. Als er sich seine scherzenden Kumpels aber so ansah, hatte er wenig Lust, diese Idylle zu zerstören.
Oliver klopfte Josh freundschaftlich auf den Rücken. »So, meine Herren! Ich habe einige kleine Zutaten mitgebracht, und wenn du so nett bist, mir deine Küche zur Verfügung zu stellen, dann zaubere ich uns ein 3-Gänge-Menü nach Meisterkochart!« Oliver schlug sich auf die vor Stolz geschwollene Brust.
Alle waren begeistert, besonders Josh, der sich freute, nicht kochen zu müssen, und sich stattdessen zurücklehnen und mit seinen Kumpels quatschen konnte. Er begleitete seinen Freund zu dessen nachtblauem Protzporsche und war kurz irritiert, als er die mitgebrachten Zutaten für das Menü sah. Oliver hatte nämlich auffallend viele Dinge dabei, die man gewöhnlich als aphrodisierend beschrieb: Granatäpfel, Zimt, Erdbeeren, Jasmin, Safran, Risottoreis, Austern, Quitten, Rum, Prosecco ...
»Da hast du ja eine interessante Auswahl getroffen«, sagte er skeptisch. »Hast du noch was mit uns vor?«
Oliver grinste süffisant. »Vielleicht. Mit dem ein oder anderen.« Dann nahm er die Einkäufe und schlenderte zurück zum Haus. Rohan stand schon in der Küche, um Gläser für die durstigen Neuankömmlinge mit Softdrinks zu befüllen. Als er sich streckte, um an die Hängeschränke zu kommen, entblößte sein nach oben rutschendes, enges Muskelshirt seinen Bauchnabel über dem schwarzen, schmalen Haarpfad, der in seiner Jeans verschwand.
»Hey Zombie, hilf mir mal beim Auspacken!«, forderte Oliver beim Betreten der Küche belustigt und stellte die Taschen auf den Tisch. Rohan sah ihn bockig an, denn ausschließlich sein Bruder hatte das Privileg, ihn so zu nennen, und er empfand es als Frevel, wenn sich ein anderer das herausnahm. Josh kam ebenfalls in die Küche, erklärte Oliver kurz, wo er alles finden würde, und wollte Rohan mit sich zu den anderen nehmen, was den Koch protestieren ließ.
»Ach Joshy, du solltest dich erst mal in Ruhe allein mit Vik und Kai ausquatschen. Roi kann mir inzwischen hier in der Küche helfen.« Josh grummelte zwar, ließ die beiden dann aber doch mit einem unguten Gefühl im Magen zurück. Oliver drehte sich wieder zu seinem unfreiwilligen Helfer: »Also, mein Schöner, du könntest damit beginnen, die Granatäpfel zu öffnen.«
Rohan strich sich durch die Haare und wirkte alles andere als motiviert. »Eigentlich hab ich gar keinen Bock auf Küchendienst
!«,
motzte er, trotzdem band er sich einen Pferdeschwanz. Als er mit seiner Arbeit begonnen hatte, hielt Oliver ihm eine Erdbeere vor den Mund.
»Hier, probier die mal. Sind die Besten des Jahres.«
Rohan, dessen Hände vom Saft der Granatäpfel tropften, ließ sich die Frucht zu Olivers Vergnügen in den Mund stecken. Dieser stand dicht hinter ihm, umschlang leicht seinen Oberkörper und ließ ihm die Hand über die Brust gleiten, während er ihn mit der anderen zärtlich fütterte.
»Ja, schmeckt gut. Können wir jetzt weitermachen ...?«, versuchte Rohan die verfängliche Situation zu entschärfen.
Oliver kicherte. »Weitermachen
? Hm, na dann setz dich mal auf den Tisch.«
»Ich meinte den Obstscheiß hier!«
Oliver verstand, dass Rohan nicht wirklich nach Flirten war, und lachte lauter. »Ich weiß, war doch nur ein Witz!« Dennoch ließ er noch viele weitere, billige Anmachversuche folgen.
***
Nach knapp zwei Stunden war das Menü endlich fertig. Zur Vorspeise gab es eine Austerncremesuppe, danach Safran-Risotto mit Huhn und zum Abschluss ein tropisches Fruchtkompott mit Schuss.
Allen schmeckte es, nur Rohan fühlte sich nach dem Essen etwas seltsam. Sein Körper kam ihm ungewöhnlich schwammig vor, seine Glieder erhitzten sich und besonders zwischen seinen Beinen spürte er ein zunehmendes Kribbeln. Erst konnte er es gar nicht richtig einordnen, doch dann wusste er, was er brauchte: Sex! Und zwar keinen Schmusebärvanillakuschelsex, sondern welchen mit Schmackes!
Würde sich Josh nicht gerade so angeregt mit seinen Freunden unterhalten, die ganz verzückt von dem kleinen Wonneproppen waren, der zwischen ihnen auf seiner Spieldecke saß und Bauklötze betastete, hätte er ihn sofort ins Bad gezerrt und ihn angefleht, ihn zu ficken.
Oliver saß ganz entspannt in einem Sessel, das Kinn auf die Hand gestützt und beobachtete Rohan, der sich immer unwohler zu fühlen schien. Schließlich hielt dieser es nicht mehr aus und tippte Josh auf
die Schulter.
»Ähm ... würdest du ... kurz dein Passwort oben im Büro-PC eingeben, damit ich ins Internet kann?« Rohan stellte die Frage in so neutralem Tonfall wie möglich, Josh aber kannte den Unterschied zwischen normaler
und erregter
Tonlage bei seinem Liebsten. Er seufzte nur, entschuldigte sich bei den Anwesenden für einen Moment und bat Kai, einen Augenblick auf Noah aufzupassen, der sowieso schon die ganze Zeit mit diesem schäkerte.
Nachdem die beiden oben angekommen waren, presste Rohan Josh im Nu gegen die Wand und küsste ihn begierig. »Komm schon, lass uns ... nur ganz kurz ... ich komme auch sofort.«
»Bist du noch bei Trost?« Unsanft drückte Josh ihn weg. »Du schwanzgesteuerter Affe! Meine Gäste sitzen da unten, allein mit meinem Baby, und du willst hier oben ficken
? Schließ dich im Schlafzimmer ein und spiel eine Runde Fünf gegen Willie
, wenn es sein muss, aber ich gehe jetzt wieder runter!«
Selbstbefriedigung war keine Option und Rohan verzweifelte. Was sollte er machen? Ihm war heiß, sein Schwanz spannte sich schmerzhaft in seiner Jeans und er konnte gerade an nichts anderes denken als an Sex. Er musste raus! Weg von all den Versuchungen, doch kaum stieg er die Treppe wieder hinunter, kam ihm Oliver entgegen.
»Hey Süßer. Kannst du mir zeigen, wo euer Gästebad ist? Ich muss mal für Königstiger.«
Natürlich hatte Rohan inzwischen geschnallt, dass Oliver ihn sofort nehmen würde, und je länger er den Kerl ansah, desto mehr freundete er sich mit dem Gedanken an einen Quickie an. Der Freund seines Bruders sah ja ganz gut aus, er besaß Stil und Charisma, und da Josh ihn gerade abserviert hatte, würde er wohl nichts dagegen sagen können, wenn er sich ein Nümmerchen mit der Ersatzbank gönnte.
»Klar ... komm mit«, forderte er ihn schließlich mit leicht kratziger Stimme auf. Er drängte Oliver ins große, obere Bad, zog ohne Umschweife dessen Hemd nach oben und saugte an seinen Nippeln. Der so Überfallene war höchst erfreut über Rohans plötzliche Zuwendung, dennoch verwunderte ihn das Ganze.
»Musstest du dir von Josh die Erlaubnis holen, in seinem Haus
vögeln zu dürfen? Oder warum seid ihr zusammen verschwunden?«
Rohans Blick war arrogant. Er sah keine Veranlassung, auf diese Frage zu antworten. »Halt die Klappe und zeig mir, was du drauf hast!«, erwiderte er stattdessen, als er den Kopf des anderen nach unten drückte und sich die Hose öffnen ließ.
Eigentlich war es Oliver auch ziemlich egal. Er leckte gierig an dem prall herausschnellenden Bolzen und walkte dabei Rohans Hintern, bis sein Mund recht unsanft über den steinharten Schwanz gestülpt wurde, der daraufhin sofort begann, sich rhythmisch in ihn zu stoßen. Im Gegensatz zu ihm wollte Rohan nur endlich schnell kommen, was durch die vielen Aphrodisiaka zum Glück schon nach sehr kurzer Zeit geschah. Sein Saft spritzte heraus, als wäre er ein defekter Rasensprenkler, doch dann ging es ihm endlich besser.
Oliver wollte Rohan umdrehen und weitermachen, doch der blockte ab und zog sich seine Hose hoch. »Und was mach’ ich jetzt mit meinen
harten Tatsachen?« Oliver wirkte etwas geschockt, aber Rohan zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.
»Ich wollte nur ’nen schnellen Blowjob, nichts weiter!«, sagte er kühl, während er seinen Gürtel schloss.
Oliver schien enttäuscht, aber nicht wütend zu sein. »Hey, schon okay. Die zweite Runde lässt sich eh besser im Bett verbringen. In meinem! ... Ich hab ein Kingsize-Bett!
« Bevor Rohan das Bad mit einem spöttischen Prusten verließ, drückte Oliver ihm noch seine Visitenkarte in die Hand. Dann schloss er die Tür zu und jodelte sich rasch einen von der Palme.
***
Josh sah erschöpft auf die Wanduhr in seinem Sprechzimmer und nippte an einem Magentee. Es war kurz vor zwanzig Uhr und ausgerechnet heute, wo sein Kopf noch dermaßen vom Vorabend dröhnte, stauten sich die Patienten inklusive zugehörigem Papierkram, weil sich sein Vater vor ein paar Tagen krankgemeldet hatte. Aus diesem Grund quoll die Praxis erst über und nun hieß es wieder täglich Überstunden machen.
Die Zusammenkunft mit seinen Freunden war schön gewesen, aber auch ziemlich feucht. Beim gemeinsamen Schwelgen in Erinnerungen hatten alle reichlich Wein und Whisky getrunken, und nach dem Verschwinden aller Gäste waren Rohan und Josh wie zwei Steine ins Bett gefallen. Nach
einer Runde halbkomatösem Vollrauschvögeln, versteht sich.
Dann, heute Morgen, musste sich Joshua als Einziger aus den Laken quälen, Noah in die Krippe bringen und zur Arbeit fahren. Rohan hingegen hatte nur am Nachmittag zwei Leute zum privaten Gitarrenunterricht zu Hause, sackte dafür schwarz achtzig Piepen ein und chillte den Rest des Tages. Eine Ungerechtigkeit war das!
Kurz vor einundzwanzig Uhr schloss Josh die letzte Patientenakte, löschte alle Lichter und zog dann seine dicke Jacke an. Dieser Herbst war sehr schnell sehr kalt geworden und in manchen Nächten gab es sogar vereinzelt schon Bodenfrost.
Mal wieder dankte er seinem Vater in Gedanken für den Tipp, Allwetterreifen bei seinem Auto aufzuziehen. René hatte ihn davor gewarnt, sich darauf zu verlassen, dass der Winter nach Kalender anbrach. »Es kann sehr schnell passieren, dass die Straßen überfrieren, auch wenn du es noch gar nicht erwartest! Und dann stehst du da mit deinen Sommerreifen!« Kluger Dad. Kaum eine Woche später, nachdem Josh den Rat seines Vaters beherzigt hatte, war genau das eingetroffen, was dieser seinem Sohn prophezeit hatte. Vielleicht sollte er Teilzeitorakel werden?
Erschöpft, aber halbwegs gut gelaunt verschloss Josh endlich die Praxis und ging mit deutlich besserer Laune zum Parkplatz.
›Oh Mann. Ich kanns gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Als Erstes lass ich mir ein schönes, heißes Bad ein und gönne mir danach eine Runde auf der Massagematte!‹
In Gedanken versunken achtete Josh nicht auf den Weg und rutschte auf dem eisglatten Bürgersteig aus. Er konnte es gerade so verhindern, dass sein Hintern mit dem kalten Boden schmerzhaft Bekanntschaft schloss. Leise fluchend quälte er sich langsam zu seinem Auto und lief dabei wie auf rohen Eiern. Als er jedoch entdeckte, dass auch die Scheiben seiner Limousine vereist waren, stöhnte er genervt auf und verbrachte noch eine halbe Ewigkeit mit Scheibenkratzen.
Endlich im Wagen sah er beiläufig auf die Uhrzeit, die das Display in seinem Cockpit anzeigte. Streng genommen hätte er spätestens seit einer halben Stunde zu Hause sein sollen, aber er wollte eben unbedingt die Arbeit von heute erledigt haben, denn er wusste ja
nicht, wann sein Vater wiederkam. Schlimmstenfalls blieb der noch die ganze Woche zu Hause, dann würde Josh morgen mindestens genauso viel zu tun haben wie heute.
›Hoffentlich ist Zombie nicht sauer‹
, dachte er betrübt, denn eigentlich wollten sie zusammen kochen und einen schönen, gemeinsamen Kerzenscheinabend veranstalten. Rohan hatte Noah aus der Krippe abgeholt, versorgt und inzwischen sicher auch schon ins Bett gebracht. ›Vielleicht sollte ich Dad mal anrufen und fragen, wie es ihm geht. Möglicherweise kann er ja abschätzen, wann er wieder in die Praxis kommt?!‹
Josh war sowieso verwundert darüber, dass sein Vater seit dem letzten Anruf partout nichts von sich hören ließ. Irgendwie hatte er auch überhaupt nicht so richtig krank geklungen?!
Während Josh vom Parkplatz rollte, nahm er sein Handy und wählte bereits die Nummer seines Vaters. Es tutete fast acht Mal, bevor sich Renè, mit einem lethargischen Unterton in der Stimme, meldete. »Hallo Joshua«, schniefte er, doch er hörte sich eher an, als hätte er geweint und nicht, als würde er an einer verstopften Nase leiden.
»Hey Dad, wie geht es dir?«, hakte Josh erst mal nur allgemein nach und lenkte auf die Hauptstraße ein.
»Ach ... na ja ... es geht schon ... irgendwie«, antwortete dieser und klang, als würde er sich ein Schluchzen verkneifen.
»Du hörst dich echt nicht gut an«, entgegnete Josh besorgt und beschleunigte. »Was ist denn los? Du hast mir gar nicht gesagt, was der Grund für deinen Ausfall ist? Soll ich morgen mal vorbeikommen und nach dir sehen?«
»Nein, nein«, wiegelte Renè ab und zog die Nase hoch. »Es ist nur ... also ... nein, es ist nichts. Ich komme morgen wieder in die Praxis, ja? Bitte entschuldige, dass ich dich schon so lange habe hängen lassen.«
Josh spürte, dass seinen Vater irgendetwas belastete. Da es ihm aber körperlich gesehen gesundheitlich gut ging, tippte er aufgrund seines Alters auf eine Art späte Midlifecrisis.
»Wir können ja morgen mal in der Mittagspause darüber reden, okay?«
»Ach nein, ich -«
»Kennst du diesen Spruch von Santos Kalwar?«, fiel ihm Josh ins Wort und beschleunigte kurz vor einer großen Kreuzung, da die Ampel gerade auf Gelb schaltete. »Väterliches Vertrauen beginnt und endet mit Wahrheit
! Also vertrau dich mir an und -« In dieser Sekunde, mitten auf der Kreuzung, blendete Josh plötzlich ein grelles Licht von der linken Seite, dann verspürte er einen gewaltigen Ruck.
Es krachte ohrenbetäubend. Knirschendes Metall, quietschende Reifen und splitterndes Glas vermischten sich zu einem grausamen Konzert, bevor sein Wagen einmal um die eigene Achse geschleudert wurde. Ein heftiger Schmerz durchzog Joshuas linke Körperseite, ehe alles in schwarze Stille überging.