Wenn ich mit meinem Vater in einem Büro arbeiten müsste, würde ich wahnsinnig. Er stellt mehr Fragen als ein Kriminalkommissar beim Verhör eines Raubmörders.
Um Mitternacht schiebe ich endlich alle Unterlagen zurück in meine Pferdemappe. Ich bin fix und fertig. Ein Pferdekauf strengt mehr an als reiten bei vierzig Grad im Schatten.
Sie haben JA gesagt!
Ich bekomme Pepper.
Alles erscheint mir total unwirklich, wie in einem Film, den ich angucke. Irgendwie stehe ich neben mir, hundemüde, als ich die Gummibänder um die Ecken meiner Pferdemappe schlinge.
Gerührt reicht Mama mir die Hand.
»Dein erstes Pferd. Das ist ein besonderer Tag.«
Ein »besonderer Tag«? Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts! Das ist eine RIESENRIESENSACHE mit Pepper und mir!
»Herzlichen Glückwunsch«, sagt Papa, verbunden mit einem kleinen schäbigen Erpressungszusatz. »Aber denk dran: Dafür musst du als Gegenleistung gute Zeugnisse nach Hause bringen. Wie besprochen. Morgen machen wir auf dem Habichthof den Kaufvertrag.«
Er steht auf, räumt die Gläser zusammen und trägt sie in die Küche. Aus der Diele ruft er noch: »Und dein Herr Habicht muss mir im Preis entgegenkommen. Ich zahle keinen Euro mehr als siebentausend.«
Typisch Papa. Immer stellt er Bedingungen. Hoffentlich hat Habi fünfhundert Euro auf seinen Wunschpreis draufgeschlagen, die er abziehen kann, sonst gibt es gleich wieder Zoff zwischen den beiden.
Irgendwie finde ich dieses Schachern um Geld unwürdig. Schließlich geht es um meinen besten Freund.
Ich greife noch einmal in meine pralle Mappe und ziehe einen vorgedruckten Pferdekaufvertrag hervor.
»Von Tapir. Er sagt, da steht alles drin, was man klären muss. Damit es hinterher keinen Ärger gibt.«
»Den Vertrag gehe ich mit Herrn Habicht Punkt für Punkt durch. Hat dein schlauer Tapir sonst noch was auf Lager?«
»Ja. Tapir sagt: ›Mündliche Vereinbarungen sind so haltbar wie ein alter Strohhalm.‹«
Papa grinst.
»Solche Texte sollten sie mal auf die Teebeutel drucken. Statt goldener Dichterworte. Und nun ab ins Bett, damit du genug Schlaf für den neuen Schultag bekommst.«
Das sagt sich so leicht.
Ruhelos tigere ich nach dem ereignisreichen Tag in meinem Zimmer auf und ab. Die plötzliche Wendung im Fall Pepper wühlt mich auf.
Leise schlüpfe ich aus der Tür und steige barfuß die Treppe zu Dani hoch. Lautlos drücke ich die Klinke herunter.
In Sweatshirt und Shorts sitzt mein Bruder am PC und fährt herum, als ich mich im Türrahmen zeige.
»Ist was, Kleine? Schon mal was von Anklopfen gehört?«
Er klickt den Bildschirm dunkel und guckt mich mit zusammengekniffenen Augen an. Dann grinst er breit.
»Du strahlst ja wie eine Leuchtreklame. Heißt das, wir haben einen neuen Rohde in der Familie?«
Ich reiße die Fäuste hoch.
»JAAA! Morgen macht Papa den Vertrag.«
Normalerweise falle ich meinem Bruder nicht um den Hals, aber heute ist nichts normal und ich drücke Daniel wie verrückt, bis er fast vom Drehstuhl rutscht. Lachend schnappt er nach Luft und zieht an meinen Haaren.
»Congratulations. Wenn es mal eng wird mit der Schule, sag Bescheid.«
Gerührt nicke ich. Das liebe ich an meinem Bruder. Nie braucht er lange Erklärungen. Auch heute ahnt er sofort, wo es demnächst bei mir haken könnte.
»Super. See you.«
Zurück in meinem Zimmer bin ich noch hellwacher als vorher. Aufgedreht marschiere ich zwischen Fenster und Bett hin und her.
Das Schlimme ist, dass ich nicht auf der Stelle den halben Stall anrufen kann. Emily, Tessa und Kriss, Janne, Katharina, Lina, einfach allen will ich die ungeheure Neuigkeit erzählen. Am liebsten natürlich Melly und Gloria.
Nur damit ihr Bescheid wisst: Pepper gehört jetzt mir; nehmt also in Zukunft eure Finger von ihm – auf diesen Satz freue ich mich seit der Versetzung in die 8a, also seit gefühlten fünf Millionen Jahren.
Doch noch gehört Pepper mir nicht. Herr Habicht wäre stinkig, wenn ich etwas Halbgares verbreiten würde.
Aber Emily muss sein!
Schließlich haben unsere Eltern uns gleichzeitig ein Pferd versprochen und Emily leidet wie ein Hund, dass sie bisher die Einzige von uns mit eigenem Pferd ist. Und keinen hat, mit dem sie ausreiten kann.
Ich rufe sie an und spreche nur einen einzigen geheimnisvollen Satz ins Telefon.
»Sag, dass du dich freust.«
Ein ganz und gar unüblicher Emi-Schrei gellt durchs Telefon.
»Heißt das, du kriegst ihn?«
»Ja! Ja! Ja!«
»Genial. Dann können wir endlich zusammen ausreiten. Ab wann?«
»Ich hoffe morgen.«
Emi kichert.
»Melly wird sich vor Wut auf den Misthaufen werfen.«
»Hoffentlich zusammen mit ihrer bescheuerten Mutter.«
Für diesen gemeinen Wunsch gebe ich mir noch schnell zwei Punkte auf der »Fiese-Flora-Skala«.
Morgens um halb sieben wiehert mein Handy mich wach. Verschlafen blinzele ich auf das Display.
Emily.
Melde dich. Wichtig!!! Emi.
Wenn Emi so früh simst, kann es nur um den Stall gehen. Sofort bin ich hellwach und rufe sie zurück.
Emi klingt aufgeregt wie selten.
»Ich habe gerade eine Rundmail von Melly bekommen. Garantiert ein Versehen. Sonst mailt die mir nur, wenn sie für Habi Termine fürs Reiterfest machen soll. Wetten, sie hat den falschen Verteiler erwischt.«
Während wir telefonieren, starte ich meinen Laptop und checke die Mails.
Nur zwei Spams. Nichts von Melly. Hat sie mich etwa gezielt aus dem Verteiler gelöscht?
»Ich habe nichts.«
Emi lacht auf.
»Logisch. Es geht ja um Pepper. Melly wittert, dass du ihn haben sollst. Hoffentlich hetzt sie ihre Mutter nicht auf Herrn Habicht.«
»So ein Mist. Wer hat Melly etwas gesteckt?«
»Ich maile dir den Text rüber. Und drück dir ganz doll die Daumen für heute Abend. Tschau.«
Eine Minute später erscheint Mellys Rundmail auf meinem Bildschirm.
Von: melly@doktorlanz.de
Betreff: Alarmstufe ROT
Achtung, Achtung: Große Katastrophe! :-((
Gloria hat Telefon mitgehört. Flo soll Pepper kriegen.
Das muss verhindert werden!!! >_<
Vllt eine Idee? EILT!!! Meldet euch. Schnell!!! Sonst ist der Süße
weg für immer. *heul*
Melly
Warum muss mein schönster Tag im Leben so gemein anfangen?
In der Schule bin ich zwar körperlich anwesend, aber meine Gedanken fliegen auf den Habichthof. Ich bin extrem besorgt, was Melly aushecken wird. Zum Glück bleibt ihr nicht viel Zeit, bis wir den Kaufvertrag unterschreiben.
Auf dem Pausenhof gehe ich ihr aus dem Weg und nach der letzten Stunde fahre ich von der Schule direkt in den Stall. Jetzt, wo mir die Durchgeknallten auf den Fersen sind, will ich Pepper keine Sekunde aus den Augen lassen. Melly und Gloria bringen es fertig und entführen ihn klammheimlich. Je eher mein Vater heute Abend den Kaufvertrag unterschreibt, desto besser. Sein blödes Meeting heute Nachmittag wird hoffentlich nicht ewig dauern.
Kribbelig vor Aufregung und Vorfreude betrete ich den Stall – und erlebe den Super-GAU. Vor Peppers Box lungert Mellys Mutter herum. Ihre blondierten, auf jugendlich getrimmten Fransenhaare erkenne ich noch, wenn ich im Koma liege. Bevor ich kehrtmachen kann, entdeckt sie mich und stöckelt mir durch die Stallgasse hinterher. Kurz vor dem Ausgang stellt sie mich.
»Was macht eigentlich die Suche nach deinem eigenen Pferd, Flora?«
Ihre Stimme klingt unerträglich weich. So muss der Wolf nach einer Großpackung Kreide gesprochen haben, bevor er die sieben Geißlein verschlang.
Mich verschlingt Frau Dr. Lanz nicht!
Jetzt weiß ich, was Melly im Schilde führt. Sie hat ihre Mutter aufgehetzt, den Kauf zu verhindern.
Deren hohe Absätze klappern über den Beton auf mich zu. Misstrauisch betrachte ich ihr unehrliches Zementlächeln. Jemand sollte ihr mal sagen, dass man spätestens seit den Achtzigern keinen hellblauen Lidschatten mehr benutzt.
»Ist das nicht schön, wenn man eine Beziehung zu einem neuen Pferd aufbauen kann, Flo?«
Hinter dem Wort »neues Pferd« steht ein ganz großes Fragezeichen. Flo – so hat sie mich noch nie genannt.
Ich muss vorsichtig sein, damit sie mir die Sache mit Pepper nicht vermasselt. In Wirklichkeit geht es unserer Chefpsychologin nicht um mich und schon gar nicht um meine Beziehung zu Pferden, sondern um ihren Engel Melly. Unter allen Umständen will die Lanz verhindern, dass ihre angebetete Tochter Pepper als Schulpferd verliert. Das steht ihr in Leuchtbuchstaben auf der Stirn geschrieben. Direkt über dem hellblauen Achtzigerjahre-Lidschatten.
Bevor ich eine Antwort parat habe, tritt Herr Habicht mit seinem Reitbuch aus dem Büro auf die Stallgasse. Als er Frau Dr. Lanz sieht, wendet er sich genauso blitzartig ab wie ich vorhin, aber er hat keine Chance.
»Herr Habicht, Herr Habicht, eine Minute bitte.«
Mit ihrer Stimme nagelt sie ihn fest. Ich weiß, wie Habi das hasst, wenn er nur rasch vom Stall zu seiner Wohnung laufen will, und gleich fällt ihn jemand an wie ein Kettenhund.
»Ja?«, fragt er kurz und sieht nicht mal von seinem Reitbuch auf. Unhöflich ist das. Aber manche Leute hält man nur auf diese Art auf Distanz.
Dr. Lanz plärrt ohne Umschweife: »Sie werden doch nicht etwa Pepper verkaufen? Ihr bestes Schulpferd!«
Sie führt sich auf wie ein kreischendes Baby, dem man den Schnuller klauen will.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich weiß es aus zuverlässiger Quelle.«
Sie blufft. Lernt man das im Psychologiestudium? Bisher dachte ich, nur Pokerspieler bluffen.
Einen Moment lang wirkt Habi perplex. Er wirft mir einen ärgerlich-fragenden Blick zu, doch ich schüttele heftig den Kopf und zucke unschuldig die Schultern. Frau Lanz gestikuliert wild vor Habis Gesicht.
»Wo bleibt Ihre Verantwortung für die Reitschüler? Pepper ist ein Universaltalent.«
»Ich will Ihnen mal was sagen«, beginnt Herr Habicht und zieht die wild herumspringende Frau in die Sattelkammer, weil eine Gruppe Kinder durch den Eingang hereintröpfelt und sich im Stall verteilt.
Hastig drücke ich mich hinter die Eisentür. Ich ärgere mich grün und blau, dass die Lanz sich drinnen an die Sättel lehnen darf. Sie verwandelt meinen Lieblingsraum in die Sattelkammer des Schreckens. Übrigens ein toller Buchtitel. Warum schreibe ich es nicht? Natürlich mit einer Psychologin als Hauptperson. Gegen die Lanz sehen selbst Darth Vader oder Lord Voldemort aus wie freundliche Märchenonkel. Mit meinem Buch werde ich hundertpro reich, dann kaufe ich den Habichthof und eine Echthaarperücke für Habi. Als erstes kriegt Frau Dr. Lanz lebenslänglich HAUSVERBOT!!!
Von meinem Königsplatz hinter der Tür bekomme ich jedes Wort mit.
»Es führt kein Weg daran vorbei, dass man Schulpferde nach einigen Jahren im Einsatz verkauft«, höre ich Habi mit fester Stimme sagen. »Ehe sie sauer werden.«
»Sauer? Aber Pepper doch nicht. Der ist ein ausgesprochen freundliches Pferd. Darum müssen Sie ihn ja für den Schulbetrieb behalten.«
Jetzt redet Herr Habicht mit einem Unterton, als müsste er einem begriffsstutzigen Kind etwas erklären. Ich grinse von einem Ohr zu anderen. Das wird unserer Frau Doktor nicht behagen. Wo die ihren Doktortitel herhat, ist mir eh ein Rätsel. Im Lotto gewonnen vielleicht.
»Sauer, Frau Dr. Lanz«, fährt Herr Habicht fort, »heißt nicht, dass das Pferd ärgerlich wird. Sauer heißt bei Pferden: frustriert. Vergleichbar ist das mit Depressionen bei Menschen.«
Dr. Lanz räuspert sich verärgert.
»Ich bin als Kind auch geritten und kann mich nicht an sauere Pferde erinnern.«
Jetzt wird Habis Stimme ganz spitz, sogar eine Spur spöttisch.
»Man muss schon sensibel sein, um das zu registrieren.«
Eins zu null für Herrn Habicht.
Ohne auf Frau Lanz’ aufgeregtes Prusten einzugehen, redet er weiter.
»Wenn Schulpferde tagaus, tagein dasselbe Programm abspulen müssen, halten sie das nicht aus. Wenn sie immer wieder verwirrende Hilfen bekommen, resignieren sie. Verlieren ihr Interesse an der Umwelt. Manche folgen einem nicht mehr aus der Box. Manche sträuben sich, wenn man sie in die Reithalle führen will. Das sind Anzeichen. Dann muss man sie verkaufen. Sobald sie in einer Hand sind, leben sie wieder auf. Das gönnt ihnen doch jeder … oder sind Sie anderer Meinung?«
Frau Lanz gibt keine Ruhe.
»Aber Pepper geht doch gut und ohne Probleme. Warum verkaufen Sie ausgerechnet dieses Pferd?«
»Noch geht er gut, ja«, sagt Herr Habicht. »Aber wie lange bleibt das so? Pepper ist jetzt fünf Jahre im Schulbetrieb und weil er so beliebt ist, ist er öfter im Unterricht dabei als andere. Oft mit Anfängern, die keine richtigen Hilfen geben können.«
Er seufzt.
»Eigentlich müsste ich jedes Pferd so lange im Schulbetrieb behalten, wie es leistungsfähig ist. Dann könnte ich mehr Geld verdienen. Aber ich will meine Pferde fair behandeln. Wenn eine passende Reiterin ein gutes Schulpferd kauft, freue ich mich mit. So ist das, Frau Dr. Lanz.«
Genau – und die passende Reiterin für Pepper bin ICH!!!
Endlich hat er ihr das Maul gestopft. Jedenfalls herrscht Stille.
Wie soll sie auf Habis anständige Einwände auch reagieren?
Bin ich sie jetzt los?
Mein Handy wiehert. Ich verdrücke mich aus meinem Versteck, bevor Herr Habicht hellhörig wird und laufe nach draußen.
SMS von Papa.
Hallo Flo. Muss den Vertrag auf morgen verschieben. Komme heute nicht aus der Firma weg. Tut mir leid. Papa.
Oh nein!
Vierundzwanzig Stunden mehr Zeit für die Lanz-Bande, mir meinen Pepper abspenstig zu machen.
Deprimiert informiere ich Habi über die Verschiebung.
»Schon okay«, sagt er. »Dein Vater wandert ja nicht aus. Du hast doch sicher vorhin gelauscht? Bei Frau Lanz?«
Ich fange an zu stottern.
»Na ja … rein zufällig konnte ich …«
Er übergeht mein Halbgeständnis und stößt einen Seufzer aus.
»Wenn ich mehr von solchen Kunden hätte, würde ich den Stall schließen und auswandern. Aber ich glaube, die gute Frau wird dich jetzt in Ruhe lassen.«
Schön wär’s!
Kaum ist Herr Habicht in die Reithalle hinübergewechselt, um Unterricht zu geben, schlendert Melly mit ihrer Mutter die Stallgasse herauf. Als hätten die beiden hinterm Stall exakt so lange gewartet, bis Habi die Kurve kratzt.
Gerade bin ich dabei, frisches Stroh in Peppers Box zu streuen.
Bloß nicht hochsehen. Angestrengt fixiere ich die Einstreu und schaue nicht nach links und rechts. Vielleicht gehen sie weiter, wenn ich nicht hochgucke. Aber natürlich wollen sie zu mir. Ich bin heilfroh, dass Pepper zwei Stunden im Unterricht mitgeht, so gelangen sie jedenfalls nicht in seine Nähe.
»Hi Flo.«
Melly ist genauso dreist wie ihre Mutter. Sie will mir tatsächlich ein Gespräch aufdrängen.
Argwöhnisch starre ich sie durch einen Arm voll pieksender Halme an und bleibe stumm.
Mellys Mutter reißt sofort das Gespräch an sich.
»Also, so ein eigenes Pferd ist schon ein Risiko. Was man da an Tierarztkosten hat, das ist ja gar nicht abzusehen. Da können Riesenbeträge zusammenkommen, die man kaum aufbringen kann. Schon mancher musste wegen hoher Arztrechnungen sein Pferd wieder verkaufen. Tja, und dann weiß man nie, ob es wieder in gute Hände kommt.«
»Definitiv«, mischt Melly sich ein. »Ist doch viel sicherer, man reitet ein Schulpferd. Dann muss man sich um nichts kümmern.«
Insgeheim erteile ich mir Befehle.
Rühr dich nicht, Flo. Tu ganz cool.
Ich stelle meine Augen auf unendlich und sehe durch Melly Lanz und ihre bescheuerte Mutter hindurch. Das beherrsche ich grandios.
Meine aufgezwungene Coolness brauche ich dringend, denn was Frau Dr. Lanz zum Besten gibt, geht mir echt an die Nieren.
Scheinheilig erzählt die Lanz von furchtbaren Fällen bei Ankaufsuntersuchungen, angeblich alle persönlich erlebt.
»Nur zu deinem Besten, Flo. Damit du abschätzen kannst, was auf dich zukommt, wenn du Pepper kaufst.«
Obwohl ich ihr kein Wort glaube, hinterlassen ihre Geschichten doch Spuren und machen mich nervös und ängstlich.
»Da schien ein Verkaufspferd ein begnadeter Springer zu sein, dabei hatte man es bis oben hin mit Schmerzmitteln vollgestopft. Hufrollenentzündung. Unheilbar. Der Wallach war total platt. Du kennst ja den Spruch: Ohne Huf kein Pferd.«
Ein Albtraum!
»Oder ein anderes Mal: Augenkrankheit, zunächst dachte man, ein bisschen entzündet, aber was war es: Die unheilbare periodische Augenentzündung!«
»Und gerade kürzlich so ein Fall. Kauft eine Freundin ein leicht lahmes Pferd. Und was war? Angerissene Sehne, praktisch nicht reitbar.«
Melly tänzelt in ihrem grünen Taftröckchen neben ihrer Mutter und verzieht dauernd bestätigend die Lippen, als hätte sie persönlich die Diagnose für alle diese Krankheiten gestellt.
Darf man als Psychologe Leute bewusst in Angst und Schrecken versetzen? Ich bin kurz davor, mit einem Protestschild vor ihre Praxis zu ziehen: BERUFSVERBOT FÜR DR. LANZ!
Auf jeden Fall hat die hinterhältige Kuh erreicht, dass ich nicht mehr klar denken kann. Offenbar bin ich blass wie ein Spulwurm, denn Frau Tauscher und Frau Vollmer – zwei von den Antiken –, die an meiner Box vorübergehen, gucken mich sehr merkwürdig an.
Sie bleiben stehen und fragen mich etwas, aber ich starre sie nur an, ich bin nicht in der Lage hinzuhören. Geschweige denn zu antworten.
Ich würde nicht mal mitkriegen, wenn unterm Habichthof plötzlich eine Antriebsrakete zünden und der Stall mit sämtlichen Pferden in den Weltraum abheben würde. Denn ich habe nur eins vor Augen: Hufkrankheiten, Herzkrankheiten, Hautkrankheiten, kaputte Lunge, kaputter Magen, kaputte Sehnen …
Als die Lanz-Bande endlich verschwindet, bin ich nahe dran, mich selbst in die Uniklinik einzuweisen.
Peppers Ankaufsuntersuchung geht mir nicht aus dem Kopf. Um versteckte Krankheiten vor dem Kauf aufzuspüren, lässt man vom Tierarzt einen Check machen. Was ist, wenn Tierarzt Müller-Maring bei Pepper etwas findet? Nach dieser Horrorpredigt von Frau Lanz habe ich Angst, dass mein Traum in letzter Minute zerplatzen könnte wie eine Seifenblase am Stacheldrahtzaun.
Ich brauche dringend Tapirs Rat und hacke eine SMS ins Handy.
Hilfe!!! Mellys Mutter behauptet, dass Pepper tausend Krankheiten haben kann. Bitte sag, dass das nicht stimmt. Was wäre das Schlimmste? LG Flo. Antworte schnell!!!
Gott sei Dank schreibt Tapir sofort zurück.
Relax! Pepper war immer gesund, seit ich auf dem Habichthof arbeite. Wirklich schlimm wären Hufkrankheiten. Mit kaputten Beinen geht nichts. Pferde sind Lauftiere. Ohne Huf kein Pferd. Pepper hat vier gesunde Beine, soweit ich weiß. Bleib ganz cool!
Tapir Als ich im Dunkeln nach Hause fahre, bin ich erledigt. Ich konnte noch nicht mal kurz mit Pepper schmusen, obwohl er mir doch fast gehört. Ständig war er von Fans belegt.
Eins ist mir nach dem furchtbaren Gerede von Mellys Mutter klar geworden: Ich muss verhindern, dass Papa eine Ankaufsuntersuchung in Betracht zieht. Vielleicht weiß er gar nicht, dass man solche Checks bei Pferdekäufen macht. In mir glüht eine Minihoffnung, dass mein Vater nichts über Kaufuntersuchungen gegoogelt hat. Obwohl das für den Planungsfreak Oliver Rohde unnatürlich wäre.
Jedenfalls werde ich mein persönliches Unwort des Jahres »Ankaufsuntersuchung« nicht erwähnen.
Bis in den Schlaf verfolgen mich die gemeinen Worte von Familie Lanz. Ich träume von nichts anderem als von Hufkrankheiten.
Dabei finde ich mich merkwürdigerweise auf der Rennbahn in Baden-Baden wieder, die ich in meinem ganzen Leben noch nie betreten habe. Auf der Tribüne sitzen dicht an dicht Zuschauer mit Zylinder und riesigen Hüten und trinken Tee. Auf allen Teebeuteletiketten steht gedruckt: »Ohne Huf kein Pferd.« Und bei den Engländern: »No hoof, no horse.«
Krähend wie ein Hahn läuft Mellys Mutter durch die Reihen und verteilt Teetassen. Auf jeder einzelnen Tasse ist in eleganter Schreibschrift eingebrannt: »Ohne Huf kein Pferd.«
Mit Pepper muss ich zu einem Treffpunkt, über dem »Polizeiliche Hufkontrolle« und »Ohne Huf kein Pferd« geschrieben steht.
Um auf Nummer sicher zu gehen, lasse ich im Traum Peppers Hufeisen entfernen und kaufe stattdessen vier sündhaft teure Reitschuhe aus atmungsaktivem Gewebe mit dreilagiger Sohle und griffigem Profil, die ich an seinen Fesselgelenken festbinde. Mit den neuen Reitschuhen an den Beinen flitzt Pepper mir sofort mit wehender Mähne weg, drängelt sich in die Startbox und will beim Rennen mitlaufen.
Die Zuschauer finden das witzig und jubeln vor Begeisterung. Sie werfen ihre Teetassen weg und laufen die Treppen hinunter zu den Buden, um auf Pepper zu wetten. Es herrscht allgemeine Verwirrung und im Präsidium gibt es große Diskussionen. Schließlich wird Pepper als Rennpferd abgelehnt.
»Der Wallach Pepper führt hinter seinem Namen nicht die Bezeichnung xx. Die Eigentümerin Flora Rohde hätte besser den Vollblüter Herz Tuan xx gekauft. Außerdem weisen wir darauf hin, dass das Tragen von Reitschuhen mit dreilagiger Sohle und griffigem Profil als schwere Täuschung für den Tierarzt-Check angesehen wird. Wegen versuchten Betrugs wird die Besitzerin Flora Rohde verurteilt, das gesamte Ge-läuf umzupflügen und mittels Grassaat folgenden Schriftzug einzusäen: Ohne Huf kein Pferd.«
Wie gerädert wache ich auf, nachdem ich die ganze Nacht mit einem mittelalterlichen Handpflug die Rennbahn umgegraben habe. Jeder einzelne Knochen schmerzt.
Mit lahmen Gliedern krieche ich aus dem Bett und schlurfe ins Badezimmer. Meine vom Pflügen geschundenen Finger stellen die Dusche auf Killerstrahl, um die letzten Traumreste zu töten und in den Abfluss zu spülen. Ich wünsche Mellys Mutter auf den Mond. Was hat die Frau mich verrückt gemacht.
Eins weiß ich definitiv: Es darf keine Ankaufsuntersuchung geben.