5. KAPITEL

„Sind Sie gekommen, um sich zu entschuldigen, Graf Gambrelli?“

Angelica trat aus ihrem Zimmer heraus und fand Wolf vor ihrer Tür auf dem Korridor stehen. Sie hatte sich vor nicht allzu langer Zeit zurückgezogen und die Männer auf der Terrasse allein gelassen, um die weiteren Arrangements zu besprechen, wohl wissend, dass ihre Anwesenheit dafür nicht benötigt wurde. Außerdem brauchte sie Zeit, um mit der Vorstellung klarzukommen, dass Wolf Gambrelli für eine gewisse Zeit eine feste Größe in ihrem Leben sein würde.

Er hatte seinen Schock vorhin gut überspielt, als Stephen ihm die Wahrheit eröffnete. Nur sein Kinn war für einen Moment hart geworden, und seine Augen hatten kurz aufgefunkelt. Der Blick, den er ihr zuwarf, hatte aber eher von Vergeltung als von einer Entschuldigung gesprochen.

„Wohl kaum“, sagte er jetzt auch und schob sie zurück in das Zimmer, um dann die Tür hinter sich zu schließen.

„Ich erinnere mich nicht daran, Sie in mein Schlafzimmer eingeladen zu haben, Graf Gambrelli.“ Angelica sah ihn unentwegt an. Nur das rasende Klopfen ihres Herzens und das leichte Zittern ihrer Hände, die sie hinter ihrem Rücken versteckte, verrieten, dass sie lange nicht so selbstsicher war, wie sie sich gab.

Es zuckte um seinen Mund. „Als Sie sich vorhin zurückzogen, da wussten Sie doch, dass ich Ihnen bei der ersten Gelegenheit nachkommen würde“, meinte er harsch. „Wahrscheinlich haben Sie es sogar darauf angelegt.“

Sie riss empört die Augen auf. „Bestimmt nicht!“

„Doch!“ Wolf hatte Mühe, seinen Ärger unter Kontrolle zu halten. Er ballte die Fäuste. „Sagen Sie, Angel, hat Ihnen das kleine Spiel, das Sie mit mir gespielt haben, Spaß gemacht?“

„Ich habe kein Spiel mit Ihnen gespielt“, widersprach sie und wich unwillkürlich einen Schritt vor ihm zurück. „Und nur Stephen nennt mich …“

„Angel?“ Wolf machte einen Schritt nach vorn. „Aber Sie sind alles andere als ein Engel, nicht wahr?“ Sein Blick lag herausfordernd auf ihrem Busen, der sich erregt hob und senkte. „Sie wussten genau, dass ich Sie vom ersten Augenblick an begehrte.“

„Nein!“

„Oh doch, Angel“, sagte er belegt. „Es hat Sie königlich amüsiert, mich zu beobachten, wie ich den Kampf mit mir selbst ausgefochten habe, hin und her gerissen zwischen meinem Verlangen nach Ihnen und meiner Freundschaft für Stephen. Ein Kampf, der mich daran gehindert hat, etwas wegen meines Verlangens zu unternehmen.“

In der letzten halben Stunde war die Wut auf diese Frau stetig in ihm gewachsen, auch wenn er nichts von seinem inneren Aufruhr hatte durchblicken lassen, während er die geschäftlichen Dinge mit Stephen besprochen hatte. Stephen hatte absolut nichts von dem Schock bei dem jüngeren Freund bemerkt, den seine Eröffnung bewirkt hatte, dass Angelica seine Tochter war und nicht, wie Wolf angenommen hatte, seine Geliebte.

Doch jetzt stand seine Wut kurz vor dem Überschäumen.

„Und wie sich jetzt herausstellt, war das alles völlig unnötig“, fuhr er gefährlich leise fort. Er griff Angelica bei den Oberarmen und zog sie zu sich heran, presste ihre weichen Rundungen an seine harte Brust.

„Hören Sie sofort auf damit“, protestierte Angelica atemlos. An ihrem Schoß konnte sie den Beweis seiner Erregung spüren. „Stephen und ich hatten abgemacht, es niemandem zu erzählen. Wir wollten uns erst genauer kennenlernen. Ich hatte gar kein Recht, es Ihnen zu sagen.“

Sie sah die Entschlossenheit in seinen Augen aufblitzen, als er den Kopf beugte. Er nahm ihren Mund in Besitz mit einer Intensität, die bestrafen sollte, die ihr zeigen sollte, wie verärgert er war. Und damit hatte er Erfolg.

Angelica wehrte sich anfangs, doch dann fand sein hitziges Verlangen in ihr ein Echo, das seiner Gier in nichts nachstand.

Sie erwiderte den Kuss mit dem gleichen Feuer, mit festem Griff hielt Wolf sie an sich gepresst. Angelica schlang die Arme um seinen Nacken und vergrub ihre Finger in seinem Haar, zog seinen Kopf näher zu sich heran und lud ihn ein, sich noch mehr von ihrem Mund zu nehmen und alles zu erforschen. Sie stöhnte lustvoll auf und schaute mit verhangenem Blick zu ihm auf, als er sich nur mit Anstrengung von ihrem Mund losriss.

„Nicht hier, Angel“, knurrte er, löste ihre Arme von seinem Nacken und drückte sie an ihre Seiten zurück. „Und ganz bestimmt nicht jetzt. Wenn ich mit dir schlafe, dann werde ich den Ort und die Zeit aussuchen.“

„Wenn?“ Ihr Herz schlug noch immer einen wilden Trommelwirbel, ihre Brüste spannten und sehnten sich nach seiner Berührung. „Ist das nicht etwas vermessen von Ihnen, vorauszusetzen, dass es überhaupt ein Wenn geben wird?“ Schamesröte stieg ihr ins Gesicht, weil sie ihre Reaktion auf diesen Mann nicht kontrollieren konnte, sosehr sie es auch versuchte.

Heute Morgen hatte sie sich noch davon überzeugt, dass die Verwirrung durch den Sturz vom Pferd die Schuld für diese Unfähigkeit trug. Hatte sich eingeredet, sie würde es mühelos schaffen, wenn sie nur erst wieder einen klaren Kopf hatte. Doch die brennende Leidenschaft, die soeben zwischen ihnen aufgeflammt war, strafte all ihre festen Vorsätze Lügen.

„Ist es das wirklich?“, spottete er und sah in ihr erhitztes Gesicht. „Gefällt es dir etwa nicht, was ich hier tue?“ Mit der Zungenspitze strich er über ihre Lippenkonturen. „Und das hier gefällt dir auch nicht?“ Mit einer Hand umfasste er die feste Rundung ihrer Brust und rieb langsam mit dem Daumen über die harte Spitze.

Angelica schmiegte sich der Berührung entgegen, als sie die schmelzende Wärme in ihrem Schoß sich sammeln fühlte. Ein schwaches Zittern überkam sie, und ein Ausdruck triumphierender Befriedigung blitzte in Wolfs Augen auf.

„Ja, ich kann sehen, wie widerwärtig dir meine Berührungen sind“, murmelte er spöttisch. „So widerwärtig, dass du es gar nicht abwarten kannst, bis ich sie wiederhole.“

Er genoss es, sie zu erniedrigen! Angelica riss sich zusammen. „Sie machen sich nur etwas vor, Graf Gambrelli“, fauchte sie und trat von ihm zurück.

„Tue ich das?“, fragte er leise. Angels Protest überzeugte ihn nicht, nicht, wenn er sie mit allen Sinnen wahrnehmen konnte.

„Ganz sicher“, behauptete sie dennoch. „Sie verkörpern alles, was ich an einem Mann verabscheue!“

Er kniff drohend die Augen zusammen. „Tatsächlich, ja?“

„Ja!“, stieß sie aus. „Sie sind ein Don Juan der schlimmsten Sorte. Ein Playboy, ein Mann, der …“

„Wie dein leiblicher Vater“, entgegnete Wolf, dem es nicht gefiel, derart charakterisiert zu werden.

Auch wenn es stimmen mochte …

„Richtig“, spie sie ihm entgegen. „Stephen habe ich schätzen und lieben gelernt, trotz seiner Fehler, weil er mein Vater ist. Aber Sie muss ich nicht mögen!“

Wolf musterte sie stumm. Ja, er hatte die Gesellschaft von Frauen ausgekostet und genossen. Aber die Frauen hatten seine Gesellschaft ebenso genossen. Nie hatte er einer Frau falsche Versprechungen über die Beziehung gemacht, nie hatte er eine Frau absichtlich verletzt. Er hatte seine Emotionen immer eisern unter Kontrolle gehalten …

Jetzt zuckte er mit den Schultern. „Nun, wenn du deinen Abscheu so zeigst wie vor ein paar Minuten, dann kann ich durchaus damit leben.“

„Es wird nicht wieder vorkommen“, versicherte Angelica. „Ich muss einen Mann schon respektieren, bevor ich …“ Sie brach ab. „Ich habe nicht die geringste Absicht, die neuste auf Ihrer langen Liste von Eroberungen zu werden.“

„Das wird schwierig für Sie werden.“ Ihre Verachtung traf ihn, und er fiel wieder in das formelle Sie zurück. „Da ich nämlich gerade Ihrem Vater zugesagt habe, dass ich mich um Sie kümmern werde, solange er außer Gefecht gesetzt ist.“

Angelica konnte sich bestens vorstellen, wie er sich das dachte! „Verlangt diese Freundschaft, die Sie angeblich für Stephen fühlen …“

„Da gibt es kein angeblich“, fiel er ihr streng ins Wort. „Unsere Freundschaft reicht Jahre zurück.“

Sie hob eine Augenbraue. „Nun, in diesem Falle … Verlangt die Freundschaft zwischen Stephen und Ihnen nicht auch einen gewissen Respekt für Stephens Tochter?“

„Möglicherweise.“ Er legte den Kopf abschätzend schief. „Wenn ich mir Ihrer Motive sicher sein könnte.“

„Ich will nichts von Stephen. Das ist eine Tatsache!“

Seine dunklen Augen blitzten auf. „Und wie lange wissen Sie schon von dieser Tatsache?“

Angelica betrachtete ihn argwöhnisch. „Seit ich mit zwölf meine Mutter nach meinem leiblichen Vater gefragt habe.“

„Und dennoch haben Sie sich bis vor einem Jahr Zeit gelassen, um ihn zu kontaktieren?“ Er lächelte herablassend.

„Weil er bis vor einem Jahr noch seine Frau gehabt hat, die durch meine bloße Existenz verletzt worden wäre“, fauchte sie, wütend über die Anspielung.

„Grace.“ Wolf nickte. „Sagen Sie, Angel, war es die Neugier, die Sie bewegt hat, Stephen nach Grace’ Tod zu kontaktieren, oder wurde es nur interessant für Sie, weil Sie die einzige Erbin eines nicht unbeträchtlichen Vermögens sein würden?“

Angelica sog scharf die Luft ein. Die Aussicht auf derartige Anschuldigungen hatte sie vor einem Jahr lange überlegen lassen, ob sie sich überhaupt bei Stephen melden sollte. Sie hatte gewusst, dass manche Leute sie in diesem Licht sehen würden.

Nach den Beleidigungen, die Wolf ihr entgegengeschleudert hatte, weil er sie für Stephens Geliebte gehalten hatte, hätte sie wissen müssen, dass er zu diesen Leuten zählen würde. „Stephen hat Ihnen doch bereits gesagt, dass ich mich weigere, etwas von ihm anzunehmen.“

„Er hat mir ebenso gesagt, dass Sie seine Alleinerbin sind“, schoss Wolf zurück.

Ihre grauen Augen wurden dunkel wie Sturmwolken. „Davon wusste ich bis vor ein paar Minuten nichts.“

„Und das hätten Sie sich nicht denken können?“ Seine Lippen zuckten verächtlich. „Stephen hat keine Familie, und nach Grace’ Tod ist niemand mehr da – bis auf eine außereheliche Tochter, die plötzlich vor einem Jahr auf seiner Türschwelle auftaucht.“

Angelica hatte Mühe zu sprechen. „Ich denke, Sie sollten jetzt besser mein Schlafzimmer verlassen, Graf Gambrelli“, ordnete sie kalt an. „Bevor Sie noch mehr Beleidigungen ausstoßen.“

„Was ist beleidigend daran, wenn ich behaupte, dass Sie im Falle von Stephens Tod eine sehr reiche Frau werden? Ob das nun bald oder in vielen Jahren sein wird.“

„Raus!“, stieß sie bebend aus. Sie wollte nicht an die Möglichkeit denken, dass Stephen sterben könnte. „Ich werde Stephen klarmachen, dass ein Arrangement zwischen uns beiden absolut unmöglich ist.“

„Sie werden ihm gegenüber nichts dergleichen erwähnen“, untersagte Wolf ihr scharf. „So wie ich es verstanden habe, ist Stephen ein todkranker Mann. Er braucht nicht noch eine weitere Sorge, die ihn belastet. Wir beide werden ihm versichern, dass das Arrangement absolut in Ordnung ist.“

Angelica wollte widersprechen, doch Wolf hatte recht. Stephen musste sich nicht noch zusätzlich um ihr Wohlergehen Sorgen machen. Er brauchte seine ganze Energie, um wieder gesund zu werden.

„Sehen Sie nicht so bedrückt drein, Angel“, meinte Wolf lang gezogen. „Die Tatsache, dass Sie mich für einen skrupellosen Schürzenjäger halten und ich Sie für eine berechnende Goldgräberin, könnte die nächsten Wochen doch recht interessant werden lassen, meinen Sie nicht auch?“

Nein, das meinte sie ganz und gar nicht! Aus Sorge um sie hatte Stephen sie in eine unerträgliche Lage gebracht. Aber weder Wolf noch sie konnten im Moment etwas daran ändern.

Wolf sah den Ausdruck der verschiedenen Emotionen über ihr Gesicht huschen. Ihr Entsetzen über die Aussicht, Zeit mit ihm zu verbringen, wurde schnell abgewechselt von Entschlossenheit und einem Sichfügen in die unabänderliche Situation. Um Stephens willen.

Nach Jahren, in denen ihm die schönsten Frauen der Welt nachgestellt hatten und er jede Frau hatte haben können, die er wollte, fand er es auf eine seltsame Art erregend, dass Angelica Harper so absolut nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Er lächelte humorlos. „Stephen und ich haben die Unterbringungsmöglichkeiten für die nächsten Wochen besprochen.“

„Unterbringungsmöglichkeiten?“, wiederholte Angelica misstrauisch.

Wolfs Lächeln wurde breiter. „Sie sollen in Stephens Londoner Stadthaus bleiben.“

„Ja, von dort ist es näher zur Klinik als von meiner Wohnung“, gab sie verdrießlich zu.

„Stephen und ich sind übereingekommen, dass ich ebenfalls dort wohnen werde – statt in der Suite des Gambrelli-Hotels auf der anderen Seite der Stadt.“

„Das wird ja immer lächerlicher!“, rief Angelica aus. „Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt, ich brauche keinen Babysitter!“

Wolfs Lächeln erschien auf einmal lauernd. „Aber ich habe keineswegs vor, Sie wie ein Kind zu behandeln, Angel.“

„Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Sie sollen mich nicht so nennen!“

Er ließ seinen Blick über sie gleiten. „Ich muss zugeben, Sie sind eher ein dunkler Engel denn ein goldener. Aber ich ziehe es vor, wenn meine Engel eher ein wenig … teuflisch als zu sanftmütig sind.“

„Ich bin nicht Ihr Engel und werde es nie sein!“ Frustriert funkelte Angelica ihn an. „Und falls wir wirklich in den nächsten Wochen unter einem Dach leben sollen, Graf Gambrelli, dann würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie jegliche weitere persönliche Bemerkungen unterließen. Um genau zu sein, ich …“

Sie hielt inne, als er zu lachen begann. „Ich verstehe nicht, was so amüsant an der Situation sein sollte.“

Er zuckte mit einer Schulter. „Das liegt nur daran, weil Sie im Moment Ihren Sinn für Humor verloren haben.“

„Dafür scheinen Sie Ihren gefunden zu haben“, meinte sie mürrisch. Sinn für Humor war das Letzte, was sie in der Nähe dieses Mannes empfand. Er rieb sie auf, ärgerte sie, frustrierte sie … und erregte sie. Mit Humor hatte das nichts zu tun.

Vor allem nicht ihre Reaktion auf ihn.

Wolf war von Anfang an unhöflich zu ihr gewesen, hatte ihr die schlimmsten Motive unterstellt und schien jetzt noch misstrauischer geworden zu sein, da er erfahren hatte, dass sie Stephens Tochter war.

Körperlich hätte sie nie so auf diesen Mann reagieren dürfen. Und doch hatte sie es getan. Sie schob ihr Kinn vor. „Falls wir in einem Haus leben sollen …“

„Ich sagte doch schon, das werden wir“, warf Wolf ein.

„… dann werden wir einige Regeln aufstellen müssen, Graf Gambrelli.“

„Die erste Regel lautet, dass Sie mich Wolf nennen, und ich werde Sie Angel nennen. Wir sind uns doch einig, dass wir Stephen jegliche zusätzliche Sorge ersparen wollen, oder?“, setzte er nach, weil er sah, dass sie protestieren wollte.

Sie presste die Lippen zusammen. „Wenn ich so berechnend wäre, wie Sie denken, meinen Sie dann, es würde mich kümmern?“

Wolfs Blick wurde warnend. „Ich halte es für das Beste, wenn Sie für die Dauer von Stephens Operation und Rekonvaleszenz weiterhin die Rolle der liebenden Tochter spielen.“

Bei seinem drohenden Ton wurde sie blass. „Und welche Rolle übernehmen Sie, Graf Gambrelli?“

„Ich? In Stephens Gegenwart werde ich weiterhin der aufmerksame und treue Freund sein, der ich immer gewesen bin.“

„Und wenn wir allein sind?“

„Das wird sich noch herausstellen“, meinte er provozierend.

Angelica starrte ihn argwöhnisch an. Wolf Gambrelli war ein gefährlicher Mann. Dennoch würde sie sich nicht von ihm einschüchtern lassen.

Ihre Blicke trafen sich und ließen nicht voneinander ab, als Wolf einen Schritt auf sie zumachte und direkt vor ihr stehen blieb. So nah, dass sie die goldenen Pünktchen in seiner Iris sehen konnte. So nah, dass seine Körperwärme ihr einen Schauer über den Rücken jagte. So nah, dass ihr Bewusstsein ganz und gar von ihm erfüllt war.

Sie holte tief Luft. „Ich bin nicht die, für die Sie mich halten, Wolf.“

Er lächelte spöttisch. „Nicht?“

„Nein“, sagte sie mit einem Seufzer.

„Das wird sich wohl mit der Zeit zeigen. Aber Sie wollten doch ein paar Regeln festlegen für die Dauer unseres Zusammenlebens, oder?“

Er wollte sie absichtlich provozieren, das war Angelica klar. Mit Zusammenleben, wie er es meinte, hatte das nichts zu tun. Sie würden sich im selben Haus aufhalten. Angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Stadtvilla mit zwölf Schlafzimmern handelte, würden sie sich nicht einmal begegnen müssen, wenn sie nicht wollten. Der Selbstschutz gebot es Angelica, dass sie Distanz zu diesem Mann wahrte.

„Je mehr wir uns aus dem Weg gehen, während wir in Stephens Haus bleiben, desto besser“, verkündete sie.

Wolf fiel auf, wie blass sie war, sah das leichte Beben ihrer vollen Lippen, sah, wie sie schluckte und ihre Brust sich hob und senkte. Sein Blick ruhte wieder auf ihren festen Rundungen, und automatisch musste er daran denken, wie sie sich angefühlt und wie sie geschmeckt hatte. Sein Körper reagierte allein bei der Erinnerung. Dieser Frau, die er so sehr begehrte, aus dem Weg zu gehen, war einfach keine Option!

Zumindest keine sehr realistische.

„Was noch?“, fragte er.

Angelica verzog das Gesicht. „Wenn wir uns an diese eine halten, werden keine weiteren nötig sein.“

„Angel …“

„Außer dieser einen noch“, fiel sie sofort ein. „Ich kann nicht akzeptieren, dass Sie mich mit dem Kosenamen anreden, den Stephen für mich benutzt.“

Wolf hob eine Augenbraue. „Sie glauben nicht, dass ich ebenfalls liebevoll sein kann?“

Sie war sicher, dieser Mann konnte alles sein, wenn er es darauf anlegte. „Liebevoll vielleicht. Aber ich glaube nicht, dass Sie je wirklich in eine der Frauen verliebt waren, mit denen Sie zusammen gewesen sind.“

„Wäre ich das gewesen“, sagte er mit plötzlich verschlossener Miene, „würde dieses Gespräch zwischen uns gar nicht stattfinden.“

Angelica sah verwirrt zu ihm hin. „Wie meinen Sie das?“

Er lächelte dünn. „Die Männer in meiner Familie, zumindest die, die noch Junggesellen sind, nennen es den Fluch der Gambrellis.“

„Ich verstehe nicht …“

„Um es einfach auszudrücken, Angel“, erklärte Wolf. „Hätte ich mich jemals verliebt, dann wäre ich jetzt verheiratet und Vater von einem Dutzend Kindern – Beweise meiner Liebe.“

„Ich verstehe noch immer nicht.“

„Nein, wie sollten Sie auch“, meinte er grüblerisch. „Es ist kein Geheimnis, dass die Männer in meiner Familie sich nur einmal in ihrem Leben verlieben, und dass diese Liebe dann für immer hält. Auf ewig, voller Leidenschaft, absolut bedingungslos.“

Angelica hob ungläubig die Augenbrauen. „Aber das ist doch …“

„Eine unumstößliche Tatsache“, bekräftigte Wolf. „Wenn es die Gambrelli-Männer einmal packt, dann lieben sie die eine Frau für den Rest ihres Lebens. Mein Großvater verliebte sich in meine Großmutter, als die beiden noch Kinder waren. Ihre Ehe hielt über siebzig Jahre. Mein Vater traf meine Mutter, da war er fast fünfzig und sie erst fünfundzwanzig, aber ihre Liebe währte sein ganzes Leben. Diese Liebe war so tief, dass meine Mutter, jung und schön, wie sie ist, selbst zehn Jahre nach dem Tod meines Vaters noch immer Witwe ist.“

Nach einer kurzen Pause, in der er sehr nachdenklich aussah, fuhr er fort: „Mein Onkel Carlo, der Vater meines Cousins Cesare, verliebte sich vor vierzig Jahren in das Hausmädchen. Die Familie war gegen die Verbindung, aber er hat sie dennoch geheiratet. Sie starb, als Cesare und seine Schwester noch Kinder waren. Von da an hat sich mein Onkel langsam zu Tode getrunken. Und jetzt liebt Cesare seine Frau Robin in der gleichen allumfassenden Art und Weise.“

„Und ist er etwa unglücklich mit seiner Liebe?“, fragte Angelica leise. Sie hatte die Fotos von Cesare Gambrelli und seiner Frau Robin gesehen. Die beiden wirkten auf jedem Bild geradezu überschwänglich glücklich.

„Nein, ganz im Gegenteil“, gab Wolf zu. „Er ist glücklicher, als ich ihn jemals gesehen habe. Aber er ist nicht mehr der Mann, der er war, bevor er Robin kennenlernte.“

Angelica hielt das keineswegs für einen Nachteil. Über Cesare Gambrelli hatte sie immer wieder gehört, dass er ein harter und unnachgiebiger Mann sei, nur am nächsten Geschäft interessiert und daran, wie er die nächste Frau in sein Bett bekommen konnte.

Also Wolf wohl gar nicht so unähnlich …

„Und um nun Ihre Frage zu beantworten, Angel“, fuhr Wolf fort. „Nein, ich war noch nie verliebt. Um genau zu sein, ich habe einen Großteil meines Lebens damit verbracht, genau das zu vermeiden.“

Falls sein herrischer Ton ein Anzeichen sein sollte, dann würde er wohl auch den restlichen Teil seines Lebens darauf achten, dass es nicht vorkam. Was Angelica nur passte. Sie hatte nicht die Absicht, sich in diesen Mann zu verlieben!

„Sagten Sie nicht, dass Sie das Neugeborene Ihres Cousins heute besuchen gehen wollten?“, erinnerte sie ihn spitz.

Das sollte wohl eine Aufforderung sein, endlich zu verschwinden. „Da ich nun mit Stephen gesprochen habe, hat es vorerst keine Eile. Ich denke, mit der Zeit werden Sie feststellen, dass ich unter gewissen Umständen endlos warten kann“, murmelte er und war sich bewusst, dass sie den doppelten Sinn seiner Bemerkung durchaus verstanden hatte, als ein Hauch Rot auf ihre Wangen zog.

Jetzt, da er wusste, dass Angelica Stephens Tochter und nicht seine Geliebte war, fühlte er sich keineswegs durch Stephens Bitte überfordert. Im Gegenteil, sich um Angel zu kümmern könnte höchst interessant werden.

Sie schaute ihn unentwegt an. „Ich hatte Sie gebeten, mein Schlafzimmer zu verlassen, Graf Gambrelli.“

„So scheint es, ja.“

„Wolf, bitte, so gehen Sie … Was machen Sie da?“, stieß sie atemlos aus, als er eine Hand an ihre Wange legte und dann ihr Kinn fasste, um sie forschend zu mustern.

War sie die Frau, die sie vorgab zu sein? Das unschuldige Resultat einer Affäre, die Stephen vor siebenundzwanzig Jahren gehabt hatte? Oder war Angelica die Goldgräberin, wie Wolf fürchtete?

Ganz gleich, was sie war – er begehrte sie. Er wollte sie küssen, sie berühren, ihre seidige Haut an seiner fühlen und sie in schwindelnde Höhen führen, so wie sie ihm das gleiche unaussprechliche Vergnügen bereiten sollte.

Er presste die Lippen zusammen und trat zurück von der Versuchung. Je länger er wartete, desto größer würde die Befriedigung ausfallen. „Es wurde beschlossen, dass ich morgen zum Dinner in Stephens Stadtvilla ankomme“, teilte er ihr nüchtern mit, „also Montagabend. Ich rate Ihnen, Stephen in der Zwischenzeit nicht mit Ihren Bedenken hinsichtlich unseres Arrangements zu belasten“, fügte er warnend hinzu.

Angelica blinzelte, als er sie abrupt losließ, so abrupt, dass sie fast gestrauchelt wäre. Sie wusste, er hätte sie beinahe geküsst, sie hatte das Verlangen in den dunklen Augen aufblitzen sehen. Und die Selbstverachtung, als er sie mehr oder minder von sich gestoßen hatte. Ihre Haut prickelte, dort, wo er sie berührt hatte.

Dass sie beide unter einem Dach leben sollten, war eine unmögliche Situation. Völlig inakzeptabel.

Und unabänderlich, falls sie Stephen nicht unnötig beunruhigen wollte, bevor er sich der lebensnotwendigen Operation unterzog.

Sie mochte Wolf Gambrelli nicht vertrauen, aber Stephen vertraute ihm offensichtlich. Er hatte diesen Mann zu ihrem Beschützer ausgewählt.

Doch da ihre eigenen Verteidigungsmechanismen jedes Mal komplett aussetzten, sobald er sie auch nur anfasste … wer beschützte sie da vor Wolf Gambrelli?