8. KAPITEL

„Was machen Sie da?“, fragte Angelica schlaftrunken, als sie sich auf starke Arme gehoben fühlte.

Die letzten zwölf Stunden hatten sie ausgelaugt, sie war völlig erschöpft. Die Aufregung, das Warten auf den Ausgang von Stephens Operation, die Überraschung, ihre Mutter hier zu sehen … es war eine emotionelle Achterbahnfahrt gewesen. Dann die unendliche Erleichterung, als Peter Soames mit der guten Nachricht aufgetaucht war, und schließlich das tränenreiche Wiedersehen mit Stephen, als er aus der Narkose aufwachte, aber dann sofort wieder, durch Schmerzmittel ruhiggestellt, einschlief.

Angelicas Mutter war bald darauf gegangen, beruhigt durch Wolfs Anwesenheit. Angelica konnte diese Zuversicht ihrer Mutter keineswegs teilen, auch wenn ihre Sorge um Stephen vorerst deutlich gemildert war.

Und ihr Argwohn wuchs nur noch, als Wolf sie jetzt aus dem Sessel in Stephens Krankenzimmer hob. „Was machen Sie da?“, wiederholte sie ihre Frage.

Sie hatte sich geweigert, in Stephens Villa zurückzukehren, wie Wolf vorgeschlagen hatte. Sie hatte stur darauf beharrt, bei Stephen in der Klinik zu bleiben, und sich für die Nacht auf dem Sessel neben Stephens Bett eingerichtet. Weder Stephen noch Wolf hatten sie überreden können heimzugehen. Aber dann musste sie wohl eingeschlafen sein.

Wolf sah in ihr Gesicht, als er mit ihr auf den Armen das Zimmer durchquerte. „Ist das nicht offensichtlich?“

„Für mich nicht“, widersprach sie.

„Ein Sessel ist kein Platz, um die ganze Nacht darin zu verbringen. Und da Sie entschlossen scheinen, die Nacht hierzubleiben, habe ich ein Zimmer für Sie organisiert.“

Im Zimmer neben Stephens hatte heute Morgen noch eine Frau mittleren Alters gelegen. Wenn man Wolf Gambrellis Charme besaß, war die Verlegung einer Patientin zu bewirken sicher eine Kleinigkeit …

Sie drehte den Kopf und sah zu Stephen. Schläuche steckten in seinen Armen, Monitore blinkten und piepsten, aber er schlief tief und atmete regelmäßig.

„Ich lasse die Tür angelehnt, dann können Sie hören, falls Stephen wach werden und nach Ihnen rufen sollte.“ Wolf hatte Angelicas besorgten Blick auf ihren Vater gesehen. „Wenn Sie nicht ebenfalls ein wenig Ruhe bekommen, werden Sie Stephen morgen keine große Hilfe sein.“ Damit trug er sie in das angrenzende Zimmer, in dem der Lichtschein von nebenan die einzige Lichtquelle war.

Heute Nachmittag, als er dieses Zimmer für Angelica organisiert hatte, damit sie sich ausruhen konnte, war ihm sein Plan noch völlig logisch und vernünftig erschienen. Doch jetzt, da er sie weich und warm in seinen Armen hielt und ihr Duft all seine Sinne anregte, noch dazu mit dem bequemen Bett vor Augen, da war er sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob das noch etwas mit Logik zu tun hatte!

Als Angelica mit vom Schlaf verhangenen Augen zu ihm aufschaute, da war das eine Versuchung für ihn, der er nicht widerstehen konnte. Und ihren leicht geöffneten vollen Lippen konnte er erst recht nicht widerstehen.

Nach Stunden in ihrer Gegenwart, in denen er sich intensiv all ihrer Reize bewusst gewesen war, wusste er, er musste sie berühren, musste sie schmecken. Musste einfach.

Zusammen mit ihr legte er sich auf das Bett und zog sie fest an sich. Vorsichtig nahm er ihren Mund in Besitz, leicht zuerst nur, fragend, zögernd, so als wolle er ihre Reaktion abwarten, anstatt eine solche gierig zu fordern.

Angelica war zu müde, um sich zu wehren, als Wolf die Lippen vorsichtig auf ihre drückte. Die Art, wie er sie küsste, so leicht, so verhalten, bereitete ihr ein unaussprechliches Vergnügen, das durch ihren Körper rauschte. Jetzt sog er an ihrer Unterlippe, knabberte zärtlich daran. Und in diesem Moment wusste sie, dass sie ihn wollte. Ganz und gar.

Dennoch war sie sich bewusst, wo sie sich befanden – in einem Krankenhaus. Die typischen Geräusche drangen, wenn auch leise, vom Gang ins Zimmer. Die Nachtschwestern hatten längst ihren Dienst angetreten und gingen ihren Pflichten nach. Leise seufzte sie ihre Bedenken, als Wolf ihren Hals und ihr Kinn liebkoste.

„Ich habe die Tür abgeschlossen“, murmelte er heiser.

„Hast du?“, flüsterte sie. „Das war sehr vernünftig von dir.“

Wolf hob den Kopf, seine Augen funkelten in der Dunkelheit. „Vernunft war nicht die treibende Kraft dahinter“, sagte er trocken.

Sie lächelte verträumt. „Soll ich raten, was die treibende Kraft war?“

„Ich würde es dir lieber zeigen“, meinte er mit sinnlicher Stimme, fasste ihr Gesicht zärtlich mit beiden Händen und beugte langsam den Kopf.

In der anonymen Dunkelheit des Zimmers reagierte Angelica instinktiv. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und vergrub die Finger in seinem seidigen Haar. Unter dem leichten Druck seines Mundes öffneten sich ihre Lippen, und mit einem kehligen Stöhnen nahm er ihren Mund in Besitz und nahm sich, was sie ihm so willig bot.

Hitze flammte in Angelica auf, als Wolf sacht eine Hand auf ihre Brust legte und streichelte, reizte. Verlangend bog sie sich der Berührung entgegen, genoss das Gefühl der heißen Spur, die seine Zunge an ihrem Hals zeichnete. Wellen der Lust durchströmten sie, als er mit dem Mund weiter nach unten wanderte, hin zu der Stelle, wo seine Finger ihr bereits unaussprechliche Lust bereiteten.

Ihr entfuhr ein leiser Aufschrei, als er die erblühte Knospe ihrer Brust zwischen seine Lippen sog und sie immer mehr antrieb. Er rieb sich an ihrer Seite, und sie konnte den Beweis seiner Erregung fühlen.

„Wolf …?“, hauchte sie flüsternd.

Seine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt. Er konnte ihre von seinen Küssen geschwollenen Lippen ausmachen, sah, wie ihr langes Haar über die Kissen floss, las in ihren grauen Augen das Verlangen. Voller Hingabe widmete er sich den festen Rundungen, und als sie aufseufzte, da erhörte er ihre Bitte und ließ seine Hände fiebrig über ihren Körper wandern, hinunter zum Zentrum ihrer Lust.

Geschickt schob er die seidige Spitze ihres Slips beiseite. Er konnte die Hitze spüren, die Angelica ausströmte, fühlte das verlangende Pochen.

Angelica verlor sich in der sinnlichen Ekstase, die Wolf ihr mit jeder Berührung bereitete. Sie schmiegte sich seinen liebkosenden Fingern entgegen, half ihm, als er ihr geschickt die Jeans von den Beinen strich. Sie riss die Augen auf, als sie seinen warmen Atem an der empfindsamen Innenseite ihrer Schenkel spürte, und Flammen schossen in ihr auf, als er ihr den intimsten aller Küsse gab.

Wild warf sie den Kopf von einer Seite zur anderen, stieß leise wimmernde Laute der Lust aus. Wolf spürte, dass sie sich dem Gipfel näherte, wusste, sie war bereit für ihn. Als er mit den Fingern in sie eindrang, fühlte er den Schauer, der sie erfasste, und spürte ihre Muskeln sich zitternd um ihn schließen. Langsam begann er einen tiefen Rhythmus und erregte sie mehr und mehr, bis er wusste, er konnte es nicht länger für sie hinauszögern. Als er erkannte, dass sie die Grenze überschritten hatte, von der es keine Rückkehr mehr gab, schenkte er ihr die Erlösung, nach der sie sich sehnte.

Erst lange Zeit später, so schien es Angelica, kam sie auf die Erde zurück. Sie schmeckte das Salz von Tränen auf ihren Wangen. Nicht Tränen des Bedauerns, sondern Tränen des Glücks und der kompletten Erfüllung. Angelica wusste, Wolf hatte gegeben, nicht genommen, und er gab noch immer, streichelte beruhigend ihren zuckenden Körper mit seinen zärtlichen Händen.

Das ist also Wolf, erkannte sie erstaunt. Der Mann, den sie nicht nur ein Mal, sondern mehrere Male als egoistischen Casanova bezeichnet hatte. Doch nun wusste sie, dass keine der Frauen in seiner Vergangenheit sich je benutzt oder betrogen gefühlt hatte. Auch wenn Wolf vielleicht nie die Absicht gehabt hatte, einer Frau sein Herz zu schenken und sich dem Gambrelli-Fluch einer alles verzehrenden Liebe zu ergeben, so gab er auf jeden Fall alles, was zu geben ihm möglich war. Uneingeschränkt, freigiebig, großzügig.

Und vor allem uneigennützig.

Angelica regte sich leicht in seinen Armen, als er sich wieder neben sie legte und sie an sich zog. „Wolf …“

„Nicht reden, Angel“, knurrte er leise. „Lass uns diesen Moment nicht durch unnötige Worte zerstören. Ich will jetzt keine Selbstanalyse machen. Und ich möchte auch nicht unbedingt Vorwürfe von dir hören.“

„Ich wollte dir auch gar keine Vorwürfe machen, Wolf“, versicherte sie ernsthaft. Es gab nichts, was sie ihm vorwerfen könnte. Er hatte sie nur sanft geküsst, hatte sie zu nichts gezwungen, hatte abgewartet, wie ihre Reaktion ausfallen würde. Erst, als er sich sicher sein konnte, dass sie wirklich und uneingeschränkt für ihn bereit war, hatte er die Intimitäten weitergeführt.

In einer Art, die Angelica so noch nie erfahren oder erlebt hatte. Sie hatte nicht einmal geahnt, dass sie so empfinden konnte. Oh sicher, sie hatte natürlich Beziehungen mit Männern gehabt, aber noch nie mit einem Mann wie Wolf. Und noch nie hatte sie ein solches Vergnügen empfunden, das ihre Welt praktisch aus den Angeln gehoben hatte. Noch immer prickelte ihre Haut, noch immer glühte sie am ganzen Leib vor vollkommener Befriedigung.

Nein, sie hatte Wolf keine Vorwürfe zu machen. Wolf hatte ihr alles geschenkt, was sie sich wünschen konnte. Er hatte ihr alles gegeben, ohne dabei an sich selbst zu denken.

Und sie konnte auch nicht das geringste Anzeichen von überheblicher männlicher Selbstzufriedenheit erkennen. Was sie eigentlich fast von ihm erwartet hätte, bei der Reaktion, die er ihr entlockt hatte.

„Ich bin vollauf zufrieden, Angel. Nehmen wir es an als das, was es war, einverstanden?“, brummte er in die Stille hinein, als sie nichts sagte.

Aber was war es denn? fragte sie sich. Es konnte kein Zweifel bestehen, dass Wolf ein wunderbarer Liebhaber war, der genau wusste, wie er einer Frau Vergnügen schenken konnte. Doch war das alles, was es gewesen war? Nur ein kurzweiliges Vergnügen?

Hatte Wolf nur die Rolle des erfahrenen Liebhabers gespielt, der der Frau, die er gerade in den Armen hielt, Vergnügen schenkte? Oder war es mehr als das?

Angelica wusste, sie wäre eine Närrin, würde sie in das, was gerade zwischen ihnen geschehen war, mehr als das Empfangen und Schenken von körperlicher Lust hineinlesen.

Wollte sie denn, dass es mehr war?

Wolf war wie Stephen – ein Mann, der die Frauen liebte. Doch im Gegensatz zu Stephen hatte Wolf nie einer Frau das Versprechen gegeben, sie zu lieben und ihr sein Lebtag lang treu zu sein. Wahrscheinlich würde er dieses Gelöbnis auch nie ablegen. Sollte Angelica wirklich erwarten, dass Wolf ihr mehr geben würde, als er ihr schon gegeben hatte, dann machte sie sich nur etwas vor.

Nein, so dumm war sie nicht. Sie würde nicht den Fehler begehen und sich einreden, die soeben geteilten Intimitäten hätten eine besondere Bedeutung für Wolf. Sie würde nicht darauf verfallen und sich einbilden, sie könnte mehr für Wolf sein als all die anderen Frauen, die er über die Jahre gekannt hatte.

Er hatte ihr etwas geschenkt, aber auch sie hatte ihm etwas zurückgegeben mit ihrer uneingeschränkten Reaktion. Und er war zufrieden damit, hatte er soeben gesagt. Er brauchte nicht mehr von ihr.

Sie drehte sich in seinen Armen und schmiegte sich unter der Bettdecke, die er über sie beide gezogen hatte, an ihn, bettete ihren Kopf an seine Schulter. Sie konnte seinen Herzschlag hören, wusste, da sein Puls noch immer stark und kräftig schlug, dass er ebenso erregt gewesen war wie sie, auch wenn er selbst keine Erfüllung gefunden hatte.

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie ihm morgen früh in die Augen sehen sollte, nachdem er sie so intim erfahren und sie so wild auf ihn reagiert hatte. Doch dem würde sie sich stellen, wenn es so weit war. Jetzt wollte sie einfach nur in seinen Armen einschlafen.

„Gute Nacht, Wolf“, murmelte sie schlaftrunken.

„Schlaf jetzt, Angel“, gab er rau zurück.

Mit einem zufriedenen Seufzer schloss sie die Augen und ließ sich von der Erschöpfung in den Schlaf ziehen.

Als ihr Körper sich an seiner Seite entspannte und er ihre Atemzüge regelmäßig gehen hörte, wusste Wolf, dass Angelica eingeschlafen war.

Bebend atmete er tief durch, zwang sich, sich zu entspannen, während er sie in seinen Armen hielt und mit offenen Augen in die Dunkelheit starrte. In dieser Nacht würde er keinen Schlaf finden.

Er war nicht komplett ehrlich zu ihr gewesen. Oh, er war schon zufrieden, da hatte er nicht gelogen. Mehr als zufrieden sogar, mit ihrer Reaktion, mit ihrem berauschenden Geschmack und mit dem Wissen, dass er sie die ganze Nacht hätte lieben können, ohne ihrer müde zu werden, weil sie sich so bedingungslos hingegeben hatte.

Es war genau diese bedingungslose Hingabe, die ihm eine Heidenangst einjagte.

Er hatte viele Frauen in seinem Leben gekannt, mehr, als er sich zu erinnern wünschte. Doch diese Beziehungen hatten auf einem rein körperlichen Fundament basiert. Es war ein einvernehmlicher Austausch von physischer Erfüllung gewesen, ohne das Risiko, dass je größere Gefühle ins Spiel gekommen wären.

Er wusste, Angel war anders als all diese Frauen.

So anders, dass er davor zurückgeschreckt war, sich von ihr liebkosen zu lassen. Davor zurückgeschreckt war, den letzten Schritt zu machen und ihr Liebesspiel bis zum Ende zu führen. Denn mit Angel, das hatte er gespürt, wäre rein körperliche Befriedigung nicht genug …

Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass es schon jetzt mehr zwischen ihnen gab, als er mit jeder anderen Frau erfahren hatte.

Und er wollte nicht, dass es da mehr gab …