Angelica wachte nur langsam auf. Desorientiert sah sie sich in dem sonnendurchfluteten Raum um, der ihr völlig unbekannt war. Dann hörte sie leises Murmeln aus dem Zimmer nebenan. Wolf und Stephen unterhielten sich. Und da wusste sie wieder, wo sie war.
Erinnerte sich auch, dass Wolf sie letzte Nacht auf exquisiteste Art und Weise zur Erfüllung gebracht hatte. Hier in diesem Zimmer. In diesem Bett.
Oh Gott!
Gestern Nacht hatte sie den Gedanken an die Konsequenzen beiseitegeschoben, hatte sich damit beruhigt, dass sie sich darum kümmern würde, wenn es so weit war. Nun, es war so weit. Jetzt musste sie sich dem stellen.
Nur wie?
Sollte sie so tun, als wäre nie etwas geschehen? Darauf hoffen, dass Wolf ihr Verhalten verständnisvoll auf die Situation schieben und übersehen würde? Er musste doch wissen, welche Erleichterung sie über den Erfolg von Stephens Operation verspürte.
Würde er das zulassen? Nachdem er ihren Körper so genau erforscht hatte, nachdem er sie so intim berührt hatte? Oder wäre seine spöttische Verachtung für sie dadurch nur gewachsen?
Nun, indem sie hier liegen blieb und grübelte, würde sie kaum Antworten auf diese Fragen finden!
Angelica warf die Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Abrupt wurde ihr klar, dass sie ihre Jeans nicht mehr trug, nicht einmal mehr ihre Unterwäsche. Heiße Schamesröte kroch ihr den Nacken hinauf, als sie beide Kleidungsstücke sorgfältig gefaltet auf dem Stuhl neben dem Bett liegen sah. Da hatten sie letzte Nacht ganz bestimmt nicht gelegen, als Wolf ihr Jeans und Spitzenslip abgestreift und einfach zu Boden hatte fallen lassen.
Mit einem entschiedenen Kopfschütteln nahm sie beides vom Stuhl und zog sich an. Sie wollte jetzt nicht an letzte Nacht denken, sie wollte Stephen sehen. Wollte sich überzeugen, dass es ihm gut ging und er wieder gesund werden würde. Eigentlich war sie sogar ein wenig verärgert, dass Wolf sie nicht aufgeweckt hatte.
Als sie kaum zwei Minuten später in Stephens Krankenzimmer trat, verstummte das Gespräch der beiden Männer. Beide drehten sich zu ihr um. Stephen blickte ihr erfreut entgegen, während Wolfs Miene absolut ausdruckslos blieb.
Natürlich, selbst nach letzter Nacht konnte sie nicht davon ausgehen, dass er erfreut sein und liebevoll zu ihr hinsehen würde! Für das Wort Liebe fand sich in seinem Wortschatz kein Platz.
Es war sogar eher das Gegenteil. Er war ganz und gar nicht erfreut über ihren Anblick. Das merkte sie daran, wie er sich steif erhob und sie mit hochmütig distanzierter Miene ansah.
Hastig wandte sie den Blick von diesen dunklen Augen, konzentrierte sich ganz auf Stephen und eilte lächelnd auf ihn zu, um seine ausgestreckte Hand zu nehmen. Vorsichtig, um nicht an die Schläuche zu gelangen, beugte sie sich zu ihm hinunter, um ihn mit Freudentränen in den Augen zu umarmen.
Wolf stand zurück, während Angelica sich zu Stephen auf die Bettkante niederließ und die beiden sich leise unterhielten. Er fühlte sich wie ein Eindringling, während er Zeuge der bewegten Wiedervereinigung der beiden wurde. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass er sich nur deshalb so seltsam verlegen fühlte, weil er zum ersten Mal in seinem Leben nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte.
Diese letzte Nacht mit Angel, sie zu liebkosen, zu erregen, ihren Körper zu erforschen und ihre Wärme und Hingabe zu erfahren, hatte ihm schier den Verstand geraubt. Und jetzt raubte es ihm die Stimme.
Stundenlang hatte er in der Nacht wach gelegen und darüber nachgedacht, was er als Nächstes tun sollte. Sein Instinkt mahnte ihn, so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und Angel zu bringen. Wegzukommen von der Versuchung, die sie für ihn darstellte, und zwar so schnell es ging. Doch das Versprechen, das er Stephen gegeben hatte, Angels Beschützer zu sein, solange Stephen im Krankenhaus war, machte das unmöglich.
Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er sie in den Armen gehalten hatte. Sie hatte sich an ihn geschmiegt, die Hand vertrauensvoll auf seine Brust gelegt und war die ganze Nacht so liegen geblieben … eine Nacht, in der Wolf verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser verzwickten Situation gesucht hatte.
Bis er schließlich erkannt hatte, dass es keinen Ausweg gab.
Außer, dass er Abstand von Angel halten musste und sie nicht mehr berühren durfte.
Was er vorhatte zu tun, trotz seines Versprechens Stephen gegenüber. Denn im Moment war er es, vor dem Angel am ehesten Schutz brauchte!
„Bring Angel zum Haus zurück, damit sie etwas zu essen bekommt und sich ausruhen kann“, sagte Stephen jetzt.
„Wolf?“, hakte er leise nach, als er sah, dass der Freund nicht zuhörte.
„Entschuldige.“ Wolf riss sich zusammen und richtete sich gerader auf. „Ich war für einen Moment meilenweit weg“, meinte er leichthin. „Sicher, ich bringe Angel zurück und achte darauf, dass sie etwas isst und Ruhe findet.“
Zurück zu Stephens Villa … wo er ganz allein mit Angel sein würde … Und das war etwas, das er auf jeden Fall vermeiden wollte!
„Es besteht keine Notwendigkeit, dass Wolf mich hinbringt“, mischte Angel sich ungeduldig ein, als sie Wolfs Miene sah. „Ich bin durchaus in der Lage, allein zum Haus zu fahren. Wenn ich so weit bin. Ich will aber noch nicht zurück“, beharrte sie starrsinnig, bevor Stephen etwas sagen konnte. Auf jeden Fall war sie noch nicht bereit, mit Wolf alleine zu sein. Wahrscheinlich würde sie es nie wieder sein!
Den sinnlichen und zärtlichen Liebhaber von gestern Nacht gab es nicht mehr. An seine Stelle war der arrogante sizilianische Graf getreten. Kühl, überheblich und distanziert.
Was es ihr eigentlich erleichtern sollte, sich in seiner Nähe aufzuhalten.
Das tat es aber nicht.
Im Gegenteil, es machte ihr unmöglich zu glauben, dass die letzte Nacht überhaupt geschehen war. Und es machte ihr vor allem unmöglich, damit umzugehen.
Stephen drückte ihre Hand. „Ich möchte, dass du für eine Weile nach Hause gehst, Angel“, brummte er aufmunternd. „Ich bin noch müde und werde so oder so nur schlafen. Du solltest die Gelegenheit nutzen, etwas Warmes zu essen, zu duschen und dich umzuziehen.“
Sie lächelte ihn leicht herausfordernd an. „Ist das die höfliche Art, mir zu sagen, dass ich unmöglich aussehe?“
Stephen erwiderte ihr Lächeln. „Das ist die höfliche Art, dir zu sagen, dass du nach Hause gehen und dich ausruhen sollst. Ihr beide könnt hier im Nebenzimmer nicht viel Schlaf bekommen haben.“
Angelica wagte es nicht, zu Wolf zu blicken. Ihre Wangen begannen zu brennen. Sie hatte keine Ahnung, ob Wolf überhaupt geschlafen hatte oder nicht, obwohl die müden Falten um Augen und Mund darauf schließen ließen, dass er kein Auge zugetan hatte. Sie dagegen hatte tief und fest geschlafen. Um genau zu sein, sie hatte noch nie so gut geschlafen.
„Stephen hat recht, Angel“, mischte Wolf sich sachlich ein. Sein Blick hielt den ihren gefangen, als sie sich abrupt zu ihm drehte. „Es bringt niemandem etwas, wenn du vor Erschöpfung und Schwäche hier kollabierst.“
Er sollte doch besser als jeder andere wissen, dass sie völlig ausgeruht war!
„Bitte, tu es für mich“, bat Stephen herzlich, aber entschlossen.
„Na schön“, erwiderte sie nach einem Blick in Wolfs regungslose Miene und dann in Stephens bittende. „Aber es besteht wirklich kein Grund dafür, dass Wolf bei mir bleiben muss.“
In Wolfs Wange zuckte ein Muskel. „Auch ich brauche eine Dusche und muss mich umziehen. Schließlich habe ich in diesen Sachen heute Nacht geschlafen.“ Er sah an sich herab, verzog vielsagend den Mund bei dem zerknitterten Hemd und den faltigen Jeans.
Hitze kroch an Angelicas Nacken hoch. Ihre faltenlosen Jeans waren Zeugnis, dass sie nicht in ihnen geschlafen hatte!
„Also gut. Ich gehe nach Hause, mache mich frisch und esse etwas, aber danach komme ich sofort wieder zurück.“ Sie schlang sich den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. „Schlaf brauche ich wirklich nicht.“
„Stures Gör“, murmelte Stephen liebevoll und hielt ihr die Wange hin, als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihm einen Kuss aufdrückte. „Danke, dass du für mich hier warst. Zu wissen, dass du hier bist, hat mich durchhalten lassen.“
Ja, das wusste sie. Sie wusste auch, sie würde ihm eines Tages erzählen, dass ihre Mutter gestern ebenfalls hier gewesen war. Stephen verdiente es zu erfahren, dass Mrs Harper besorgt genug gewesen war – nicht nur wegen Angelica, sondern seinetwegen –, um nach London zu kommen und zu bleiben, bis feststand, dass er außer Gefahr war. Wer konnte schon wissen, ob Stephen, ihre Mutter und Neil nicht vielleicht eines Tages Freunde werden könnten? Es waren ja schon seltsamere Dinge geschehen.
So wie zum Beispiel die Tatsache, dass Graf Gambrelli die Nacht mit ihr verbracht hatte …
Angelica verbannte entschlossen jeden Gedanken daran, als Wolf ihren Arm nahm und sie aus dem Zimmer führte. Schweigend gingen sie nebeneinander den Korridor entlang zum Ausgang. Es war kein einträchtiges Schweigen, sondern eines, das angefüllt war mit gespannter Erwartung.
Angelica hatte Mühe, mit Wolfs großen Schritten mitzuhalten, fast zog er sie mit sich. Ihr mochte es vielleicht gelingen, die Bilder der letzten Nacht zu verbannen, aber ihm gelang es ganz offensichtlich nicht.
„Wolf …“
„Nicht jetzt, Angel“, knurrte er rau, ohne überhaupt in ihre Richtung zu sehen. Sein Kinn war hart, seine Wangenmuskeln arbeiteten, und auf seiner Miene war absolut keine Regung zu erkennen.
Sie seufzte. „Ich wollte nur sagen, dass es vielleicht das Beste ist, wenn wir vergessen, was gestern Nacht passiert ist.“
Es vergessen? Die Worte hallten in seinem Kopf nach. Wie, zum Teufel, sollte er die Nacht vergessen können, wenn allein die harmloseste Berührung, allein das Gefühl ihrer Haut unter seinen Fingerspitzen erotische Bilder in ihm heraufbeschwörte, wie weich, wie verführerisch, wie hingebungsvoll ihr Körper auf ihn reagiert hatte?
„Kein Problem, schon vergessen“, behauptete er barsch und hielt dabei den Blick starr geradeaus gerichtet. Wenn er sie jetzt ansah, das wusste er, dann würde seine mühsam aufrecht gehaltene Fassade bröckeln. Dann würde er nichts anderes wollen, als sie zurück ins Bett zu bringen und das zu beenden, was sie angefangen hatten. Jeder Muskel in ihm schmerzte vor unerfülltem Verlangen.
Angelica warf ihm einen kritischen Blick zu. „Einfach so?“
Er nickte knapp. „Einfach so!“
Daran, wie sie plötzlich den Arm, den er hielt, anspannte, konnte er erkennen, dass sie entweder verletzt oder wütend über seine gleichgültige Antwort war. Er hatte nicht die Absicht herauszufinden, um welches Gefühl genau es sich handelte.
Diese Frau war ihm unter die Haut gegangen, auf eine Art, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Sie war durch die Rüstung gebrochen, die er normalerweise um seine Gefühle trug. Und das passte ihm ganz und gar nicht!
Er kannte Angel gerade erst ein paar Tage, und die meiste Zeit hatte er damit zugebracht, ihr wegen ihres plötzlichen Auftauchens in Stephens Leben zu misstrauen.
Doch gestern, als er ihre Erleichterung gesehen hatte, weil Stephens Operation gut verlaufen war, da hatte er seine düsteren Zweifel vergessen können. Ihre Gefühle für Stephen waren echt. Selbst die ihrer Mutter waren echt gewesen. Sein Misstrauen gegenüber Angelica und ihren Motiven und auch gegenüber ihrer Familie war völlig unbegründet gewesen.
Was Wolf in der unguten Position zurückließ, dass er keine Ahnung hatte, was er für Angelica fühlte.
Ein Teil von ihm wollte es auch gar nicht wissen – der Teil, der für den Selbstschutz zuständig war und ihn immer davon abgehalten hatte, sich gefühlsmäßig zu engagieren, der Teil, der alles tat, um den Gambrelli-Fluch zu umgehen.
Noch ein paar Tage, höchstens noch eine Woche, dann würde man Stephen aus der Klinik entlassen. Dann konnte Wolf sich zurückziehen, er hätte dann seine Pflicht erledigt.
Wenn es nach ihm ginge, konnte diese Woche gar nicht schnell genug vorübergehen!
Eine Stunde später stand Angelica vor dem großen Spiegel in ihrem Zimmer in Stephens Stadtvilla und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie war soeben aus der Dusche gekommen, splitterfasernackt, und suchte mit leicht geneigtem Kopf an ihrem Körper nach Anzeichen von sichtbaren Veränderungen.
Es war erst vierundzwanzig Stunden her, seit sie gestern das Haus verlassen hatte, um Stephen zur Klinik zu begleiten.
Vierundzwanzig Stunden, in denen – das Gefühl hatte sie zumindest – alles anders geworden war.
Noch niemals hatte sie solche körperliche Freuden erfahren, hatte niemals solche Intimität mit einem Mann genossen, hatte keinem Mann solche Freizügigkeiten gewährt wie Wolf.
Ihr Körper hatte sich auf jeden Fall anders angefühlt, als sie unter dem heißen Wasserstrahl gestanden und sich eingeseift hatte. Viel empfindsamer, so als schwele unter der Haut die erregte Vorfreude … auf den Liebhaber. Auf Wolf.
Angelica musterte nachdenklich ihre Figur im Spiegel – die hohen festen Brüste, den flachen Bauch, die sanfte Rundung ihrer Hüften, das schwarze seidige Dreieck, dort, wo ihre Schenkel sich trafen.
Nein, entschied sie schließlich. Außer, dass die rosigen Spitzen ihrer Brüste ein wenig dunkler waren, konnte sie keine sichtbaren Veränderungen nach der gestrigen Nacht feststellen.
Aber sie fühlte sich anders. Ihre Brüste schienen schwerer zu sein und spannten, die Spitzen waren empfindsamer als sonst, und das stetige dumpfe Pochen in ihrem Schoß war nervenaufreibend.
Und das allein durch die Erinnerung an Wolfs Zärtlichkeiten!
Als es an ihrer Tür klopfte, drehte sie sich abrupt um. „Einen Moment noch“, rief sie ungeduldig, ging durchs Zimmer, um ihren Morgenmantel zu holen – und blieb entsetzt mitten im Schritt stehen, als die Tür sich öffnete und Wolf den Raum betrat.
Wolf verharrte ebenso abrupt im Türrahmen. Er hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben. Entgeistert schaute er auf eine splitterfasernackte Angel.
Es war dunkel gewesen, als er ihre verführerischen Kurven geküsst und gestreichelt hatte. Nur mit Lippen und Händen hatte er gefühlt, wie unglaublich begehrenswert Angel war. Jetzt stand sie in der Mitte des Raumes, bewegungslos und hypnotisiert wie ein Reh durch die Lichtkegel von Autoscheinwerfern, und er konnte sehen, wie schön sie war.
So schön, dass es ihn sprachlos machte.
Das Haar floss ihr wirr über die Schultern. Ihre Brüste waren fest und hoch, die rosigen Knospen reckten sich einladend hervor. Ihre Hüften waren schlank und sanft gerundet und die langen Beine wohlgeformt.
Und, so wurde ihm jäh bewusst, er starrte sie an wie ein Verhungernder ein Festbankett!
Er riss sich zusammen und richtete sich gerader auf. „Ich dachte, ich hätte ein Herein gehört …“, stieß er gepresst hervor.
Angelica verzog den Mund. „Dann musst du dich offensichtlich verhört haben.“ Sie griff nach dem grauen Seidenmorgenmantel, der auf dem Bett lag, und streifte ihn sich über. „Aber es ist ja nichts, was du nicht schon gesehen hättest, nicht wahr?“
Sie verknotete den Gürtel fest um ihre Taille. „Was kann ich für dich tun, Wolf?“, fragte sie nüchtern.
Er war sich ziemlich sicher, dass sie keine ehrliche Antwort von ihm hören wollte. Obwohl die unmissverständliche Reaktion seines Körpers ihr sicherlich Antwort genug war.
Er trat weiter in das Zimmer hinein, das ganz offensichtlich für Angel eingerichtet worden war, wenn sie hier in Stephens Stadtvilla blieb, und schloss die Tür hinter sich. Wobei er sich ernsthaft fragte, ob das wirklich eine so gute Idee war. Allerdings wollte er vermeiden, dass Stephens Hauspersonal das Gespräch mithören würde.
Sein Mund wurde trocken, als er zusah, wie Angel sich in den Nacken griff und das lange Haar unter dem Morgenmantel hervorzog. Eine Geste, die seinen Blick gefangen hielt, als der seidige Stoff sich über ihren Brüsten spannte.
Das war ja lächerlich! Wolf hatte Dutzende von nackten Frauen gesehen, hatte auch mit einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von ihnen geschlafen. Doch noch nie hatte allein der Anblick einer nackten Frau ihn derart erregt.
Es konnte nur an der Erinnerung an die gestrige Nacht liegen, dass seine Sinne so vehement auf Angel reagierten.
Angelica studierte Wolfs bestürzte Miene. Sie war mehr als nur ein wenig verlegen, dass er einfach in ihr Zimmer geplatzt war, aber auch fest entschlossen, es sich nicht anmerken zu lassen und wie ein unerfahrener Teenager zu reagieren. Sollte er sie nur weiter für eine berechnende Goldgräberin halten!
„Ich bin gekommen“, hob er flach an, „weil mir klar geworden ist, dass ich mich bei dir entschuldigen sollte.“
Ein Hauch Röte zog über ihre Wangen. „Hatten wir uns nicht geeinigt, die gestrige Nacht zu vergessen?“
„Ich beziehe mich damit auf deine Gefühle gegenüber Stephen, nicht auf das, was zwischen uns passiert ist. Ich habe begriffen, dass … dass ich deine Intentionen im Hinblick auf Stephen möglicherweise falsch beurteilt habe.“
Wolf glaubte also nicht mehr, sie sei eine Goldgräberin? „Möglicherweise?“, hakte sie trocken nach.
Er mahlte mit den Zähnen. „Ich habe sie falsch beurteilt“, korrigierte er gepresst.
Angelica nickte nur knapp. „Das hast du.“ Nach den Beleidigungen, die er ihr an den Kopf geschleudert hatte, empfand sie nur wenig Mitgefühl für seine Verlegenheit.
„Und die deiner Familie auch“, fügte er an. „Deine Mutter machte sich echte Sorgen, als sie in die Klinik kam. Nicht nur deinetwegen.“
Sieh einer an! Wolf Gambrelli hatte ein schlechtes Gewissen! Recht geschah es ihm! Sie hatte ihn gewarnt, dass er eine unangenehme Überraschung erleben würde, wenn er sie erst kannte. Zwar war es später gekommen, als sie gedacht hatte, aber gekommen war es dennoch. Wolf wurmte es, zugeben zu müssen, dass er sich geirrt hatte. Er war offensichtlich ein Mann, der nur schwer Irrtümer eingestand.
Sie setzte sich aufs Bett und schlug die Beine übereinander. Der Stoff rutschte von ihrem Schenkel, und Wolf musste sich mühsam beherrschen, um nicht sofort die Augen dorthin zu lenken.
„Nun?“, fragte sie.
„Wenn du möchtest, dass ich gehe, werde ich natürlich sofort …“
„Was ich möchte, Wolf, ist eine anständige Entschuldigung von dir hören“, fiel sie ihm ungeduldig ins Wort. „Zuzugeben, dass du dich geirrt hast, ist keine Entschuldigung, oder?“
Sie will Blut sehen, dachte Wolf frustriert. Und warum sollte sie auch nicht? Nach allem, was er zu ihr gesagt hatte, war eine Entschuldigung wohl mehr als angebracht.
Er holte tief Luft. „Ich entschuldige mich für die beleidigenden Dinge, die ich während des Wochenendes zu dir gesagt habe. Stephen hatte dich von Anfang an richtig eingeschätzt, und ich von Anfang an falsch. Was soll ich denn noch sagen?“, stieß er frustriert aus, als sie ihn nur weiter stumm ansah.
Sie lächelte ein kleines rätselhaftes Lächeln. „Nichts“, meinte sie schließlich. „Ich … ich koste nur den Moment aus.“
Wolf ballte die Fäuste an den Seiten. Die kleine Hexe genoss es! Er unterdrückte den Impuls, durch den Raum zu marschieren, sie in seine Arme zu reißen, den Mund auf ihre Lippen zu pressen und ihr dieses Lächeln wegzuküssen!
Nachdem er die ganze Nacht wach gelegen und sich in Fantasien ergangen war, wie es sein würde, mit ihr zu schlafen und sich in ihrer Süße zu verlieren, konnte er es nicht wagen, sie anzurühren. Seine Selbstbeherrschung würde in tausend Scherben bersten.
Und das würde nie passieren!
Er riss sich zusammen. „Ich lasse dich allein, damit du dich anziehen kannst.“
„Das ist nett von dir“, flötete sie übertrieben.
Wolf beherrschte sich wirklich nur mit Mühe. „Ich glaube, die Köchin hat einen Brunch für uns vorbereitet.“
„Ich hatte sie darum gebeten, ja“, erwiderte Angelica.
Es gab nichts mehr zu sagen. Er war hergekommen, um sich zu entschuldigen. Das hatte er getan, und jetzt konnte er nur noch ihr Zimmer verlassen.
Nur, dass seine Beine dem Befehl nicht gehorchen wollten.
„Ist noch etwas, Wolf?“
„Nein! Nein“, wiederholte er weniger aggressiv. „Nichts mehr.“
Warum ging er dann nicht? „Ich habe nicht vor, Stephen gegenüber etwas von der letzten Nacht zu erwähnen, wenn es das ist, was dir Sorgen macht“, versicherte sie ihm mit brennenden Wangen.
Wolfs Nasenflügel bebten. „Ich möchte dir versichern, dass es nicht wieder vorkommen wird.“
Angelica runzelte die Stirn. Sie wusste nicht recht, was sie von diesem Versprechen halten sollte. Sie betrachtete ihn, wie er dort stand, die breiten Schultern, diese wunderbaren Hände, die sie letzte Nacht so intensiv hatten empfinden lassen …
Ihr Blick glitt zurück zu seinem Gesicht, zu den sinnlichen Lippen, die sie geküsst hatten, die ihr Gefühle entlockt hatten, die ihren Körper auch jetzt noch mit einem leisen Glühen erfüllten.
Sie durfte nicht vergessen, wer da vor ihr stand. Wolf Gambrelli, Playboy erster Güte. Natürlich wusste er, wie er einer Frau Erfüllung schenken konnte. Der Mann kannte einen Frauenkörper wahrscheinlich besser als sie ihren eigenen.
Entschlossen straffte sie die Schultern. „Freut mich, das zu hören“, behauptete sie spitz.
Wolf hob eine Augenbraue. „So?“
„Ja. Und jetzt, wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gern anziehen, damit ich endlich in die Klinik zurückkann.“
Sein Mund war nur ein schmaler Strich. „Natürlich. Wir treffen uns dann unten.“ Damit drehte er sich um und verließ ihr Zimmer.
Angelica starrte auf die Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel. Diese Entschuldigung war ein hohler Triumph. Er hatte trotzdem das letzte Wort gehabt.
Dass er sich ihr nämlich nicht wieder nähern würde.
Angelica wusste nicht zu sagen, ob sie Erleichterung oder Enttäuschung verspürte.