11. KAPITEL

„Mir hätte klar sein müssen, dass wir in einem Gambrelli-Hotel unterkommen“, murmelte Darci, als sie im Lift auf dem Weg zu der Suite waren, die sie sich während des Wochenendes in Paris mit Luc teilen würde.

Auf dem Flug hierher im Privatjet war Luc verschlossen und schweigsam gewesen. Er hatte es sich in einem der Sessel bequem gemacht, die rahmenlose Brille hervorgeholt und Papiere bearbeitet, die er in einem Aktenkoffer mitgebracht hatte.

Damit hatte er Darci komplett den eigenen Gedanken überlassen – die, milde ausgedrückt, recht chaotisch waren.

In einem Privatjet zu fliegen, in dem ein männlicher Steward sich um alle Wünsche der Reisenden kümmerte, gewährte Darci einen kurzen Blick in die Welt, in der Luc lebte. Eine Welt, die ihr, trotz des rapide anwachsenden Reichtums ihres Bruders, völlig fremd war. Auch hier bei der Ankunft im Gambrelli-Hotel wurde Luc als Mitglied der Familie eine Ehrerbietung entgegengebracht, die überwältigend war.

Luc, der seine Nachrichten durchsah, fiel schließlich Darcis leichte Benommenheit auf. „Es ist nur ein Hotel, Darci“, tat er ab.

„Für dich vielleicht“, entgegnete sie, während der Page ihnen voran das Gepäck in die Suite brachte.

Luc drückte dem Mann schließlich ein ansehnliches Trinkgeld in die Hand und schloss die Tür hinter ihm, dann schlenderte er lässig in den Salon zu Darci.

Obwohl er sehr vertraut war mit der Hotelkette, die seinem Cousin gehörte, war dieses Hotel für Luc doch wie jedes andere Luxushotel, in dem er auf der Welt schon gewesen war – sehr exquisit und sehr unpersönlich.

Nur war es dieses Mal nicht ganz so unpersönlich, weil Darci mit dabei war. Sie stand im Salon, in enger Jeans und weißem T-Shirt, und das rote Haar floss ihr offen über den Rücken.

„Ich würde gerne duschen und mich frisch machen“, sagte sie. „Wann müssen wir losgehen, wenn wir zu der Party wollen?“

„Die Party findet hier statt, in einem der Empfangssäle. Wir werden das Hotel also gar nicht verlassen.“

Er hatte ganz bewusst nur wenig erzählt und die Distanz zu Darci gewahrt, von dem Moment an, da er sie bei ihrer Wohnung abgeholt hatte, dann auf der Fahrt zum Flughafen und während des Fluges. Was nicht hieß, dass er sich ihrer nicht die ganze Zeit über bewusst gewesen wäre.

Viel zu bewusst, um sich wohlzufühlen, wie er sich eingestand.

„Mein Bruder Wolf und seine Frau werden um sieben Uhr auf einen Drink zu uns stoßen, bevor wir dann um Viertel vor acht gemeinsam nach unten gehen und uns mit Cesare und Robin treffen.“

Darcis Augen wurden groß. Lucs Bruder und sein Cousin mit ihren Frauen würden ebenfalls auf dieser Party anwesend sein? Vielleicht war das kleine Schwarze, das sie letzte Woche noch Kerry vorgeführt hatte, nicht das Richtige für den Abend? Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass auf der Gästeliste für den Abend hauptsächlich Schauspieler und Filmleute standen.

„Was genau wird eigentlich gefeiert, Luc?“, fragte sie unsicher nach.

„Meine Mutter zog nach dem Tod meines Vaters nach Paris, vor über zehn Jahren. Seither feiert sie jedes Jahr ihren Geburtstag hier.“

„Das ist die Geburtstagsparty deiner Mutter?!“ Das sexy kleine Schwarze war mit Sicherheit nicht das Richtige für diesen Anlass! Glücklicherweise hatte sie zumindest die schwarze Seidenstola noch mit eingepackt, nur für den Fall, dass es abends kühler werden sollte …

„Sag mal, worum geht es hier eigentlich, Luc?“, wollte sie wissen. „Und red dich nicht wieder damit heraus, dass das alles nur meine Hirngespinste sind“, warnte sie ihn. „Ich denke, jetzt, da wir hier sind, habe ich ein Recht, zu erfahren, was los ist.“

Luc betrachtete sie nachdenklich, wog das Für und Wider ab, Darci ins Vertrauen zu ziehen. Einerseits musste sie nicht unbedingt wissen, weshalb er sie hergebracht hatte. Andererseits würde sie überzeugender als Puffer zwischen ihm und den Frauen, die seine Mutter herangeschleppt hatte, agieren können, wenn sie im Bilde war.

Mit einem Seufzer hob er an: „Wolf und Cesare haben beide im letzten Jahr geheiratet.“

Darci warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Ja, und?“

Jetzt zögerte er. „Der allgemeinen Auffassung meiner Familie nach ist es Zeit, dass ich mich ihrem Beispiel anschließe“, gestand er nur unwillig.

Darci schaute ihn noch immer forschend an, dann fielen die Puzzleteilchen langsam an ihren Platz, und ein schadenfrohes Funkeln trat in die grünen Augen. „Deine Mutter versucht sich als Kupplerin!“, rief sie lachend aus.

Luc war mehr als irritiert, dass sie sich auf seine Kosten königlich amüsierte. „Richtig.“ Er zog eine Grimasse. „Ich wünschte, ich könnte das ebenso lustig finden wie du, aber es ist mir leider unmöglich. In den letzten drei Monaten hat meine Familie, allen voran meine Mutter, mir ständig potenzielle Kandidatinnen für die Rolle meiner zukünftigen Ehefrau vorgestellt, sodass ich es sogar vermieden habe, mit einer Frau zum Dinner auszugehen.“

Außer mit ihr, wie Darci jäh bewusst wurde. Aber vielleicht zählte sie ja nicht? „Deshalb konntest du auch so überzeugt behaupten, dass du Mellie nicht kennst.“

„Genau“, bestätigte er grimmig. Er ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche Champagner hervor. „Möchtest du auch?“ Er entkorkte die Flasche und goss zwei Gläser ein.

Darci hatte keine Ahnung, warum sie überhaupt lachte. Lucs Abscheu vor der Ehe war offensichtlich so stark, dass er sogar gewillt war, sie mit ihrem Schuldgefühl zu erpressen, damit sie ihn als „Strohfrau“ zur Geburtstagsfeier seiner Mutter begleitete.

Weil er in ihr keinerlei Bedrohung für seinen Junggesellenstatus sah!

„Warum nicht?“ Sie nahm das Glas an, das er ihr reichte, und trank einen kräftigen Schluck. „Ich wünschte, du hättest mir das vorher gesagt, Luc. Ich fühle mich nicht wohl dabei, deine Familie derart zu täuschen“, erklärte sie, als er sie fragend anblickte.

Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Du brauchst dich nur an meinem Arm festzuhalten, schön zu sein – das bist du ja – und zu lächeln. Wo also ist da das Problem?“

Das Problem war, dass er eine Frau bat, sich an seinem Arm festzuhalten, von der er nicht wusste, dass sie hoffnungslos in ihn verliebt war!

Ihr gefiel die Vorstellung nicht, seine Familie zu täuschen. Vor allem nicht, weil die Familie möglicherweise scharfsichtiger war als er und ihre Gefühle für ihn erkennen könnte. Sollte das der Fall sein, könnte Luc sich mit dieser Charade ins eigene Fleisch schneiden!

„Mir gefällt das nicht, Luc. Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich nicht mitgekommen.“

Das war ihm durchaus klar, er kannte Darci inzwischen gut genug. Doch als die Geburtstagfeier seiner Mutter immer näher gerückt war, hatte er gewusst, dass er etwas unternehmen musste. Pech für Darci, dass die Situation zwischen ihnen beiden ihm die perfekte Lösung geboten hatte!

„Es ist nur ein Abend, Darci“, tat er ab. „Und danach brauchen wir uns nie wieder zu sehen.“

„Was passiert das nächste Mal, wenn deine Familie wieder versucht, dich an die Frau zu bringen?“, stellte sie ungeduldig die logische Frage.

Er lächelte selbstsicher. „Meine Familie muss ja nicht unbedingt wissen, dass wir uns nach diesem Wochenende nicht mehr sehen. Die Beziehung zwischen uns – die rein hypothetische, natürlich – müsste für gute sechs Monate reichen. Und bis dahin sollte meine Mutter längst so sehr mit ihrem Enkelkind beschäftigt sein, dass sie gar nicht mehr daran denkt, eine Frau für mich zu suchen.“

Er hatte alles genauestens geplant.

Nur – Darci selbst hatte die Erfahrung machen müssen, dass auch die besten Pläne nicht immer funktionierten wie gedacht.

„Ziemlich überwältigend, nicht wahr?“

Die schöne Angel Gambrelli lachte verständnisvoll, als Darci die beiden Männer anstarrte, die am anderen Ende des Raumes zusammenstanden und Drinks zubereiteten.

Luc und sein Bruder Wolf.

Beide waren groß, hatten dunkelblondes Haar, und auch die aristokratischen Gesichtszüge und der muskulöse Körperbau, der sich unter den dunklen Abendanzügen abzeichnete, waren ähnlich.

Vor wenigen Minuten erst war Darci Lucs Bruder und dessen Frau vorgestellt worden, als sie in der Suite angekommen waren, und noch hatte sie keine Zeit gehabt, den Schock zu überwinden, zwei so verboten attraktive Männer in einem Raum stehen zu sehen.

„Glauben Sie mir, man gewöhnt sich niemals daran.“ Angel sah mit bewunderndem Blick zu ihrem Mann hin, die Augen voller Liebe. Das lange schwarze Haar fiel ihr seidig über den Rücken, und das rote Kleid, das sie trug, zeigte die leichte Wölbung ihres Bauches. „Warten Sie nur, bis Sie Cesare getroffen haben“, fuhr sie fort. „Ein großer, dunkler, grüblerischer Sizilianer“, warnte sie mit einem warmen Lächeln, dann drehte sie sich zu ihrem Mann um, der mit ihrem Mineralwasser zu ihr trat.

Darci war nervös, als sie ihr Glas von Luc entgegennahm. „Ich glaube nicht, dass ich das schaffe“, murmelte sie ihm zu.

Sie fühlte sich extrem unwohl in ihrem knappen kleinen Schwarzen mit dem tiefen Ausschnitt, vor allem jetzt, da Angel Gambrelli neben ihr stand und in dem roten Designerkleid schick und elegant aussah. Normalerweise blieb Darci selbst unter Druck ruhig und gelassen, doch als die beiden durch die Tür gekommen waren, hatte ihr Selbstbewusstsein einen herben Schlag hinnehmen müssen.

Dass Luc und sie kurz davor einen heftigen Streit gehabt hatten, half auch nicht unbedingt. Darci hatte nämlich entdeckt, dass es in der Suite nur ein Schlafzimmer gab!

Luc hatte auf ihre Wut nur mit einem gleichgültigen Achselzucken reagiert und dagegengehalten, dass es kaum sehr überzeugend auf seine Familie wirken würde, wenn sie getrennte Zimmer hätten. Doch dieses Argument hatte ihre Wut nicht viel gemildert. Ebenso wenig wie seine Versicherung, dass er auf der Couch schlafen würde.

Wie sollte sie heute Nacht auch nur ein Auge zubekommen, wenn sie wusste, dass Luc nur wenige Meter entfernt von ihr im Zimmer nebenan auf der Couch schlief?!

Dieser Streit vorhin war jedoch der Grund, warum Darci bislang so schweigsam gewesen war – ganz so, wie Luc es wünschte. Allerdings würde es ihr sehr schwerfallen, das gewünschte Lächeln an seinem Platz zu halten!

Luc nahm jetzt einen kräftigen Schluck von dem Champagner. Er hatte ihn dringend nötig. Denn seine eiserne Selbstbeherrschung hatte erheblich gelitten, als Darci, kurz vor Wolfs und Angels Ankunft, in diesem schwarzen Kleid in den Salon gekommen war. Einem Kleid, das mehr entblößte als verhüllte.

Grundgütiger, dachte er jetzt. Sie sah so sexy aus, dass er ihr den Stoff vom Körper reißen und sich an ihrem wunderbaren Körper ergötzen wollte, der, da war Luc fast sicher, praktisch nackt unter diesem eng anliegenden Kleid war.

Seine düstere Stimmung wurde durch den amüsierten Blick, den sein Bruder ihm zuwarf, auch nicht unbedingt aufgehellt. Wolf schien genau zu wissen, woran sein jüngerer Bruder im Moment dachte.

Das Gleiche, was jeder andere Mann auf der Party heute Abend denken würde, sobald er nur einen Blick auf Darci warf. Luc zweifelte nicht daran, dass viele Männer, und zwar alle seine männlichen Verwandten, ihre Blicke zu Darci schicken würden!

„Vielleicht hättest du etwas … weniger Freizügiges anziehen sollen. Du würdest dich wahrscheinlich wohler fühlen“, brummte er – und fühlte sich selbst sofort wie der größte Mistkerl, als er den zutiefst verletzten und vorwurfsvollen Blick aus den grünen Augen aufschnappte. „Du siehst trotzdem wunderschön aus“, setzte er leicht ungeduldig hinzu, weil er am liebsten sein Dinnerjackett ausgezogen und es ihr über die bloßen Schultern gehängt hätte. Der tiefe Ausschnitt bedeckte praktisch nur knapp die verführerischen rosigen Spitzen ihrer perfekten Brüste. Großer Gott, fast konnte er den wunderbaren Geschmack auf der Zunge spüren …

„Du brauchst nicht gezwungen nett zu mir zu sein, Luc“, gab Darci sofort zurück. „Ich weiß, ich bin völlig verkehrt für den Anlass angezogen.“ Sie umklammerte ihr Glas so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. „Der Himmel allein weiß, was Wolf und Angel jetzt von mir denken“, zischte sie verärgert.

Luc hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was sein Bruder über sie dachte. Er hatte den Blick männlicher Bewunderung doch gesehen, als sie einander vorgestellt worden waren. Und Angel, sich der Liebe ihres Mannes absolut sicher, hielt Darci offensichtlich ebenfalls für schön.

„Beide mögen dich“, versicherte er überzeugt. „Aber hör endlich auf, ständig daran herumzuzerren!“, riet er ihr harsch, als sie wieder einmal versuchte, den tiefen Ausschnitt ein wenig höherzuziehen, und damit einen noch besseren Einblick in ihr Dekolleté gewährte. „Hast du nicht irgendeinen Schal oder eine Stola, die du um die Schultern legen könntest?“ Es machte ihn wütend, dass er seine Erregung nicht unter Kontrolle halten konnte. Das fehlte ihm noch, dass er mit dem für alle sichtbaren Beweis von Erregung seiner Mutter gratulierte!

„Ja, ich habe einen Schal. Aber es würde wohl ziemlich albern aussehen, den zu tragen, wenn wir hier im Hotel bleiben.“

„Ich werde allen sagen, dass du eine Erkältung hast“, bot er leise an.

„Wie clever von dir“, erwiderte sie beißend.

„Ich werde noch ganz anders sein, wenn du nicht bald mit diesem Gezerre aufhörst und dich bedeckst“, warnte er düster.

Darci hielt jäh still und sah fragend in Lucs Gesicht. Der Ausdruck in seinen Augen war nicht zu missverstehen, während sein Blick auf ihrem Dekolleté lag. Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Luc sah aus, als würde er sich noch unwohler fühlen als sie!

Allerdings aus einem völlig anderen Grund, wurde Darci plötzlich klar, als ihr die unmissverständlichen Zeichen seines Verlangens auffielen.

Luc wollte sie!

Also war er trotz allem, was er bei dem gemeinsamen Dinner im Garstang’s gesagt hatte, und trotz seiner Gleichgültigkeit auf der Reise hierher doch nicht so immun gegen sie, wie er vorgab.

Seltsam, aber diese Erkenntnis verlieh ihr plötzlich eine innere Ruhe und half ihr, sich zu entspannen. Mit jeder Sekunde konnte sie ihr Selbstbewusstsein zurückfließen fühlen, so sehr, dass es fast so war, als hätte sie … Macht.

Der gute Luc, sosehr er sich auch dagegen sträubte, war noch genauso stark an ihr interessiert wie am ersten Abend ihres Treffens, als er ihr im Detail beschrieben hatte, wie er sie langsam ausziehen und lieben würde!

„Reg dich ab, Luc“, spöttelte sie wissend. „Sonst wirst du deinem Bruder und seiner Frau noch einen völlig falschen Eindruck vermitteln.“ Als sein Kopf hochfuhr und er mit zusammengekniffenen Augen zu Wolf und Angel hinüberblickte, wusste sie, dass er tatsächlich für einen Augenblick vergessen hatte, dass sie nicht allein waren. „Das wollen wir doch nicht, oder?“, endete sie trocken.

Luc presste die Lippen zusammen. „Amüsier dich, solange du noch kannst“, erwiderte er düster. „Aber während du das tust, denk immer daran, dass wir am Ende des Abends in diese Suite zurückkehren und du dann allein mit mir bist.“

Seine Drohung jagte ihr nur ein angenehmes Prickeln über den Rücken. Dabei war Darci sicher, dass Luc damit eher einen angstvollen Schauer bei ihr hatte hervorrufen wollen.