„Darci, wir können jetzt noch nicht gehen!“
Erst im Foyer hatte Luc Darci eingeholt. Er fasste sie beim Arm und drehte sie schwungvoll zu sich herum.
Das Grün ihrer Augen blitzte dunkel. „Du kannst noch nicht gehen. Ich schon!“
Frustriert erwiderte er ihren Blick. „Meine Mutter hat nichts gesehen …“
„Das brauchte sie auch nicht“, presste Darci verzweifelt hervor. „Es war ziemlich offensichtlich, selbst für einen unbeteiligten Beobachter – was deine Mutter ganz bestimmt nicht ist.“
Als Chantelle Gambrelli die beiden überrascht hatte, war es Darcis einziger Impuls gewesen, die Flucht zu ergreifen. Sie war durch den Saal geeilt und hatte sich verzweifelt einen Weg mitten durch die Gäste gebahnt. Denn mit der Rückkehr der Realität hatte auch der Schock über die Intensität ihrer Gefühle eingesetzt.
Bisher war ihr Leben in schnurgeraden Bahnen verlaufen. Ihre Ziele und Ambitionen waren zwar nicht unbedingt in Stein gemeißelt, aber es kam dem schon ziemlich nahe. Sie hatte immer Ärztin werden wollen, die beste Ärztin, die sie sein konnte, und persönliche Beziehungen, gleich welcher Art, hatten immer hintenan stehen müssen, weil sie erst dieses Ziel erreichen wollte.
Die Tatsache, dass nichts davon mehr wichtig war, wenn Luc sie küsste und streichelte, dass sie alles um sich herum vergaß, sobald sie seine Lippen auf ihrem Mund fühlte, erschütterte sie bis in ihr Innerstes.
Sie liebte Luc. Das hatte sie schon vorher gewusst, bevor sie zugestimmt hatte, für dieses Wochenende mit ihm nach Paris zu kommen. Doch bis vor wenigen Minuten war ihr nicht wirklich klar gewesen, wie tief diese Liebe ging.
Die Liebe zu ihm ließ alles andere bis zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen, sie war allumfassend, schloss alles andere aus, machte alles andere unwichtig.
Doch Luc hatte nicht die Absicht, ein so tiefes Gefühl zu erwidern. Mehr als einmal hatte er deutlich gemacht, dass es für Liebe in seinem Leben keinen Platz gab.
Sicher, Darci zweifelte nicht daran, dass er ihr nach dem heutigen Abend eine Affäre vorschlagen würde. Doch allein die Vorstellung, dass sie zu einer von diesen klammernden Frauen werden würde, die nur noch für die Stippvisiten ihres Liebhabers lebten, jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken.
Niemals würde sie sich mit so wenig zufriedengeben können …
Luc sah die Emotionen über Darcis Gesicht huschen, in einem solch rasanten Tempo, dass es ihm unmöglich war, auch nur eine davon wirklich zu erkennen. „Darci, rede mit mir!“, drängte er sie sanft.
Sie schüttelte den Kopf, wich seinem Blick aus. „Es war ein Fehler. Ein peinlicher Fehler.“ Ein Schauer durchfuhr sie. „Ich kann jetzt unmöglich deiner Familie unter die Augen treten. Bitte entschuldige mich bei ihnen.“
Es war erst halb elf, viel zu früh für Luc, um die Feier seiner Mutter zu verlassen. Und die Szene, deren Zeuge seine Mutter vorhin geworden war, ließ nur einen Schluss zu, wenn er jetzt zusammen mit Darci verschwand!
Er wollte nicht, dass seine Familie so über Darci dachte. Nicht über Darci.
So oder so wirkte sie bereits wie eine Frau, die gerade einen sexuellen Höhepunkt erlebt hatte. Ihre Augen blickten noch immer ein wenig verhangen, ihre Lippen waren geschwollen von seinen Küssen, und ihr Kleid war leicht zerknittert, weil seine Hände es voller Ungeduld beiseitegeschoben hatten, damit er ihre samtene Haut streicheln konnte.
Mit Sicherheit war keines dieser Details seiner übereifrigen Familie entgangen, als Darci durch den Saal gehastet war, gefolgt von einem düster dreinblickenden Luc!
Mit einem knappen Nicken ließ er ihren Arm los. Das Hotelfoyer war nicht der richtige Ort, um ein solches Gespräch zu führen! „Ich werde meiner Familie sagen, dass du dich mit Kopfschmerzen zurückgezogen hast.“
Darci richtete verhalten ihren Blick auf ihn. „Glaubst du, deine Mutter wird sich jetzt mit ihren Kuppelbemühungen zurückhalten?“
Er zuckte mit den breiten Schultern, sein Gesicht eine ausdruckslose Maske. „Sagen wir es so … deine Anwesenheit heute Abend hat ihren Zweck erfüllt.“
Sie lächelte schwach. „Nur gut, dass wir morgen früh abreisen. Ich glaube nicht, dass ich deiner Familie nach dem heutigen Abend noch einmal gegenübertreten könnte.“
„Mach dir darüber jetzt keine Gedanken, Darci.“
„Ich soll mir keine Gedanken machen?“, wiederholte sie elend. „Das werde ich nie vergessen können!“
„Ich werde meiner Familie alles erklären“, versicherte Luc.
Was wollte er denn da erklären? fragte Darci sich stumm. Dass sie nur eine weitere von den Frauen war, mit denen er zu tun hatte? Dass sie ihm nicht mehr bedeutete als all die anderen?
Im Grunde war es gleich. Nach heute würde Darci weder seine Familie noch Luc selbst je wiedersehen.
„Geh zu Bett, Darci“, sagte er mit einem sanften Lächeln. „Ich komme bald nach.“
Das hörte sich so vertraut an. Darci runzelte die Stirn. „Ich lege Decken und Kissen für dich auf der Couch bereit.“
„Du willst also immer noch, dass ich auf der Couch schlafe?“
„Ja.“ Sie musste jetzt allein sein, um den Wirrwarr ihrer Gedanken ordnen zu können.
Ihr Körper verlangte nach Luc. Es wäre so einfach, sich ihm diese eine Nacht hinzugeben. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass eine Nacht mit ihm niemals genug sein würde. Selbst wenn Luc ihr mehr anbot, eine Affäre, bis er ihrer müde wurde … damit würde sie sich nur einem unsäglichen Schmerz aussetzen, sollte sie der Versuchung nachgeben.
Bei ihrem entschiedenen Ton schwand Lucs Lächeln. Er wusste, er täuschte sich nicht. Darci hatte ihn vor wenigen Minuten ebenso stark gewollt wie er sie.
Dieses alles verzehrende Verlangen und der völlige Verlust seiner Selbstbeherrschung waren etwas, das Luc noch nie erlebt hatte.
Scharf sog er die Luft ein. „Darci, ich denke, wir beide müssen reden …“
„Ich wüsste nicht, worüber“, wehrte sie schnippisch ab. „Außerdem habe ich inzwischen wirklich Kopfschmerzen.“
„Ich dachte immer, es sei den verheirateten Frauen vorbehalten, sich auf Kopfschmerzen zu berufen, wenn es Zeit fürs Zubettgehen ist?“, entgegnete er spöttisch.
„Das ist eine grobe Verallgemeinerung, und ich bezweifle, dass eine solche Behauptung bei Robin oder Angel zutreffen würde“, konterte sie spitz.
Nein, ganz bestimmt nicht, da war Luc sogar ziemlich sicher. „Darci …“
„Du solltest besser zu der Party zurückkehren, Luc“, unterbrach sie ihn.
Sollte er, das wusste er selbst. Er wusste aber auch, dass Darci und er reden mussten. Noch heute. Denn Darci verschloss sich mit jeder Minute mehr, zog sich immer weiter von ihm zurück. Das durfte er nicht zulassen.
Nicht jetzt …
Ein entschlossener Zug legte sich um seinen Mund. „Ich komme in ein paar Minuten nach oben.“
Sie nickte knapp. „Bitte versuch, mich nicht zu stören, falls ich schon schlafe, ja?“
Lucs Augen verengten sich, als er sich eingestand, dass Darci ihn störte, selbst wenn er schlief. In den letzten zehn Tagen hatte er kaum an etwas anderes und schon gar nicht an jemand anderes gedacht als an sie. Selbst wenn sie nicht zusammen waren, meinte er, ihre seidige Haut an seinen Fingerspitzen fühlen, den Geschmack ihres Körpers auf seiner Zunge spüren zu können.
„Du bist Assistenzärztin, Darci, du musst doch daran gewöhnt sein, mit wenig Schlaf auszukommen.“
Argwöhnisch betrachtete Darci ihn. Sie wusste nicht so recht, wie sie die Situation handhaben sollte. Nachdem sie sich auf der Terrasse in seinen Armen so völlig hatte gehen lassen, würde Luc ihr nie abnehmen, dass sie ihn nicht wollte.
Sie schüttelte den Kopf. „Gerade weil ich Assistenzärztin bin, muss ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit so viel Schlaf nachholen wie möglich.“
Seine dunklen Augen wanderten über ihr erhitztes Gesicht, hin zu den schön geschwungenen Lippen, und hielten dann ihren grünen Blick gefangen. „Heute wird sich keine solche Gelegenheit für dich bieten, Darci.“
„Dass wir zusammen ins Bett gehen, gehört nicht zu unserer ursprünglichen Vereinbarung, Luc“, widersprach sie ihm.
Er zuckte ungerührt mit den Achseln. „Unsere ursprüngliche Vereinbarung, wie du es nennst, gilt nicht mehr.“
„Einfach so?“, fuhr sie entrüstet auf. „Weil du es sagst?“
Es zuckte spöttisch um seine Mundwinkel. „Darci, ich glaube, du versuchst absichtlich, einen neuerlichen Streit zwischen uns zu provozieren.“
„Ich versuche überhaupt nichts – wir streiten bereits!“, entgegnete sie hitzig. „Du scheinst der irrigen Annahme zu sein, dass ein paar Küsse auf einer Hotelterrasse, während das Mondlicht und die romantische Stimmung von Paris mich verführen, dir das Recht geben, heute das Bett mit mir zu teilen.“
„Es waren weder Paris noch das Mondlicht, die dich verführt haben, Darci.“ Ungeduld ließ seine Stimme härter klingen. „Ebenso wenig, wie sie es waren, die mich verführt haben.“ Er sprach wieder sanfter. „Dir muss doch klar sein, dass ich, ganz gleich, was ich bisher auch gesagt haben mag, nicht mehr die Absicht habe, dich nach diesem Wochenende so einfach gehen zu lassen.“
„Dir wird wohl nichts anderes übrig bleiben“, sagte sie unnachgiebig. „Ich führe ein beschäftigtes und erfülltes Leben, Luc. Da ist kein Raum für einen reichen sizilianischen Playboy, der beschließt, dass er nach Lust und Laune in mein Bett schlüpfen möchte, wann immer er sich zufällig in London aufhält.“ Böse funkelte sie ihn an.
Lucs Augen verengten sich zu eisigen Schlitzen, als er zugeben musste, dass Darci mit ihrem Vorwurf nicht ganz unrecht hatte – was seine bisherigen Beziehungen betraf!
„Genau diese Vorurteile über mich sind der Grund, warum wir miteinander reden müssen“, erwiderte er rau.
„Bevor oder nachdem wir miteinander geschlafen haben?“, wollte sie spitz wissen.
„Das, meine liebste Darci, überlasse ich ganz dir.“
Also wirklich, die Arroganz dieses Mannes …! Sich einzubilden, dass er ihre Schwäche von vorhin ausnutzen und ihr eine Affäre vorschlagen könnte! Mit dem tiefen Gefühl, das sie für ihn empfand, würde sie sich niemals auf eine lockere Beziehung mit ihm einlassen können.
„Tut mir leid, Luc, aber ich bin nicht für Affären zu haben.“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und ging zum Lift.
Bei jedem Schritt war sie sich seines düsteren Blicks auf ihrem Rücken bewusst.
Luc hatte sich auch nicht von der Stelle gerührt, als sie sich im Aufzug umdrehte und den Etagenknopf drückte. Seine Miene war ausdruckslos, in seinen Augen nichts zu lesen, und Darci wagte erst wieder zu atmen, als die Lifttür zuglitt.
Was sollte sie nun tun? fragte sie sich verzweifelt, als der Aufzug sich in Bewegung setzte.
Sie liebte Luc. Daran bestand kein Zweifel. Ebenso wenige Zweifel gab es, dass er sie genug begehrte, um ihr eine Affäre vorzuschlagen.
Einst hatte sie gedacht, sie würde darauf eingehen, doch jetzt wusste sie, dass sie es nicht konnte. Allerdings wusste sie auch, dass sie Lucs Zärtlichkeiten nicht würde widerstehen können, sollte er sie wieder in seine Arme ziehen. Was sicherlich passieren würde, wenn er nach oben in die Suite kam.
All diese Überlegungen boten ihr immer noch keine Antwort auf die Frage, was sie nun tun sollte.
Sie könnte natürlich diese eine Nacht nachgeben und Luc dann morgen mitteilen, dass es keine Affäre geben würde.
Doch eine Nacht mit Luc war nicht genug.
Selbst eine Woche, ein Monat, zwei Monate waren ihr nicht genug.
Heute Abend hatte sie erkannt, dass ihre Liebe zu Luc ein solch tiefer Teil ihres Seins war, dass nur ein ganzes Leben ausreichen würde, um diese Liebe zu befrieden.
Doch so, wie sie nicht für Affären zu haben war, hatte Luc mehr als ein Mal deutlich gemacht, dass er nicht für lebenslange Beziehungen zu haben war.