Auf der Rückfahrt sprach niemand. Am ruhigsten schien Adùmas zu sein, am nervösesten Solitario.
Auf dem Revier waren die beiden zurückgebliebenen Forstpolizisten, Goldoni und Ferlin, wach und in Alarmbereitschaft. Sie wussten nicht, was los war, und warteten auf telefonische Anweisungen des Inspektors.
Die nicht kamen.
Dafür kamen die vier.
Der Inspektor übergab Ferlin Gewehr und Patronengurt. »Unter Verschluss«, sagte er, »und der junge Mann hier … nennt sich Solitario. Den jungen Mann ins Büro des Polizeihauptmeisters und im Auge behalten.«
Der Inspektor wies Adùmas einen Stuhl, aber der blieb stehen, im Eingangsbereich neben dem Tisch, an dem Ferlin sonst saß. Er bat Goldoni um Kaffee für alle, bedeutete Farinon, ihm zu folgen, und ging in sein Büro.
»Wir trinken den Kaffee und schauen mal, ob wir diese schlimme Geschichte klären können.« Sie sprachen sich ab, wie sie vorgehen wollten.
Goldoni kam mit zwei Tassen herein.
»Hol Adùmas und bring ihm auch einen Kaffee.«
Sie tranken schweigend.
»Wo fängst du an, Adùmas?«
»Ich würde bei den zwei Schüssen anfangen. Erinnerst du dich an den Tag, Bussard? Es war der zwölfte Juni …«
… und er bahnte sich gerade seinen Weg durch eine Macchia aus blühendem Ginster, der, als er vorsichtig hindurchging, seinen intensiven und leicht süßlichen Duft verströmte. Er war sicher, dass in der Nähe der Bau eines Fuchses war, der seinem Hühnerstall einen Besuch abgestattet und zwei Hühnern den Garaus gemacht hatte. Am helllichten Tag, ganz gegen die sonstigen nächtlichen Gewohnheiten des Tieres, ausgerechnet als er, Adùmas, beim Mittagessen saß.
Wildes Gegacker machte ihn argwöhnisch, und als er hinausstürzte, um dem Geschehen auf den Grund zu gehen, sah er das rötliche Tier in einem Federwirbel mit einem der beiden Opfer.
Beim Auftauchen des Mannes flüchtete der Fuchs und ließ ihn ohnmächtig zurück. Er konnte nur noch zuschauen, wie er sich schleunigst aus dem Staub machte und dabei flink über anderthalb Meter Metallzaun sprang.
Adùmas wusste oder glaubte zu wissen, wo der Fuchs seinen Bau hatte. Jetzt suchte er brauchbare Spuren, er hatte vor, eine Falle aufzustellen. Vorbei waren die Zeiten der Fuchsjäger, die die Füchse töteten und dann mit dem Pelz des Opfers von Hof zu Hof gingen, um sich von den Bauern mit Eiern oder einem Huhn belohnen zu lassen.
Der Räuber in seinem Hühnerstall hatte sich allerdings allzu dreist benommen. Am helllichten Tag, und er beim Essen. Er fühlte sich verhöhnt. Er hatte beschlossen, sich zu rächen.
Da knallten zwei Schüsse.
Er blieb stehen. Wer hatte geschossen?
Die Jagdzeit war vorbei.
Ein Wilderer?
Zu der Jahreszeit und um diese Uhrzeit?
Die Schüsse waren aus der Gegend von Campetti gekommen. Vielleicht auch von etwas weiter unten. Paolino, der in Campetti wohnte, wusste bestimmt etwas.
Der Inspektor und der Polizeihauptmeister hörten schweigend und aufmerksam zu. Adùmas sah sie an. »Also bloß dass ihr das wisst«, sagte er dann, »bloß dass ihr das wisst, ich hab den Bau gefunden und meine Falle aufgestellt …«, und er ließ den Inspektor, der etwas einwerfen wollte, nicht zu Wort kommen. »Ich weiß schon, Bussard, ich weiß, dass man das nicht darf. Aber soll ich mich von einem Fuchs dermaßen verarschen lassen? Ich finde nicht. Ihr verpasst mir das Bußgeld und Schwamm drüber!«
»Da kannst du Gift drauf nehmen, dass wir dir ein Bußgeld verpassen«, sagte Farinon. »Und zwar eines, das du nicht so schnell vergisst. Und dann?«
»Dann … ich war neugierig, ich wollte wissen, wer da zweimal geschossen hat, aber es war spät geworden, und ich hab mir gesagt: ›Paolino läuft mir nicht davon. Zu dem gehe ich ein andermal.‹ Die Schüsse kamen aus der Gegend von Campetti, kurz unterhalb. Ihr wisst, ich täusche mich selten, wenn es um die Wälder geht …«
»Auch du kannst dich täuschen, wie alle«, wies Farinon ihn zurecht.
»Mit dir gehe ich jede Wette ein. Jederzeit.«
»Bleib bei der Sache, Adùmas«, mahnte Gherardini. »Wir müssen unbedingt wissen, was passiert ist.«
»Das sagt sich so leicht, Bussard. Zwei Tage nach den Schüssen bin ich wieder in der Gegend. Und zwar auf dem Pfad unterhalb von Campetti, und da läuft mir Paolino über den Weg, und was für ein langes Gesicht er macht. ›He, Paolino‹, frage ich, ›ist deine Katze gestorben?‹ ›Viel schlimmer, Adùmas‹, sagt er. ›Cornetta ist verschwunden. Seit vorgestern ist sie weg, und diese jungen Leute … die Elben … die verarschen mich.‹«
Adùmas hob grüßend die Hand, als er auf dem Pfad weiterwollte, der nach seiner festen Überzeugung ungefähr dorthin führte, wo die Schüsse gefallen waren. Er hielt inne.
»Sag, Paolino, hast du zwei Schüsse abgegeben, so gegen Abend?«
»Nein, aber gehört. Ich hab sie auch gehört. Sie kamen von weiter unten.«
»Was machst du dann mit der Flinte, die du umgehängt hast?«
»Die Wölfe, Adùmas. Ein Elbe aus Borgo hat erzählt, dass Wölfe in der Gegend sind.«
»Die suchen doch sofort das Weite, wenn sie dich sehen, Paolino«, sagte Adùmas und wandte sich zum Gehen. »Wenn mir deine Cornetta begegnet, sage ich ihr, dass du dir Sorgen machst.«
»Verarschst du mich jetzt auch noch?«
»Du wirst sie schon finden, keine Sorge. Wölfe sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die fürchten sich heutzutage sogar vor den Ziegen.«
Der Pfad führte zwischen einem jungen Eichenwald linkerseits und rechts an einem ziemlich steilen, mit Gestrüpp bewachsenen Hang hinunter. Dünne Sonnenstrahlen schienen zwischen den Ästen hindurch auf den Weg und tauchten das Gras in ein intensives Grün, wie es typisch ist für feuchte Böden.
Ein Sonnenstrahl ließ etwas aufblitzen an einer Stelle, an der das Gras wie frisch niedergetreten aussah. Adùmas bückte sich, hob das Ding auf und stieß einen leisen Fluch aus.
»Das … das ist ja eine von meinen!«
Prüfend sah er sich um.
»Die auch.«
Er suchte weiter, und etwas unterhalb des Weges, dort, wo der Abhang begann, entdeckte er das Gewehr, der Lederriemen war an einer aus dem Boden ragenden Wurzel hängen geblieben.
»Das ist ein starkes Stück«, brummte er.
Er befreite das Gewehr, drehte und wendete es in den Händen, wischte mit dem Taschentuch den Dreck vom Schaft und von den Läufen, kontrollierte das Magazin: leer.
Adùmas setzte sich an den Wegrand und zündete sich eine Zigarette an.
Er rauchte sie nicht in aller Ruhe, wie er es eigentlich wollte. Er blickte sich unentwegt um, als könnte von der einen oder der anderen Seite des Weges plötzlich jemand auftauchen. Vielleicht um die Waffe zu holen.
Adùmas rätselte, wie um alles in der Welt zwei seiner Patronen und seine Flinte hierhergekommen waren.
Er versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal hier vorbeigekommen war.
»Das ist ein paar Jahre her«, sagte er sich.
Es war keine Gegend, die er frequentierte.
Adùmas rauchte und blickte sich um, und weil er einfach nicht fassen konnte, was ihm da widerfuhr, kontrollierte er noch mal die Stelle, an der er die Flinte gefunden hatte, und da sah er es …
Adùmas war über seine Entdeckung so beunruhigt gewesen, dass es ihm nicht sofort aufgefallen war, aber an der Kante des Abhangs war der Pfad über ein ganzes Stück abgebröckelt und weiter unten war das Gestrüpp geknickt oder abgerissen, als wäre etwas Schweres darübergerutscht …
»Ich hatte recht«, sagte Adùmas leise zu den beiden, die ihm, ohne ihn zu unterbrechen, zugehört hatten. »Ich bin runter und hab ihn gefunden.« Er hielt inne und kramte in seiner Jackentasche. Und blickte die beiden Forstpolizisten an. »So war das alles.« Adùmas deutete mit dem Kopf zur Tür. »Den Typ da nennen sie Solitario. Der weiß mehr als ich. Fragt ihn.« Er zog eine Schachtel Zigaretten hervor. »Ich muss jetzt eine rauchen. Wenn du mich rauslässt …«
»Kannst hier rauchen«, sagte Gherardini. Er selbst nahm sich eine von seinen eigenen.
Farinon machte das Fenster weit auf.
In der Morgendämmerung wurden die Straßen des Dorfes langsam heller. Ein Tag brach an, der für einige Leute, die in die Geschichte um den Streicher verwickelt waren, kompliziert werden sollte. Angefangen von Adùmas über Solitario, Gherardini, Farinon und den Stabsgefreiten Gaggioli bis hin zur ermittelnden Staatsanwältin Michela Frassinori.
Bevor es Abend würde, sollte auch Eugenio Baratti, leitender Forstdirektor und Chef des Provinzkommandos der Forstpolizei, seinen Teil dazu beigetragen haben.
Der Inspektor sah auf seinem Handy nach der Uhrzeit. »Wir bräuchten noch einen Kaffee.«
Adùmas kramte wieder in seinen geräumigen Jackentaschen und stellte eine kleine Bierflasche auf den Schreibtisch. »Ich hätte das hier zu bieten.«
Marco zog den Korken, schnupperte an der Flasche, füllte seine schon eine geraume Weile leere Espressotasse und reichte die Flasche Farinon. Der tat es ihm nach. Ebenso Adùmas.
»Du hast dir für deinen Ausflug einen Grappavorrat mitgenommen, Adùmas. Eine halbe Flasche hast du der Familie mit dem Horn dagelassen.«
»Gastfreundliche Leute. Mein Grappa war aufgebraucht. Ich bin nach Hause, um Nachschub zu holen.«
»Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich in Vinacce auf dich gewartet und mir viel Mühe gespart.« Ein Schluck, dann sagte er: »Dann hast du ihn also umgelagert.«
»Wen umgelagert?«
»Den Leichnam des Streichers. Wahrscheinlich um an den Patronengurt zu kommen.«
»Ich hätte dem Toten eher den Gurt gelassen, als ihn anzufassen. Nein, den habe ich auf dem Weg gefunden. Er hatte ihn nicht umgeschnallt. Wahrscheinlich hatte er ihn sich um die Schulter gehängt.«
Sie zogen ein paarmal an ihren Zigaretten, dann sagte Gherardini: »Eigentlich hättest du sofort zu den Carabinieri gehen und Anzeige erstatten müssen …«
»Logisch. Die hätten mir bestimmt eine Medaille um den Hals gehängt. Sie finden eine Leiche, mein Gewehr, meinen Patronengurt, zwei von meinen Patronen, gezündet, und der Maresciallo glaubt mir meine Geschichte. Mensch, Bussard! Ich war überzeugt, dass der arme Kerl erschossen wurde!«
Sie rauchten zu Ende und tranken den Fingerbreit Grappa aus, den sie sich genehmigt hatten.