Die Nachricht des leitenden Forstdirektors und Chefs des Provinzkommandos der Forstpolizei erreichte ihn zwei Tage später auf dem Smartphone.
Er las sie, als er in der Morgendämmerung aufstand, obwohl er beschlossen hatte, nicht aufs Revier zu gehen.
In der Nachricht stand: »Ich habe eben von Frassinori erfahren, dass du den Fall glänzend abgeschlossen hast. Glückwunsch. Du bist und bleibst mein bester Mann. Auch wenn wir Carabinieri werden.«
Gegen zwei Dinge hätte er etwas einzuwenden gehabt: gegen den glänzenden Abschluss seiner ganz und gar privaten, unverlangten Ermittlungen und die Zukunft als Carabiniere.
Er beantwortete die Nachricht nicht.
Das würde er später machen, in Ruhe.
Er klappte das Handy zu und legte es auf den Tisch, wo, wie er wusste, kein Netz war.
Niemand würde ihm auf den Wecker gehen. Zumindest nicht beim Frühstück.
Die einzige Stelle im Haus mit Empfang war die rechte Ecke der Spüle. Er hatte keine Lust zu antworten, weder per SMS noch mündlich.
Marco stellte die Espressokanne auf den Herd und machte das Feuer an.
Er dachte daran, dass man nicht auf die Kanne starren soll in der Hoffnung, dass das Wasser schnell kocht, sondern gleichgültig tun und sich ablenken soll.
Er entfernte sich ein paar Schritte, sah woanders hin und pfiff vor sich hin.
Als es an der Tür klopfte, ging er hin, immer noch pfeifend. Elena kam herein und gab ihm einen flüchtigen Kuss.
»Du bist ja früh auf«, sagte er.
»Ich wollte dich unbedingt sehen.«
»Warum?«
Elena machte eine Geste, die »Ich sag’s dir nachher« meinte. »Ich hab das Gefühl, du bist gut drauf.«
»Gut drauf? Ich bin deprimiert, traurig, unglücklich, schlecht gelaunt …«
»Was ist das denn? Hast du ein Synonymwörterbuch geschenkt bekommen und gleich nach dem Aufstehen gemampft?«
Marco reagierte nicht. »Der Kaffee kommt hoch«, sagte er. Er lief an den Herd, drehte die Flamme kleiner und machte sie dann ganz aus. »Magst du einen?«
»Danke, deswegen bin ich ja gekommen, aber …« Sie holte zwei Tässchen, einen kleinen Löffel und die Zuckerdose. »Erklärst du mir mal, was diese miese Laune soll? Du hast den Fall gelöst, trotz aller Steine, die man dir in den Weg gelegt hat. Außerdem …« Sie hielt inne. »Außerdem hast du endgültig mein Herz erobert, und das ist keine Kleinigkeit, würde ich sagen. Wie viel Zucker?«
»Zweieinhalb, danke. Aber nicht umrühren, ich mag ihn bitter.«
»Sarkastisch bist du auch noch.«
Er gab keine Antwort.
Sie tranken ihren Kaffee, Marco stellte die Tasse ab und steckte sich eine Zigarette an.
»O entschuldige, magst du auch eine?«
»Ja, bitte. Jetzt komm, raus mit der Sprache. Bist du sauer auf mich? Was hab ich dir getan?«
Mit einer nervösen Geste drückte Gherardini die Zigarette aus.
Er stand auf, ging ein paar Schritte, steckte sich noch eine an und setzte sich wieder. Er sah Elena an.
»Es ist nur …« Er schwieg.
»Was denn?«
»Es gibt ein paar Sachen. Erstens habe ich keine große Lust, zu den Carabinieri zu gehen. Bei allem Respekt, aber ich bin Forstpolizist, das hab ich dir ja schon gesagt, und ich würde gern bei der Polizei bleiben. Ich bin Inspektor, ich habe keine Lust, Maresciallo genannt zu werden und Barnabas’ Kollege zu sein, ebenfalls bei allem Respekt. Die Uniform zählt schon was, und mir ist die Uniform der Forstpolizei lieber als die der Carabinieri, auch wenn es aufs Gleiche rauskommt, gleiche Arbeit, aber eben …«
»Und zweitens?«
»Zweitens hat es mich gewurmt, wie sie mich ausgebootet haben, bevor der Fall abgeschlossen war, einfach so, Knall auf Fall und nachdem ich mir die Hacken abgelaufen hatte. Dann habe ich es plötzlich mit einem deutschen Kollegen, einer internationalen Geschichte zu tun, und was machen die? Danke schön, geh ein bisschen an die frische Luft, nimm ein paar Tage Urlaub und ciao. Ich habe schon noch Selbstachtung.«
»Aber gelöst hast den Fall du.«
»Ja und nein, denn deine Hilfe war entscheidend.«
»Du hättest es auch ohne mich geschafft.« Wieder machte sie eine Pause. »Ich möchte auch was sagen. Kann ich dir zwei Fragen stellen?«
»Klar.«
»Erstens: Wenn du keine Lust auf die Neuregelung hast, kannst du bei der Forstpolizei doch kündigen, oder?«
»Schon, aber was mache ich dann? Wovon soll ich leben?«
»Von der Pension.«
»Jaja, von der Pension! Man merkt, dass du von der Welt nichts mitkriegst. Ich habe zu wenige Dienstjahre, da gibt’s noch keine Pension. Die liegt in weiter Ferne. Außerdem bin ich noch nicht so alt, dass ich schon von Pension reden will. Und die zweite Frage?«
»Die zweite … Es fällt mir nicht so leicht, dich das zu fragen, es ist, als würde ich mich selbst verleugnen, meine Prinzipien, ähnlich wie es dir mit dem Wechsel zu den Carabinieri geht.« Wieder hielt sie inne. »Hast du noch eine Zigarette?«
»Und die Frage?«
Elena steckte sich die Zigarette an und nahm einen Zug. »Blödmann. Die Frage lautet: Was bedeute ich dir?«
Gherardini stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf, stützte das Kinn auf die geschlossenen Fäuste und sah Elena an.
»Da hab ich viel drüber nachgedacht. Ich muss sagen, dass du mir viel bedeutest, wirklich sehr viel.«
»Dann kündige und zieh zu mir.« Sie sah Marco in die Augen und atmete ein paarmal, bevor sie weitersprach. »Helga geht nach dem Rainbow weg, dann ist Platz für dich in meinem Haus.«
»Tja, dann leben wir zusammen. Und wovon leben wir?«
»Als Elben. Ich bin Elbin, du hast die Elben kennengelernt. Wovon lebe ich, wovon leben sie? Mit ein bisschen Mut schaffen wir das.«
Gherardini dachte nach. »Klar, mit ein paar Tieren und einem Stückchen Land zum Anbauen. Zurück zu einem Leben im Einklang mit der Natur, die Idee hat mir immer schon gefallen. Deswegen wollte ich ja zur Forstpolizei. Aber zu den Elben? Nein. Ein bisschen Komfort brauche ich schon, elektrisches Licht zum Beispiel. Außerdem …«
Er verstummte, überlegte und sagte dann: »Ich hab eine Idee. Komm mal mit.«
Er nahm sie an der Hand, und sie traten vors Haus.
»Wo willst du hin?«
»Ich will dir … Nein, warte, du wirst schon sehen.«
Er hielt kurz vor der letzten Kurve.
»Steig aus«, sagte er.
Wieder nahm er sie bei der Hand, und sie gingen ein paar Schritte um die Kurve des Feldwegs. Dann blieben sie stehen, und Bussard sagte: »Die Ca’ Storta«, und deutete in die Richtung. Er wartete, bis Elena eine Weile hingeschaut hatte. »Was meinst du dazu?«
»Bist du sicher, dass sie nicht beim ersten Sturm zusammenfällt?«
»Die und zusammenfallen? Das Haus steht seit ein paar Hundert Jahren da, es hat schon mehr überstanden als Stürme und hat keinen Riss. Ich verbürge mich dafür.«
»Das war ein Witz. Ich bin Schlimmeres gewöhnt. Du hast doch gesehen, wo ich wohne, oder?« Sie sah immer noch auf die Ca’ Storta.
»Was ist, hast du Lust?«
»Gehört das Haus dir?«
»Nein, aber die Eigentümerin wird nicht zurückkommen. Sie heißt Francesca, sie ist nicht der Typ für ein Elbenleben. Ich mochte die Ca’ Storta schon immer, schon als Kind. Vielleicht weil sie nicht wie andere Häuser ist.« Er redete und begeisterte sich immer mehr. »Es ist nicht zu weit vom Dorf, und du kannst hier weiter dein Elbenleben führen, und ich werde halb Elbe, halb Normalmensch sein … Manche Sachen brauche ich einfach, Strom, Gas, heißes Wasser zum Duschen, dann müssen wir uns nicht am Bach waschen, vor allem im Winter …«
»Und wenn ich es am Bach aber schön finde?«
Gherardini sah sie an. »Ich würde dir nicht verbieten, ihn zu benutzen. Kurz oberhalb ist einer. Aber dass mir kein anderer Forstpolizist kommt, wenn du nackt badest.«
»Wohl kaum, du hast doch gerade gesagt, dass es keine Forstpolizisten mehr geben wird.«
»Dann eben ein Carabiniere, noch schlimmer.« Marco wurde ungeduldig. »Willst du nun bei mir bleiben oder nicht?«
Endlich sah Elena Marco wieder an. »Ist dir klar, was du da sagst? Das ist schließlich eine wichtige Entscheidung, du würdest dein ganzes Leben ändern … Ich meine, jetzt so auf die Schnelle, praktisch ohne darüber nachzudenken. Bist du sicher, dass du das willst?«
»Ja … nein … keine Ahnung … Aber Bauchentscheidungen sind richtig, sie sind die besten Entscheidungen. Was meinst du denn? Willst du das Haus von innen sehen, bevor du dich entscheidest?«
»Das braucht es nicht, ich vertraue dir«, sagte Elena und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen.
Die Wissenschaft behauptet, der Vormittag eigne sich ganz besonders gut für die Liebe.