Pollys Freund Paul erreichte den Bus in allerletzter Sekunde, aber Polly hatte ihm natürlich einen Platz neben sich frei gehalten.
»Warum sitzt Greta denn neben Frau Hammelheim?«, fragte er verwundert, während der Bus vom Schulhof fuhr.
»Das ist eine lange Geschichte«, kicherte Polly und begann zu erzählen.
Nach anderthalb Stunden erreichte die Klasse die Jugendherberge am See und Frau Grübchen gab die Zimmeraufteilung bekannt. Dass Polly und Paul nicht in einem Zimmer schlafen würden, wussten sie, schließlich wurden die Jungen und Mädchen für die Nächte getrennt. Und das war auch gut so, fand Polly. Immerhin war es kein Geheimnis, dass Jungs bei jeder Gelegenheit lospupsten und ihre Stinkesocken überall im Zimmer liegen ließen.
Paul sah das ganz anders: Mädchen und Jungen wurden nur deshalb getrennt, weil die Mädchen niemals aufhören konnten zu quatschen und das ganze Zimmer mit ihrem rosa Krimskrams vollstopften – da wurde selbst dem stärksten Jungen roselig!
Polly sollte sich mit der schüchternen Annelie ein Zimmer teilen, doch als sie hörte, für wen das dritte Bett im Raum gedacht war, konnte sie sich ein Stöhnen nicht verkneifen: Greta! Ausgerechnet!
Vorsichtig zupfte Polly an Frau Grübchens Ärmel. »Können wir nicht vielleicht noch mal tauschen? Greta will doch sicher lieber mit Jette und Jule in einem Zimmer schlafen.«
Greta nickte heftig mit dem Kopf. Ausnahmsweise waren sich die beiden Mädchen einig.
Frau Grübchen aber schenkte Greta und Polly ein freundliches Lächeln. »Ich habe das extra so eingeteilt, weil ich mir wünsche, dass ihr euch auf der Klassenreise mal mischt und mit anderen Kindern spielt.«
Potzblitz! Diese Idee gefiel Polly gar nicht, nein, nicht mal ein klitzekleines bisschen. Doch als sie Frau Hammelheims finsteren Blick hinter Frau Grübchen aufblitzen sah, verzichtete sie lieber auf eine weitere Widerrede.
Seufzend zerrte sie ihren schweren Rucksack ins Zimmer.
Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, bezogen die drei Mädchen erst mal ihre Betten – da bemerkte Polly plötzlich ein leises Schluchzen. Kam das aus ihrem Reiserucksack …? Hatte Adlerauge sich etwa …? Aber nein! Als Polly zur Seite blickte, sah sie, dass es Annelie war, die weinte.
»Was hast du denn?« Polly setzte sich zu ihrer Klassenkameradin aufs Bett und legte tröstend einen Arm um sie.
Annelie versuchte, ihr Schniefen zu unterdrücken. »Ach, nichts. Es ist nur … Mein Bruder war auch schon mal hier auf Klassenfahrt und er meint …« Annelie zögerte und beugte sich flüsternd zu Polly rüber. »Er meint, in dieser Jugendherberge gibt es Gespenster …«
»Gespenster?« Greta hatte Annelie offenbar gehört und lachte laut auf. »Und an so was glaubst du? Du bist doch kein Baby mehr! Gespenster gibt es nicht!« Dann verdrehte sie die Augen und verschwand mit einem Knall zur Zimmertür hinaus.
Polly streichelte Annelie über den Rücken. »Lass dich nicht von Greta einschüchtern! Und wenn es dich beruhigt: Ich glaube auch nicht, dass es hier Gespenster gibt. Dein Bruder wollte dich sicher nur ärgern. Aber wenn sich doch ein Gespenst hierher verirren sollte, dann schlage ich es in die Flucht, versprochen! Ich bin nämlich Polly Potzblitz Schlottermotz – und mit der ist im Zweifelsfall nicht zu spaßen!«
Und so wie Polly das sagte, musste sogar Annelie lachen und nickte tapfer.
Zum Mittagessen gab es Fischstäbchen mit Kartoffelpüree und Röstzwiebeln. Polly hatte mächtig Hunger und verdrückte drei Portionen, während sie mit Paul plante, was sie heute noch alles tun wollten. »Wir könnten eine Räuberhöhle im Wald bauen – oder mit einem Piratenfloß auf dem See ablegen!«
Frau Grübchen aber kam ihnen zuvor. Beim Nachtisch verkündete sie, dass alle gemeinsam nach dem Essen im See planschen würden. »Also zieht euch Badesachen an und nehmt eure Handtücher mit!«
Eine Abkühlung im See fanden auch Polly und Paul gut, immerhin war es ganz schön warm. In Windeseile schlüpften die Kinder in ihre Schwimmsachen. Polly wollte gerade zur Zimmertür hinaushuschen, da fiel ihr ein, dass sie das Handtuch vergessen hatte. Hastig kramte sie in ihrem Rucksack, schob die Flaschen mit dem Blutorangensaft zur Seite und zog ein buntes Handtuch von ganz unten heraus. Aber was war das? War da nicht ein Geräusch? Polly lauschte angestrengt. Potzblitz! Sie war sich ganz sicher, dass sie etwas gehört hatte … Aber nein, sie musste sich wohl geirrt haben. Lächelnd schüttelte Polly den Kopf. Jetzt hörte sie auch schon Gespenster, dabei gab es die doch gar nicht! Oder etwa doch …?
Unsicher klemmte sie sich das Handtuch unter den Arm und verschwand nach draußen.