Die Kirche in China

Seht auf die Völker! Schaut aufmerksam hin! Ihr werdet erstaunt und erschrocken sein! Noch zu euren Lebzeiten werde ich etwas geschehen lassen, das ihr nicht glauben würdet, wenn es euch jemand erzählte. – Habakuk 1,5 NL

„Back to Jerusalem“ repräsentiert die gegenwärtige und zukünftige Vision der chinesischen Kirche des 21. Jahrhunderts. Um vollständig verstehen und anerkennen zu können, was sie den chinesischen Christen bedeutet, müssen wir zuerst die Vergangenheit verstehen. In diesem Kapitel geben wir einen kurzen Überblick von Gottes Handeln mit China durch die Geschichte hindurch und erklären, wie Chinas Kirche sich bis zu dem Punkt hin entwickelt hat, an dem etliche Hauskirchenleiter „Back to Jerusalem“ nun als vorrangiges Ziel und ultimative Belohnung für ihre Mühen ansehen. Tatsächlich glauben viele Christen, dass die fünfzig Jahre der Verfolgung, die sie erduldet haben, nicht so sehr ein Plan Satans waren, die Kirche in China zu zerstören, sondern viel mehr Gottes Plan, um sie zu läutern, zu schulen und zuzurüsten, damit sie die „Back to Jerusalem“-Vision erfüllen können.

In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich in ganz China etwas Bemerkenswertes zugetragen: die Entstehung einer lebendigen neutestamentlichen Christenheit. Nur wenige weltliche Quellen berichten von der Entfaltung dieses dramatischen Geschehens, das das Potenzial hat, die gesamte soziale und moralische Struktur der Nation zu verändern, wenn es sich unvermindert fortsetzt.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte ich das Privileg, eine Anzahl chinesischer Hauskirchenleiter kennenzulernen. Diese Männer und Frauen waren an sich nicht weiter bemerkenswert. Die meisten stammten aus einfachen Bauernfamilien, dennoch war es ein anregendes und beglückendes Erlebnis, mit ihnen zusammen zu sein. Mir war bewusst – wie vielen Christen auf der ganzen Welt –, dass China in den vergangenen Jahrzehnten eine christliche Erweckung erlebt hat, die Auswirkungen auf viele Teile ihres riesigen Landes hatte. Ich hatte Berichte gelesen von Massenbekehrungen, geheimen Taufen und brutalen Verfolgungen.

Bei diesem besonderen Treffen bezeugten die Leiter jedes Hauskirchen-Netzwerkes, oder jeder „Familie“, was Gott in ihrer Mitte tat, und sie berichteten von dem Wachstum, den ihre Gemeinden erlebten. Einige Zeit zuvor waren sie gebeten worden, die Anzahl ihrer Gemeindemitglieder und die der Gläubigen in ihren Netzwerken so genau wie möglich zu recherchieren. Die Hauptleiter baten ihre Provinz- und Regionalleiter, Berichte einzureichen. Diese Leute erfassten dann die Statistiken der örtlichen Hauskirchenleiter, die auf Stadt- und Kreisebene arbeiten.

Die Informationen wurden anschließend von den Hauptleitern, die bei diesem besonderen Treffen anwesend waren, abgeglichen. Die Gesamtmitgliedzahl aller Hauskirchennetzwerke, die bei diesem Treffen vertreten waren, betrug 58 Millionen Menschen, während die Nettozuwachsrate der einzelnen Hauskirchengruppen zwischen 12,5 und 17,5 Prozent pro Jahr lag. Manche Fachleute schätzen, dass pro Tag 30.000 Chinesen zum Glauben an Christus kommen, das sind mehr als zehn Millionen neue Gläubige jährlich.

Obwohl heute die Zahl der Neubekehrungen in China noch nicht der Geburtsrate entspricht (pro Tag werden annähernd 55.000 Babys geboren), wird sich bei der gegenwärtigen Wachstumsrate die Kirche bald zahlenmäßig schneller entwickeln als das Land als Ganzes.

Während ich mich mit diesen Hauskirchenleitern unterhielt, erfuhr ich mehr über ihre Begeisterung, ihre Liebe und ihre aufopfernde Hingabe für die Sache Christi. Sie waren nicht einfach nur Gläubige, sie waren Jünger Jesu. Sie predigten das Evangelium nicht als billige Fahrkarte in den Himmel, sie predigten und veranschaulichten die Wirklichkeit des Reiches Gottes. Für ihr Zeugnis hatten sie einen hohen Preis bezahlt. Jeder einzelne christliche Leiter auf diesem Treffen war im Gefängnis gewesen und viele hatten schwere Misshandlungen, Demütigungen und Entbehrungen erlitten. Das merkte man ihnen jedoch in keiner Weise an; sie waren die fröhlichsten und herzlichsten Menschen, die man sich nur vorstellen konnte. Ihre Freude war keine oberflächliche Gefühlsaufwallung, sondern etwas, was tief aus ihrer Seele kam, eine übernatürliche Freude, die nur diejenigen erfahren können, die Jesus Christus als den wahren Herrn und Liebhaber ihrer Seelen herrschen lassen.

Bei einem Mittagessen fragte ich mehrere Leiter, wie viele Christen es ihrer Meinung nach in zwanzig oder dreißig Jahren in China geben wird, wenn sich das Evangelium seinen Weg durch das Land weiterhin so bahnt wie im letzten Jahrzehnt: „Zweihundert Millionen Gläubige?“, fragte ich hoffnungsfroh. „Dreihundert Millionen?“

Die chinesischen Brüder gaben keine Antwort. Sie verstanden meine Frage, aber sie verstanden nicht meinen Mangel an Glauben. Nachdem ich die Frage wiederholt hatte, sagte einer der Leiter mit leicht verdutztem Gesichtsausdruck: „In zwanzig oder dreißig Jahren werden natürlich alle Chinesen den Herrn kennen.“

Ich habe gelernt, der chinesischen Kirche nicht mein begrenztes westliches Denken aufzunötigen. Sie glauben, dass ein Teil ihres Auftrages von Gott darin besteht, ihr eigenes Land vollkommen zu evangelisieren und China zum ersten wahrhaft christlichen Land in Asien zu machen.

Seien Sie nicht überrascht, wenn es ihnen gelingt.

Eine sehr alte Verbindung zu Gott

Gott hat allem auf dieser Welt schon im Voraus seine Zeit bestimmt, er hat sogar die Ewigkeit in die Herzen der Menschen gelegt. Aber sie sind nicht in der Lage, das Ausmaß des Wirkens Gottes zu erkennen; sie durchschauen weder, wo es beginnt, noch, wo es endet. – Prediger 3,11

In den Jahrzehnten nachdem immer mehr Missionare nach China geströmt waren, haben sorgfältige Nachforschungen in chinesischen Archiven und historischen Werken einige bemerkenswerte Fakten aus der fernen Vergangenheit Chinas enthüllt. Neben den Legenden, die seit Anbeginn der Zeit über die Schöpfung, über eine Sintflut und über eine Familie, die überlebte, weil sie Zuflucht in einem großen Boot gefunden hatte, überliefert wurden, gibt es gewichtige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass es im alten China eine tiefe Verehrung für den Schöpfergott gab. Der Schöpfer wurde niemals als Abbild oder als Götze dargestellt. Die alten Chinesen glaubten, dass er souverän über den Angelegenheiten der Menschheit herrschte. Es konnte nachgewiesen werden, dass die ursprüngliche Bedeutung vieler chinesischer Schriftzeichen biblische Geschichten und Grundsätze ausdrückten.2

Jahrhundertelang brachten die chinesischen Kaiser jedes Jahr Shangdi, dem Himmlischen Herrscher, Opfer dar. Shangdi ist der Name, den die chinesischen Protestanten noch immer für Gott gebrauchen. Das alljährliche Gebet, das vom Kaiser vorgetragen wurde, beinhaltet folgende faszinierende Worte:

Einst am Anfang war ein großes Chaos, ohne Gestalt und dunkel. Die fünf Elemente (Planeten) hatten sich noch nicht gebildet, auch schienen weder Sonne noch Mond. In der Mitte all dessen existierte weder Form noch Geräusch. Du, o Geistlicher Herrscher, erschienst in deiner Präsidentschaft und schiedest zuerst den gröberen Teil vom reineren. Du schufst den Himmel; du schufst die Erde; du schufst den Menschen. Alle Dinge mitsamt ihrer Fortpflanzungskraft kamen ins Dasein …

Zu dir, o geheimnisvoll arbeitender Schöpfer, schaue ich auf in Gedanken … Mit großen Zeremonien ehre ich dich ehrfurchtsvoll. Als dein Diener bin ich nur ein Schilfrohr oder ein Weidenzweig; mein Herz ist nur das einer Ameise; dennoch habe ich deinen wohlwollenden Beschluss empfangen, mich in die Regierung des Reiches einzusetzen. Tief in mir hege ich eine Ahnung meiner Unwissenheit und Blindheit und ich fürchte, dass ich mich deiner großen Gunst unwürdig erweisen könnte. Darum werde ich alle Regeln und Gesetze beachten und mich bemühen, bedeutungslos wie ich bin, meine Pflicht treu zu erfüllen. Aus der Ferne schaue ich auf zu deinem himmlischen Palast. Komm in deinem kostbaren Triumphwagen zum Altar. Als dein Diener beuge ich ehrfurchtsvoll mein Haupt bis zur Erde in Erwartung deiner übergroßen Gnade … Oh dass du dich herablassen mögest, unsere Gaben anzunehmen und uns anzusehen, während wir dich, dessen Güte unerschöpflich ist, verehren!3

Möge die gegenwärtige Generation chinesischer Hauskirchenleiter dieselbe Demut und Ehrerbietung für Gott entwickeln wie ihre Vorgänger!

Es scheint klar zu sein, dass das bevölkerungsreichste Land der Erde in der fernen Vergangenheit in Gottes Absichten eine besondere Rolle spielte. Könnte es sein, dass China auch in diesen letzten Tagen eine wichtige Rolle in Gottes Reich spielt?

Obwohl aus sicheren Belegen hervorgeht, dass das Christentum mit den Nestorianern im Jahr 635 n. Chr. nach China kam, glauben viele Christen in China, dass zumindest einer der Weisen, die das Jesuskind besuchten, aus China stammte. Diese Überzeugung basiert auf einer Anekdote über einen Mann namens Liu Shang, oberster Astrologe am Hof der Han-Herrscher zur Zeit der Geburt Christi. Liu verschwand für zwei Jahre, nachdem er einen neuen Stern entdeckt hatte, den „Königsstern“. Man glaubte, dass ein König geboren wurde, wenn dieser Stern erschien. Zu dieser Zeit besaßen die Chinesen ein hoch entwickeltes astronomisches Wissen, und Liu Shang könnte über die Seidenstraße gereist sein, die damals bereits benutzt wurde. Eine Reise von China nach Jerusalem hätte ein bis zwei Jahre gedauert, und es ist interessant festzustellen, dass im Evangelium erwähnt wird, dass König Herodes „Soldaten ausschickte, die in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Jungen im Alter von zwei Jahren und jünger umbringen sollten. Denn die weisen Männer hatten ihm erzählt, dass sie den Stern vor etwa zwei Jahren zum ersten Mal gesehen hätten“ (Matthäus 2,16).

Diese Geschichte lässt sich zwar unmöglich belegen, aber eine kürzlich gemachte überraschende Entdeckung deutet darauf hin, dass sich das Christentum in China fast bis zur Geburtsstunde der neutestamentlichen Gemeinde zurückdatieren lässt. Im Jahr 2002 entdeckte Wang Weifang, ein vierundsiebzigjähriger Theologieprofessor und ständiges Mitglied des christlichen Rates in China, im Museum von Xuzhou in der Provinz Jiangsu eine Anzahl von Steingravuren:

Wang war höchst überrascht über einige Steinreliefs, die biblische Geschichten und Darstellungen aus den frühchristlichen Zeiten zeigten. Weitere Untersuchungen ergaben, dass einige dieser Reliefs aus dem Jahr 86 n. Chr. stammten, dem dritten Jahr der Regierung des Kaisers Yuanhe aus der östlichen Han-Dynastie. […] Wang verglich die Darstellungen, die sich aus Fischen, Vögeln und Tieren zusammensetzten und zeigten, wie Gott die Erde schuf, mit biblischen Darstellungen.

Die Darstellungen auf diesen uralten Steinen entsprechen dem künstlerischen Stil der frühchristlichen Zeit, wie man ihn im Irak und dem Nahen Osten findet, während sie zugleich Charakteristika aus der Zeit der östlichen Han-Dynastie Chinas aufweisen.

Die Steinreliefs, die wichtige Grabbeigaben waren, findet man hauptsächlich in vier Städten, unter anderem in Xuzhou. Es wird berichtet, dass bislang mehr als 20 intakte Han-Gräber gefunden wurden, in denen man fast 500 Teile von Steinreliefs entdeckte.4

Die Missionsepoche

In der Neuzeit kamen die katholischen den protestantischen Missionaren in China um mehr als fünfhundert Jahre zuvor und bewiesen enorme Ausdauer und Mut in dem Bemühen, einen Brückenkopf auf chinesischem Boden zu errichten. Protestantische Missionare traten zum ersten Mal mit dem Engländer Robert Morrison in Erscheinung, der im September 1807 mit seinem Schiff in Kanton anlegte.

Während der Reise fragte der Kapitän des Schiffes Morrison: „Erwarten Sie wirklich, dass Sie bei der Götzenverehrung des großen chinesischen Reiches eine Wirkung erzielen können?“ Der protestantische Pionier gab seine inzwischen berühmte Antwort: „Nein, Sir. Aber ich erwarte, dass Gott es tun wird.“

Er hat es getan!

Morrison machte nur langsam Fortschritte. Sieben Jahre nach seiner Ankunft taufte er den ersten Konvertiten „an einem Wasserlauf, der am Fuße eines hoch aufragenden Berges entsprang, weit weg von menschlicher Beobachtung … Möge er die Erstlingsfrucht einer großen Ernte sein, einer von Millionen, die glauben werden!“5

In den folgenden Jahrzehnten wuchs die missionarische Unternehmung in China exponentiell. Die meisten Missionare hatten eine tiefe Hingabe an Gott und waren bereit, für das Evangelium zu sterben. Ein Mann des Glaubens sagte: „Ich erwarte, im heidnischen China zu sterben, aber im christlichen China aufzuerstehen.“6 Es sieht immer mehr danach aus, dass sich seine Erwartung erfüllen wird.

Die Anzahl der chinesischen Konvertiten in den 150 Jahren der protestantischen missionarischen Unternehmung war nicht groß, aber es wurde ein solides Fundament für zukünftige Entwicklungen gelegt.

Der zweifellos berühmteste unter den Missionaren war James Hudson Taylor (1832–1905), der Begründer der überkonfessionellen China-Inland-Mission. Die Hauskirchenleiter in China denken auch heute noch in Liebe an ihn. Einer der Schlüsselfiguren der „Back to Jerusalem“-Bewegung, Peter Xu Yongze, spricht von dem tiefen Respekt, den er Hudson Taylor gegenüber empfindet:

Die Vision der Hauskirchen in China ist es, nicht nur unser eigenes Land mit dem Leben und der Gegenwart des Herrn Jesus Christus zu durchdringen, sondern auch auf alle übrigen muslimischen, buddhistischen und hinduistischen Länder mit dem Evangelium einzuwirken. Deshalb sind wir so dankbar für den Einfluss, den Hudson Taylor auf unser Land hatte. Er war ein Beispiel für die zielstrebige Leidenschaft, das Kommen des Reiches Gottes zu erleben. Wie ein mutiger Soldat marschierte er in Pioniergebiete, in denen der Name Jesu Christi noch nie genannt worden war.

Heute haben die Hauskirchen in China genau diese Vision übernommen. Es ist, als ob Hudson Taylor der chinesischen Kirche eine brennende Fackel übergeben und uns gebeten hätte, das Rennen bis zur Ziellinie fortzusetzen.

Obwohl viele Bücher über Hudson Taylors Dienst dazu tendieren, das Augenmerk auf westliche Missionsmethoden zu legen, zeigt die sorgfältige Auseinandersetzung mit der Arbeit der China-Inland-Mission, dass diese Missionare ihre Aufgabe offenkundig darin sahen, die einheimischen christlichen Leiter auszubilden und zu unterstützen. Einfach ausgedrückt waren es hauptsächlich ihre chinesischen Mitarbeiter, die die Arbeit an vorderster Front leisteten, während die westlichen Missionare deren Bemühungen eher aus dem Hintergrund unterstützten und förderten. Zu Beginn seiner Laufbahn schrieb Hudson Taylor:

Die Ernte hier ist wirklich groß, und es gibt nur wenige Arbeiter, die zudem unzureichend ausgerüstet sind für eine solche Arbeit. Dennoch können durch die Gnade mit wenigen schwachen Werkzeugen große Dinge vollbracht werden – Dinge, die größer sind, als wir es uns überhaupt vorstellen können.7

Jahrzehnte später gab es ein deutliches Umdenken in Hudson Taylors Strategie. Ihm wurde klar, dass die chinesische Kirche niemals wirklich wachsen und reifen würde, solange die Missionare die leitenden und federführenden Positionen im Leib Christi innehatten. Achten Sie auf die Schwerpunktsverlagerung im folgenden Abschnitt:

Ich betrachte die ausländischen Missionare als Baugerüst eines wachsenden Gebäudes. Je früher man darauf verzichten kann, umso besser. Oder vielmehr, je früher es an einen anderen Ort gebracht werden kann, wo es den gleichen vorübergehenden Nutzen erfüllt, umso besser.8

Viele Jahre später fasste Hudson Taylors Sohn den Dienst seines Vaters folgendermaßen zusammen:

Seit siebzig Jahren haben mein Vater, Mr. Hudson Taylor, seine Nachfolger sowie die Mitglieder der China-Inland-Mission, zusammen mit vielen anderen Missionaren, erkannt, dass China von chinesischen Missionaren evangelisiert werden muss. Heute, und dafür danke ich Gott, wird es mehr als jemals zuvor auf diese Weise evangelisiert. Ein guter Anfang wurde gemacht. […] Diese hingegebenen, gesegneten Arbeiter sind bereit für Opfer und Entbehrungen, zeitweise sogar große Entbehrungen, wenn nur Christus um der Mühsal seiner Seele willen sich an dem erfreut, was er zu sehen bekommt [Jesaja 53,11]. Sie lieben ihn, der für sie gestorben ist, und wollen um jeden Preis für ihn leben.9

In einer so ethnozentrischen und stolzen Nation wie China war eine indigene Strategie unerlässlich. Die chinesischen Massen würden niemals „die Religion eines Ausländers“ annehmen. Das Erscheinungsbild und die Struktur des Christentums musste verändert werden, bevor die Chinesen es akzeptieren würden. In den 1890er-Jahren hörte ein chinesischer Schaulustiger der vollmächtigen Predigt eines einheimischen Evangelisten zu. Er machte die folgende aufschlussreiche Bemerkung:

Einmal wurde einem Wald gesagt, dass eine Ladung Axtköpfe eingetroffen war, um ihn abzuholzen. „Das bedeutet gar nichts“, sagte der Wald, „von sich aus können sie nichts ausrichten.“ Als er jedoch hörte, dass einige seiner eigenen Äste zu Stielen der Axtköpfe geworden waren, sagte er: „Jetzt haben wir keine Chance mehr.“

Solange wir es nur mit Ausländern zu tun hatten, waren wir sicher, aber seit überall unsere eigenen Landsleute auf ihrer Seite mitmachen, wird das Christentum mit Sicherheit gedeihen und uns erobern.10

Leider teilten viele Missionsorganisationen nicht die Einsichten Hudson Taylors und verhielten sich weiterhin wie überfürsorgliche Eltern gegenüber der flügge werdenden chinesischen Kirche. So überrascht es nicht, dass China das Christentum weiter als eine westliche Religion betrachtete und dessen chinesische Anhänger als Verräter und Sklaven der westlichen Herren. Eine verbreitete chinesische Redensart zu jener Zeit war: „Ein chinesischer Christ mehr bedeutet ein Chinese weniger.“

Die 1920er-Jahre markieren den höchsten Pegelstand im Blick auf missionarische Unternehmungen in China.11 Mehr als 10.000 ausländische Missionare waren über das ganze Land verstreut. Viele waren sehr hingegebene Christen voller Opferbereitschaft, und Gott gebrauchte sie auf verschiedene Weise. Aber nachdem die Kirche sich etabliert hatte, wäre es eindeutig ihre Aufgabe gewesen, beiseite zu treten und die Chinesen ihre Gemeinden selbst leiten zu lassen.

Eine der markantesten Anklagen gegen die missionarischen Unternehmungen im frühen zwanzigsten Jahrhundert findet sich nicht in irgendwelchen Worten oder Predigten, sondern auf einem Foto, das auf einer bedeutenden Konferenz aufgenommen wurde, die 1907 in der Märtyrer-Gedächtnishalle in Shanghai stattfand. Das Treffen war einberufen worden, um die Zukunft des Christentums in China zu planen, doch wenn man die Teilnehmer näher betrachtet, sieht man nur einen Raum voller schwarz gekleideter westlicher Missionare. Erschreckenderweise fühlte sich gerade mal eine Handvoll chinesischer Pastoren selbstbewusst genug, um an dieser Schlüsselkonferenz teilzunehmen, auf der über die Zukunft der chinesischen Kirche entschieden werden sollte. Sie wirkten eher verloren unter den 800 ausländischen Delegierten. Das Treffen von 1907 war nur eines von einer ganzen Reihe von Konferenzen in Shanghai, die schon seit 1877 stattfanden und die alle von ausländischen Missionaren dominiert wurden.

Während dieser missionarischen Ära wuchs die Kirche in China langsam weiter, jedoch nicht in der Geschwindigkeit oder Form, die nötig gewesen wäre, damit die größte Nation der Welt die Errettung durch Christus erfahren hätte, so wie Gott es für sie vorgesehen hatte. Die Christen blieben eine Randerscheinung in der chinesischen Gesellschaft. Die Kirche mit all ihren westlichen Erscheinungsformen hatte zwischen den chinesischen Christen und den Millionen von Unerreichten um sie herum physische, geistliche und kulturelle Mauern errichtet.

Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts begann der missionarische Eifer in Großbritannien zu erlahmen und viele Kirchenleiter wollten sich von der Weltevangelisation verabschieden und ihre christliche Arbeit lieber auf ihre Heimatgemeinden beschränken. Ein christlicher Statistiker verkündete, dass die Arbeit der ausländischen Missionare in China kläglich gescheitert sei. Seine Untersuchungen hatten ergeben, dass es bei der Wachstumsrate, mit der sich das Evangelium verbreitete, weitere 27.000 Jahre dauern würde, bis die Bekehrungsrate das Niveau der Geburtenrate erreicht hätte! Man schätzte, dass es selbst bei gleich bleibender Bevölkerung in China 1.680.000 Jahre dauern würde, sie zu bekehren!12

Gott aber hatte andere Pläne. Er ließ nicht zu, dass die chinesischen Massen in Sünde und geistlicher Finsternis verharrten, während die wunderbare Botschaft vom Sieg seines geliebten Sohnes am Kreuz in der größten Nation der Welt unverkündet blieb.

Der Beginn von Verfolgung und Erweckung

Denn ihr habt nicht nur das Vorrecht, an Christus zu glauben, ihr dürft auch für ihn leiden. – Philipper 1,29

Am 1. Oktober 1949 bestieg Mao Tse-tung ein Podium auf dem Tiananmen-Platz in Peking und verkündete die Geburt der Volksrepublik China.

In den ersten Jahren hielten sich die Kommunisten zurück und beobachteten die Kirche nur. Zur Überraschung vieler Christen änderte sich zunächst nicht viel. Wie ein Tiger sich an seine Beute heranpirscht, so wartete die Regierung auf den besten Zeitpunkt, um zuzuschlagen. In den frühen 50er-Jahren war es dann so weit und die Verfolgung setzte mit großer Heftigkeit ein. Hunderte Kirchenleiter wurden verhaftet und mitten in der Nacht abgeholt. Viele starben und man hörte nie wieder etwas über sie. Andere wurden in Arbeitslager geschickt, wo sie über Jahrzehnte in aller Stille litten, bevor sie in ein verändertes China entlassen wurden, das nur wenig dem glich, das sie vorher gekannt hatten.

G. Campbell Morgan stellte einmal fest: „Satans erste Wahl ist es, mit uns zusammenzuarbeiten. Verfolgung ist nur seine zweitbeste Methode.“ Weil sie erkannten, dass das Gottvertrauen in den treuen chinesischen Gläubigen niemals erschüttert werden könnte, versuchten der Teufel und seine Helfershelfer, die irdenen Gefäße zu zerstören, die diesen unvergänglichen Schatz enthielten.

Viele Christen, die in Ländern leben, in denen eine physische Verfolgung nicht die Norm ist, haben Mühe, die Beweggründe der Verantwortlichen zu verstehen, die unschuldige Gläubige nur wegen ihres Glaubens so brutal behandeln. Es gibt keine naturgemäße Erklärung für die Verfolgung in China, vor allem, weil die Christen ausnahmslos die am härtesten arbeitenden und gesetzestreuesten Bürger im ganzen Land sind. Wo die Anteile der Christen hoch sind, sinkt die Kriminalitätsrate gegen Null, und es herrschen Friede und Harmonie zwischen Menschen, die zuvor in Feindschaft lebten. Dennoch werden sie weiter verfolgt.

In einem alten chinesischen Buch gibt es eine interessante Geschichte mit dem Titel Han Feizi, die von einem Mann namens Bian He handelt, der ungefähr 500 Jahre vor Christus lebte:

Bian He fand einen großen Stein, der in Wirklichkeit ein unbearbeitetes Stück Jade war. Er schenkte ihn dem Herrscher. Der Herrscher sah nichts weiter als einen großen Stein, er dachte, er werde betrogen, und ordnete an, Bian Hes linken Fuß abzuhacken. Später sandte Bian He dasselbe Geschenk an den nächsten Herrscher, der auch nur einen Stein darin sah und anordnete, seinen rechten Fuß abzuhacken. Als der dritte Herrscher den Thron bestieg, hielt Bian He seinen Jadestein außerhalb des Palastes in den Armen und weinte drei Tage und drei Nächte lang. Der Herrscher sandte jemanden hin, um die Sache zu untersuchen, dann ordnete er an, den Stein zu polieren. Erst dann entdeckte man die wunderschöne Jade.

Eines Tages werden China (und viele andere Nationen) erkennen, dass die Christen, die sie foltern und von denen sie glauben, sie seien ungeschliffene, wertlose Steinklumpen, in Wirklichkeit die geschliffenen Edelsteine sind, die von Gott gesandt wurden, um den Segen der Errettung durch Christus zu bringen.

Als in den 1950er-Jahren in ganz China die Christenverfolgung einsetzte, geschah das mit grenzenloser Grausamkeit. Bruder Yun erinnert sich an den Beginn der Verfolgung:

Im Jahr 1950 wurden allein in einer einzigen Stadt in China, in Wenzhou in der Provinz Zhejiang, 49 Pastoren in Arbeitslager nahe der russischen Grenze geschickt. Vielen wurden wegen des „Verbrechens“, das Evangelium gepredigt zu haben, Strafen bis zu zwanzig Jahre auferlegt. Von diesen 49 Pastoren kehrte nur einer nach Hause zurück. Achtundvierzig starben im Lager.

In meinem Heimatbezirk von Nanyang (Provinz Henan, Anm. des Übersetzers) wurden die Gläubigen dafür, dass sie Christus nicht verleugneten, an den Wänden ihrer Kirchen gekreuzigt. Andere wurden an Fahrzeuge oder Pferde gekettet und zu Tode geschleift.

Ein Pastor wurde gefesselt und an ein langes Seil gebunden. Die Behörden, aufgebracht darüber, dass er seinen Glauben nicht verleugnete, zogen ihn mit einem behelfsmäßigen Kran hoch in die Luft. Vor Hunderten von Zeugen, die gekommen waren, um ihn fälschlicherweise als „Konterrevolutionär“ zu beschuldigen, wurde der Pastor ein letztes Mal von seinen Verfolgern gefragt, ob er widerrufe. Laut rief er: „Nein! Ich werde den Herrn, der mich gerettet hat, niemals verleugnen!“ Das Seil wurde losgelassen und der Pastor krachte auf den Boden.

Bei der Untersuchung stellten die Peiniger fest, dass der Pastor noch nicht tot war. Deshalb zogen sie ihn ein zweites Mal in die Luft und ließen das Seil los, um ihn endgültig zu töten. In diesem Leben war der Pastor tot, aber er lebt weiter im Himmel mit dem Lohn, bis zum Ende am Glauben festgehalten zu haben.13

1953 waren fast alle ausländischen Missionare aus China ausgewiesen worden. Manche weigerten sich, freiwillig zu gehen, und kamen für viele Jahre ins Gefängnis. Viele treue Missionare, die ihr Leben für den Dienst in China eingesetzt hatten, standen jetzt im Abseits. Ihre Arbeit war ihnen von einem Tag auf den anderen genommen worden. Liest man Missionsberichte aus den frühen 1950er-Jahren, wird deutlich, dass nur wenige der ausgewiesenen Missionare in ihren bitteren Erfahrungen irgendwo die Hand Gottes erkennen konnten. Die meisten glaubten, ihre Ausweisung sei ein Sieg des Teufels, und viele beklagten den Tod der chinesischen Kirche. Die allgemeine Meinung war, dass die jungen Gläubigen, die hinter dem Bambusvorhang zurückblieben waren, keine Chance hätten, die Brutalität eines totalitären Regimes zu überleben, das wild entschlossen war, das Christentum ein für allemal auszurotten. In mehreren Artikeln wurde darauf hingewiesen, dass, sollten sich die Türen Chinas überhaupt jemals wieder öffnen, das Unternehmen Mission ganz von vorne würde beginnen müssen.

Sie irrten sich.

Im Nachhinein zeigt sich in der Geschichte, dass Gott die absolute Kontrolle über alle Ereignisse hat. Obwohl die Verfolgung, die in China geschah (und noch immer geschieht), ohne Frage teuflischer Natur ist, deutet vieles darauf hin, dass Gott sie zugelassen hat, damit seine Braut gereinigt und ausgerüstet wird, um ihrem Bräutigam noch mehr Ehre zu bringen.

Einer der Missionare, die in den frühen 1950er-Jahren aus China ausgewiesen wurden, war David Adeney von OMF, der Overseas Missionary Fellowship (in Deutschland vertreten durch die Überseeische Missions-Gemeinschaft ÜMG, Anm. des Übersetzers), die frühere China-Inland-Mission. Später schrieb er:

Als alle Missionare China verließen, machte sich der Westen bisweilen eines ungläubigen Pessimismus schuldig. Angesichts einer schwachen und geteilten Kirche glaubten wir versagt zu haben. Wir kannten viele Gott hingegebene Männer und Frauen und herausragende geistliche Leiter. Aber konnten sie, eine verschwindende Minderheit, sich gegen den mächtigen Strom einer siegreichen kommunistischen Ideologie stemmen, die den Sieg des „Königreichs des Menschen“ proklamierte – in der kein Platz war für den gekreuzigten Retter? Ohne Informationen von denen, die wir liebten, wurden unsere Gebete allgemein und unregelmäßig; die meisten von uns schafften es nicht, im beständigen, glaubensvollen Gebet zu verharren. Jetzt, wo wir vom treuen Zeugnis inmitten von Prüfungen und bitterer Armut hören, fühlen wir uns getadelt wegen unserer Lethargie, unserer Oberflächlichkeit, unseres Wohlstands und der mangelnden Anteilnahme an den Armen.14

Die brutale Verfolgung führte dazu, dass der Kirche alle äußeren Dinge, die mit dem Christentum in Verbindung gebracht wurden, genommen wurden. Kirchengebäude wurden konfisziert und entweder zerstört oder als Warenhäuser, Sporthallen oder Lagergebäude genutzt. Bibeln und Gesangbücher wurden verbrannt und fast die gesamte Kirchenleitung wurde beseitigt. Da sie nicht wie gewohnt weitermachen konnten, fielen viele chinesische Christen wieder vom Glauben ab. Einige verleugneten Christus und verrieten Mitgläubige. Diejenigen, die entschlossen waren, Jesus Christus treu zu bleiben, entdeckten, dass man ihnen alle religiösen Requisiten genommen hatte, sodass ihnen nichts blieb als das Fundament, das ihnen niemand nehmen konnte – der Herr Jesus Christus selbst.

Jahre später konnten Chinabeobachter sehen, wie Gott auch während der Jahre des Schweigens in China alles unter seiner Kontrolle hatte. Was die meisten Leute für eine tragische Niederlage der Kirche hielten, entpuppte sich als ein gewaltiger Sieg. Man nahm an, dass der Teufel die Kirche zerstörte, aber in Wirklichkeit beschnitt Gott sie, damit sie mehr Frucht hervorbringen konnte. Jesus sagte: „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weingärtner. Er schneidet jede Rebe ab, die keine Frucht bringt, und beschneidet auch die Reben, die bereits Früchte tragen, damit sie noch mehr Frucht bringen“ (Johannes 15,1.2).

Tatsächlich erklären die chinesischen Gläubigen heute voller Freude, dass die kommunistische Staatsgewalt trotz ihrer Bemühungen, die Kirche zu vernichten, in Wirklichkeit den Weg für eine rasche Verbreitung des Evangeliums bahnte. Vor 1949 gab es kaum eine Infrastruktur in China. Zudem behinderten sprachliche, kulturelle und geografische Barrieren die Ausbreitung des Evangeliums. Die Kommunisten änderten das alles. Im Folgenden sind nur ein paar der Maßnahmen aufgelistet, mit denen die Regierungspolitik die Grundlagen für die Wiederbelebung des Christentums schuf:

Der Götzendienst in China wurde während der Kulturrevolution größtenteils abgeschafft. Tausende Tempel und Götzenbilder wurden zerstört. Das führte zu einer geistlichen Leere in den Herzen Hunderter Millionen Menschen.

Die Versuche der Regierung, Gott abzuschaffen und die Existenz des Übernatürlichen zu leugnen, führten zu Massenbekehrungen, als die Menschen eine persönliche Begegnung mit Gott und seinen Wundern erlebten.

Bahnlinien, Straßen und Flugplätze wurden gebaut, was es Evangelisten ermöglichte, problemlos in Gegenden zu reisen, die früher unerreichbar gewesen waren.

Mandarin wurde als offizielle Amtssprache Chinas eingeführt und wird jetzt im Unterricht und den Medien benutzt. Früher gab es Tausende von Dialekten, die eine Verbreitung des Evangeliums erschwerten.

Es wurden in großen Umfang Alphabetisierungsprojekte durchgeführt, was dazu führte, dass eine Vielzahl von Menschen zum ersten Mal Gottes Wort lesen konnte.

Die Kontrolle der Medien führte dazu, dass die Menschen nach Druckerzeugnissen hungerten und sie sehr achteten. Christliche Organisationen machten sich das zunutze und druckten viele Millionen Bibeln und christliche Literaturprodukte, während Radiodienste sich rasch daran machten, die Botschaft über Kurzwellensender nach China auszustrahlen. Millionen Christen in China verdanken ihre Rettung christlichen Radioprogrammen.

Während der Exzesse der Kulturrevolution wurden die Menschen gezwungen, ihre Fehler zuzugeben und ihr Leben zu ändern. Die „Kultur des Bekennens“, die daraus entstand, erleichtert es den Menschen, zu bereuen und Gott ihre Sünden zu bekennen, wenn sie das Evangelium hören.

Es ist kein Wunder, dass die Gläubigen in China heute eine sehr tiefe Erkenntnis von der Souveränität Gottes und seiner absoluten Herrschaft über unsere menschlichen Angelegenheiten haben! Obwohl sie in einem System leben, das sie zerstören will, haben die Christen gelernt, keine Angst zu haben – nicht weil sie sich über Verfolgung und Misshandlung freuen, sondern weil sie Gott kennengelernt haben und zutiefst erneuert wurden. Sie haben Gottes tiefe und innige Liebe erlebt und die Wahrheit der folgenden Zusage persönlich erfahren:

Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich schenke ihnen das ewige Leben, und sie werden niemals umkommen. Niemand wird sie mir entreißen, denn mein Vater hat sie mir gegeben, und er ist mächtiger als alles andere. Und niemand kann sie aus der Hand des Vaters reißen (Johannes 10,27–29).

Schätzungen über die gegenwärtige Gesamtzahl der Christen in China variieren, aber ich halte eine Zahl von 80 bis 100 Millionen Protestanten für realistisch. Dazu kommen mindestens 12 Millionen katholische Gläubige, die sich sowohl in den registrierten Kirchen als auch in illegalen Hauskirchen versammeln.15 Obwohl diese Zahlen nur eine kleine Minderheit im heutigen China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen ausmachen, ist das Wachstum der Kirche beeindruckend und einmalig in der chinesischen Geschichte, wenn man bedenkt, dass es nur 700.000 Protestanten und 3 bis 4 Millionen Katholiken in China gab, als die Kommunisten 1949 die Macht übernahmen.

Sicherlich sind die chinesischen Machthaber schon seit Langem irritiert und erstaunt darüber, dass die Kirche trotz der überaus brutalen Versuche, die Gläubigen zu vernichten, zu verführen und zu täuschen, weiterhin wächst und gedeiht. In ihrer geistlichen Blindheit können sie nicht erkennen, dass sie gegen eine Kraft kämpfen, die weitaus größer ist als ihre eigene, die Kraft des allmächtigen Gottes!

David Adeney war ein ehemaliger Missionar, der über das staunte, was er entdeckte, als sich in den späten 1970er-Jahren Chinas eiserne Tore nach drei Jahrzehnten der Abschottung langsam wieder öffneten. Obwohl die meisten erwarteten, die Kirche wäre vollkommen ausgelöscht worden, machten die nun verfügbaren Berichte immer deutlicher, dass ein gewaltiges Wunder geschehen war! Auf eine Art und Weise, wie nur Gott es zuwege bringt, hatte die Kirche die Brutalität der vergangenen dreißig Jahre nicht nur überlebt, sondern war sogar gewachsen und aufgeblüht! Erstaunliche Zeugnisse berichteten davon, wie Pastoren nach zwanzig oder mehr Jahren Inhaftierung entlassen wurden und sich auf dem Weg nach Hause fragten, ob sie noch irgendjemanden antreffen würden, der ihren Namen kennt. Als sie zu Hause ankamen, stellten sie fest, dass die Leute nicht nur all die Jahre für sie gebetet hatten, sondern dass ihre Gemeinden um das Drei-, Fünf- oder Zehnfache gewachsen waren!

In seinem Buch Gottes Reich in China – Der lange Marsch der chinesischen Kirche16 dokumentiert David Adeney die Stärken, die die Hauskirchen während ihrer beschwerlichen Jahre entwickelt haben. Die folgenden Punkte stellen einige dieser Stärken dar:

1. Die Hauskirchen sind indigen. Sie haben alle westlichen Formen abgelegt und ihren eigenen Arbeitsstil entwickelt. Die Dynamik ergibt sich aus ihrer Freiheit von institutionellen und traditionellen Zwängen.

2. Die Hauskirchen sind in Familienstrukturen verwurzelt. Sie sind ein Teil der chinesischen Gesellschaftsstruktur geworden. Die Gemeinschaft der Gläubigen setzt sich aus kleinen Gruppen christlicher Familien zusammen.

3. Die Hauskirchen haben allen überflüssigen Ballast abgeworfen. Vieles, was wir mit dem Begriff Kirche verbinden, gibt es in den chinesischen Hauskirchen nicht. Daher sind sie ausgesprochen flexibel. Ein Gläubiger sagte: „In der Vergangenheit haben wir laut ins Horn gestoßen und große evangelistische Einsätze veranstaltetet. Einige kamen zum Glauben, aber nicht sehr viele. Heute haben wir kaum Hilfsmittel … und viele finden zum Herrn.“

4. Die Hauskirchen betonen die Herrschaft Christi. Weil Jesus das Haupt seines Leibes ist, muss die Gemeinde ihm gehorsam sein und ihn über jede andere Autorität stellen; sie darf sich nicht durch irgendeine außen stehende Organisation kontrollieren lassen. Dem Wort Gottes wird Gehorsam geleistet und jedem Versuch, nicht schriftgemäße Praktiken in der Gemeinde durchzusetzen, wird widerstanden.

5. Die Hauskirchen vertrauen auf die Souveränität Gottes. Als es nach menschlichem Ermessen keine Hoffnung mehr gab, erlebten die Christen in China, wie Gott in ihrer Zeit seine Macht und Herrschaft offenbarte.

6. Die Hauskirchen lieben Gottes Wort. Sie wissen um den Wert der Bibel und haben immer wieder Opfer gebracht, um überhaupt an Bibelausgaben zu kommen. Ihre Gotteserkenntnis hat sich vertieft, weil sie viele Teile der Bibel auswendig gelernt oder abgeschrieben haben.

7. Die Hauskirchen sind betende Kirchen. Ohne Unterstützung durch andere Menschen und umgeben von Menschen, die sie zu vernichten versuchten, waren die Christen allein auf Gott geworfen und erwarteten in schlichtem Glauben, dass er ihr Schreien hören würde. Gebet bedeutete nicht nur Gemeinschaft mit Gott, sondern auch eine Möglichkeit, am geistlichen Kampf teilzunehmen.

8. Die Hauskirchen sind fürsorgliche und teilende Kirchen. Eine Hauskirche ist eine fürsorgliche Gemeinschaft, in der Christen sowohl einander als auch ihren Landsleuten Liebe erweisen. Solche Liebe erzeugt eine enorme Triebkraft für spontane Evangelisationen.

9. Die Hauskirchen werden von Laien geleitet. Weil so viele chinesische Pastoren ins Gefängnis oder in Arbeitslager gesteckt worden waren, mussten sich die Hausgemeinden auf Leiter verlassen, die Laien waren. Die Leitung wird von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten wahrgenommen, die viel Zeit damit verbringen, von Gemeinde zu Gemeinde zu wandern, zu lehren und den Glauben anderer zu stärken.

10. Die Hauskirchen sind durch Leiden gereinigt. Die chinesischen Christen haben aus erster Hand erfahren, dass Leiden ein Teil von Gottes Plan beim Bau seiner Gemeinde ist. Das Leiden hat in der Kirche eine Reinigung bewirkt. Ein Namenschristentum hätte die Prüfungen der Kulturrevolution nicht überstanden. Weil denjenigen, die sich der Gemeinde Jesu anschlossen, bewusst war, dass damit sehr wahrscheinlich Leiden verbunden waren, war ihre Motivation ein echtes Verlangen, Jesus Christus kennenzulernen.

11. Die Hauskirchen begeistern sich für Evangelisation. Öffentliches Predigen war nicht erlaubt. Die Menschen lernten Jesus Christus durch den bescheidenen Dienst der Gläubigen kennen und durch den engen Kontakt mit christlichen Verwandten und Freunden. Die Hauptmethode der Evangelisation in China ist heute das Zeugnis des persönlichen Lebensstils und das Verhalten der Christen, verbunden mit der Verkündigung des Evangeliums, was oft ein hohes persönliches Risiko bedeutet.

Auf den folgenden Seiten teilen uns drei chinesische Hauskirchenleiter die Vision mit, die Gott ihnen gegeben hat, um das Evangelium zu den unerreichten muslimischen, hinduistischen und buddhistischen Ländern sowie den ganzen Weg zurück nach Jerusalem zu tragen. Diese drei Männer sind repräsentativ für Tausende andere mit derselben Vision.

Für die chinesische Kirche ist das keine Nebensache. Sie betrachten es als Gottes Bestimmung für sich und sie sehen die Jahrzehnte der Folter, der Inhaftierung und der Verleumdung, die sie erfahren haben, als Gottes Übungsfeld für ihren Ruf, den Missionsbefehl zu erfüllen.

„Back to Jerusalem“ wird so ernst genommen, dass Tausende bereit sind, für diese Vision zu sterben. Wenn Ihnen das unwahrscheinlich oder unmöglich erscheint, dann sehen Sie sich die Erfahrungen der chinesischen Kirche in den letzten fünfzig Jahren an. Sie sind es gewohnt zu sehen, dass Gott das Unmögliche schafft.

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Karte 2: Diese Chinakarte von 1922 zeigt die unterschiedlichen westlichen Denominationen, die in den verschiedenen Teilen des Landes arbeiteten. Eine Bildunterschrift fragt: „Kann China auf diese Weise christianisiert werden?“ Die Antwort der Geschichte lautete eindeutig: „Nein!“ In den fünfzig Jahren der Verfolgung hat Gott die Trennungen zwischen den Denominationen beseitigt und eine einigere Kirche geschaffen, die mehr daran interessiert ist, Seelen zu gewinnen, als ihre eigenen Kirchen zu gründen. Keine der westlichen Denominationen, die auf dieser Karte verzeichnet sind, findet sich heute unter den Hauskirchen Chinas.

2 Das beste von verschiedenen Büchern zu diesem Thema ist: C.H. Kang und Ethel Nelson, Erinnerungen an die Genesis (Neuhausen: Hänssler Verlag, 1999).

3 James Legge, The Notions of the Chinese Concerning God and Spirits (Hongkong Register Office, 1852), S. 24–28.

4 www.CL2000.com, „Christian Designs Found in Tomb Stones of Eastern Han Dynasty“, 2. August 2002.

5 Milton T. Stauffer, The Christian Occupation of China (Shanghai: Christian Consultation Committee, 1922), S. 161.

6 Daniel W. Fisher, Calvin Wilson Mateer, Eine Biografie (Philadelphia: The Westminster Press, 1911), S. 319.

7 Theodore Mueller, Great Missionaries to China (Grand Rapids: Zondervan, 1947), S. 111.

8 George Sweeting, More than 2000 Great Quotes and Illustrations (Texas: Word Publishing, 1985), S. 184.

9 F. Howard Taylor in Andrew Gih, herausgegeben von J. Edwin Orr: Launch Out into the Deep (London: Marshall, Morgan & Scott, 1938), S. 11.

10 Hannah Davies, Among Hills and Valleys in Western China (London: S. W. Partridge & Co., 1901), S. 270.

11 Archie R. Crouch, Steven Agoratus, Arthur Emerson und Debra E. Soled (Herausgeber), Christianity in China. A Scholar’s Guide to Resources in the Libraries and Archives of the United States (New York: M. E. Sharpe, 1989), S. XXXI.

12 North China Herald, 1. Juni 1888, S. 513.

13 Bruder Yun, Heavenly Man, S. 20–21.

14 David H. Adeney, Gottes Reich in China. Der Lange Marsch der chinesischen Kirche (Neukirchen-Vluyn: Aussaat Verlag, 1991), S. 206.

15 Manche „Chinaexperten“ weigern sich, eine andere als die niedrigste Schätzung der Zahl der Christen in China anzuerkennen, und halten jede höhere Annahme für eine unverantwortliche Spekulation. Ich beabsichtige, so Gott will, eine Serie von Büchern herauszubringen mit dem Titel Feuer und Blut, die die Situation der Kirche in China von Provinz zu Provinz untersucht und detaillierte Dokumentationen über die Größe der Kirche in jedem Bezirk und jeder Stadt innerhalb aller Provinzen gibt. Die Informationen, auf denen meine Angaben basieren, kommen aus zahlreichen Quellen einschließlich Hunderten Stunden persönlicher Interviews mit Hauskirchenleitern, die verantwortlich sind für die Arbeit in allen Teilen Chinas. Ich ging davon aus, dass die niedrigste Schätzung (20 bis 35 Millionen Gläubige in China) korrekt wäre, bin aber mittlerweile, nachdem eine klare und überzeugende Statistik das Ausmaß der Erweckung innerhalb der Hauskirchen verdeutlicht hat, vollkommen überzeugt davon, dass es 80 bis 100 Millionen und mehr Gläubige in China gibt.

16 Adeney, Gottes Reich in China, S. 146–165.