3. Kapitel

Sneijder stand mit einem dampfenden Becher neben dem Fenster und inhalierte das Aroma. »Verdammt guten Vanilletee haben die hier …«, murmelte er, verstummte jedoch, als Marc hektisch den Nachtsichtmodus der Kamera einschaltete, weil Conrad in seinem Büro soeben alle Lichter gelöscht hatte.

»Was hat er vor?«, flüsterte Sabine, die mittlerweile neben ihnen stand.

Sneijder stellte den Becher aufs Fensterbrett, trat einen Schritt zurück und konzentrierte sich auf das Display, das jetzt durch den Restlichtverstärker in einem leichten Grünton leuchtete.

Es war nicht zu erkennen gewesen, was Conrad an seinem Computer gemacht hatte, und sie hatten auch keine gute Aufnahme von ihm machen können. Immerhin hatte Irene Gehrmann inzwischen mit Sabines Hilfe dasjenige der KI-generierten Bilder ausgewählt, das dem dreiundsechzigjährigen Conrad am ähnlichsten sah.

»Er steht am Fenster«, rief Marc plötzlich. »Er hat uns gesehen.«

»Weg vom Fenster!«, befahl Sneijder.

»Anscheinend will er telefonieren. Fuck, der Vorhang ist zu.« Nun war gar nichts mehr zu erkennen.

»Er weiß Bescheid«, entfuhr es Sabine.

»Zugriff!«, rief Sneijder in den Vorraum, wo mittlerweile zwei Leute vom BKA und drei Polizeibeamte standen. Zwei von ihnen griffen sogleich zu den Funkgeräten.

Schnell wandte sich Sneijder zu Frau Gehrmann um, die mit ihrem Mann auf der Wohnzimmercouch saß und die letzte halbe Stunde keinen Mucks von sich gegeben hatte. »Gehen Sie mit Ihrem Mann nach oben ins Schlafzimmer und machen Sie alle Lichter aus.«

»Und danke für Ihre Kooperation«, fügte Sabine hinzu. »Wir postieren über Nacht sicherheitshalber einen Beamten vor dem Haus.«

»Was heißt sicherheitshalber ?«, fragte Herr Gehrmann. »Was …?«

»Komm mit! Du hast doch gehört, was die Polizisten gesagt haben.« Frau Gehrmann packte ihren Mann an der Hand und zog ihn mit sich die Treppe hinauf.

Indessen hatte sich Sneijder einen kabellosen Minikopfhörer ins Ohr gesteckt und stellte über sein Handy die Verbindung zum Einsatzleiter des SEK her. Sein Blick glitt zum Display von Marcs Nachtsichtkamera. Alarmiert erkannte er hinter dem Vorhang von Conrads Büro einen flackernden Lichtschein.

»Er hat Feuer gelegt«, rief Marc im selben Moment.

Sneijder hatte schon reagiert. »Wir brauchen die Feuerwehr!«, rief er in den Vorraum. »Beeilung! Er setzt das Haus in Brand.«

Hinter ihm erwachten die Funkgeräte zum Leben.

»Conrad weiß, dass wir ihm auf der Spur sind, und will alle Beweise vernichten«, stellte Sabine fest. »Gehen wir auch rüber?«

Sneijder reagierte nicht. Durch ein digitales Nachtfernglas beobachtete er, wie sich die Einsatzkräfte des SEK in geduckter Haltung durch den Regen über den Vorgarten dem Haus näherten. Er suchte jede einsehbare Ecke des Gebäudes ab, doch von Conrad war nichts zu sehen.

Das Kommando erreichte die Eingangstür. Mit einer Ramme schlug der vorderste Beamte die Tür ein und trat zur Seite. Hintereinander stürmten die anderen ins Haus.

Mittlerweile brauchte Sneijder die Nachtsichtfunktion nicht mehr. Die Flammen hatten den Vorhang in Conrads Büro binnen weniger Sekunden in Asche verwandelt und waren dann auf Wände und Teppichböden übergesprungen. Mehrere weitere Zimmer brannten ebenfalls, und das Feuer schlug aus zahlreichen offenen Fenstern.

Sneijder wusste, wie rasch Feuer sich ausbreiten konnte, doch dieses hier entwickelte eine Dynamik, wie er sie nur selten gesehen hatte.

»Er muss Brandbeschleuniger benutzt haben«, sagte Sabine, die die Szene ebenfalls durch ein Fernglas beobachtete.

»Wo bleibt die Feuerwehr?«, rief Sneijder.

Mittlerweile war der Feuerschein auch durch die Fenster im oberen Stockwerk zu sehen, also stand wohl auch schon das Treppenhaus in Brand.

Sekunden später kamen die Leute des Spezialeinsatzkommandos wieder aus dem Haus – ohne Conrad. Sneijder sah wieder durchs Fernglas. Einige der Kollegen hielten kurz inne, rissen sich die Masken vom Kopf und schnappten nach Luft, während andere seitlich am Haus vorbei zur Rückseite liefen, wo das schmale, aber bestimmt zweihundert Meter lange Grundstück, auf dem sich jede Menge Apfelbäume befanden, bis zum Waldrand reichte.

Endlich hörte Sneijder die Sirene der Feuerwehr. Grell blitzendes Blaulicht erhellte die Nacht. Zwei Einsatzwagen durchbrachen das Gartentor an der Straßenseite und rasten direkt durch den Vorgarten zur Vorderseite des Hauses. Zum Glück regnete es, sonst wäre das gesamte Gebäude binnen kürzester Zeit bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

»Er haut nach hinten ab«, sagte Marc. »Mit einem Auto! Ein Mini Cooper. War direkt neben der Terrasse geparkt.«

Sneijder hatte es auch gesehen. »Er fährt zwischen den Obstbäumen in Richtung Wald«, rief er ins Handy. »Sie müssen ihn …« Stoppen , wollte er sagen, als bereits Mündungsfeuer auf der Rückseite des Grundstücks aufblitzte. Gleichzeitig waren die Schüsse zu hören.

»Ganz hinten gibt es keinen Zaun«, sagte Marc. »Das Grundstück geht direkt in den Wald über.«

»Haben wir Leute im Wald postiert?«, fragte Sneijder.

» Nein« , drang die Antwort des Einsatzleiters aus dem Handy.

Godverdomme!

Weitere Mündungsfeuer blitzten auf, Schüsse krachten.

»Wir brauchen ihn auf jeden Fall LEBEND !«, rief Sneijder ins Handy. »Nehmen Sie den Wagen!«

Im selben Moment sah er, wie das Einsatzfahrzeug des SEK von der Straße her die Auffahrt des Grundstücks hochfuhr, an den Feuerwehrwagen im Vorgarten vorbeiraste, seitlich am Haus über den Wiesenstreifen donnerte und die Verfolgung aufnahm. Doch schon nach wenigen Metern schlingerte das Fahrzeug in der nassen Wiese und blieb im hinteren Garten vor den Obstbäumen stehen.

» Wat in godsnaam?« , rief Sneijder.

Marc hatte die Kamera auf den Wagen gerichtet und zoomte näher heran. »Die sind anscheinend über ein Nagelband gefahren, das quer über den seitlichen Wiesenstreifen gespannt war. Der muss das alles schon vorbereitet haben.«

» Vervloekter mesthoop!« , fluchte Sneijder. Die Einsatzkräfte sprangen aus dem Wagen und liefen zu Fuß weiter.

»Den erwischen sie nicht mehr«, stellte Sabine gedämpft fest. »Wenn ich das richtig sehe, hat er bereits den Waldrand erreicht.«

»Und dort gibt es gleich mehrere Forstwege, die er nehmen kann«, ergänzte Marc.

Sneijder war klar, dass Conrad so gut wie weg war. »Wir brauchen den Helikopter«, rief er ins Handy.

» Wir haben unseren Einsatzwa…«

»Das habe ich gesehen!«, unterbrach Sneijder den Mann. »Erweitern Sie die Straßensperren um das gesamte Waldgebiet!«

» Wiederholen Sie das. Um WAS?« , fragte der Einsatzleiter.

»Sind Sie taub? Um den ganzen Wald!«

» Den Lohrer Wald, die Hardt, den Spreitel oder das Salinental?«

»Alle!«, brüllte Sneijder.