Draußen im Gang standen insgesamt drei Polizisten – zwei Männer und eine Frau –, die ihn erwartungsvoll anblickten. Sneijder sah zur Wanduhr. Er wusste, was der Tower wollte, denn mittlerweile war es zwanzig Minuten nach sieben, und Sneijder hatte gleich nach Conrads Verhaftung veranlasst, dass die Lufthansa-Maschine bis auf Weiteres am Start gehindert wurde und man dem Piloten als Grund das Verhör eines Passagiers durch den Zoll genannt hatte.
Der Polizist, der Sneijder aus dem Raum geholt hatte, reichte ihm sein Telefon. »Ja?«, knurrte Sneijder und entfernte sich ein paar Schritte von der Tür, damit Conrad nicht mithören konnte, worüber er sprach.
»Es geht um den Flug …«
»Weiß ich! Was ist damit?«, unterbrach Sneijder den nervös klingenden Mann, der offenbar im Tower saß und dringend auf weitere Anweisungen wartete.
»Das Gate ist schon lange geschlossen, und die Maschine hat bereits einen Startslot. Bis auf Anna Bischoff und Ihren Passagier, den Sie rausgefischt haben, sind schon alle an Bord und warten. Der Flieger müsste dringend abheben …«
»Der Flieger muss gar nichts«, unterbrach Sneijder den Mann erneut.
»Sagt wer?«
»Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden in Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst. Mit anderen Worten – Sie können mich mal.«
Kurzes Schweigen folgte am anderen Ende der Leitung. »Für Linienflüge gibt es fixe Slots, aber das ist ein Charterflug, und wenn der Slot abgelaufen ist, dauert es verdammt lange, bis er wieder drankommt. Jede Minute kostet die Fluglinie enorm viel Geld. Außerdem sind hundertfünfzig Passagiere an Bord und warten …«
»Dann lassen Sie sie warten.«
»Das tut der Pilot bereits seit zwanzig Minuten mit der Begründung, dass es in der Region am Zielflughafen eine Unwetterwarnung gibt. Aber einige Passagiere haben das gegoogelt und sind draufgekommen, dass …«
»Herrgott!«, entfuhr es Sneijder. »Dann nennen Sie einen anderen Grund.«
»Okay, aber was soll der Pilot den Passagieren sagen?«
»Ist mir doch egal, was er den Passagieren erzählt. Von mir aus, dass es eine Verkehrsüberlastung auf der zugewiesenen Flugstrecke gibt oder der Flieger links hinten einen Platten hat.«
»Einen Platten?« Der Mann schluckte. »Und wie lange …?«
»Wir können zurzeit noch nicht hundertprozentig ausschließen, dass sich nicht ein weiterer Terrorist an Bord befindet. Ebenso wenig können wir ausschließen, dass eine Flugzeugentführung geplant ist oder sich eine Bombe in einem der Gepäckstücke befindet.«
Wiederum folgte eine kurze Pause. »Dann sollten wir die Flughafenpolizei einschalten, alle Koffer aus der Maschine ausladen, die Passagiere evakuieren und eventuell das Terminal räumen.«
»So weit sind wir noch nicht. Wenn Sie mich nicht unnötig aufhalten würden, wäre ich schon viel weiter.« Sneijder unterbrach die Verbindung und warf dem Polizisten das Handy hin, der es gerade noch fing, bevor es auf den Boden knallte. »Stellen Sie mir nie wieder ein Gespräch vom Tower durch, verstanden?«
Die Polizisten hatten das Telefonat mitgehört und waren dabei blass geworden, nickten nun aber gefasst. Sneijder glaubte zwar nicht wirklich an eine Bombe oder Entführung, aber so hatte er sich wenigstens noch etwas mehr Zeit verschafft und die Maschine weiter am Start gehindert. Denn dass sich wirklich einer von Conrads Komplizen an Bord befand, war eine reale Möglichkeit.
Sneijder wusste, dass die Zeit drängte. Trotzdem musste er Conrad noch einmal zu den anderen Mitgliedern befragen. Denn nachdem der Brand in Conrads Haus alle Unterlagen vernichtet hatte, Anna gestorben war und die Kripo auch in ihrer Wohnung keine interessanten Hinweise gefunden hatte, war Conrad die einzige Spur, die sie hatten. Irgendwo musste er seine Informationen und Kontaktdaten versteckt haben. Aber wo? Schließlich konnte er nicht alles im Kopf abgespeichert haben. Und was sollte dieser verdammte Flug nach Mallorca? Sie brauchten unbedingt mehr Informationen, um das gesamte Terrornetz lahmzulegen, bevor noch schlimmere Dinge passierten.
Sneijder hatte sich bereits an den Beamten vorbeigedrängt und die Hand auf die Türklinke gelegt, um das Verhör fortzusetzen, als sein Telefon klingelte. Verdomme! Friedrich Drohmeiers private Handynummer erschien auf dem Display. Auch das noch! Wollte ihn der Boss wegen des Startverbots für die Lufthansa-Maschine zusammenscheißen?
Sneijder entfernte sich wieder von der Tür und nahm den Anruf entgegen. »Rufen Sie wegen Conrads Verhaftung und dem Mallorca-Flug an?«
»Ja, Sneijder, und ich bin bereits über alles informiert«, drang Drohmeiers Stimme gereizt aus dem Apparat, überlagert von einem Rauschen.
»Wir müssen die Maschine am Start hi…«
»Ja, Sneijder, ich weiß! Gute Arbeit. Ich bin auf dem Weg zum Airport. Bin in zehn Minuten da. Treffen wir uns beim Securitycheck.« Das Rauschen im Hintergrund war schlagartig verschwunden.
»Bis dann«, entfuhr es Sneijder überrascht, als die Verbindung schon längst weg war. Er steckte sein Telefon ein und wandte sich an die Polizisten. »Ich bin gleich wieder da. Achten Sie in der Zwischenzeit darauf, dass Conrad nicht abhaut. Und reden Sie nicht mit ihm!« Er wandte sich um und marschierte in Richtung Gate.
Zehn Minuten später erreichte er die Sicherheitskontrolle, an der massenhaft Menschen anstanden, und sah, wie zwei uniformierte Damen von der Flughafenpolizei Drohmeier an der Warteschlange vorbeiführten und zum Vollkörperscanner brachten. Der schlug sofort an, doch Drohmeier zeigte den Kollegen den Pass für seine Handprothese und wurde durchgewunken.
Sneijder und er nickten sich kurz zu, Drohmeier steckte den Pass weg, und sie gaben sich die Hand.
»Conrad sitzt im Verhörraum der Zollbehörde«, erklärte Sneijder, während sie im Eilschritt durch die Duty-free-Zone gingen. »Kommen Sie direkt aus Wiesbaden?«
Drohmeier nickte. »Ich habe gestern Nacht von Anna Bischoffs Tod erfahren und heute Morgen von Conrads Verhaftung – also habe ich mich gleich mit dem Helikopter herfliegen lassen.«
Sneijder nickte. Das erklärte zwar, wieso Drohmeier so rasch da war, aber immer noch nicht den genauen Grund, warum er eigentlich hergekommen war. »Ich habe alles unter Kontrolle«, knurrte Sneijder.
»Das glaube ich Ihnen, aber die ganze Sache ist mir einfach zu wichtig.«
»Wollen Sie selbst mit Conrad reden?«, vermutete Sneijder.
»Nicht nur das …«, sagte Drohmeier, »… ich habe heute Morgen vom BND beunruhigende Nachrichten bekommen, die ich nicht übers Telefon besprechen wollte.«