Die Hotelmanagerin empfing Sneijder und Sabine in ihrem großräumigen und lichtdurchfluteten Büro, dessen Zugang gleich hinter dem Tresen der Rezeption lag.
Sabine roch nicht nur den Zitrusduft, sondern spürte beim Eintreten auch gleich die angenehm ruhige Atmosphäre, die in diesem Raum herrschte, was vor allem am weißen Teppich, den hellen Designermöbeln und der tollen Aussicht auf die Bucht lag. Und Marc hatte verdammt nochmal recht mit dem, was er über die Managerin des Hotels gesagt hatte.
Hagemann, eine schlanke Blondine mit sympathischer Ausstrahlung, saß in ihrem eleganten blauen Businessanzug hinter dem Schreibtisch und beendete gerade noch ein Telefongespräch. Dann sah sie auf. Ihre großen blauen Augen mit den schönen, aufgebogenen Wimpern strahlten, als sie Sneijder sah, als hätte sie ein Faible für ältere Herren mit Glatze.
»Mein Name ist …«, begann Sneijder, doch Hagemann unterbrach ihn sofort.
»Weiß ich doch schon längst – Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez. Willkommen im Aurelia Bay Club Resort .« Hagemann kam um den Tisch herum. Sie war genauso groß wie Sneijder und gab ihnen beiden mit einem kräftigen Druck die Hand. »Das war gerade Friedrich Drohmeier.« Sie deutete zum Telefon. »Der Direktor des Bundeskriminalamts hat Sie …«
»Präsident«, korrigierte Sabine sie, wedelte dann jedoch gleich mit der Hand. »Egal …«
»Hat Sie beide angekündigt«, fuhr Hagemann fort, »und er hat mir erklärt, wie sehr Sie Wert auf das S in Ihrem Namen legen. Wofür steht es, wenn ich fragen darf?«
»Dürfen Sie, bleibt aber mein Geheimnis«, sagte Sneijder.
»Na gut, dann werden Sie einige private Dinge über mich eben auch nicht erfahren«, sagte sie prompt und zog keck eine lang geschwungene Augenbraue hoch.
Ich glaub, mich tritt ein Pferd , dachte Sabine. Flirtete die Frau etwa? Mit Sneijder? Ihr war noch nie eine Frau begegnet, die Sneijder leiden konnte – eigentlich kannte sie generell niemanden , der Sneijder auch nur annähernd ausstehen konnte. So gesehen war das gerade eine Premiere.
»Wie schade«, sagte Sneijder sarkastisch. »Wir …«
»Ihr Chef hat mich darum gebeten, Sie bei Ihrer Arbeit zu unterstützen.« Seufzend hob Hagemann die Schultern. »Kurz zuvor bekam ich auch noch einen Anruf aus Madrid von der deutschen Botschafterin. Die hat wiederum Drohmeiers Anruf angekündigt und mich ebenfalls um Kooperation mit der deutschen Polizei gebeten.«
Okay. Offenbar nutzte Drohmeier jegliche ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um ihnen alle Steine so gut wie möglich aus dem Weg zu räumen.
»Und?«, fragte Sneijder neugierig. »Werden Sie das tun?«
»Tja … bisher weiß ich nur, dass es um zwei mutmaßliche Kriminelle in diesem Hotel geht – und eigentlich müsste ich jetzt die mallorquinische Kripo einschalten, um …«
»Nein«, sagte Sneijder prompt. »Dadurch würden Sie uns bei der Arbeit behindern und alles verkomplizieren.«
Schlagartig wurde Hagemann ernst. »Wenn meine Gäste und das Hotel in Gefahr sind, muss ich …«
»Im Moment ist die Sache unter Kontrolle und niemand schwebt in Gefahr«, unterbrach Sneijder sie.
»Okay, das ist schon mal gut.« Hagemann atmete tief durch und strich sich das lange blonde Haar hinters Ohr. Ein silberner, muschelförmiger Ohrring kam zum Vorschein. »Aber ausländische Polizisten haben in diesem Land keine Vollmachten und dürfen eigentlich nicht ermitteln.«
»Nicht nur eigentlich nicht, sondern definitiv nicht – da haben Sie vollkommen recht«, schaltete Sabine sich in das Gespräch ein, da sie befürchtete, dass eine voreilige harsche Bemerkung Sneijders alles ruinierten würde, was Drohmeier mühsam aufgebaut hatte. »Aber uns bleibt in dieser Situation keine andere Wahl, andernfalls wären die Konsequenzen fatal.«
»Ich würde Ihnen ja wirklich gern helfen, zumal Sie Landsleute sind, aber ich mache mich vor dem spanischen Gesetz strafbar, wenn ich Sie bei dem nicht autorisierten Undercover-Einsatz hier im Hotel, von dem Ihr Chef sprach, unterstützen würde.«
»Das ist uns klar«, besänftigte Sabine sie. »Aber die Verbrecher, um die es geht, sind unter anderem für eine Autobombe in Berlin verantwortlich, bei der kürzlich die Managerin Kara Petzold ums Leben gekommen ist.« Sie machte eine Pause und beobachtete Hagemanns Reaktion. »Sie sind doch selbst aus Berlin, nicht wahr? Haben Sie von dem Vorfall gehört?«
Hagemann nickte, während sie nachdenklich an ihrem Ohrring drehte.
»Kara Petzold war etwa in Ihrem Alter«, sagte Sabine. »Neununddreißig.« Das war zwar heftig geraten, verfehlte aber seine Wirkung nicht. Hagemann war offensichtlich betroffen. »Und wir sind mit den Hintergründen besser vertraut als die spanische Polizei«, fügte Sabine hinzu.
Hagemann straffte ihren Blazer und atmete tief durch. »Okay. Keine spanische Polizei also. Ich werde Ihnen helfen, aber nur um Schaden von meinen Gästen abzuwenden und den Ruf des Hotels nicht in Misskredit zu bringen. Was brauchen Sie?«
Sabine merkte, wie ihre angespannten Schultern nach unten sanken. Gott sei Dank, sie hatten Hagemann auf ihrer Seite. Kurz schielte sie zu Sneijder hinüber, der das Gespräch die ganze Zeit über ruhig mitverfolgt hatte.
»Zwei Laptops würden für den Anfang reichen«, sagte Sneijder.
»Unser IT-Techniker ist zwar gerade im Urlaub, aber gut, das sollte trotzdem kein Problem sein. Was brauchen Sie noch?«
»Haben Sie eine chemische Reinigung im Hotel?« Zur Erklärung zog Sneijder das Innenfutter seiner Tasche heraus.
Hagemann warf einen professionellen Blick darauf und begutachtete Sneijder von vorne und von der Seite. »Ein echter Steenweg en Zonen . Steht Ihnen gut.« Sie lächelte. »Das kriegen wir hin. Wäre ja gelacht. Schließlich will ich, dass Sie in meinem Hotel verdammt gut aussehen.«
Sneijder verzog keine Miene, sondern nickte nur.
Plötzlich runzelte Hagemann die Stirn, ging wieder um den Schreibtisch herum und warf einen Blick auf ihren Rechner. »Ich überlege nur, wo ich Sie unterbringen soll, denn wir sind restlos ausgebucht. Ich habe kein einziges freies Apartment mehr.«
O Gott , dachte Sabine, da ihr soeben klar wurde, dass die Hotelmanagerin wohl doch noch nicht alles wusste. Sie blickte auffordernd zu Sneijder. Aber der nickte Sabine nur kurz zu und murmelte: »Sagen Sie es ihr.«
Hagemann blickte auf. »Was sollen Sie mir sagen?«
»Bei den beiden Kriminellen handelt es sich um Anna Bischoff«, erklärte Sabine, »und …«
»Die hat doch erst gestern gebucht und unser letztes Apartment erhalten.« Hagemann setzte sich hin und tippte auf der Tastatur herum.
»… und der zweite ist Ron D. Pacula«, vollendete Sabine ihren Satz. »Beide werden nicht nach Mallorca kommen.«
Hagemann hielt inne und sah auf. »Sie veräppeln mich doch, nicht wahr?«
»Nein«, schaltete sich Sneijder in das Gespräch ein, »die Ermittler des BKA haben gar keine Zeit, jemanden zu veräppeln.«
»Ron D. Pacula kommt also nicht her?«, wurde Hagemann gerade bewusst, während sie wieder auf der Tastatur klapperte. »Aber das muss ein Irrtum sein, er hat sein Apartment bereits bezogen.«
»Es ist so …« Sneijder kam näher und setzte sich mit einer Pobacke auf die Kante des Schreibtischs. »Ich bin anstelle von Ron D. Pacula nach Mallorca gereist, und meine Kollegin in der Rolle von Anna Bischoff.«
»Verstehe.« Hagemann bekam zwar für einen Moment große Augen, blieb jedoch angesichts dessen, was sie soeben erfahren hatte, ziemlich gefasst. Nun sah sie Sneijder an. »Und was hätten die beiden hier vorgehabt?«
»Wissen wir nicht.«
»Warum fragen Sie sie nicht?«
»Weil sie tot sind.«
»Oh, wie toll, das wird ja immer besser!« Sie warf die Arme in die Luft. »Wer übernimmt dann Paculas Workshops?«
» Workshops?« Nun zuckte Sneijders Augenlid. »Mehrzahl?«
»Ja, insgesamt sechs Stück.«
Sneijder zerrte an seinem Hemdkragen, dann ließ er den Kopf kreisen, bis die Halswirbel knackten. »Sechs? Verdikkeme! Die übernehme ich.«
»Sie?«, entfuhr es ihr prompt, wobei sie Sneijder anlächelte und ihm vertraulich die Hand auf den Arm legte. »Bei allem Respekt, Sie haben eine sehr präsente Ausstrahlung und sind bestimmt wirklich gut in dem, was Sie tun, aber …«
Sabine räusperte sich. »Mein Kollege ist Fallanalytiker und forensischer Kripopsychologe mit abgeschlossenem Psychologiestudium«, erklärte sie, bevor Sneijder ausfällig werden konnte. »Außerdem haben wir Paculas Unterlagen in seinem Koffer gefunden – er ist ein Betrüger, und Sneijder wird in seine Rolle schlüpfen, bis wir herausgefunden haben, was er hier wollte.« Bewusst hatte sie das Wort Terrorist vermieden.
»Okay, verstehe …« Hagemann tippte auf der Tastatur, dann drehte sie den Monitor zu ihnen herum. »… aber was ist mit dieser Website?«
Sabine sah Ron D. Paculas Homepage auf dem Monitor. »Ist nur ein Fake. Das BKA hat übrigens die Kontaktdaten vom Netz genommen.«
Hagemann überprüfte das, richtete sich dann auf und zog erneut ihre Bluse glatt. »Also gut, ich denke, ich bin über alles im Bilde. Arbeiten wir zusammen und finden wir heraus, was Pacula und Bischoff hier vorgehabt hätten.« Sie wirkte wieder total gefasst. Gehörte bestimmt zu ihrem Job, sich blitzschnell auf neue Gegebenheiten einzustellen.
»Wer nimmt denn an den Workshops teil?«, fragte Sneijder.
»Wissen wir noch nicht. Unsere Gäste können nicht schon von zu Hause aus einen Platz für die Kurse reservieren.«
»Sondern?«
»Die müssen sich hier vor Ort an der Hotelrezeption für die Workshops und Programme anmelden, und zwar solange es noch freie Plätze gibt. Das gesamte Wellness- und Selbsterfahrungsprogramm ist ein kostenloser Service, den dieses Hotel anbietet.«
»Wie ist der Kontakt zu Pacula entstanden?«, fragte Sabine.
»Er hat unser Hotel vor einem Jahr angeschrieben und sein Programm angeboten. Wir haben einen Vertrag über sechs Workshops in zwei Wochen für ein Honorar von 7 500,- Euro sowie kostenlose Unterkunft und Verpflegung abgeschlossen.«
»Ist Ihnen das nicht etwas wenig erschienen?«, fragte Sneijder.
»Vermutlich halten Sie mich jetzt für naiv …«
»Nein, tun wir nicht«, sagte Sabine rasch, bevor Sneijder eine Antwort geben konnte.
»… aber ich dachte, das wäre ein Schnäppchen für dieses Hotel, das ich gerade im Begriff bin aufzubauen – und Paculas Website mit seinem Lebenslauf machte wirklich etwas her. Allerdings hat mich schon gewundert …« Sie kaute am Fingernagel, das erste Anzeichen dafür, dass sie die Sache doch etwas mitnahm. »… dass ich nirgendwo ein Foto von ihm entdecken konnte.«
»Unser Glück«, sagte Sneijder, »sonst könnten wir das gar nicht so durchziehen, wie wir es im Moment vorhaben. Also gut.« Er erhob sich vom Schreibtisch. »Fürs Erste haben wir keine weiteren Fragen.«
Hagemann erhob sich ebenfalls. »Ich lasse Ihnen die Laptops ins Apartment bringen.« Für einen Moment bekam sie einen schwermütigen Blick. »Was auch immer Sie zuvor bei Ihren Ermittlungen getan haben, danke für Ihren Einsatz und dass Sie dieses Hotel vor etwas Schlimmem bewahren wollen.«
Sneijder nickte. »Dafür sind wir da.«
Sie reichte ihm die Hand. »Was immer Sie brauchen – sagen Sie einfach Bescheid, Maarten … äh, ich meine Herr Pacula .« Sie lächelte ihn und Sabine an. »Frau Bischoff .«
Sie verließen das Büro, und während Sabine die Tür schloss, schielte sie zu Sneijder. »Hatten Sie auch den Eindruck, dass Bianca ein Auge auf Sie geworfen hat?«, flüsterte sie.
Sneijder blieb unbeeindruckt. »Bin eben ein anziehender und charmanter Typ.«
Ja, ganz bestimmt. Beinahe hätte Sabine laut aufgelacht. »Was stimmt mit dieser Frau nicht?«, fragte sie amüsiert, während sie um den Tresen herumgingen.