Sneijder legte die Handtasche und Ramonas Schuhe auf die Kommode neben der Eingangstür und schob die Tür mit dem Fuß zu.
»Ramona?«, rief er.
Keine Antwort, nur die Klimaanlage surrte über seinem Kopf. Das Apartment sah nicht besser aus als bei seinem ersten Besuch, wobei er sich fragte, wie eine so elegante Frau wie Ramona in so einem Saustall leben konnte.
Er warf einen Blick in Schlaf- und Wohnzimmer und ging zuletzt ins Bad. Noch bevor er in der Dämmerung sah, was dort passiert war, roch er den typischen Geruch von geronnenem eisenhaltigem Blut.
Die Waffe im Anschlag, tastete er mit dem Ellenbogen an der Wand entlang und betätigte den Kippschalter. Das Deckenlicht ging an, und er sah das Chaos. Zersplitterter Spiegel, zerbrochene Duschkabine, schmierige Blutspuren auf den Fliesen und schließlich Ramona, die mit einem großen, länglichen Milchglassplitter im Bauch tot an der Wand lehnte.
Ihre Fußsohlen waren zerschnitten, neben ihrer Hand lag ihr Tauchermesser. Wer immer der Angreifer gewesen war – er hatte sie mit dem Splitter aufgespießt, obwohl Ramona mit einem Messer bewaffnet gewesen war. Das sprach für einen Profi.
Sein nächster Blick fiel auf die blutige Klinge des Messers. Anscheinend hatte Ramonas Mörder entweder eine Stich- oder Schnittverletzung davongetragen. Umso leichter würde es sein, ihn zu finden, zumal sie jetzt seine Blutgruppe und DNA hatten.
Wenigstens etwas!
Die Tote erinnerte ihn, so wie sie da in einer großen Blutlache lag, an Anna Bischoff, die nach ihrem Motorradunfall im Einkaufscenter ebenfalls verblutet war, wenn auch mit einem Glassplitter in der Halsschlagader.
» Godverdomme« , fluchte er, als ihm die Konsequenzen dieser Tat schlagartig bewusst wurden. Ramona war seine einzige verbliebene Spur zur RAF gewesen – und irgendjemand in dieser Hotelanlage hatte sie ausgeschaltet, noch bevor er weitere Informationen von ihr hatte bekommen können.
Dann fiel sein Blick auf die geöffnete Putztür in der Wand des Whirlpools, und verdutzt starrte er auf den Schmuck, der daneben auf dem Fliesenboden lag. Das war doch Käthe van Zwietens Kette. Und ihre Ringe und Ohrringe.
Godvervloekt!
Wer zum Teufel war das gewesen? Jemand, der alle Spuren zu Ruth-Allegra Francke verwischen wollte? Wobei – zumindest hoffte er das – bis jetzt nur Conrads Anwalt von dessen Tod wusste, und den hatte das BKA zum Schweigen gebracht. Also wie war es zu diesem Mord gekommen?
Aber darüber konnte er sich auch nachher Gedanken machen. Viel dringender brauchte er stattdessen Conrads rotes Notizbuch und Ramonas pinkfarbenes Handy. Beides konnte ihnen weiterhelfen. Hastig durchsuchte er das gesamte Apartment, stellte alles auf den Kopf und warf sogar einen Blick in den Spülkasten der Toilette, in den Schrank der Klimaanlage über der Tür und in Ramonas Wandsafe, den er ja schon mal geöffnet hatte.
Nichts!
Verzweifelt stand er danach wieder im Badezimmer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. » Verdomder mesthoop!«
Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Nach dem Brand in Paul Conrads Büro, Anna Bischoffs Tod, Conrads Selbstmord und dem verschwundenen Notizbuch aus Conrads Koffer war Ramona die einzig übrig gebliebene Möglichkeit gewesen, um an Ruth-Allegra Franckes Netzwerk zu kommen. Und die lag jetzt brutal ermordet vor ihm. Alle Spuren waren kalt. Er stand in einer verfluchten Sackgasse.
Sneijder atmete tief durch, setzte sich an den Rand des Whirlpools und zwang sich zur Ruhe. Er schüttelte einen Joint aus der Zigarettenschachtel und zündete ihn an. Nachdem er in den letzten fünfzehn Minuten ohnehin jede Menge Spuren im Apartment verwischt hatte, war das jetzt auch egal. Die spanische Polizei hatte ihn sowieso an den Eiern.
Er zog am Joint, inhalierte tief und schnippte die Asche in die Wanne. Dabei fiel ihm auf, dass auch Ramonas Hand blutig war. Er sah genauer hin – an ihrer rechten Hand fehlte das letzte Glied des Daumens.
» Oh, verdikkeme!« Er blickte zum Tauchermesser. Ramonas Mörder hatte der Frau den Daumen abgetrennt. Als einziger Grund dafür fiel ihm ein, dass der damit irgendein Sicherungssystem austricksen wollte. Am wahrscheinlichsten die Sperre ihres Smartphones.
Und das bedeutete zwei Dinge: Erstens, dass er Ramonas Handy selbst bei neuerlicher gründlicher Durchsuchung des Apartments nicht finden würde. Und zweitens, dass das Blut am Tauchermesser womöglich gar nicht von Ramonas Mörder stammte, sondern vielleicht ausschließlich von dem Schnitt an ihrem Daumen.
Klote!
Damit war die ganze Sache noch trostloser und aussichtsloser, als er ursprünglich angenommen hatte.
Langsam und intensiv tat er den nächsten Zug, ließ den Rauch lang in der Lunge und stieß ihn etappenweise aus. Er betrachtete Ramona, deren Gesichtszüge im wabernden Rauch vor seinen Augen verschwammen.
»Warum hast du dich von deinem Mörder überwältigen lassen … obwohl du ein Messer hattest?«
Ramona drehte ihm langsam den Kopf zu. Ihre Augen glänzten. Tränen liefen ihr über die Wangen. Wie du siehst, habe ich es ihm nicht leicht gemacht.
Aus dem Augenwinkel nahm er das verwüstete Badezimmer wahr. »Hast du ihn verletzt?«
Würde ich jetzt hier liegen, wenn mir das gelungen wäre?
»War er bewaffnet?«
Hätte ich dann nur diesen Splitter im Bauch?
»Warum liegt Käthes Schmuck hier herum?«
Offenbar hat ihn jemand entdeckt.
»Derjenige, der bei dir eingebrochen ist?«
Fällt dir eine andere Erklärung ein?
»Nein.« Sneijder betrachtete Ramonas verstümmelte Hand. »Warum hat dir dein Mörder den Daumen abgeschnitten?«
Ist das nicht offensichtlich?
Sneijder zog an der Kippe. »Ja, klar, um dein Handy zu entsperren. Aber warum hat er es nicht einfach gleich getan? Wozu musste er ihn abtrennen?«
Schau doch genauer hin!
»Hat er ihn mitgenommen?« Sneijder beugte sich nach vorn, stützte sich auf den Knien ab und versuchte den Rauch mit den Augen zu durchdringen. »Das erste Glied deines Zeigefingers fehlt ebenfalls«, stellte er fest.
Na, dämmert es jetzt?
»Dein Mörder wusste nicht, ob du dein Handy mit dem Daumen oder dem Zeigefinger gesperrt hast.«
Kluges Kerlchen.
»Aber warum hat er es nicht ausprobiert?«
Ich sagte doch schon: Schau genauer hin!
Sneijder starrte die Tote an, und dann fiel es ihm endlich auf. Ihre Hände waren mit ihrem Blut besudelt. »Dein Mörder hätte dir vorher die Finger waschen müssen … aber so viel Zeit hatte er nicht. Er war in Panik und wollte weg.«
Genau. Ihm kam es vor, als lächelte Ramona. Darf ich dir jetzt auch eine Frage stellen?
»Aber bitte.« Sneijder nahm einen weiteren Zug.
Warum sprichst du immerzu von einem Mörder und nicht von einer Mörderin?
»Gute Frage.« Er zog eine Augenbraue hoch. »War es denn eine Mörderin?«
Ramona gab keine Antwort mehr. Ihr Lächeln verschwand, ihre Augen wurden trüb und der Kopf rollte wieder in die ursprüngliche Position zurück.
Sneijder verzog schmerzvoll das Gesicht, fasste sich an die Schläfen und drückte mit dem Handballen dagegen. Verdammte Scheiße! Wie immer nach einer solchen Befragung – dem Visionären Sehen, wie er es nannte –, kamen seine Kopfschmerzen. Und die wurden von Mal zu Mal heftiger. Heute hatte er das Gefühl, ihm würde der Kopf zerspringen. Und genau das würde eines Tages sicher passieren, wenn die Visionen zu heftig wurden.
Er biss die Zähne zusammen, griff zum Handy und wählte Sabines Nummer.
Sie ging sofort ran. »Waren Sie erfolgreich?«, rief sie.
Er drückte den Joint am Rand der Wanne aus und rieb sich mit dem Handballen über die tränenden Augen. »Wir haben ein Problem«, krächzte er.
»Was für eins?«
»Es …« Ein knirschendes Geräusch hinter ihm ließ ihn verstummen.
»Ein ziemlich großes sogar«, sagte eine dunkle Stimme.
Er sah auf und erkannte im zersplitterten Spiegel eine dunkle Figur im Türrahmen.