78. Kapitel

Innerhalb kürzester Zeit standen außer Quintana noch drei weitere Polizisten im Badezimmer. Während sie mit ihren Waffen auf Sneijder zielten, achteten sie peinlichst genau darauf, dass keiner von ihnen in die Schusslinie des anderen trat. Sneijder blieb ruhig am Wannenrand sitzen und signalisierte mit erhobenen Händen, dass er nicht vorhatte, einen Schusswechsel vom Zaun zu brechen.

Nachdem Quintana sich einen Überblick über den Tatort verschafft hatte, ging er auf Sneijder zu und holte eine Karte aus der Sakkotasche. Ohne weiteren Kommentar begann er Sneijder seine Rechte auf Deutsch vorzulesen.

»Ich weiß, wonach das aussieht, aber ersparen Sie mir den Quatsch«, unterbrach Sneijder ihn. »Ich kenne das Procedere.« Er erhob sich, zog mit zwei Fingern ganz langsam seine Glock aus dem Holster, nahm sie am Lauf und übergab sie einem der Polizisten. Dann überreichte er einem anderen Kollegen seine Brieftasche und sein Handy.

»Wenn wir auf dem Kommissariat sind, dürfen Sie im Beisein eines Beamten mit einem Rechtsanwalt telefonieren«, sagte Quintana weiter.

»Danke, nicht nötig, ich hatte mein Telefonat bereits.« Die paar Worte, die er zuvor mit Sabine gewechselt hatte, genügten. Sie würde herausfinden, was passiert war, Drohmeier verständigen und sich um alles Weitere kümmern.

Einer der Polizisten tastete ihn nach weiteren Waffen ab, fand aber nichts außer Zigaretten, Feuerzeug und einem Akupunkturnadelset. Das alles nahm er ihm ebenso ab wie den Stapel Briefe, der in der Innentasche des Sakkos steckte.

Sneijder war hinlänglich vertraut mit dem, was nun folgen würde. Schließlich wurde er nicht zum ersten Mal im Ausland verhaftet. Seine Pistole würde er nie wiedersehen. Die verschwand für immer in einer spanischen Asservatenkammer. Ein weiteres Exemplar der mittlerweile beachtlichen Sammlung seiner Dienstwaffen im Ausland.

Dann streckte Sneijder die Arme aus, die Handschellen klickten, und Quintana las ihm trotz seines Einwands weiter seine Rechte vor. »… Sie haben das Recht zu schweigen, keine oder nur einige der Fragen zu beantworten …«

»Wer hat Sie verständigt?«, unterbrach Sneijder ihn.

»Sie haben das Recht auf den unverzüglichen Beistand eines Rechtsanwalts. Sollte der Rechtsanwalt …«

»Hören Sie auf damit. Wer hat Sie angerufen?«

»Sie haben das Recht, einen Dolmetscher …«

Sneijder sprach den Satz gemeinsam mit Quintana zu Ende, dann sah er ihm fest in die Augen. »Diejenige, die Sie angerufen hat, ist die Mörderin«, behauptete er auf gut Glück. »Wer war es?«

Quintana sah ihn verblüfft an. »Woher wissen Sie, dass es eine Frau war.«

»Jetzt weiß ich es.« Sneijder blickte kurz zu Ramonas Leiche, und lächelte innerlich. Du hattest recht. Jetzt musste er nur noch herausfinden, wer genau es gewesen war.

Einer der drei Polizisten überprüfte, ob die Handschellen fest saßen, dann wurde er unsanft aus dem Badezimmer geschoben. Sneijder wusste, dass eine Verhaftung in Spanien einem Zeitlimit unterlag. Er musste innerhalb von zweiundsiebzig Stunden entweder freigelassen oder einem Haftrichter vorgeführt werden.

Quintana schob ihn weiter durch das Apartment, hielt jedoch im Wohnzimmer inne. »Haben Sie die Unterkunft so verwüstet?«

»Die sah bereits vorher so aus«, sagte Sneijder. »Trotzdem werden Sie hier überall meine Fingerabdrücke finden.«

»Ist das ein Geständnis?«

»Nein, Sie Idiot, ist es nicht. Denn genau diese Fingerabdrücke werden Sie weder auf dem Kunststoffsplitter noch auf dem Tauchermesser finden. Und wie Sie sehen, trage ich keine Handschuhe. Also was zum Teufel sollte ich hier gestehen?«

»Ach, ich bin ein Idiot?«

»Ja, ein bisschen Beobachtungsgabe und Fachkenntnis würden Ihnen ganz guttun. Das sieht doch ein Dilettant, dass ich diesen Mord nicht begangen habe. Oder sehen Sie etwa Blut an meiner Kleidung?« Er verstummte schlagartig, da ihm im selben Moment bewusst wurde, dass er einen großen Fehler begangen hatte.

Quintana schnippte mit den Fingern und streckte die Hand aus, woraufhin ihm einer der Polizisten eine kleine UV-Licht-Lampe reichte. Quintana knipste sie an und ließ den Lichtstrahl über Sneijders Sakko gleiten. »Ja, ich sehe Blut an Ihrer Kleidung. Sogar jede Menge.«

Godverdomme! »Das sind alte getrocknete Blutspuren, die die Wäscherei nicht ganz rausgebracht hat. Die stammen von einer Frau namens Anna Bischoff.«

»Von Anna Bischoff?«, wiederholte Quintana überrascht. »Der jungen Frau, die ich gestern Abend vor Dr. Käthe van Zwietens Apartment kennengelernt habe und die heute Morgen am Strand zusammengebrochen ist? Haben Sie die auch umgebracht?«

Sneijder schwieg. Bei seinem Pech hatten Anna Bischoff und Ramona Vilar dieselbe Blutgruppe, und dann sah es die nächsten zweiundsiebzig Stunden wirklich duster für ihn aus.

Quintana knipste die UV-Lampe aus. »Für mich sieht es so aus, als hätten Sie soeben Ihre Assistentin ermordet. Oder sollte ich besser sagen … Ihre Komplizin?«

»Warum hätte ich das tun sollen?«, krächzte Sneijder.

»Um ihr die Beute abzunehmen.«

»Welche Beute? Die paar Rubine, die im Bad liegen?«

»Exactamente. Offenbar hat Ihre Assistentin Käthe van Zwieten ermordet, Sie beide gerieten wegen der Beute in Streit, es kam zum Kampf, und Sie haben sie im Affekt umgebracht. Alles passt wunderbar zusammen, womit ich schlagartig zwei Morde aufgeklärt habe.«

»Und statt mit der Beute abzuhauen, bleibe ich einfach so auf der Wanne sitzen und rauche einen Joint? Haben Sie schon mal so einen dämlichen Mörder getroffen?«

»Ich mache meinen Job schon seit zehn Jahren, und weiß, dass es immer ein erstes Mal gibt.«

»Nur weil Sie Ihren Job seit zehn Jahren machen, heißt das nicht, dass Sie ihn gut machen.«

»Ich werde mich nicht länger mit Ihnen streiten …«

»Ich streite nicht«, wurde Sneijder laut, »ich erkläre nur, warum ich recht habe.«

»Das werden wir auf dem Kommissariat klären.« Quintana packte Sneijder an der Schulter und schob ihn weiter zur Tür, die einer der Polizisten aufhielt. Sneijder wusste, dass man ihn jetzt unverzüglich nach Palma brachte, wo er die Nacht in einer Zelle verbringen würde.

»Einen Moment noch …« Quintana stoppte Sneijder, bevor er den ersten Schritt nach draußen setzen konnte, schlüpfte aus seinem Sakko, faltete es zusammen und legte es Sneijder über die Handgelenke. »Muss ja nicht jeder sehen, dass Sie in Handschellen abgeführt werden.«

Sneijder blieb eine ätzende Bemerkung im Hals stecken. So viel Professionalität und Rücksichtnahme hätte er Quintana gar nicht zugetraut, vor allem nicht nach alldem, was er ihm gestern Abend und gerade eben an den Kopf geworfen hatte.

Nun schob Quintana ihn durch die Tür nach draußen. In der Dunkelheit – mittlerweile war es finster geworden, der Mond blitzte zwischen den Palmenblättern durch, und zudem war die Bodenbeleuchtung ausgefallen – warteten weitere Polizisten, die ihm mit der Taschenlampe kurz ins Gesicht leuchteten und ihn dann eskortierten.

Die Ansammlung der Polizisten hatte viele neugierige Hotelgäste angelockt, die sehen wollten, was nun schon wieder passiert war. Sneijder wurde an den Leuten vorbei in Richtung Haupthaus abgeführt. Am Nebenausgang wartete bestimmt schon ein Polizeiwagen auf ihn.

Unter den Schaulustigen bemerkte er auch die Umrisse von Vicky Fuchs, die im Schatten einer Palme gestanden hatte, jetzt neugierig näher kam und zu ihm herübersah.

Eingeklemmt zwischen den beiden Polizisten, die ihm seine Waffe und die Briefe der Hotelgäste abgenommen hatten, schielte er zu Vicky, die noch ein Stück näher herantrat und zusah, wie er an ihr vorbeigeführt wurde. Ihr Blick sprach Bände.

DU hast Quintana angerufen, wurde Sneijder in diesem Moment klar.