Mitten in der Nacht lag Sneijder in der Dunkelheit auf dem harten Bett seiner U-Haft-Zelle, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er ließ die Zehen kreisen und starrte an die Zimmerdecke, wo die Lichter des Straßenverkehrs Schatten warfen. Das Fenster war immer noch gekippt, und mittlerweile drang kühle Nachtluft in die Zelle. Hin und wieder waren Stimmen zu hören, ein Auto hupte, oder ein Hund bellte.
Dann näherten sich Schritte im Gang, und der Schlüssel im Schloss wurde umgedreht. Kurz darauf kam jemand herein und schaltete das Deckenlicht ein. Geblendet richtete Sneijder sich auf, schirmte das Licht mit der Hand ab und erkannte Quintana. »Wie spät ist es?«
»Kurz nach Mitternacht«, sagte der Comisario .
»Schlafen Sie nie?«
»Keine Zeit.« Quintana blieb vor Sneijders Pritsche stehen.
»Wie laufen die Ermittlungen?«
»Läuft alles nach Plan«, sagte Quintana.
»Nutzt aber nichts, wenn der Plan scheiße ist.«
»Sie können wohl niemals nett sein.«
»Sehen Sie hier irgendwo einen Heiligenschein? Nein? Ich auch nicht. Passt nicht zu meinem Outfit.« Sneijder ballte mehrmals die Faust und ließ die Fingerknöchel knacken.
»Wollen Sie wissen, warum ich hier bin?«
»Ist das wieder eine Ihrer rhetorischen Fragen? Oder wollten Sie mir mitteilen, dass Sie doch Vanilletee in der Kantine gefunden haben?«
Quintana verzog das Gesicht und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Wir konnten mittlerweile die Identität des Toten herausfinden, der von den Fischern in der Nähe der Klippen gefunden wurde.«
»Ein Gast des Hotels?«
»Verdammt richtig. Ein gewisser Gernot Wulff, Deutscher, sechsunddreißig Jahre alt. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein, stand auf keiner meiner Workshop-Teilnehmerlisten.«
»Steht er in Deutschland im Zusammenhang mit irgendwelchen kriminellen Aktivitäten?«
Sneijder verzog den Mund. »Bisher ist mir dieser Name nicht untergekommen. Aber ich kenne natürlich auch nicht jeden Kleinkriminellen nördlich der Alpen.«
»Wulff stammte aus dem Nordschwarzwald«, erklärte Quintana, »lebte aber die letzten sechs Jahre in Kufstein, Österreich. Hatte dort einen Computerladen.«
Kufstein! Da klingelte etwas bei Sneijder, er wusste aber nicht, was. »Haben Sie ein Foto von ihm?«
Quintana kramte sein Handy aus der Hosentasche und zeigte Sneijder das Passfoto von Wulff. Kantiges Gesicht, längere blonde Haare, Marke Surferboy.
Sneijder prägte es sich ein, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein, ist mir im Hotel nicht begegnet. Hat aber nichts zu bedeuten, das Hotel ist groß. Wie wurde er ermordet?«
»Offenbar hat es einen Kampf gegeben. Er hatte Druckstellen am Handgelenk und Kratzer von Fingernägeln am Unterarm. Vermutlich ist er beim Leuchtturm am Cap de Formentor über die Felsen ins Meer gestürzt … oder gestürzt worden. Die Spurensicherung hat Blutspuren an der nördlichen Felswand entdeckt, allerdings müssen wir noch das Ergebnis des DNA-Abgleichs abwarten.«
»Zum Zeitpunkt von Käthe van Zwietens und Ramonas Ermordung war er längst tot«, sinnierte Sneijder.
»Stimmt – sein Tod hat höchstwahrscheinlich gar nichts mit Ihren Ermittlungen und den Vorfällen im Hotel zu tun.«
»Haben Sie geprüft, ob er einen terroristischen Hintergrund hat?«
»Wir warten noch auf das Ergebnis unserer Anfrage an die österreichischen Behörden, aber es sieht nicht danach aus.« Quintana ging durch die Zelle. »Die Fahndung nach Vicky Fuchs läuft – ebenso wie die Befragung der Gäste von der Strandbar.«
Sneijder ließ den Nacken kreisen. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Ihr Gepäck ist bereits hier in Palma. Wenn die Kollegen gegen fünf Uhr früh wieder im Dienst sind, müssen Sie noch jede Menge Protokolle und Aussagen unterschreiben, danach werden Sie zum Flughafen begleitet und dürfen heimfliegen.«
»Jetzt auf einmal?«
Quintana zog die Schultern hoch. »Das deutsche BKA hat mit unserem Innenminister gesprochen, und der hat unseren Polizeipräsidenten angerufen.«
Sneijder verstand. Drohmeier hatte ein paar Hebel in Bewegung gesetzt. »Und was ist mit dem Mord an Ramona?«
»Was soll damit sein? Ist meine Sache – den werde ich allein aufklären.«
»Falsch. Der ist unsere Sache«, widersprach Sneijder. »Mich geht der Mord genauso etwas an wie Sie.« Er dachte an Marc Krügers Recherchen. »Also werden wir den gemeinsam aufklären.«
»Wenn Sie ein genauso guter Ermittler sind wie Sie ein großes Arschloch sind, besteht sogar die Hoffnung, dass wir das schaffen«, seufzte Quintana.
»So ein schönes Kompliment habe ich schon lange nicht mehr bekommen.«
»Fein, das freut mich. Allerdings müssen Sie trotzdem abreisen. Sie bekommen Ihr gesamtes Gepäck zurück, nur Ihre Waffe bleibt hier.«
»Die ist mir nicht wichtig. Ich brauche nur Ron D. Paculas Handy.«
»Okay, mal sehen, ob das möglich ist.«
»Und tun Sie mir noch einen Gefallen.«
»Was?«, stöhnte Quintana auf.
»Richten Sie Bianca Hagemann aus, dass mir leidtut, was in ihrem Hotel passiert ist.«