Drei Minuten nach zehn näherte sich Leas Taxi ihrem Grundstück. Was für eine Punktlandung , kommentierte Camilla die Ankunft.
Ja, und die war auch dringend nötig, dachte Lea, denn schon als das Taxi in ihre Straße eingebogen war, hatte sie den Lastwagen mit dem Schotter vor ihrem Grundstück stehen sehen, ebenso wie die beiden Pritschenwagen mit den Eisengittern auf den Ladeflächen und den dahinter parkenden Betonmischwagen. Das Wetter war nach wie vor schlecht und der Himmel so bewölkt, dass die Scheinwerfer der Fahrzeuge durch das Dämmerlicht schnitten und den Nieselregen zum Glitzern brachten. Bis vor Kurzem musste es hier sogar noch heftig geschüttet haben, da große Lachen auf der Straße standen.
Einer der Arbeiter zog sich die Kapuze seiner Regenjacke über den Kopf und versuchte mit der anderen Hand das Gartentor zu öffnen.
»Halten Sie hier, dann können Sie auch gleich wenden«, bat Lea den Taxifahrer, da der Mischwagen die gesamte Straße blockierte.
Das Taxi hielt, sie bezahlte den Fahrer und sprang aus dem Wagen. Während das Auto wendete, lief sie zum Gartentor und sperrte auf. Es war windig und saukalt, und in weiter Ferne krachte ein Donner.
Der Arbeiter hielt sein Handy hoch. »Ich wollte Sie gerade anrufen!«
»Bin schon da, habe Ihnen bloß Frühstück geholt.« Zur Erklärung schwenkte sie die Papiertüte. Dann öffnete sie das Tor und ließ die Arbeiter auf ihr Grundstück fahren.
Die Autoreifen hinterließen im vom Regen aufgeweichten Boden tiefe, matschige Fahrrinnen auf der Wiese. Aber Lea war sowieso von Anfang an klar gewesen, dass dieser Wintergartenanbau ihren Garten komplett zerstören würde und sie im Spätsommer eine neue Wiese anlegen musste. Eine Kleinigkeit im Vergleich dazu, dass sie jetzt auch ihr komplettes Leben von Grund auf neu gestalten musste.
Die Lastwagen parkten hintereinander vor dem Aushub. Während sich der Beton im Mischwagen langsam weiterdrehte, würden die Arbeiter zuerst einmal die Baustelle einrichten und Schotter und Eisengitter abladen.
»Ist das schlechte Wetter ein Problem?«, fragte Lea.
»Stärker sollte der Regen nicht wieder werden – aber falls doch, bekommen wir auch das hin«, antwortete der Mann. »Wir haben extra keinen Schnelltrockner bestellt, sondern Beton mit einem chemischen Verzögerer.«
»Das heißt?«, fragte Lea.
»Der Beton trocknet nur ganz langsam. So sind wir flexibler und können eventuelle Wartezeiten auf der Baustelle überbrücken, falls uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht«, erklärte er.
Trocknet nur langsam? , wiederholte Camilla. Das ist gar nicht gut.
»Hauptsache, Sie werden heute noch fertig«, sagte Lea. »Kann ich Sie und Ihre Leute für eine halbe Stunde allein lassen?«
»Sicher.«
Lea nickte dankbar. »Gut, wenn es Probleme gibt, läuten Sie. Ich bin im Haus.« Sie lief zum Eingang und warf, bevor sie die Tür aufsperrte, noch einen Blick zur Grube. An den tiefsten Stellen hatten sich ein paar schlammige Pfützen auf dem Boden gebildet, da das Wasser nicht mehr ordentlich versickerte.
Statt die Leute mit Wurstsemmeln vollzustopfen, solltest du sie zum schnelleren Arbeiten antreiben , murrte Camilla.
Lea sperrte die Tür auf, trat ein, stellte die Semmeln ab, zog die Schuhe aus und deaktivierte die Alarmanlage. »Ein satter Bauch arbeitet besser.«
Den Spruch hast du doch gerade erfunden.
Lea gab keine Antwort. Sie stopfte ihre Bauchtasche in die Schublade zu ihren Handtaschen, zog das rote Notizbuch aus der Gesäßtasche ihrer Jeans, faltete es auseinander und versuchte, den Knick zu glätten. In den letzten vierundzwanzig Stunden auf der Fähre und im Zug hatte sie es richtiggehend plattgesessen. Hastig ließ sie es ebenfalls in der Schublade verschwinden.
Dann zog sie sich aus, warf ihre verschwitzte, durchnässte und zerknitterte Kleidung in den Wäschekorb und betrat im Slip das Badezimmer. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sie sich das lange, nasse Haar zurück.
»Shit …«, entfuhr es ihr, als sie sich selbst im Deckenlicht nackt im Spiegel sah. Trotz aller Vorkehrungen waren ihre Unterarme und Handrücken im Vergleich zum Rest ihres Körpers deutlich gebräunt. Auch ihr Gesicht und ihr Hals waren dunkler.
Nicht so schlimm , beruhigte Camilla sie. Bevor die Bullen kommen, ziehst du schwarze Jeans und einen braunen Rollkragenpulli an, dann fällt es nicht so auf.
Camilla hatte recht. Die Polizei würde sie schließlich nicht nackt zu sehen bekommen.
Sie drehte den Wasserhahn auf und wartete, bis es heiß war. Dann schlüpfte sie aus dem Slip, legte ihre Armbanduhr ab, stieg in die Dusche und wusch sich Schweiß, Sonnenöl, Salzwasser und den Sand vom Körper und aus den Haaren. Viel konnte es ja nicht mehr sein, was noch an ihr haftete, dennoch hatte sie das Gefühl, Tonnen von Sandkörnern und Meersalz durch den Ausguss zu spülen.
Während sie sich abtrocknete, dunkle Kleidung anzog und ihre rote Mähne in einen Handtuchturban wickelte, sah sie immer wieder durchs Fenster in den Garten. Insgesamt sechs Arbeiter liefen dort herum, hantierten mit Holzverschalungen und Eisengittern.
Das Läuten der Eingangstür ließ sie zusammenfahren.
Nur die Ruhe jetzt!
»Das sagst du so leicht.«
Ich wette, die bringen dir die traurige Nachricht von Gernots Tod und sind dabei selbst viel nervöser als du.
»Kann sein.« Lea nahm den Turban ab, fuhr sich durchs Haar und marschierte zur Tür.
Stopp , rief Camilla.
Lea blieb stehen. »Was denn?«
Leg deine Armbanduhr an, sonst sieht jeder gleich den weißen Streifen auf deinem Handgelenk.
»Richtig, danke.« Während Lea zurück ins Bad lief, läutete es erneut.
Eine halbe Minute später öffnete sie die Tür. Unter dem Vordach standen zwei Männer in ihrem Alter in ziviler, dunkler Kleidung und eine ältere Frau mit Hut und gelbem Regenmantel. »Sind Sie vom Landeskriminalamt?«, fragte Lea.
Einer der Männer nickte. Er stellte sich selbst als Kommissar Leonhardt vom LKA Innsbruck vor, danach seinen Kollegen, dessen Namen Lea gleich wieder vergaß, und deutete dann zur Dame im Hintergrund. »Frau Ulmer-Vogt ist vom Kriseninterventionsteam des Roten Kreuz.«
»Krisenintervention?«, wiederholte Lea und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.
Leonhardt zeigte seinen Dienstausweis. »Dürfen wir hineinkommen?«
Lea blieb in der Tür stehen. »Worum geht es denn?«
»Ist das Ihr Wagen dort draußen vor dem Haus?«, fragte Leonhardt.
»Ja, warum? Steht er im Weg?«
Versuch nicht, lustig zu sein , warnte Camilla sie.
»Haben Sie einen zweiten Wagen?«, fragte Leonhardt.
»Ich nicht, aber mein Freund hat ein Auto, warum?«
»Wo befindet sich das?«
»Er ist damit nach Bad Wildbad in den Schwarzwald gefahren, warum?«
Statt ihre Frage zu beantworten, warfen sich die beiden Beamten einen kurzen Blick zu. »Wann ist er weggefahren?«, fragte Leonhardt.
»Am …« Lea blickte kurz nach oben und tat so, als dachte sie nach. »… Sonntagabend. Warum fragen Sie? Ist ihm etwas zugestoßen?« Sie legte ein nervöses Zittern in ihre Stimme und blickte mit gespielter Besorgnis zu der Frau, die sich immer noch im Hintergrund hielt.
»Apropos fahren …«, murmelte Leonhardts Kollege. »Sie sagten doch unserer Kollegin am Telefon, Sie wären unterwegs, um Frühstück zu kaufen.«
»Richtig, war ich, und?«, fragte Lea.
»Nun, die Motorhaube Ihres Wagens ist kalt, und unter dem Auto ist der Asphalt trocken«, stellte der Mann mit einem misstrauischen Gesichtsausdruck fest.
Wird das etwa ein Verhör? , fragte Camilla angriffslustig.
»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Nur so aus Neugierde … Womit sind Sie denn gefahren, wenn ich fragen darf?«