92. Kapitel

Lea saß auf dem Rand der Badewanne, blickte nachdenklich auf die Wandfliesen und ließ die Hand mit dem Telefon sinken. Inzwischen hatte der Regen stark zugenommen, und die Geräusche der Bauarbeiter waren verstummt. Offenbar machten sie gerade eine Zwangspause.

»Wie ist das Gespräch deiner Meinung nach gelaufen?«

Ich glaube nicht, dass wir Pacula vertrauen können.

»Bestimmt nicht. Er wirkt irgendwie extrem abgebrüht.«

Wie immer die Sache ausgeht … stell dich darauf ein, dass er uns möglicherweise beseitigen möchte.

Lea kannte diesen Ton in Camillas Stimme. »Worauf willst du hinaus?«

Er hat den Brief geöffnet und gelesen. Er hat uns sogar daraus vorgelesen, um uns wissen zu lassen, dass er den Inhalt kennt.

»Worauf willst du hinaus?«, wiederholte Lea eine Spur lauter.

Selbst wenn wir den Brief haben, wissen wir nicht, ob er nicht Kopien davon gemacht hat.

»Und?«

Der Arsch weiß einfach zu viel.

»Ja, du hast ja recht …« Lea erhob sich, ging ins Wohnzimmer zurück und starrte auf das rote Notizbuch, das neben ihrem Laptop lag. »Wem würde deiner Meinung nach der größte Schaden entstehen, wenn dieses Buch in die falschen Hände gerät?«

Der Person, die am öftesten darin vorkommt.

Lea nickte. »Sehe ich genauso.« Sie setzte sich hin und blätterte durch das Buch, bis sie fand, wonach sie suchte. »Hier wird ständig eine Ruth-Allegra Francke erwähnt, mit Postanschriften, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und TorBox-Kontakten aus dem Darknet.«

Was hast du vor?

»Anscheinend ist diese Dame extrem wichtig. Ich rufe sie an.«

Herrgott, jetzt denk doch zur Abwechslung mal nach!

»Hab ich bereits.«

Einen Dreck hast du! Was verdammt nochmal willst du ihr denn erzählen? Dass du Informationen über sie hast? Damit sie einen guten Grund hat, dich umzubringen?

»Damit sie einen guten Grund hat, Ron D. Pacula umzubringen«, korrigierte Lea sie. »Schließlich hat er dieses Notizbuch mit all den brisanten Informationen über sie und dieses Netzwerk angefertigt.«

Und was genau willst du ihr sagen?

»Dass er die Daten jemandem verkaufen möchte, der sie veröffentlichen will.«

Camilla hüllte sich in Schweigen.

»Na, überzeugt?«

Und wie willst du ihr das beweisen?

»Ich lese dieser netten Dame einfach ein paar interessante Passagen aus dem Buch vor.«

Und danach?

»Wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als unseren lieben Ron D. Pacula zu eliminieren.«

Und dich gleich mit!

»Nicht, wenn wir es clever anstellen. Außerdem hast du doch selbst gesagt, dass er zu viel weiß und es besser wäre, wenn wir ihn loswerden.«

Verstehe, du willst dir nicht selbst die Hände schmutzig machen.

»Falsch! Ich kann mir nicht selbst die Hände schmutzig machen. Ich kann keinen kaltblütigen Mord begehen, nur weil du Angst hast, dass Pacula zu viel weiß.«

Aber du hast doch …

»Quatsch mich nicht voll! Bei Gernot und Ramona war es Notwehr«, würgte Lea jegliche Diskussion ab. Draußen hörte sie durch den Regen das Schlagen der Kirchturmglocken. Es war dreizehn Uhr. Zeit zu handeln.

Sie schlug das Notizbuch auf, blätterte zur letzten Seite und wählte eine von Ruth-Allegra Franckes Handynummern.

Eine Nummer mit deutscher Vorwahl.

Daneben stand Ruth-Allegra Franckes Realname.