Lea sah Pacula nach, wie er im Rückwärtsgang das Grundstück verließ, sich schließlich umdrehte und auf die Straße hinauslief. Mit zitternden Fingern hielt sie das Kuvert in der Hand. Was für eine verrückte Odyssee war das gewesen, bis sie diesen Brief endlich wieder in ihren Besitz gebracht hatte. Aber auch das war jetzt endgültig vorbei und überstanden.
Hallo? , meldet sich Camilla mit zynischem Ton zur Wort. Du kannst ihn doch nicht einfach gehen lassen .
»So? Und warum nicht?«, zischte Lea.
Dein Plan, Ruth-Allegra Francke und Pacula mit dem angeblichen Verkauf des Notizbuches gegeneinander auszuspielen, ist schiefgegangen. Du hast Francke zu Vickys Adresse bestellt, aber dort wird Pacula nie auftauchen. Er wird abhauen. Hast du seinen Blick gesehen? Hast du ihm zugehört? Er hat den Brief gelesen! Er weiß, dass Vicky tot ist und DU ihre Leiche hast verschwinden lassen. Außerdem weiß er, dass DU auf Mallorca warst, wo du Gernot und Ramona getötet hast.
»Sei still, ich muss mich konzentrieren!« Vielleicht hatte Camilla ja recht, und Pacula wusste zu viel. Aber zuerst musste dieser Brief ganz dringend vernichtet werden. Sie kramte das Blatt erneut aus dem Kuvert, faltete es auseinander und betrachtete es. Camilla hatte recht gehabt. Sie hatte tatsächlich mit Deine Lea unterschrieben. Nun holte sie ihr Feuerzeug aus der Manteltasche und ließ es aufschnappen. Die Flamme loderte auf. Bevor der Nieselregen das Papier völlig durchnässt haben würde, würde sie es verbrennen.
Halt! , rief Camilla.
»Was denn?«
Die Tinte! Sie verrinnt nicht.
Lea klappte das Feuerzeug wieder zu und hielt den Brief so ins Licht, dass sie ihre Schrift gut lesen konnte. Die Tinte des Kugelschreibers zerlief wirklich nicht. Daraufhin betrachtete sie den Brief genauer, drehte ihn hin und her. »Das ist eine verdammte Kopie!«
Und wo ist das Original?
»Dieser Arsch!«, fluchte Lea. »Das finde ich heraus.« Sie schnappte sich die erstbeste Schaufel, die neben der Mischmaschine lehnte, und rannte Richtung Straße.
Halt! Nimm den anderen Weg , stoppte Camilla sie.
»Den oberen?«
Sicher! Hast du vorhin nicht den Motor gehört und die Scheinwerfer hinter der Heckenreihe gesehen? Sein Wagen steht am oberen Ende des Grundstücks.
Richtig. Pacula hatte seinen Wagen oben auf der Straße abgestellt und war zu Fuß zum Eingangstor hinuntergegangen.
Rasch lief sie mit dem Spaten am Haus vorbei die Wiese hinauf. Dort befand sich zwischen den Hecken ein kleiner Hintereingang im Zaun. Sie riss die Gartentür auf und trat auf die Straße. Nur einen Meter von ihr entfernt stand ein nagelneuer Wagen. Pacula hatte ihn abseits der Laternen in den Schatten der Hecken gestellt. »Schwerer Fehler, mein Freund!«, flüsterte sie und schlich von hinten gebückt an den Wagen heran.
Pacula saß, noch ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben, auf dem Fahrersitz und blätterte beim Licht der Deckenlampe durch das Notizbuch.
Rasch richtete sie sich auf, holte mit der Schaufel aus und knallte die Kante des Eisenblatts gegen die Seitenscheibe. Das Glas barst. Und noch während der Kerl den Arm hochriss, um den Scherbenregen abzuwehren, der auf ihn herunterprasselte, drehte sie die Schaufel um und rammte ihm das Ende des Holzstiels mit voller Wucht ins Gesicht.