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Ein Star reist zu sich selbst
Neven Subotic stützte sich in der Loge auf die Fensterbank und schaute auf das Testspiel gegen Holstein Kiel hinunter. Die anderen Spieler, die nicht im Kader waren, saßen draußen. »Ich will mich nicht erkälten«, sagte Subotic, der eine Mütze trug, obwohl gut geheizt war. Er fragte mich, ob ich mich noch für andere Dinge als Fußball interessieren würde, und bald ging es in unserem Gespräch um die BDS -Kampagne, eine Protestbewegung gegen Israel, die der Deutsche Bundestag einige Wochen zuvor als antisemitisch bewertet hatte, oder um Fox-News, den Haussender von Donald Trump. Subotic war 1988 in Bosnien geboren worden, seine Eltern waren zwei Jahre später vor dem Bürgerkrieg erst nach Deutschland geflohen, aber 1999 weiter in die USA gezogen, als ihnen aus Deutschland die Abschiebung in ihre Heimat drohte. 2007 kehrte Subotic als 19-Jähriger nach Deutschland zurück, um bei Mainz 05 Profi zu werden.
Inzwischen war er 31 Jahre alt, mit Borussia Dortmund Deutscher Meister geworden und hatte im Finale der Champions League gegen die Bayern gespielt. Später war er zum 1. FC  Köln gewechselt und nach Frankreich zum AS St. Etienne. Er erzählte, dass er am Abend noch jemanden treffen würde, der politisch bestens vernetzt war und die Arbeit seiner Stiftung unentgeltlich unterstützte. Seit 2012 kümmerte sich die Neven Subotic Stiftung um Trinkwasserprojekte in Äthiopien. »Wenn ich Angela Merkel sprechen wollte, wäre er der richtige Mann«, sagte Subotic. Mit Martin Schulz, dem ehemaligen SPD -Chef und Präsidenten des Europaparlaments, hatte sich Subotic schon mal bei einem Spiel getroffen.
Neven Subotic hatte lange Haare, was insofern erwähnenswert war, weil sonst niemand in der Mannschaft lange Haare hatte. Die meisten anderen Profis hatten scharf geschnittene Frisuren mit Undercut und harten Kanten und gingen ständig zum Friseur. Subotic hingegen hätte bei Passionsspielen Jesus Christus darstellen können, wenn auch einen schlaksigen, mit 1,93 Metern ziemlich langen Jesus.
Im Prinzip war Subotic der Star der Mannschaft. Bei seiner Vorstellung am ersten Tag der Saison war er vom Publikum enthusiastisch, aber auch ungläubig beklatscht worden. Konnte es wahr sein, dass dieser Spieler zu Union gekommen war? Er war schließlich nicht nur ein Spitzenfußballer, sondern auch cool. 2011 war ein Satz von ihm zum Fußballspruch des Jahres gewählt worden: »Er muss ja nicht unbedingt dahin laufen, wo ich hingrätsche.« Als der BVB im selben Jahr die Meisterschaft gewann, erkannten ihn Fans, als Subotic in seinem Sportwagen durch Dortmund fuhr. Er hielt an, stieg aufs Dach seines Autos und gab mit freiem Oberkörper die Sprechchöre vor.
Einen Sportwagen fuhr er inzwischen nicht mehr, sondern kam mit der S-Bahn zum Training. Dass ein berühmter Fußballspieler nicht mit einem dicken Auto unterwegs war, sondern wie Hunderttausende Berliner öffentliche Verkehrsmittel benutzte, sorgte für mehr Aufsehen, als wenn er mit einem pinkfarbenen Rolls-Royce oder einem pelzbezogenen Ferrari gekommen wäre. (Dass Mannschaftskapitän Trimmel die S-Bahn nahm, wenn seine Frau das Auto brauchte, ging dagegen unter.) Anfangs wurden Fotos von Subotic im S-Bahnzug in sozialen Medien geteilt, als würden sie ein Wunder dokumentieren. Der Sohn eines Freundes fuhr manchmal extra mit der S3, in der Hoffnung, ihn da zu sehen.
Kein Spieler bei Union gab im Laufe der Saison so viele Interviews wie Subotic. Mit ihm konnte man viel besprechen, weil er ein ungewöhnliches Leben führte, als Fußballprofi und zugleich als Gründer, Namensgeber und treibende Kraft einer NGO . Ich sagte zu ihm: »Das ist schon krass, wie unterschiedlich deine beiden Welten sind.« Subotic lachte und gestikulierte mit den Händen, wie er das oft machte, wenn er sprach: »Es ist total absurd, aber für mich auch eine gute Balance. Hier geht es um Fußball, das findet draußen statt, macht Spaß und ist der krasse Wettkampf. Es wird in Sekunden und Millisekunden entschieden. Problem – Lösung, Problem – Lösung. So spielt sich Fußball jedenfalls in meinem Kopf ab. Daheim habe ich hingegen mit Sachen zu tun, bei denen ich teilweise Wochen brauche, um das Problem richtig zu verstehen. Dafür brauche ich eine Lösung. Aber ist sie richtig? Also muss ich testen und danach dokumentieren.« Subotic war es wichtig, dass er nicht einfach nur der Typ war, der Gutes tat, also armen Äthiopiern sauberes Wasser verschaffte. Er hatte das Problem des sauberen Wassers als Entwicklungshemmnis ausgemacht, weil etwa junge Mädchen nicht zur Schule gingen, wenn sie von weit entfernten Stellen Wasser holen mussten. Er wollte, dass der Einsatz sinnvoll und die Ergebnisse seiner Arbeit überprüfbar waren.
Es kam mir vor, als wäre die Geschichte von Neven Subotic die eines Konvertiten oder die eines Mannes, der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hatte. Er selber sagte: »Die Reise zu mir hat ein paar Jahre gedauert.« Als er nach Mainz und anschließend nach Dortmund gekommen war, hatte er zunächst das Leben eines Fußballprofis fast in karikierter Form geführt. Er hatte ein Haus, drei Autos und feierte wilde Partys. Auf einem schweren Motorrad fuhr er in Flipflops. »Ich wurde strikt erzogen, und als ich das erste Mal rauskam, wollte ich mir alles schnappen und habe das größtenteils auch getan.« Dabei war er »sich abhandengekommen«, wie er sagte.
Manchmal dachte ich, dass er dafür inzwischen dem Profileben abhandengekommen war. Vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund hatte ich ihn gefragt, ob das ein besonderes Spiel für ihn sei. Er hatte daraufhin die Augenbrauen hochgezogen und mich mit einem Blick angeschaut, als wollte er zurückfragen, wie ich ihm so eine blöde Frage stellen könne. »Nein, ein ganz normales Spiel«, hatte er geantwortet. Er schaute auch keinen Fußball im Fernsehen, »vielleicht das Finale der Champions League, aber nur, wenn mich jemand daran erinnert«.
Andererseits trainierte er meistens gut und verhielt sich professionell. »Der Wettkampf ist mir wichtig«, sagte er, »der Löwe will einfach jagen.« Beim Spiel gegen Werder Bremen hatte er kurz vor Schluss die zweite Gelbe Karte gesehen und war vom Platz gestellt worden, weil er wütend seinen Gegenspieler ins Aus gecheckt hatte. Er war frustriert, weil sein Mitspieler Akaki Gogia kurz zuvor einen Ellbogen an den Kopf bekommen hatte, der Schiedsrichter aber nicht gepfiffen hatte. Unumstrittener Stammspieler war er bislang auch.
»Ich bin erstaunt, dass du so gut spielst, obwohl du so viel Zeit in deine Stiftung steckst«, sagte ich. Er wandte sich mir zu und streckte nun die Arme vor sich aus, was ihn noch jesushafter wirken ließ. »Danke, aber ich spiele deshalb gut, weil ich so viel Zeit für die Stiftung aufbringe. Deshalb stehe ich nicht so unter Druck wie viele meiner Mitspieler, als würde es um Leben und Tod gehen. Geht es aber nicht.«
Wir redeten noch ein wenig über den Verein, den er mochte. Er erzählte von den Leuten, mit denen er vor Saisonbeginn bei der Sponsorenfeier an einem Tisch gesessen hatte, und ihre Liebe für Union. Ich bezweifelte nicht, dass ihn das beeindruckt hatte. Schon in seinen ersten Interviews hatte er das, was den Klub ausmachte, besser als fast alle anderen formuliert. Aber wie so oft bei ihm war eine Grunddistanz zu spüren, die erst verflog, wenn Subotic witzig wurde. Am Abend vor dem Pokalspiel in Freiburg, es war schon dunkel und ein feiner Nieselregen fiel, hatte er das Mannschaftshotel verlassen, um einen Spaziergang zu machen. Subotic setzte die Kapuze seiner Trainingsjacke auf, zog sie fest und sagte: »Ich gehe jetzt eine Bank ausrauben.«
Nun verabschiedete er sich wieder, ein paar Minuten vor Ende des Testspiels. Er musste noch den Mann treffen, der ihm einen Termin mit Angela Merkel machen konnte, wenn er wollte.