zurück
Symbolpolitik
»Welcome to the DFL Horrorshow« stand auf einem der Transparente über der leeren Nordwestkurve des Frankfurter Stadions. Wo sonst Tausende standen, die für einen in der Bundesliga anerkannten Support sorgten, war ein schwarzes Transparent aufgespannt, halb so groß wie die Fläche eines Strafraums. »Montag« stand in weißen Lettern darauf, und ein durchgestrichener roter Kreis war darübergemalt worden. Überall hingen Transparente, die dagegen protestierten, dass an einem Montagabend in der Bundesliga gespielt wurde. »Ihr streckt den Spieltag, wir das Koka«, war besonders vieldeutig. War die Deutsche Fußball Liga ein mieser Dealer seiner Fußballdroge, oder waren die Fans in Frankfurts Kurve Kokaindealer? »Spritz ab, spritz ab, schafft den Montag ab« war ebenfalls zu lesen. Der Ton war rau, aber so ganz erschloss sich mir der Protest nicht. Montagsspiele waren vielen Fans ein Ärgernis, seit sie 1993 in der Zweiten Bundesliga eingeführt worden waren. Gerade für jene Anhänger, die kein Spiel ausließen, waren sie eine enorme Belastung. An einem Montag auf Reisen zu gehen, bedeutet, zusätzlich Urlaub nehmen zu müssen. Seit 2017 gab es auch in der Bundesliga einige Montagsspiele, um den deutschen Mannschaften, die donnerstags in der Euro League antraten, einen Ausweichtermin anzubieten, so die offizielle Begründung. Weil es aber ständig Beschwerden von Fans gab, fiel 2019 der Beschluss, sie wieder abzuschaffen. Allerdings war das erst ab 2021 möglich, weil bis dahin Fernsehverträge für diese Montagsspiele bestanden.
So protestierten die Anhänger von Eintracht Frankfurt also gegen ein zwar real stattfindendes Spiel am Montag, aber ihr politisches Ziel, den Termin abzuschaffen, war längst erreicht. Trotzdem ließen sie an diesem Tag ihre Kurve leer, und ihre Mannschaft würde ohne ihre Unterstützung auskommen müssen. Während ein Fanvertreter das nun unten auf dem Platz im Gespräch mit dem Stadionsprecher begründete, pfiffen einige Fans. Nicht alle waren der Ansicht, dass der Protest angemessen war, oder fühlten sich auch einfach nur um das Erlebnis einer furios anfeuernden Fankurve gebracht. Als das Gespräch vorbei war, lief »I Don’t Like Mondays« von den Boomtown Rats über den Stadionlautsprecher.
Vielleicht gewann Union das Spiel auch deshalb mit 2:1, weil Eintracht Frankfurt nicht von den Rängen unterstützt wurde. Vielleicht lag es auch daran, dass wir, wie schon in Bremen, in einem Hotel wohnten, dass alle toll fanden. Sicherlich gewann Union aber, weil Christopher Lenz vor dem Führungstreffer ausnutzte, dass zwei Spieler von Eintracht Frankfurt dachten, dass jeweils der andere den Ball klären würde. Er war in den gegnerischen Strafraum durchgelaufen, nahm den Ball und passte ihn zu Sebastian Andersson, der nach acht Partien endlich mal wieder traf und sich hinterher so sehr bei Lenz bedankte, dass es dem fast zu viel wurde. Rafał Gikiewicz hatte kurz vor Schluss noch ein, zwei gute Paraden im Getümmel des Frankfurter Sturmlaufs gehabt. Von Robert Andrichs Leistung war ich wieder mal begeistert, was ich ihm unten am Spielfeldrand leicht enthusiastisch auch sagte. Er aber brummte das Kompliment nur weg.
In der Kabine herrschte ansonsten wieder einmal die wohlige Atmosphäre nach einer gewonnenen Schlacht. Florian Hübner lag selig lächelnd auf einer Behandlungsliege und schälte sich aus seinem Tape, während Marvin Friedrichs linker Fuß getaped wurde. »Ja, so was können wir«, sagte er. Lenz war mit dem Daumen umgeknickt, als er nach einem Zweikampf an der Mittelfeldlinie fast in die Fernsehkamera geknallt war. Aber all diese Schmerzen und Blessuren waren süß. Union Berlin hatte nun elf Spieltage vor Schluss bereits 29 Punkte, es sah gut aus.
Was wir an diesem letzten Montagabend im Februar nicht wussten, ja nicht einmal ahnen konnten: Wir hatten auf unterschiedliche Weise die Vorboten dessen erlebt, was auf uns zukommen würde. Langfristig, aber auch schon am nächsten Wochenende .
»Schon Wahnsinn, was da abgeht. Bin neugierig, ob da morgen bei uns auch was kommt«, schrieb mir Christopher Trimmel am Samstagabend vor dem Spiel gegen Wolfsburg. »Bin mir sicher«, schrieb ich ihm zurück, und als wir am Sonntagmorgen vom obligatorischen Kurzspaziergang am Spieltag zurückkamen, war klar, dass etwas passieren würde. Denn plötzlich stand der Präsident im Trainerzimmer.
Der Wahnsinn, der abging, war am Tag zuvor in Hoffenheim passiert und hatte eine lange und komplizierte Vorgeschichte. Bereits im September 2009 war bei einem Spiel von Borussia Dortmund in Hoffenheim in der Gästekurve ein Banner hochgehalten worden, in dem das Gesicht von Hoffenheims Mehrheitseigner Dietmar Hopp im Fadenkreuz zu sehen war, darunter der Schriftzug »Hasta la vista, Hopp«. Arnold Schwarzenegger hatte im Film »Terminator« stets »Hasta la vista, Baby« gesagt, wenn er jemanden erledigte. Die TSG Hoffenheim spielte damals ihre zweite Saison in der Bundesliga und galt den Anhängern vieler Klubs als Ärgernis, weil sich, so ihre Argumentation, der Klub mit den Finanzmitteln von Hopp, dem Gründer des milliardenschweren Softwarekonzerns SAP , in die höchste Spielklasse gekauft hätte. Hopp hatte einst selber in dem Dorfklub gespielt, der bis in die 1990er-Jahre hinein ein bescheidener Amateurverein gewesen war, bis Hopp 2005 massiv in den Klub zu investieren begann.
Kritisiert wurden der Klub und sein Gönner vielerorts und von vielen Gästefans, aber besonders zwischen den Anhängern des BVB und ihm entwickelte sich über die Jahre ein fast schon absurder Kleinkrieg. Im August 2011 etwa wurden Hochfrequenztöne eingesetzt, um Schmähgesänge der Dortmunder Fans gegen Hopp zu übertönen. 2017 ließ Hopp Gesänge von Fans mit Richtmikrofonen und Spezialkameras aufzeichnen, rund 50 Anhänger des BVB wurden anschließend wegen Beleidigung angeklagt. Sie hatten »Dietmar Hopp, du Sohn einer Hure« oder ähnliche Schmähungen angestimmt. Nachdem im September 2018 bei einem Spiel des BVB in Sinsheim erneut ein Banner mit Hopp im Fadenkreuz zu sehen war, verhängte der DFB einen Zuschauerausschluss für drei Jahre auf Bewährung für BVB -Fans. Nachdem es beim nächsten Spiel in Sinsheim im Dezember 2019 wieder zu Beleidigungen kam, schloss der DFB die Anhänger des BVB am 21. Februar 2019 bis zum Ende der Saison 2021/22 für Gastspiele in Hoffenheim aus. Zusätzlich musste der BVB 50000 Euro Strafe zahlen und Hoffenheim die zu erwartenden Ausfälle von Ticketeinnahmen ersetzen.
Damit war die Sache aber zu einer grundsätzlichen Angelegenheit geworden. Zwei Jahre zuvor hatte der DFB nach langen Debatten mit Fans die sogenannten Kollektivstrafen ausgesetzt, es sollte keine Ausschlüsse von ganzen Fangruppen aufgrund der Vergehen Einzelner geben. Genau das aber passierte nun und hatte am Tag vor Unions Spiel gegen Wolfsburg für einen gewaltigen Eklat gesorgt. Anhänger des FC Bayern hielten im Stadion Transparente hoch, in denen sie Hopp massiv beleidigten – aber nicht nur ihn: »ALLES BEIM ALTEN : DER DFB BRICHT SEIN WORT . HOPP BLEIBT EIN HURENSOHN « war auf einem Spruchband zu lesen. Adressat der Kritik war also eigentlich der Fußballverband, der entgegen der Ankündigung eine Kollektivstrafe verhängt hatte, doch nun drohte der Spielabbruch einer Partie, in der Bayern nach einer großartigen Leistung mit 6:0 führte.
Zunächst unterbrach der Schiedsrichter das Spiel. Als die Transparente verschwanden, pfiff er wieder an. Dann tauchte ein weiteres Transparent auf (»Du Hurensohn«), und der Schiedsrichter schickte die Spieler erneut in die Kabine, während Trainer und Verantwortliche des FC Bayern vor der Kurve wütend deutlich machten, dass sie das alles nicht wollten. Als das Transparent endlich verschwunden war, spielten beide Teams nur noch unter Protest weiter. 13 Minuten lang schoben sie sich den Ball zu und ließen die Uhr herunterlaufen, während Hopp und Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge gemeinsam am Seitenrand im Regen standen. Nach Abpfiff überboten sich Rummenigge und viele andere Offizielle vor den Fernsehkameras in ihrer Kritik an den »Chaoten« und »Idioten« und dass das Folgen haben würde .
Ich hatte am nächsten Morgen mit Urs Fischer über die Vorfälle gesprochen. Wenig überraschend wusste er nicht viel über die Hintergründe, weil er sich wie viele Trainer und Spieler für Fragen der Fankultur und deren Probleme nur am Rande interessierte, schon gar in einem so unübersichtlichen Fall. Sie waren mit dem Spiel selber einfach zu sehr beschäftigt, um sich eine präzise Meinung zu bilden. Allerdings war ihm klar, dass er an diesem Tag dazu befragt werden würde, und als Zingler nun im Trainerzimmer saß, wollte er von diesem wissen, was er dazu sagen sollte.
Es folgte eine leicht verunglückte Kommunikation zwischen den beiden Männern, die sich sonst eigentlich gut verstanden. »Wir geben dazu von oben nichts vor. Es kann jeder selbst entscheiden, wie er das empfindet und wie er sich dazu äußern will«, sagte Zingler. Das mochte im Prinzip richtig sein, enthob Fischer aber nicht des Dilemmas, dass er sich zu einem Thema äußern sollte, mit dem er sich weder richtig beschäftigt hatte noch beschäftigen wollte. Zumal die Sache nicht besser wurde, als Christian Arbeit hereinkam und von seinem Gespräch mit den Vertretern der Ultras berichtete.
Es war inzwischen Viertel nach zwölf, bereits um halb zwei sollte das Spiel angepfiffen werden. Anstatt sich darauf vorzubereiten, ging es nun um die Proteste. In der 43. Minute des Spiels, also kurz vor der Pause, so berichtete Arbeit, würden die Fans ein Banner zeigen, auf dem Hopp als »Hurensohn« beleidigt würde, auch sein Konterfei im Fadenkreuz würden sie zeigen. Arbeit seufzte, er hatte es den Fans nicht ausreden können. »Die Menschen brauchen Symbole, das ist wohl so. Aber das ist eine Form von Symbolpolitik, die ich für falsch halte«, sagte Zingler. Und Manager Ruhnert ging los, um den Schiedsrichter zu informieren.
Fischer schaute nun noch unglücklicher drein und fragte noch einmal: »Wie sollen wir uns verhalten, wenn das gezeigt wird?«
»Das könnt ihr entscheiden, wie ihr meint. Authentische Reaktionen sind immer am besten«, sagte Zingler.
Fischer war damit nicht so richtig zufrieden: »Wir wissen jetzt, was kommt. Wie sollen wir uns verhalten? Es werden doch Fragen kommen, wenn wir nicht reagieren. «
Im Grunde waren wir jetzt bei einer Aufführung eines Stück aus dem Bauerntheater angekommen. Die vermeintlichen Schurken aus der Kurve würden etwas Böses machen, das sie nicht für Böse hielten, sondern für eine Form wirksamen Protestes. Spieler und Trainer würden sich empört geben, es aber nicht sein, sondern eher genervt von der Störung der Arbeit, die sie die ganze Woche gemacht hatten. Also wurde beschlossen, dass Kapitän Trimmel zur Kurve gehen sollte, um das Einbringen des Transparentes zu fordern. Es war nämlich die Anordnung ergangen, dass bei der ersten Beleidigung für Hopp das Spiel unterbrochen und bei der dritten abgebrochen würde.
Im Trainerzimmer waren alle aufgewühlt, diese Männer arbeiteten jeden Tag daran, alle Konflikte und Nebenschauplätze von der Mannschaft fernzuhalten, und nun hatten sie mit so einem Kram zu tun. Es war kaum auszuhalten! Fast rührend war es, dass Adrian Wittmann die ersten Artikel des Grundgesetzes aufrief, in denen es um die Menschenwürde und die Meinungsfreiheit ging. Er druckte sie aus, aber Fischer war über die staatsbürgerliche Unterrichtung nicht glücklich. Dann ging er in die Kabine, um die Mannschaft auf das vorzubereiten, was kommen würde.
Nach 32 Minuten wurden zum ersten Mal Banner hochgehalten, auf denen stand: »Gegen Kollektivstrafen. Fick Dich, DFB .« Völlig überraschend unterbrach der Schiedsrichter daraufhin das Spiel, obwohl diese Art von Protest gar nicht Gegenstand der Reglementierung war. Kurz nachdem Sebastian Andersson das 1:0 geschossen hatte, gingen Plakate hoch, auf denen Hopp beleidigt wurde und im Fadenkreuz zu sehen war. Nun holte der Schiedsrichter die Teams vom Platz, und zum ersten Mal erlebte ich ein wütend geteiltes Stadion. »Aufhören, aufhören«, riefen Union-Fans von allen Seiten denen auf der Waldseite zu. Und als einer der beiden Vorsänger über die Mikrofonanlage die Position der Protestler erklären wollte, gab es »Halt die Fresse«-Sprechchöre. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis die beiden Mannschaften wieder da waren, inzwischen waren die Verantwortlichen des VfL Wolfsburg ganz nervös. Ihre Fans hatten nämlich ebenfalls ein Anti-Hopp-Banner dabei. Würden sie es nun zeigen, würde der Schiedsrichter das Spiel abbrechen müssen.
Union schoss nach all dem Durcheinander kurz nach der Pause noch das 2:0, aber Wolfsburg gelang der Ausgleich, was angesichts der Leistungen in Ordnung war. Über das Spiel selber wurde relativ wenig geredet. Außer in der Kabine. Als ich mit Sebastian Andersson über die Banner und ihre Auswirkungen sprechen wollte, schaute er mich erstaunt an: »Who is Hopp?« Wer war dieser Hopp? Er hatte noch nie von diesem Mann gehört.
Das Publikum hatte im Mittelpunkt gestanden – zum letzten Mal in der Saison An der Alten Försterei. Zwei Tage später schafften es die »Union-Chaoten jetzt im Visier der Polizei« zwar noch auf die Titelseite einer Berliner Boulevardzeitung, der Aufmacher war aber ein anderer: »Corona-Virus: Berlins Patient null«.