„Wehe, du setzt auch nur einen Fuß in diesen Club!“, fuhr Amy mich in einem Ton an, der mir das spöttische Grinsen aus dem Gesicht fegte. Eigentlich hatte ich sie mit dem Vorschlag, einen Abstecher in den Hot Devils Club zu machen, nur ärgern wollen, aber nun machte mich ihre heftige Reaktion stutzig.
„Ich bitte dich. Du kannst nicht ernsthaft an die Gerüchte glauben, die man sich über diesen Schuppen erzählt. Das ist nur ein stinknormaler Club mit einer – zugegeben – außergewöhnlichen Marketingstrategie, weiter nichts.“
„Ist er eben nicht, und du wärst nicht die Erste, die die Gefahr unterschätzt. Kennst du Luna Sanders aus meinem Schauspiel-Kurs? Sie hat den Club anfangs auch belächelt und wollte ‚nur mal einen Blick hineinwerfen‘. Jetzt hat sie den Liebeskummer ihres Lebens und verkriecht sich seit Tagen in ihrem Zimmer. Die haben sie einer Gehirnwäsche unterzogen, sie zu einem liebeskranken Wrack gemacht. Denkst du, das wünsche ich mir auch für dich?“
Amy übertrieb maßlos. Junge Menschen ver- und entliebten sich ständig. Das begann in der Elementary School, erreichte seinen Höhepunkt in der High School und setzte sich auch auf der Uni fort, nur, dass man hier keine unschuldigen Liebesbriefe mehr, sondern Körperflüssigkeiten austauschte. Das lag in der Sache der Natur. Wir waren jung, dynamisch, vollgepumpt mit Hormonen, und Versuchungen lauerten an jeder Ecke. Luna würde sicher schnell darüber hinwegkommen, und dann würde sie sich neu verlieben. Wieder und wieder, bis der Richtige kam.
Aber vielleicht war ich auch die falsche Ansprechpartnerin für das Thema, da ich an der Liebe mehr auf wissenschaftlicher Ebene interessiert war. Ich studierte Biopsychologie im dritten Jahr mit dem Schwerpunkt Hormone. Schon als Kind hatte ich mich für das Paarverhalten von Tieren interessiert. Balztänze, Revierkämpfe, Nester bauen … all das hatte mich fasziniert. Und als die Pubertät kam, hatte sich mein Interessengebiet auf das der Menschen ausgeweitet.
Mein Vater fand es befremdlich, dass ich in meiner Freizeit Studien über Sexualverhalten las, während andere Mädchen in meinem Alter Tik Tok-Videos drehten. Der Gute war ein bisschen verklemmt. Anders meine Mutter, die dem Thema ähnlich offen gegenüber stand wie ich. Wenn Verwandte ihn fragten, was ich neben meinem Studium so trieb, dachte Dad sich meistens irgendwelche seriösen Jobs für mich aus. Dass ich nebenberuflich im Institut für Sexualforschung arbeitete, behielt mein prüder Herr für sich. Aber ich war ihm nicht böse deswegen. Viel lieber zog ich ihn gemeinsam mit meiner Mutter damit auf.
Ich nippte an meiner Limonade und betrachtete die goldenen Lettern über dem Clubeingang. Wir lungerten auf einer Parkbank auf der anderen Straßenseite herum und beobachteten, versteckt unter einer blühenden Magnolie, das rege Treiben vor dem verrufenen Schuppen. „Tut mir leid für Luna, ehrlich“, sagte ich und reichte Amy die Flasche. „Aber das heißt noch lange nicht, dass wir auch so enden. Und wo ist dein Abenteuergeist geblieben? Als wir noch minderjährig waren, wollten wir unbedingt dort rein, und jetzt, da wir endlich 21 sind, machst du einen Rückzieher?“
„Ich habe mich eben besonnen“, war Amys nüchterne Antwort, aber die Tatsache, dass sie meinen Blick mied, bewog mich dazu, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Sie war einen Kopf kleiner als ich und hatte so pechschwarzes Haar, dass ich mir mit meiner roten Mähne immer wie eine menschliche Fackel neben ihr vorkam. Auch ihr Kleidungsstil war eher dunkel gehalten – um nicht zu sagen, selbst Satansanbeter liefen farbenfroher herum. Meine beste Freundin hegte eine natürliche Abneigung gegenüber Pastelltönen. Teuren Schmuck fand sie auch schrecklich, und High Heels sollten ihrer Meinung nach verboten werden, weil sie gesundheitsschädigend waren.
Forschend beobachtete ich, wie sie einen großen Schluck nahm, dabei zum Club sah und dann kaum merklich die Augen verengte. Amy war notorisch neugierig, genau wie ich. Niemals würde sie sich den Spaß entgehen lassen, sich über diese selbstverliebten Lackaffen, die sich Hot Devils nannten, aus nächster Nähe lustig zu machen. Was nur bedeuten konnte …
„Du elende Verräterin!“ Spielerisch boxte ich ihr gegen die Schulter. „Du warst schon drin, oder? Und du hast dich Hals über Kopf verliebt!“
„Mach dich nicht lächerlich“, stritt Amy ab, doch selbst unter dem sternengespickten Nachthimmel konnte ich sehen, wie sich ihre Wangen rot färbten.
„Du kleines Flittchen, du! Hatten wir uns nicht versprochen, dass wir die Erfahrung gemeinsam machen? Und leugne es nicht länger! Die Lüge steht dir dick und fett auf der Stirn geschrieben.“
Verlegen rieb Amy sich den Arm und traute sich endlich, mich anzusehen. Mit ihren großen, haselnussbraunen Augen, denen ich schon vieles hatte durchgehen lassen. „Gut, du hast mich durchschaut. Aber ich hab‘s nicht vorsätzlich getan. Eine Kommilitonin von mir hatte Geburtstag und wollte ihre Volljährigkeit unbedingt im Club feiern. Ich mag sie, deshalb habe ich es nicht übers Herz gebracht, abzusagen.“
Amy sah zerknirscht aus. Sie dachte wohl, ich wäre ihr böse, aber ich empfand nur belustigte Neugierde. „Dann schieß mal los. Ich will alle Einzelheiten erfahren. Besonders, wer von diesen Schmalzlocken es dir am meisten angetan hat.“
Amy öffnete den Mund. Ob zu einem Dementi oder einem Geständnis erfuhr ich jedoch nicht, denn in diesem Moment klingelte ihr Handy, und sie zog es aus ihrer Hosentasche. „Hey, Nancy“, sagte sie und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ich folgte der Geste und sah, dass wir schon 24 Uhr durch hatten. Zum Glück war morgen unifrei und meine Schicht im Institut begann erst nachmittags. Ich hatte nämlich wenig Lust, schon nach Hause zu gehen. Jetzt wurde es doch erst interessant. „Was gibt’s so spät noch?“ Sie lauschte der Stimme ihrer jüngeren Schwester, die ich nur undeutlich vernahm, dann lachte sie plötzlich. „Das nenne ich mal dumm gelaufen. Und Mom hat bald Feierabend, oder? Ist ja gut, reg dich nicht so auf. Man wird ja wohl noch schadenfroh sein dürfen. Ja, ja ich komme. Bin in 20 Minuten da.“
„Was ist los?“, wollte ich wissen, nachdem sie aufgelegt hatte.
„Nancy hat ihre Schlüssel vergessen, was doppelt ungünstig ist, weil sie so spät eigentlich nicht mehr raus darf. Mom hat heute Nachtdienst, weiß aber nichts von ihrem Ausflug. Da sie bald nach Hause kommt, muss ich vor ihr dort sein, sonst bekommt Nancy Stubenarrest.“ Meine Freundin erhob sich und steckte ihr Handy weg. „Soll ich dich mit dem Auto mitnehmen?“
„Dann brauchst du doch noch länger. Nein, ich komme klar“, sagte ich und erklärte mit einem verschlagenen Lächeln: „Außerdem weiß ich schon, wie ich den Rest des Abends verbringe.“
Wenig begeistert folgte Amy meinem Blick zum Club, doch zum Diskutieren blieb ihr keine Zeit. Nicht, wenn sie ihre Schwester vor einer Woche Stubenarrest bewahren wollte. „Tja, ich kann dich nicht aufhalten, also bleibt mir nur, dir viel Glück zu wünschen. Und sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
Ich war immer wieder erstaunt, dass es noch Studentinnen gab, die glaubten, sie könnten ehrbare Jungs aus uns machen. Nichts an diesem Club war ehrbar oder an dem, was wir hier taten. Oft fing es harmlos an, mit einer Verabredung hier, einem Dinner da, und ehe wir uns versahen, klammerten sie sich heulend an uns fest und versuchten, uns am Weiterziehen zu hindern. Erfahrungsgemäß geschah das nach ein paar gemeinsamen Nächten, weshalb viele von uns inzwischen nur noch einmal mit einer Frau schliefen.
Doch obwohl sich das längst herumgesprochen haben musste, ließen sie nichts unversucht, um uns ins Bett zu kriegen. Ehrlich, manche hier kleideten sich so freizügig, dass selbst Prostituierte rote Ohren bekommen würden. Nicht, dass ich etwas gegen Freizügigkeit einzuwenden hätte. Besonders nicht zu dieser heißen Jahreszeit, in der man das Gefühl hatte, die Sonne würde einem die Haut von den Knochen brennen. Mich störte auch nicht der Anblick von tiefen Ausschnitten, nackten Beinen oder Bauchnabelpiercings, der sich mir hier jeden Abend aufs Neue bot. Aber einige hatten offenbar unser Konzept nicht verstanden.
Wir waren diejenigen, die hier die Köpfe verdrehten, nicht andersherum.
Wäre ich auf der Suche nach etwas Ernstem, würde ich es bestimmt nicht an einem Ort suchen, an dem sich mir die Frauen scharenweise zu Füßen warfen. Wo bliebe denn da die Herausforderung? Gegen eine schnelle Nummer für zwischendurch hatte ich nichts einzuwenden, aber das Dauerangebot an bereitwilligen Frauen war schnell ermüdend, deshalb war ich ständig auf der Suche nach Kandidatinnen, die nicht so leicht zu haben waren.
Leider trieben sich solche Exotinnen eher selten im Hot Devils Club herum. Nein, wer hierherkam, wollte von uns verführt werden … und die, die es nicht wollten und nur aus Neugierde vorbeischauten, erlagen uns am Ende auch.
Ich schenkte der Blonden, deren Hände über meinen nackten Bauch streichelten, ein verwegenes Lächeln. Ihr azurblauer Blick wanderte von meiner schwarzen Hose, die mir tief auf den Hüften saß, hinauf zu meinem gestählten Oberkörper, für den ich viermal die Woche trainierte. Verziert wurde er von einem schwarzen Schulterholster, in dem zwar keine Waffe steckte, von dem ich aber wusste, dass es die Frauen anmachte. Das war meine übliche Arbeitsmontur: Dunkle Sneakers, eine tief sitzende Hose und ein unbestücktes Halfter.
Ich könnte jede hier haben – Scheiße, ich hatte gefühlt schon jede hier gehabt –, aber das, was ich in Blondies Blicken las, boten wir hier nicht an. Der Hot Devils Club war kein Puff, sondern ein Strip-Club für Frauen. Anfassen und angucken waren erlaubt, aber wir wurden niemals intim mit unseren Gästen. Jedenfalls nicht während der Arbeit. Gut, nicht alle von uns hielten sich an diese Regel. Schon oft genug hatte ich Wyatt dabei erwischt, wie er sich auf der Toilette einen hatte blasen lassen. Das schummrige Licht, das hohe Gästeaufkommen, das es schwermachte, den Überblick zu behalten, und die vielen dunklen Ecken konnten einen schon mal dazu verleiten, aber offiziell waren sexuelle Handlungen hier nicht gestattet.
Dafür tanzten und strippten wir für unsere ausschließlich weiblichen Besucherinnen, und wenn sie neben dem Eintritt noch etwas draufzahlten, konnten sie uns Mitglieder sogar buchen. So wie Blondie hier, die mich eine Stunde lang ganz für sich hatte, damit ich sie zum Lachen brachte, mit ihr tanzte und ihr versaute Dinge ins Ohr flüsterte.
War das schon eine Form der Prostitution?
Möglich. Aber solange ich am Ende des Tages mit 200, manchmal sogar 300 Dollar, nach Hause ging und das fünfmal die Woche, konnte ich verdammt gut damit leben.
Es gab strikte Vorschriften, wie und wo wir unsere Gäste berühren durften. Küssen war erlaubt, solange es sittliche Küsse auf die Wange oder die Stirn waren. Auch anfassen durften wir sie – sofern sie das denn wünschten –, Brüste und Intimzonen waren jedoch tabu. An Letzteres mussten sich auch die Gäste halten, was meine Verehrerin offenbar vergessen hatte, denn ihre neugierigen Hände befanden sich auf direktem Wege zu meinem Schritt. Tiffany, so hieß die Kleine. Oder vielleicht nannte sie sich heute auch nur so, das wusste man bei unseren Kunden nie so genau.
Ich stoppte ihre Hände, kurz bevor sie meinen Schwanz berührten, und verschränkte sie mit meinen. „Du kennst die Vorschriften, Süße. Nicht unter die Gürtellinie.“ Ihre sichtbare Enttäuschung entlockte mir ein Schmunzeln. „Komm, holen wir uns noch einen Drink. Und dann erzählst du mir, wie es sein kann, dass eine Schönheit wie du noch Single ist.“ Zack, hatte sie wieder ein Strahlen im Gesicht, und sie ließ sich von mir zur Bar ziehen, wo Logan fleißig Cocktails mixte. Mit seinen 21 Jahren war er unser jüngstes Mitglied, und wenn er unseren Gästen mit seinem Zahnpastalächeln weiterhin so erfolgreich die Köpfe verdrehte, würde der Boss ihn sicher bald ins Kernteam aufnehmen. Auch jetzt tummelte sich eine Frauenschar an der Bar und sah ihm mit glasigen Blicken beim Mixen zu, als wären sie von seinen geübten Handgriffen hypnotisiert. Ich stand nicht auf Jungs, konnte aber auch nicht umhin, zuzugeben, dass Logan ein Prachtexemplar von einem jungen Mann war.
Uns allen haftete etwas Bad Boy-mäßiges an – das war wohl Grundvoraussetzung, um hier arbeiten zu können –, aber Logan schien das Wort überhaupt erst erfunden zu haben. Und das nicht etwa, weil er besonders furchteinflößend, fies oder muskulös war. Im Gegenteil. Äußerlich war er der schmächtigste von uns. Mit seiner wuscheligen schwarzen Mähne und dem weißen, hautengen Tank Top, das seinen schlanken Körper betonte, würde er sich gut auf dem Cover eines Teenie-Magazins machen. Aber wenn er erst mal in den Flirtmodus schaltete und seinen Schlafzimmerblick aufsetzte, blieb kein Frauenhöschen mehr trocken. Der Schlawiner kriegte jede rum. Selbst seine Tutorinnen waren vor seinem brutalen Charme nicht gefeit. Ihm traute ich sogar zu, dass er eine Nonne flachlegte – wenn er es nicht längst getan hatte.
Wir nickten uns zu, dann nahmen meine Begleiterin und ich an der beleuchteten Bar Platz und ich bestellte Getränke für uns. Die waren im Eintrittsgeld enthalten, und wenn ich mir Tiffanys glasigen Blick so ansah, hatte sie von dem Flatrate-Angebot schon großzügig Gebrauch gemacht. Viele hier tranken sich erst Mut an, bevor sie uns ansprachen.
Musste wohl an unserem Aussehen liegen, und das war echt nicht arrogant gemeint.
Es war aber nun mal so, dass unsere Körper unser Kapital waren, daher steckten wir mehr Zeit und Geld in deren Pflege als die meisten anderen Menschen. Viele von uns machten den ganzen Tag nichts anderes als zu tanzen, Gewichte zu stemmen und ihre Ausdauer zu trainieren. Dementsprechend gestählt waren unsere Körper, was sich unverkennbar auf das Selbstvertrauen unserer Gäste auswirkte.
Unauffällig warf ich einen Blick auf die Wanduhr.
Ich gehörte Tiffany noch eine halbe Stunde. Danach hatte ich zwar noch nicht Feierabend, aber zumindest keine Dates mehr. Drei hatte ich heute schon hinter mir, und so langsam bekam ich Gesichtskrämpfe vom vielen Lächeln. Unpraktisch, dass ich ausgerechnet heute am umsatzstärksten Samstag nicht ganz auf der Höhe war. Schon heute Morgen hatte ich mich wie gerädert gefühlt. Wer weiß, vielleicht wurde ich krank.
„Kann man euch eigentlich auch für andere Aktivitäten buchen?“, riss Tiffany mich aus meinen Gedanken. Keck lächelte sie zu mir empor und spielte dabei mit der Kette, die zwischen ihren gepushten Brüsten baumelte – zweifellos, um meine Aufmerksamkeit dorthin zu lenken.
Ich tat ihr den Gefallen und starrte auf ihre Hupen, bevor ich den Blick wieder hob. Die Frage bekam ich jeden Abend zu hören, mal in blumige Worte verpackt, mal unverhohlen ins Gesicht geschleudert. Aber ich machte Tiffany keinen Vorwurf. Oder den anderen Frauen. So anstößig wie wir Devils uns hier gaben, war es wohl kein Wunder, dass sie uns für Stricher hielten. Aber wie gesagt, das waren wir nicht. Wir verkauften hier nicht unsere Körper, sondern den Nervenkitzel, und die charmant verpackte Lüge, dass wir jede Frau hier begehrenswert fanden. Dass wir uns um sie reißen würden, wie Verdurstende um den letzten Tropfen Wasser.
Wieder wimmelte ich Tiffany freundlich ab, und wieder wirkte sie enttäuscht. Um sie bei Laune zu halten, und weil ich mir sicher war, dass es sie freuen würde, legte ich eine Hand auf ihr nacktes Knie und streichelte es. Um so etwas Anstößiges tun zu können, musste man sich absolut sicher sein, dass sein Gegenüber das auch wollte. Praktischerweise hatte ich in meinen Jahren hier gelernt, die Körpersprache richtig zu deuten, und Tiffanys Schaudern nach zu urteilen, ließen mich meine Instinkte auch diesmal nicht im Stich.
Gut, das war bei ihr auch nicht schwer. Die Worte fick mich standen ihr förmlich auf die Stirn geschrieben. Schade für die Kleine, dass ich absolut kein Interesse an ihr hatte und es daher zu keiner außerdienstlichen Verabredung zwischen uns kommen würde. Sie war mir zu willig und zu klettenhaft.
Wie auch ihre Vorgängerinnen hatte Tiffany mich im Voraus gebucht, aber nicht alle Gäste ließen so viel Kohle für eine Privataudienz mit uns springen. Die meisten begnügten sich damit, uns beim Tanzen zuzusehen oder für ein paar Minuten mit uns zu flirten. Wir gaben auch Tanzshows à la Magic Mike zum Besten und bezogen unsere Gäste auf der Bühne mit ein.
So wie Wyatt gerade, wie mir ein Blick über Tiffanys Schulter zeigte. Der braunhaarige Sonnyboy trug nichts weiter als einen engen, glitzernden Slip und strippte im VIP-Bereich für eine angehende Braut. Befeuert von ihren Freundinnen thronte sie auf dem herrschaftlichen Sessel und ließ sich von Wyatt einen Lapdance erster Güte liefern. Dem Jubeln nach zu urteilen, gefiel seinem privaten Publikum, was es sah, und das wiederum gefiel Wyatt. Irgendwann, wenn ich genug Kohle gescheffelt hatte, um mir etwas Eigenes aufzubauen, würde ich meinen Dienst hier quittieren. Ich wollte das nicht ewig machen, auch wenn ich meinen Job und die Jungs mochte. Aber ich glaube, Wyatt würde sogar noch als Rentner hier tanzen und das unentgeltlich. Er brauchte die Aufmerksamkeit wie die Luft zum Atmen. Sie war zu einer Droge für ihn geworden, und wenn er nicht aufpasste, würde sie ihn verderben.
Eine Weile kotzte Tiffany sich über ihren Exlover aus, der sie verlassen hatte, worüber sie im Nachhinein aber froh war, weil er angeblich eine Niete im Bett gewesen war. Ich beschränkte mich darauf, ihr Knie zu streicheln und ihr mehrmals zu beteuern, was für ein Trottel er doch war, weil er eine Granate wie sie hatte gehen lassen. Unter meinen geheuchelten Worten zerlief sie förmlich wie Butter, und ich konnte innerlich nur den Kopf schütteln. Es wäre so einfach, sie rumzukriegen. Eine Streicheleinheit hier, ein paar süße Worte da und schon wollte sie die Beine für mich breit machen. Nicht falsch verstehen, ich wollte sie nicht als Schlampe oder dergleichen abstempeln. Von mir aus konnte sie so viele Jungs vögeln, wie sie wollte. Was das anging waren wir Devils ohnehin die größten Schlampen in ganz Portland. Nein, es war mehr der fehlende Nervenkitzel, der meine Stimmung drückte und der meine Hoffnung, jemals wieder eine Herausforderung zu finden, weiter schwinden ließ. Seit 5 Wochen suchte ich nun schon nach einer geeigneten Kandidatin, mit der ich meine Spielchen auch außerhalb des Clubs spielen konnte. Aber alle, bei denen ich es versucht hatte, hatten sich sofort in mich verschossen, und ihren Reiz damit wieder verloren.
Ich überlegte gerade, ob ich mir, trotz meiner Müdigkeit, heute Nacht einen One-Night-Stand suchen sollte, einfach, um die Leere in mir mit etwas Action zu füllen, als mir ein roter Haarschopf ins Auge stach. Keine Ahnung, wie er mir in dem stickigen Club zwischen all den feiernden, halb nackten Frauen und dem zuckenden Scheinwerferlicht auffallen konnte, aber einen irritierenden Moment lang fühlte ich mich von der roten Mähne wie magisch angezogen.
Sie gehörte einem Mädchen, das, anders als die anderen hier, eine stinknormale Jeans und ein schwarzes Tank Top trug. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals ein unspektakuläreres Outfit in diesem Club gesehen zu haben. Zudem war sie zwar hübsch, aber nicht so atemberaubend schön, dass es mich aus der Bahn werfen würde. Doch ihr welliges, rückenlanges Haar leuchtete wie züngelnde Flammen vor dem trüben Hintergrund.
Oh Mann, du lernst nie aus, oder? , schimpfte ich mit mir selbst. Ich hatte eine Obsession mit Rothaarigen und konnte mir ehrlich nicht erklären, woher das kam. Ich liebte alles an ihnen: Die Farbe ihrer Haare, ihre oftmals blasse Haut, die grünen Augen, die Sommersprossen … Dabei hatte ich den Rotschöpfen nach meinem letzten Reinfall eigentlich abgeschworen. Hat ja nicht lange gehalten , dachte ich spöttisch und beobachtete gebannt, wie sie näher kam. Erst dachte ich, sie wollte zu mir, aber dann ging sie knapp an mir vorbei, warf einen flüchtigen Blick auf mich … und stieß ein amüsiertes Grunzen aus.
Was zum …?!
Hatte sie mich gerade belächelt, als wäre ich ein pickliger Teenager? Verdattert drehte ich mich mit ihr mit und fiel damit aus meiner Rolle. Eigentlich sollte ich nur Augen für Tiffany haben, immerhin hatte sie mich dafür bezahlt. Aber mein Körper bewegte sich wie von selbst, und so verfolgte ich, wie der Rotschopf sich am anderen Ende an den Tresen lehnte und etwas zu trinken bestellte.
„Kennst du sie?“, drang Tiffanys Stimme an mein Ohr. Sie klang gekränkt.
Schnell drehte ich mich wieder zu ihr um und schenkte ihr ein träges Lächeln. „Nein, sie sah nur jemandem ähnlich“, behauptete ich. „Einer Zicke aus meiner Grundschule, die nicht annähernd so charmant war wie du.“
Damit entlockte ich Tiffany ein verlegenes Lachen, und wir setzten unsere Unterhaltung fort.
Ärgerlicherweise bekam ich die Rothaarige nicht mehr aus dem Kopf, oder besser gesagt, ihr unverschämtes Grunzen. Es war schon eine Weile her, dass eine Frau mich mit etwas anderem als mit Herzchen in den Augen angesehen hatte, und das weckte mein Interesse. Ich musste herausfinden, wer sie war, wagte es aber nicht, mich noch einmal nach ihr umzudrehen. Verdammt, wenn ich nur nicht mit dem Rücken zu ihr sitzen würde! Ich wollte nicht warten, bis einer der anderen sie anquatschte, denn oft entschied der erste Kontakt, für welchen Devil sich unsere Gäste entschieden. Wir alle waren hervorragende Verführer, und jeder verfolgte bei seinem Beutefang eine andere Taktik. Nat ließ zum Beispiel gern den kühlen Snob raushängen, wohingegen Wyatt seine Opfer auf charmante Weise bedrängte. Da wir hier so ziemlich jeden Männertyp abdeckten, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auf einen von uns anspringen würde, und ich wollte unbedingt der Erste sein.
Ein paar Minuten später bot sich mir dann die Gelegenheit.
Mit einem Longdrink in der Hand ging der Rotschopf wieder an uns vorbei, und tauchte in der tanzenden Menge unter. Was ich als Nächstes tat, war normalerweise nicht meine Art. Ich war zwar ein Aufreißer, aber kein Arschloch und behandelte Frauen stets mit Respekt. Aber ich wusste, wenn ich sie jetzt nicht ansprach, würde es ein anderer Devil tun und meine Chance wäre dahin.
Also rutschte ich vom Hocker und unterbrach Tiffany mit den Worten: „Entschuldigst du mich kurz? Ich muss mal austreten. Bin gleich wieder da.“ Mit dem Daumen strich ich zärtlich über ihre Wange, und sie entließ mich mit einem verträumten Nicken.
Kaum hatte ich ihr den Rücken zugekehrt, fiel das Lächeln von mir ab, und ich nutzte den Moment, um meine Gesichtsmuskeln zu entspannen. Der Rothaarigen ließ ich einen Vorsprung, damit wir uns weit genug von meinem Date entfernten, kurz darauf holte ich sie ein und stellte mich ihr unverblümt in den Weg.
Prompt kollidierte sie mit meinem Waschbrettbauch und verschüttete ein paar Tropfen ihres Getränks auf mich.
„Oh, Verzeihung, ich habe nicht aufgepasst und …“ Zunächst hatte sie noch auf die Spritzer gestarrt, aber nun verharrte ihr Blick an meinen Bauchmuskeln. Ich lächelte in mich hinein, weil sie nicht die Erste war, der es bei dem Anblick die Sprache verschlug. Nur wenige Frauen konnten sich der Faszination entziehen, die definierte Muskeln auf sie ausübten. Dasselbe galt für uns Männer bei langen Beinen und tiefen Ausschnitten.
„Du kannst sie anfassen, wenn du willst“, bot ich an und stemmte die Hände in die Hüften.
Blinzelnd hob sie den Blick und betrachtete mich aus rauchgrünen Augen. „Wie bitte?“
Ah, sie war offenbar eine von der schüchternen Sorte. Davon gab’s hier viele. Zumindest so lange, bis sie genügend Alkohol getrunken hatten. Was unser Rotschopf hier, wie mir ein Blick auf ihren Mojito verriet, offenbar gerade vorhatte. „Du guckst, als hättest du noch nie einen Sixpack aus nächster Nähe gesehen. Nur zu, fass ihn ruhig an. Dafür bin ich da.“ Gönnerhaft breitete ich die Hände aus und schenkte ihr mein verführerischstes Lächeln. Über ihre Schulter hinweg sah ich, wie mir einige Umstehende lüsterne Blicke zuwarfen. Manche Frauen gafften mich unverhohlen an, andere warfen mir verstohlene Blicke zu. Viele hier würden gerade liebend gern mit der Rothaarigen tauschen. Aber was tat sie, anstatt wie die anderen vor meinen Füßen dahin zu schmelzen? Stieß wieder dieses undamenhafte Grunzen aus.
„Danke, aber heb dir deine Bauchmuskeln lieber für jemanden auf, der sich dafür interessiert.“ Damit schob sie sich an mir vorbei und ließ mich auf der überfüllten Tanzfläche stehen. Einen Moment sah ich ihr verdattert nach, während der tiefe Bass aus den Musikboxen in meinem Körper vibrierte. Dann setzte ich mich in Bewegung.
„Hey, warte mal.“ Mit wenigen Schritten hatte ich sie eingeholt und stellte mich wieder vor sie, womit sie gezwungen war, anzuhalten. „Ich habe dich hier noch nie gesehen.“
„Und?“, fragte sie mit genervt hochgezogenen Brauen. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder mich darüber ärgern sollte. Ich stand hier halb nackt und in körperlicher Höchstform vor ihr, und sie war genervt? Was stimmte nicht mit der?
„ Und eine Augenweide wie du wäre mir hier auf jeden Fall aufgefallen.“
Sie starrte mich an. So lange, dass mein selbstgefälliges Lächeln schon zu verrutschen drohte. Dann lachte sie. Lachte mir direkt ins Gesicht.
„Wow, dieser Spruch muss älter sein als meine Uroma. Habt ihr hier so was wie ein Anmach-Regelwerk? Falls ja, solltet ihr es vielleicht mal entstauben. Oder gibt es wirklich noch Frauen, die sich im 21. Jahrhundert davon beeindrucken lassen?“
„Du würdest dich wundern.“ Ich lächelte schief und musterte sie jetzt eingehender. Wie sie mir so unerschrocken entgegenblickte, musste ich meinen ersten Eindruck revidieren. Sie war sogar etwas mehr als nur hübsch. Ihre blasse Haut war eben wie Porzellan, ihre Wangenknochen ausgeprägt und ihre rosa Lippen voll und geschwungen. Außerdem hatte sie diesen unterschwelligen Schlafzimmerblick, der unanständige Fantasien in mir weckte.
„Weißt du, ich würde mich ja geschmeichelt fühlen, aber ich bin mir sicher, dass du jeder hier dasselbe Kompliment machst. Was du mir also auch zu sagen hast, es interessiert mich nicht.“
„Warum bist du dann hier?“
Sie hatte mich schon wieder halb umrundet, aber meine Frage brachte sie wohl aus dem Konzept, denn sie hielt blinzelnd inne. Als sie mir diesmal in die Augen sah, hatte ich das Gefühl, sie würde mich zum ersten Mal wirklich ansehen.
Scheiße, kam es mir nur so vor oder strahlten ihre Iriden wie grüne Smaragde? Bestimmt spielte das Diskolicht mir Streiche. Oder ich hatte schon zu lange keine Rothaarige mehr gevögelt.
„Ich bin hier“, antwortete der Rotschopf in spöttischem Ton, „weil außerhalb dieses Clubs dermaßen unglaubwürdige Gerüchte über euch kursieren, dass ich mich von ihrer Lächerlichkeit persönlich überzeugen wollte. An meiner Uni erzählt man sich, ihr könntet Frauen mit einem Blick das Herz stehlen und ihr würdet wie Götter aussehen.“ Ihr Schnauben machte deutlich, was sie von dem Gerede hielt. Unbeeindruckt nahm sie noch mal meinen nackten Oberkörper ins Visier, aber die Show konnte sie sich sparen. Eben hatte sie mich mit Blicken förmlich ausgezogen. Ich wusste, dass sie auf mich stand. „Jetzt weiß ich, dass die Gerüchte maßlos übertrieben sind“, behauptete sie. „An dir ist ganz und gar nichts göttlich.“
„Ich bin ja auch ein Teufel“, konterte ich augenzwinkernd. Ihr Blick sprühte Funken, aber ich sah, wie ihre Lippen zuckten. Gut zu wissen, dass ich sie mit meinem Humor aus der Reserve locken konnte. Das könnte mir später nützlich sein. Aber zuerst: „Ich bin Jack Sullivan“, stellte ich mich ihr mit einer formvollendeten Verbeugung vor. „Verrätst du mir auch deinen Namen?“
„Da ich kein Interesse daran habe, dich Möchtegern-Teufel kennenzulernen, wüsste ich nicht, wozu das gut sein sollte.“ Ihre Worte garnierte sie mit einem rotzfrechen Lächeln, das ich grinsend erwiderte. Oh, sie hatte ja keine Ahnung, wie lange ich schon nach einer wie ihr suchte.
„Du bist eiskalt, was?“, fragte ich nicht im Mindesten beleidigt.
„Ich habe nur einen gut funktionierenden Selbsterhaltungstrieb. Und der sagt mir, dass ich jetzt weitergehen sollte.“
Diesmal ließ ich sie ziehen. Aber nur, weil mein Date an der Bar wartete und ich nicht riskieren wollte, dass sie sich über mich beschwerte. Das war mir letztes Jahr passiert, und auf eine erneute Standpauke vom Boss konnte ich verzichten. Hofften wir, dass Ms. Rotschopf lange genug bleiben würde, damit ich mir später ihre Nummer klären konnte.
Denn ich hatte soeben mein neues Objekt der Begierde gefunden.