Kapitel 4

 

 

 

Als ich am nächsten Morgen vor Willows Uni parkte, hatte ich so gute Laune wie schon lange nicht mehr. Schon gestern war die Aussicht, meine Verführungskünste an ihr ausprobieren zu können, mein einziger Lichtblick gewesen. Ziemlich armselig, wenn ich so darüber nachdachte, aber das wusste sie ja zum Glück nicht. Ich drehte die Klimaanlage auf und warf Logan durch den Rückspiegel einen Blick zu.

Weltvergessen lümmelte mein Kumpel und Arbeitskollege auf dem Rücksitz herum und beschäftigte sich mit seinem iPhone. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, er zog sich wieder Boxvideos rein. Unser Barkeeper war nebenberuflich Kickboxer, und ein verdammt guter, möchte ich meinen. 

Er musste meinen Blick gespürt haben, denn er fragte, ohne aufzusehen: „Bist du sicher, dass sie den Aufwand wert ist?“

„Du hast sie doch vorgestern gesehen“, sagte ich. „Sie ist der Hammer.“

„Sie ist ganz süß“, räumte Logan ein, „aber nicht unbedingt meine Traumfrau. Wie läuft das diesmal eigentlich ab? Gibt es Sex?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn sie will … Ich kann sie noch nicht einschätzen, aber sie scheint mir offen für Abenteuer zu sein. Mal sehen.“ Mit einem Zucken meiner Augenbrauen fügte ich hinzu: „Ich würde sie jedenfalls nicht von der Bettkante stoßen.“

Logan blickte kurz auf, sagte aber nichts dazu. Das brauchte er auch nicht, denn er wusste, warum ich diese Wetten machte und warum ich mir jeden Monat eine neue Gespielin suchte.

Meine Gedanken erstarben, als ich in der Ferne ein rothaariges, bezauberndes Wesen ausmachte. In einem knallgelben Maxikleid trat sie durch den Haupteingang ins Freie und hielt auf den Parkplatz zu. Wortlos ließ ich meinen Freund im Wagen zurück und schlenderte ihr entgegen. Dieser langhaarigen Schönheit, die es schaffte, dass ich alle anderen Frauen um sie herum ausblendete.

Wer sagt, dass am Ende nicht in deinen Augen rosa Herzen pochen werden?

Ihre Stimme in meinem Kopf löste ein Kribbeln aus, das ich hastig beiseiteschob. Vor ein paar Jahren hätte ich mir von ihr den Kopf verdrehen lassen. Ich hätte mich in sie verliebt, hätte mich für sie aufgeopfert, wäre der perfekte, treue Freund gewesen, der sie auf Händen trug. Aber so ein Narr war ich nicht mehr. Inzwischen wusste ich, dass nichts ewig hielt. Dass Versprechen am Ende nur leere Worte waren, die oft so schnell vergessen waren, wie man sie ausgesprochen hatte. Ich würde Willow auf Händen tragen, ich würde den Vorzeigefreund mimen. Aber nur im Rahmen unserer Wette. Sobald die vier Wochen rum waren, würde ich den Kontakt abbrechen und mir eine andere suchen. So hatte ich es mir geschworen, und so würde ich es auch weiterhin handhaben. 

Willow war nicht allein.

Begleitet wurde sie von einer schlanken Schwarzhaarigen, die energisch auf sie einredete und dabei ziemlich angepisst aussah. Doch Willow lächelte ihre scheinbare Schimpftirade weg. Das hieß, so lange, bis sie mich entdeckte und ihr das Lächeln auf den Lippen gefror. Es war schwer zu sagen, was sie dachte, als sie mich, die Hände in den Hosentaschen vergraben, am Eingang des Uniparkplatzes warten sah, aber mir entging nicht, wie ihr Blick einen Moment länger auf meinen nackten Armen verharrte. Schwarz und Blau waren meine bevorzugten Klamottenfarben, aber bei der brütenden Hitze war ich auf ein ärmelloses weißes Shirt umgestiegen, das meine Oberarmmuskeln betonte. Natürlich hatte ich meine Bizepse absichtlich in Szene gesetzt, und das war noch längst nicht alles, was ich heute plante, ihr zu zeigen. 

Mit einem feinen Lächeln beobachtete ich Willow beim Näherkommen und saugte ihren Anblick förmlich in mich auf. Den Schwung ihrer ausladenden Hüften, das Auf- und Abwippen ihrer Haarpracht und ihren vergeblichen Versuch, mich nicht mit Blicken auszuziehen, was ihr absolut nicht gelang. Mir allerdings auch nicht, denn sie sah atemberaubend in dem Kleid aus, und das, ohne zu viel Haut zeigen zu müssen. Das Maxikleid war hochgeschlossen und lief am Hals zu einem dünnen Band zusammen. Arme und Schultern waren frei und von der Taille an war es leicht ausgestellt. Prinzessin . Das war das erste Wort, das mir bei ihrem Anblick einfiel. Willow sah aus wie eine Prinzessin. Elegant, würdevoll und umwerfend schön. Das Einzige, was nicht ins Bild passte, war der übergroße Rucksack auf ihren Schultern. Offenbar schleppte sie eine ganze Campingausrüstung mit.

     Sie erreichte den Parkplatz, und ich wollte ihr gerade ein Kompliment zum Kleid machen, als sich ihre Freundin mir in den Weg stellte und mit dem Finger auf mich zeigte.

„Du!“, sagte sie und baute sich zu ihrer vollen Größe vor mir auf. Oder sollte ich vollen Winzigkeit sagen? Willow war ja schon nicht besonders groß, aber ihre Freundin überragte ich um gut zwei Köpfe. „… lässt diese dämliche Wette sofort platzen!“

Belustigt sah ich auf den Finger, den sie mir furchtlos in die Brust gebohrt hatte. „Warum sollte ich? Sie hat freiwillig zugestimmt.“

„Ignorier sie einfach“, meinte Willow und zog ihre Freundin genervt von mir weg, als wäre sie ihr ungezogenes Kind. „Amy hat nur Angst, dass ich dir verfalle, was, wie ich ihr bereits mehrfach versichert habe, in etwa so wahrscheinlich ist, wie, vom Blitz getroffen zu werden.“

„Ein Verwandter von mir wurde vom Blitz getroffen“, ließ ich sie wissen. „So unwahrscheinlich ist das also gar nicht.“

Auf mein Lächeln hin rollte Willow die Augen, was mich nur noch mehr erheiterte. Sie tat eiskalt, aber wie alle Menschen hatte auch sie eine emotionale Schwachstelle und die würde ich finden. 

„Glaub mir, wenn ich dir sage, dass es so besser wäre“, redete die Schwarzhaarige namens Amy weiter auf ihre Freundin ein. „Diese verfluchten Devils verstehen ihr Handwerk, und sie sind nicht dafür bekannt, aufzugeben.“

„Klingt, als spräche da jemand aus Erfahrung.“ Meine Worte vertrieben jede Farbe aus Amys Gesicht, was mich dazu veranlasste, sie genauer zu mustern. So abwertend, wie sie über uns sprach, musste sie mit einem von uns schon das Vergnügen gehabt haben. Nur die Frauen, die bei uns schwach geworden waren und sich hinterher dafür schämten, schoben so einen Hass auf uns. Dabei fragte ich mich immer wieder, was ihnen das Recht dazu gab.

Zwangen wir sie, unseren Club zu betreten?

Warnten wir sie nicht ausreichend vor den Konsequenzen?

Nein, wir spielten von Anfang an mit offenen Karten, und doch verfluchten sie uns hinterher, als hätten wir ihnen gewaltsam die Unschuld genommen. Als wären wir wahrhaftige Teufel. 

Nach einer flüchtigen Musterung kam ich zu dem Schluss, dass ich Amy noch nie gesehen hatte – weder außerhalb noch innerhalb des Clubs. Ich hätte mich daran erinnert, wenn ich eine Satansanhängerin bezirzt hätte. Und sie musste eine sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie bei 31 Grad komplett Schwarz trug. 

„Du kannst mich mal kreuzweise, Devil!“, fauchte sie mich an.

„Amy!“, sagte Willow empört, während ich in gespielter Entrüstung die Hände hob.

„Jetzt mal langsam mit den jungen Pferden. Ich weiß zwar nicht, wer dir was getan hat, aber ich versichere dir, dass alles, was beim Wanderausflug heute geschehen wird, freiwillig passiert. Willow wird zu nichts gezwungen.“

„Darum geht es mir nicht!“, giftete Amy weiter und machte wieder Anstalten, mir ihren spitzen Fingernagel in die Brust zu rammen.

     „Dann begleite uns“, schlug ich vor. „Und pass auf deine Freundin auf. Die anderen Devils kommen auch mit, da ist sicher auch einer für dich dabei.“

Amy wurde blass im Gesicht. „Alle Devils?“, fragte sie und klang mit einem Mal nicht mehr so knallhart.

Ich nickte bestätigend, woraufhin sie energisch den Kopf schüttelte. „Ich kann nicht, hab‘ zu tun.“ An Willow gewandt sagte sie: „Gut, wenn ich dich nicht von dieser Schnapsidee abbringen kann, dann versprich mir wenigstens, dass du dich jede Stunde bei mir meldest. Wenn nicht, hetze ich dir ein Suchkommando auf den Hals.“

Lachend umarmte Willow ihre Freundin. „Du bist unmöglich, aber danke, dass du dir solche Sorgen um mich machst.“

Über Willows Schulter hinweg warf Grufti-Amy mir einen warnenden Blick zu. „Einer muss es ja tun bei diesen Teufelsanbetern!“

Belustigt hob ich eine Braue. Ausgerechnet sie nannte mich einen Teufelsanbeter? Aber ich verkniff mir den Konter und warf ihr stattdessen einen Luftkuss zu. Der schnellste Weg, das Herz einer Frau zu erobern, war, ihre beste Freundin für sich zu gewinnen. Ich würde Amy schon noch weichklopfen, und dann stand meiner Eroberung nichts mehr im Weg.

Amy zog von dannen, und ich sah ihr einen Moment schmunzelnd nach. Da sagte Willow: „Mir gefällt nicht, wie du meiner Freundin hinterherguckst.“ Ich sah wieder zu ihr und musste lächeln, als sich der Blick ihrer rauchgrünen Augen in meinen bohrte. Sie war süß, wenn sie so bedrohlich guckte. Wie eine fauchende Babykatze, die glaubte, sie könnte es mit einem ausgewachsenen Tiger aufnehmen.

„Eifersüchtig?“, fragte ich augenzwinkernd.

„Eher besorgt, dass du sie manipulieren willst.“

Sehr scharfsinnig, dachte ich, beschränkte mich aber auf ein nichtssagendes Lächeln. „Komm.“ Ich deutete in die Richtung meines Wagens. „Bevor die Sonne uns noch röstet. Soll ich dir den Rucksack abnehmen? Das Ding sieht schwer aus.“

„Ich schaff das schon“, meinte Willow nur und setzte sich in Bewegung.

Bei meinem schwarzen Jeep angelangt, öffnete ich den Kofferraum und verstaute ihren wuchtigen Rucksack. Danach hielt ich ihr ganz Gentleman die Beifahrertür auf, und sie schob ihr langes Kleid hoch, um einzusteigen. Unter dem gelben Stoff kam makellos blasse Haut zum Vorschein, die an polierten Marmor erinnerte. Ich wusste, ihr entging mein Blick nicht, und ich machte auch keinen Hehl aus meiner Begeisterung für ihren Körper. Frauen wollten begehrenswert sein, und das Praktische bei Willow war, dass ich ihr nicht mal etwas vorgaukeln musste. All meine hungrigen Blicke waren echt. 

„Oh, hi“, sagte sie, als sie Logan auf der Rückbank entdeckte, und drehte sich zu ihm. Sanft warf ich ihre Tür zu, dann ging ich zur Fahrerseite und stieg ein.

Mein Kumpel hatte sich zwischen die Vordersitze gelehnt und schüttelte Willows Hand. „Ich bin Logan, der Barkeeper.“

„Ich weiß“, erwiderte sie lächelnd. „Du machst hochgradig gefährliche Cocktails.“

„Ach ja?“ Interessiert lehnte er sich wieder zurück.

„Ja, du mischst sie so perfekt, dass man den Alkohol nicht schmeckt, was dazu führt, dass man schon nach zwei Gläsern besoffen in der Ecke liegt.“

Amüsiert strich Logan sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und fragte: „Ist das jetzt gut oder schlecht?“

„Gut natürlich! Von dir würde ich mich jederzeit freiwillig abfüllen lassen.“

Logan lachte, und ich sah durch den Rückspiegel, wie erstaunt er darüber war. Logan war nicht immer einfach, und obwohl er der geborene Verführer war, hatte er in letzter Zeit kein großes Interesse mehr an Frauen. Jedenfalls nicht außerhalb der Arbeitszeiten. Sein kurzer Blick in den Spiegel zu mir, sagte mir, dass er nun verstand, was ich an Willow fand. Sie war nicht nur schön und selbstbewusst, sondern auch witzig. Ich würde noch einen Heidenspaß mit ihr haben.

„Warten wir nicht auf die anderen?“, fragte sie, als ich den Zündschlüssel umdrehte.

„Wir treffen uns im Wald mit ihnen. Nat bringt Wyatt mit.“ Damit drückte ich aufs Gas und rollte langsam vom Campusgelände.

Während ich mich darauf konzentrierte, keine Studenten umzufahren, begutachtete Willow die Inneneinrichtung des Wagens und stieß dabei einen anerkennenden Pfiff aus. 

„Ein teureres Auto wurde auf dem Protz-Markt wohl gerade nicht angeboten, was?“

Ich lachte und erklärte ihr: „Das ist nicht meins. Ich habe es mir nur auf unbestimmte Zeit ausgeliehen.“

    „Wer verleiht denn Autos auf unbestimmte Zeit?“

    „Jemand, dessen Familie mehr Luxuskarren besitzt als andere Schuhe“, kommentierte Logan vom Rücksitz. „Nataniel.“

    Willow sah erst Logan und dann mich erstaunt an. „Wie großzügig von Mr. Arsch.“

     Logan grunzte belustigt, und ich sagte: „Nat ist schwer in Ordnung … wenn man es denn schafft, durch seinen selbstgefälligen Panzer zu dringen.“

    „Das würde ich auch sagen, wenn derjenige mir seinen Luxusschlitten zur Verfügung gestellt hätte“, kam prompt ihre sarkastische Antwort.

   „Oh, ich mag sie jetzt schon“, meinte Logan und grinste meine Beifahrerin durch den Rückspiegel an. Als sie es erwiderte, warf ich ihr einen ungläubigen Blick zu.

  „Was?“, fragte Willow schulterzuckend. „Logan ist viel charmanter als du.“

  Was sollte das denn bitte heißen? Ich war ja wohl die Charmantheit in Person! Laut sagte ich: „Du weißt aber schon, dass er zum Team gehört? Er ist zwar der Barkeeper des Clubs, aber genauso ein Hot Devil wie wir anderen.“

  „Er versucht aber nicht, mir mein Herz zu stehlen, was ihn automatisch sympathischer macht“, erwiderte sie augenzwinkernd, bevor sie sich zu ihm umdrehte. „Tust du doch nicht, oder?“

Logan schüttelte den Kopf. „Es ist schon Arbeit genug, den Frauen im Club schöne Augen zu machen. Darauf will ich nicht auch noch meine Freizeitenergie verwenden.“

„Wären doch nur alle aus deinem Team so weise“, kommentierte Willow und wandte sich mit einem frechen Grinsen wieder der Straße zu. 

„Wenn du so wenig von der Wette hältst, warum hast du dann zugestimmt?“, fragte ich sie amüsiert.

Willow öffnete den Mund, zögerte aber und sagte dann: „Um dir zu zeigen, dass du nicht so unwiderstehlich bist, wie du denkst.“

Etwas sagte mir, dass es nicht das war, was sie ursprünglich hatte sagen wollen, aber ich hakte nicht weiter nach und grinste nur überheblich. „Träum weiter.“

 

Devils Club LOGO

 

 

Eine Stunde später rollten wir auf die Lichtung des Tillamook State Forest, 40 Meilen westlich von Portland, auf der wir uns häufig trafen. Als Kind war ich oft hier gewesen, damals, als meine Welt noch in Ordnung gewesen war. Auch den einen oder anderen Klassenausflug hatte ich hierher unternommen, und ich denke, so ging es auch meiner Beifahrerin. Der Tillamook State Forest war für Einheimische ein Muss. Es gab kaum einen Portlander, der noch nicht hier gewesen war, und egal wie oft man diesen Ort besuchte, man entdeckte immer wieder neue Highlights. Wie etwa die türkisfarbenen Flüsse, die sich wie blaugrüne Adern durch den gigantischen Tillamook-Wald zogen, die immergrünen Nadelbäume in der Farbe von sattem Moos, die geheimnisvollen Nebelschwaden am Morgen oder die spektakulären Ausblicke vom Gipfel des Kings Mountain.

Ich könnte die Liste ewig fortführen. Nicht ohne Grund waren wir Devils regelmäßig hier draußen. Wann immer wir eine Auszeit vom Stadtleben brauchten, ließen wir in den heilenden Wäldern unsere Seelen baumeln, tankten neue Energie und waren einfach mal wir selbst.  

Die anderen erwarteten uns bereits.

Nats Outfit, das aus einem blauen Polohemd, einer beigen Chino, weißen Sneakers und einer Rolex bestand, schrie förmlich nach verwöhntem Snob. Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte er an seinem silbergrauen Porsche, neben ihm Wyatt, der oben herum … nichts trug. Sein Ernst? Ich würde bei der Hitze auch lieber nackt herumlaufen, aber sonst zeigte Wyatt außerhalb des Clubs auch nicht so viel Haut, was nur bedeuten konnte, dass er die Show für Willow abzog. Als hätte sie neulich im Club nicht schon genug von ihm zu sehen bekommen.

Kopfschüttelnd stieg ich aus und begrüßte Nat mit einem lockeren Handschlag. „Alles klar? Wartet ihr schon lange?“

„Ungefähr zehn Minuten“, meinte Nat und richtete seine Aufmerksamkeit auf etwas hinter mir. Die Art, wie sich seine eisblauen Augen verengten, sagte mir, dass es sich um Willow handelte. „Du hast mir etwas versprochen“, raunte ich ihm mahnend zu, bevor er seine Klauen ausfahren konnte.

„Ja, ja, ich werde mich benehmen!“, maulte er. „Aber man wird ja wohl noch finster gucken dürfen.“

Schmunzelnd wandte ich mich von ihm ab und begrüßte auch Wyatt per Handschlag. „Und du machst jetzt einen auf Jacob Black, oder was?“, fragte ich mit einem demonstrativen Blick auf seinen nackten Oberkörper.

„Niemand hat gesagt, dass ich fair spielen würde. Und wir gehen nachher eh schwimmen, da sieht sie mich sowieso.“ Damit blickte Wyatt hinter mich, und in seinen Augen erwachte ein Leuchten. „Hallo, Beauty. Du siehst traumhaft aus.“

Er ging um mich herum, und ich drehte mich mit einem hämischen Lächeln mit, weil Willow ihm jetzt garantiert einen bissigen Spruch an den Kopf knallen würde. Stattdessen sagte sie: „Danke, aber wir wissen alle, dass ich dir nicht das Wasser reichen kann. Ich meine … wow, dieser Oberkörper!“

Ungläubig starrte ich sie an. Hätte ich sie oberkörperfrei auf dem Uniparkplatz erwartet, hätte ich mir sonst was von ihr anhören können, aber bei Wyatt war es okay? Das machte sie doch mit Absicht! Zu spät fiel mir auf, dass Willows Blick zu mir gewandert war, was bedeutete, dass ihr meine mahlenden Kiefer nicht entgingen. Verdammt. Ich zwang mich zu einem grimmigen Lächeln und sagte: „Hätte ich gewusst, dass du so leicht zu beeindrucken bist, hätte ich dich nackt abgeholt.“

   „Und mir und der ganzen Uni deine Nudel präsentiert? Danke, aber ich stehe nicht so auf Spaghetti.“

Die Jungs lachten, und selbst Nat zuckte mit den Lippen.

Ich sagte ungerührt: „Also, als Nudel hat mein Ding noch keine bezeichnet. Vielleicht wirfst du später mal einen Blick drauf. Du könntest überrascht sein, was ich in der Hose habe.“

„Das wage ich zu bezweifeln, aber wärst du so nett und holst meinen Rucksack aus dem Kofferraum? Ich könnte ein Schluck kühles Wasser gebrauchen. Wyatts Anblick macht mich ganz schwitzig.“

Ich zeigte ihr meine Zähne. Klopf nur weiter deine Sprüche , dachte ich und schlenderte zum Wagen. Das wirst du später im Wasser alles zurückbekommen. Mit diesem erheiternden Gedanken hievte ich das schwere Ding aus dem Kofferraum und stellte es Willow übertrieben freundlich vor die Füße.

Sie bückte sich danach, und während sie nach ihrer Wasserflasche kramte, trat Wyatt an mich heran und wisperte: „Sie scheint immun gegen deinen Charme zu sein. Sicher, dass du das Feld nicht gleich räumen willst?“ Seine Stimme troff nur so vor Hohn, und ich musste mich zusammenreißen, um ihn nicht in den Schwitzkasten zu nehmen. Mit Nat konnte man solche Späße nicht machen und Logan, der Kickboxer, würde mich auseinandernehmen, aber Wyatt war immer für eine Rauferei zu haben. Leider hätte ich Willow damit gezeigt, dass mir die Entwicklung der Dinge nicht gefiel, und sie sollte unbedingt glauben, dass ich die Situation im Griff hatte. 

„Das ist nur das anfängliche Kräftemessen“, raunte ich zurück. „Sie will mich bis zum Äußersten reizen, aber sie wird feststellen, dass ich sehr ausdauernd bin. In vielerlei Hinsicht.“

„Tuschelt ihr etwa über mich?“, wollte Willow wissen und richtete sich wieder auf. Sie hatte ihr Wasser gefunden und nippte, die Brauen amüsiert hochgezogen, an der Flasche. Als Wyatt verneinte und ich gleichzeitig bejahte, lachte sie. Und verdammt, ich glaube, ich hatte noch nie so ein schönes Lachen gehört.

„Ihr zwei könnt euch verbrüdern oder bekriegen so viel ihr wollt. Keiner von euch wird mein Herz bekommen. Aber vielleicht bekomme ich am Ende ja eures .“

Wyatts Lippen deuteten ein schiefes Lächeln an, doch was immer er erwidern wollte, Nat kam ihm zuvor, indem er sagte: „Schluss mit dem Herumturteln. Dafür habt ihr noch auf dem einstündigen Fußmarsch Zeit. Wir sollten langsam los, bevor die Hitze noch unerträglicher wird.“

„Warte, sagtest du eine Stunde?“, fragte Willow. Vor Verblüffung verschüttete sie etwas von dem Wasser.

Doch Nat hatte uns schon den Rücken zugekehrt und nahm seine Sporttasche aus dem Auto. Er überließ es uns, sie aufzuklären.

„Ich hatte dir doch geschrieben, dass wir zum Teich wandern würden“, erinnerte ich sie.

„Du sagtest, wir würden einen Waldspaziergang dorthin machen“, verbesserte sie mich. „Das ist ein Unterschied.“

Mein Blick huschte zu ihren Sandalen, die jeweils nur durch eine Schnur zusammengehalten wurden. „Hast du keine Wechselschuhe eingepackt? Ich dachte, dafür schleppst du dieses Ungeheuer von Rucksack überhaupt mit.“

„Nein, ich habe nur die hier.“

Geräuschvoll ließ Nat seine Tasche auf den Boden plumpsen und schaute angefressen in die Runde. „Sagt mir nicht, dass der Ausflug deswegen jetzt ins Wasser fällt!“

Mein Blick kehrte zu Willow zurück. Das lag an ihr. Wenn sie beim Auto bleiben oder zurückfahren wollte, würde ich mich ihr anschließen.

 

 

 

Fünf Augenpaare sahen mich an, und ich musste wohl nicht erwähnen, welches davon Funken sprühte. Ich würde zu gern wissen, was ich Nataniel getan hatte. Fühlte er sich von mir bedroht, weil ich mit meiner Anwesenheit in seine Privatsphäre eindrang? Falls ja, sollte er sich bei Jack beschweren – der hatte mich schließlich mitgeschleppt. Andererseits war Nataniel schon am Samstag so mürrisch zu mir gewesen, und da hatte er noch nicht ahnen können, dass Jack eine Wette mit mir abschließen und mich zu Freizeitaktivitäten mitnehmen würde. Oder doch?

Logan war der Einzige, der noch nichts gesagt hatte. Entweder weil es ihm egal war oder weil er sich in die Diskussion nicht einmischen wollte. Der schlanke Barkeeper mit dem weißen, hautengen Tank Top schien ohnehin kein Mann vieler Worte zu sein. Abgesehen von dem kurzen Wortgeplänkel auf dem Unigelände, war er die restliche Fahrt still gewesen und hatte Jack und mich uns selbst überlassen. 

„Das geht schon“, sagte ich und stopfte die Wasserflasche in meinen Rucksack zurück. „Offenbar habe ich Jack falsch verstanden. Egal, meine Sandalen werden den Marsch schon überleben.“

Erneut betrachtete Jack meine Schlappen, und ich musste keine Gedanken lesen können, um zu wissen, was er dachte. Aber ich hatte ja nicht ahnen können, dass die Jungs so verrückt waren, bei 31 Grad stundenlang durch den Wald zu marschieren. Ich hatte mich auf einen kurzen Weg von 10 höchstens 20 Minuten eingestellt und dafür brauchte ich kein festes Schuhwerk. Doch ich wollte nicht jammern und ihnen den Ausflug verderben.  

Nachdem alle ihre Taschen geschultert hatten, machten wir uns auf den Weg, wobei wir keinem gepflasterten Pfad folgten, sondern uns mitten durchs Unterholz schlugen. Okay, eventuell würden meine Sandalen das doch nicht überleben. Zwar war der Weg teilweise glatt getrampelt – die vier mussten hier schon oft entlanggelaufen sein –, aber mit einem Pflasterweg konnte er nicht mithalten. Es gab haufenweise Wurzeln, Stöcke und Büsche, die uns das Vorankommen erschwerten.

Einen Vorteil hatte die üppige Vegetation allerdings. Das dichte Blätterdach über unseren Köpfen schirmte uns größtenteils vor den Sonnenstrahlen ab und sorgte obendrein für märchenhafte Beleuchtung. Wie Wegweiser brachen vereinzelt Lichtstrahlen durch die Baumkronen und beleuchteten mal größere, mal kleinere Erdflecken. Grillen zirpten um die Wette, Insekten schwirrten um unsere Köpfe und die heimischen Vögel lieferten uns ein kostenloses Konzert. Wäre jetzt noch gelegentlich eine kühle Brise aufgekommen, wäre es perfekt gewesen. Leider war die Luft so heiß und schwer, dass ich teilweise das Gefühl hatte, nicht genügend Sauerstoff zu bekommen.

Logan und Nataniel führten den Trupp an und liefen so weit vorn, dass ich ihre Stimmen nur als Gemurmel wahrnahm. Anfangs waren wir noch als Gruppe gelaufen, aber irgendwann hatte ich mit ihrem militärischen Tempo nicht mehr mithalten können und war zurückgefallen. Ganz die Kavaliere hatten Wyatt und Jack sich meinem Schneckentempo angepasst und flankierten mich wie Bodyguards.

Wyatt bombardierte mich mit Fragen über meine Familie, meine Hobbys und meine Studienrichtung, die ich alle beantwortete. Keine Ahnung, ob ich auch bei Jack so redselig gewesen wäre, aber wie ich schon im Club festgestellt hatte, hatte Wyatt etwas ungemein Vertrauenswürdiges an sich, dass mir das Gefühl gab, ihm alle meine Geheimnisse, Sorgen und Ängste erzählen zu können. Clever wie Jack war, funkte er nicht dazwischen und beschränkte sich lieber aufs Zuhören. Ihm war wohl selbst klar, dass er ohne seinen Freund nie an so viele Informationen über mich gekommen wäre. Irgendwann verlagerte sich das Gespräch auf die beiden, und ich war diejenige, die zuhörte. Dabei erfuhr ich ein paar interessante Dinge.

„Ihr seid also beste Freunde“, begriff ich.

„Ja, Jack und ich kennen uns seit dem Kindergarten.“ Wyatt sprang behände über eine dicke aus dem Boden ragende Wurzel. „Die anderen Devils haben wir erst im Club kennengelernt.“

„Wie kamt ihr dazu, euch dort zu bewerben?“

„Wir brauchten Kohle, so wie alle Studenten in unserem Alter“, kam es von Jack. „Anfangs hatten wir keine Ahnung, was uns erwarten würde. Wir haben eines Nachmittags im Vorbeigehen das Neueröffnungsschild am Club gesehen und uns gedacht, wir fragen mal nach, ob noch Barkeeper oder Türsteher gesucht werden.“

„Dann seid ihr beiden von Anfang an dabei?“

„Ja, seit der Eröffnung vor zwei Jahren“, bestätigte Wyatt.

Wir erreichten einen steilen Hügel, der mich vor ein Problem stellte. Um ihn erklimmen zu können, würde ich mein Kleid raffen müssen, allerdings hätte ich dann keine Hand mehr frei, um die Balance zu halten. Wyatt erkannte mein Dilemma als Erster und reichte mir wortlos seine Hand. Als ich sie ergriff, sah ich, wie er schadenfroh in Jacks Richtung grinste, und schüttelte innerlich den Kopf. Ein bisschen taten sie mir leid, denn keiner von ihnen würde mich dazu bringen, mich in ihn zu verlieben. Sie würden sich die Mühe umsonst machen.

„Danke“, sagte ich, nachdem wir den Hügel erklommen hatten, und Wyatt ließ mich wieder los. Auf der anderen Seite schräg hinter mir ging Jack, und ich bildete mir ein zu spüren, wie die beiden hinter meinem Rücken Blicke tauschten. Ich ignorierte es und bat: „Erzählt mir von euren Zukunftsplänen. Ihr wollt doch bestimmt nicht ewig im Club tanzen.“

„Warum nicht?“, fragte Wyatt prompt. Sein nackter Oberkörper war ein Segen für das weibliche Auge und zog immer wieder meine verstohlenen Blicke auf sich. Bei jedem Schritt und jedem Sprung über ein Hindernis, konnte ich das faszinierende Spiel seiner Muskeln und Sehnen beobachten. „Es ist gut verdientes Geld und es gibt Schlimmeres, als jeden Abend von schönen Frauen angehimmelt zu werden.“

Lachend schüttelte ich den Kopf. „Der Spruch musste jetzt sein, oder? Aber habt ihr zwei nicht inzwischen euer Studium beendet?“

Diesmal war Jack es, der antwortete. „Doch, aber warum muss man sich in jungen Jahren schon so unter Druck setzen? Die meisten Studenten können es gar nicht erwarten, ins echte Berufsleben einzutauchen. Und wozu das Ganze? Um bis zum Umfallen zu schuften, möglichst schnell zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Es kommt mir so vor, als wollten alle in Rekordzeit eine von der Gesellschaft erstellte To-Do-Liste abhaken. Auto, Haus, Ehe, Kind … Aber warum muss immer alles so schnell gehen? Warum kann man sich nach der Schulzeit, die bis dato unser ganzes Leben bestimmt hat, nicht mal ein paar Jahre Auszeit gönnen und das machen, worauf man Lust hat?“

„Hm, so habe ich das noch nie gesehen“, gestand ich. Um nicht zu sagen, er hatte gerade eins zu eins mich und meine Pläne beschrieben.

„Was hast du nach der Uni vor?“, erkundigte Wyatt sich bei mir und stieß mich sanft mit der Schulter an.

Ich grinste, denn ich wusste, was für eine Reaktion auf meine Antwort erfolgen würde. Die, die sie bei allen Leuten auslöste, denen ich zum ersten Mal davon erzählte. „Ich strebe eine Festanstellung im Forschungsinstitut an, in dem ich seit zwei Jahren nebenberuflich arbeite.“

„Und was erforscht ihr dort?“, hakte Wyatt nach.

„Die menschliche Sexualität.“ Simultan gerieten meine Begleiter ins Stolpern. Ich lachte.

„Im Ernst?“, fragte Jack neben mir erstaunt.

„Ja, das ist mein Ernst.“

„Kann man sich dort als Proband melden?“, erkundigte Wyatt sich mit einem anzüglichen Wackeln seiner Augenbrauen. 

„Klar, wir suchen ständig Probanden. Vor allem so junge und fitte wie euch.“

Diesmal sah ich genau, wie die Jungs Blicke tauschten. Wyatt sagte: „Ich bin mir gerade nicht sicher, ob du die Wahrheit sagst oder uns veräppelst.“

„Ich meine das ernst, ich arbeite wirklich dort. Falls du mir nicht glaubst, guck doch auf unserer Webseite nach, dort findest du ein Gruppenbild unseres Teams mit mir. Und was die Probandensache angeht, wir bezahlen sogar recht gut. Es wäre leicht verdientes Geld.“

Damit machte ich die beiden einen Moment sprachlos. Ausgerechnet die Hot Devils, die Sex quasi zu ihrem Beruf gemacht hatten. Denn das war es schließlich, was sie im Club verkauften oder nicht? Sexuelle Fantasien.