Kapitel 6

 

 

 

Vier Stunden später passierten wir ein schmiedeeisernes Tor und rollten im orangenen Schein der untergehenden Sonne auf Nataniels Anwesen. Das weiße Herrenhaus, das er laut Jack zum 21. Geburtstag von seinen Eltern geschenkt bekommen hatte, war mit prächtigen Elementen wie Ecktürmen, Zinnen und Bogenfenstern ausgestattet. Es sah aus wie ein Märchenschloss. Ein Bediensteter im schwarzen Frack erwartete uns am Einlass und begrüßte die Jungs höflich mit Namen. Nachdem er sich auch nach meinem erkundigt hatte, teilte Nataniel ihm mit, dass wir für den Rest des Tages ungestört sein wollten, und der Mann zog sich ergeben zurück. Jetzt, da ich Nataniels Anwesen und seinen Diener sah, fragte ich mich, was er im Hot Devils Club verloren hatte. Seine Familie war doch stinkreich. Warum zum Henker gab er sich also mit einem Stripclub ab?

       Ich nahm mir vor, es später herauszufinden und half den Jungs beim Tütenschleppen. Keine Ahnung, was die Devils unter einer kleinen Runde verstanden, aber sie hatten Alkohol und Verpflegung im Wert von mehreren hundert Dollar eingekauft. Den Betrag hatten sie brüderlich geteilt, und ich hatte darauf bestanden, mich ebenfalls daran zu beteiligen, was nach minutenlanger Diskussion schließlich hingenommen worden war. Ich verdiente schließlich mein eigenes Geld, ich musste mich nicht einladen lassen. 

      In der Eingangshalle hingen gemalte Familienportraits, die mir verrieten, dass Nataniel Einzelkind war. Es waren auch noch andere Familien abgebildet, Verwandte und Vorfahren, nahm ich an. Unter meinen Füßen erstreckte sich braunes Parkett, das in beige, mit Stuck verzierte Wände überging. An der hohen Decke funkelten Kronleuchter um die Wette, und von überall lächelten mich außergewöhnliche und zweifellos seltene Kunstgegenstände an.

       Mir blieb kaum Zeit, all die Eindrücke zu verarbeiten, denn schon hatte Nataniel uns in einen gesonderten Flügel geführt, in dem es weder Stuck, noch Gemälde oder antike Möbelstücke gab. Alles hier war hell, gradlinig und modern eingerichtet.

       Wir trugen den Einkauf in die beigefarbene Hochglanzküche und Wyatt machte sich daran, die Pizzen in den Ofen zu schieben. So lecker mein Picknick auch gewesen war, aber allmählich machte sich bei uns allen der Hunger wieder bemerkbar. Während Jack die Getränke kalt stellte und Nataniel sich um die Musik kümmerte, half ich Logan beim Tischdecken. 20 Minuten später saßen wir schlemmend am Esstisch, der vor Pizzen und Softdrinks nur so überquoll.

      Es war seltsam, mit den vieren zusammenzusitzen. Hätte mir jemand vor drei Tagen gesagt, dass ich mal in harmonischer Einigkeit mit den verrufenen Hot Devils speisen würde, hätte ich denjenigen in die Psychiatrie eingewiesen. Aber hier saßen wir, alberten herum, sprachen über den Tag am See und planten künftige Unternehmungen. Gut, hauptsächlich unterhielten sich die Jungs. Ich begnügte mich mit Zuhören und amüsierte mich köstlich über Wyatt und Jack, die sich gegenseitig aufzogen. Und über Logan, der mit seinen trockenen Kommentaren unfreiwillig lustig war.

Irgendwann schaute Wyatt auf sein Handy und verkündete: „Die ersten Gäste sind in einer halben Stunde hier. Sind schon alle Getränke kalt gestellt?“

„Noch nicht alle“, meinte Jack. „Ich kümmere mich gleich darum.“

Wir räumten ab und ersetzten die Pizzakartons durch Trinkbecher und Schüsseln mit Snacks. Derweil füllte Nataniel den Bestand seiner Bar auf, die mit einem Tresen, Barhockern und allem ausgestattet war, was man von einer hauseigenen Bar erwartete. Danach fanden wir uns auf der mehrteiligen Lounge ein, die groß genug für 15 Personen war und Logan legte seine Joints auf den Tisch. Nataniel fackelte nicht lange und zündete sich einen an. Logan tat es ihm gleich, ich nippte an meinem Aperol und die anderen zwei begnügten sich mit Bier.

Mein Blick blieb an Nataniel hängen, der den Kopf zurückgelehnt genüsslich an seinem Joint zog und Ringe in die Luft blies. Als ich mein Glas zur Hälfte geleert hatte, fragte ich ihn: „Meinst du, ich könnte mal kurz unter die Dusche springen?“ Ich fühlte mich einfach besser, wenn ich mich nach dem Aufenthalt in natürlichen Gewässern noch mal abbrauste, und das hier versprach ein langer Abend zu werden. „Ich beeile mich auch.“

Nataniel blinzelte mich an, und ich bildete mir ein, dass sein Blick bereits glasig wurde. Er nickte träge. „Den Gang runter findest du mehrere Gästezimmer mit Masterbad. Such dir eins aus.“

Ich dankte ihm, nahm meinen Rucksack und trat durch die Flügeltür, die seinen modernen Bereich vom Rest des Anwesens trennte. Der Gang dahinter war dunkel und still, und da die Sonne mittlerweile vollständig untergangen war, drang nur noch bedingt Licht von außen durch die Fenster. Mit der gedämpften Musik im Rücken bahnte ich mir einen Weg durch die Schatten, fand ein Gästezimmer und schaltete das Licht ein. Unnötig zu erwähnen, dass auch die Besucherzimmer puren Luxus verkörperten. Ein Himmelbett nahm den Großteil des Raumes ein, erlesene Möbel aus geschnitztem Holz zierten die Wände und das Masterbad schien geradewegs einem Magazin für Luxuseinrichtungen entsprungen zu sein. Die gläserne Dusche war gefühlt größer als mein eigenes Badezimmer, und Wände und Boden waren mit feinstem Marmor überzogen. Nachdem ich die Hüllen fallengelassen hatte, band ich mein Haar zu einem lockeren Dutt hoch, dann stellte ich mich unter die Dusche und ließ warmes Wasser auf mich einprasseln.

Ich duschte länger als beabsichtigt, was ich damit entschuldigte, dass ich noch nie unter einer Regendusche gestanden hatte. Doch ich bekam nicht genug davon, wie das Wasser sanft auf meinen Körper prasselte. Als wäre ich einem warmen Tropenschauer ausgesetzt. Nur mit Mühe riss ich mich irgendwann von der traumhaften Dusche los, rubbelte mich trocken und stopfte das Handtuch in den Wäschekorb. So etwas musste ich mir später unbedingt auch zulegen. Mein Vater hielt ja nichts vom Duschen. Der badete noch ganz oldschool stundenlang in der Wanne – ein Verhalten, das ich noch nie hatte nachvollziehen können. War doch totale Zeitverschwendung, sich so lange im Bad aufzuhalten. Der Meinung war ich zumindest bis jetzt gewesen. Zehn Minuten unter der Regendusche und ich wollte nie wieder auf andere Weise entspannen.

Erfrischt und wieder in meinem Sommerkleid verließ ich das Gästezimmer … und erschrak fast zu Tode. Dort, gegenüber an der Wand lehnte Jack. Ein Bein hatte er angewinkelt, seine Arme waren vor der Brust verschränkt.

„Mann, musst du hier so im Dunkeln herumlungern?!“ Ich fasste mir an die Brust und atmete tief durch, um meinen Puls zu beruhigen.

„‘Tschuldige. Ich soll Nats Butler übermitteln, dass er die Gäste später über den Garten zu uns bringen soll. Wir haben entschieden, dass wir die Party auf die Terrasse verlegen, weil es so schön warm ist, und jetzt stellen wir Fackeln auf und besorgen mehr Sitzmöbel. Dabei kam ich hier vorbei und habe dich singen hören.“

Ich verbot meinem Gesicht, rot anzulaufen. „Tja, das mache ich manchmal, wenn ich unter der Dusche stehe und denke, dass ich ungestört bin.“

Der Vorwurf in meiner Stimme ließ Erheiterung in Jacks Augen aufflackern. Das Licht aus dem Gästezimmer spiegelte sich wie Flammen darin wider. „Sorry, ich wollte nicht spannern“, sagte er und nahm das Bein runter. „Aber falls es dich tröstet: Du singst wunderschön.“

Ich ließ nicht zu, dass sein Kompliment eine Bedeutung für mich hatte, und lächelte seine Worte ungerührt weg. „Ich wette, das sagst du jeder Frau, die du beeindrucken willst.“

„Falsch gewettet. Und tatsächlich kenne ich mich ein wenig mit Musik aus. Meine Mutter war Sängerin … bevor sie einer missglückten Operation am Stimmband zum Opfer fiel. Sie konnte nie wieder richtig singen.“

Der plötzliche Schmerz in seiner Stimme sickerte auf direktem Wege in mein Herz. Vor allem, weil Jack den Eindruck machte, als fragte er sich, warum er mir das erzählte.

„Das tut mir sehr leid. Es muss hart für sie sein, nicht mehr das machen zu können, was sie geliebt hat.“

„Du hast ja keine Ahnung.“

Einen Moment sagte niemand von uns etwas, wir sahen uns nur an. Dann fragte ich: „Soll ich dich begleiten?“ Ich wusste selbst nicht, warum ich es vorschlug. Vielleicht aus Mitleid für seine Mutter.

      Doch Jack schien es nicht eilig zu haben, den Butler aufzusuchen. Langsam stieß er sich von der Wand ab, und als er auf mich zukam, hatte sein Blick so gar nichts Bedauerndes mehr. „Ich würde viel lieber das hier tun.“

      Er drängte mich an die Wand neben der Tür, und ich schnappte überrascht nach Luft, als ich mit dem Rücken dagegen stieß. „Was wird das?“, fragte ich und legte Einhalt gebietend eine Hand auf seine Brust.

     Jack sah auf mich herunter. Seine Augen blitzten wie Klingen auf, aber nicht vor Zorn, wie ich begriff, sondern vor Verlangen. Er war mir jetzt so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Stirn spürte. „Sag mir, dass du das hier nicht willst. Sag mir, dass du dir, seit wir im Wasser waren, nicht vorgestellt hast, wie ich meine Lippen auf deine lege, und ich höre sofort auf.“ Jedes Wort tanzte über meine Nervenenden. Langsam beugte er sich zu mir herunter, brachte seine Lippen an mein Ohr und raunte sinnlich: „Denn ich tue es.“

     Damit kam Jack wieder hoch und musterte mich mit diesen faszinierenden, dunklen Augen, die mit einem Mal den ganzen Flur einnahmen. Ich konnte die Leidenschaft darin kaum ertragen. Sie kurbelte meinen Herzschlag an, erfüllte mich mit einem vorfreudigen Kribbeln und pulsierte zwischen meinen Beinen.

     „Du bist wirklich gut“, gestand ich ein. „Du schaffst es, mir das Gefühl zu geben, ich wäre die begehrenswerteste Frau auf der Welt. Dabei ist alles nur gespielt. Wirklich beeindruckend.“

     Jacks Augen glühten im Halbdunkeln, als er fragte: „Wer sagt, dass es gespielt ist?“

     Ich sagte das. Die unzähligen Frauen, die seiner Wette zum Opfer gefallen waren, sagten das. Trotzdem radierten seine Worte meine letzte Selbstbeherrschung aus. Scheiß drauf , dachte ich. Das hier war rein körperlich, und ich wollte mich nicht bis in alle Ewigkeit fragen, wie es wohl gewesen wäre, Jack zu küssen. Er wollte sich mit mir amüsieren? Gut, dann würde ich das auch tun.

      Ich kapitulierte, indem ich die Hand von seiner Brust nahm.

      Mehr brauchte Jack nicht.

    Seine Lippen legten sich auf meine. So viel zarter, als ich erwartet hätte, ja, geradezu gefühlvoll. Mein Hinterkopf sank gegen die Wand, und ich stöhnte auf, als er eine Hand in meinen Nacken schob und den Kuss intensivierte. Gefangen zwischen der Wand und Jacks gestähltem Körper, der sich jetzt der Länge nach an mich presste, öffnete ich die Lippen. Hieß seine warme, geschickte Zunge willkommen, die wunderbare Dinge mit mir anstellte. Dinge, von denen ich mir wünschte, dass er sie an anderer Stelle fortführen würde.

      Jack verschlang mich mit Haut und Haaren.

Ich konnte mir seine geballte Leidenschaft nicht erklären, aber etwas an mir musste ihn unheimlich anmachen, sonst würde ich jetzt nicht seine Bereitschaft spüren. Knurrend rieb er seine Beule an meinem Becken, und ich stöhnte in seinen Mund, vergaß mich vor Lust. 

Erst als Jack zusammenzuckte, erwachte ich aus meiner Trance.

Ohne es zu merken, hatte ich meine Hand in seine Hose geschoben und ihn umschlossen.

Jack lehnte sich zurück und starrte mich keuchend und aus großen Augen an. Seine Härte pulsierte in meiner Hand, warm und glatt wie Seide. 

Auf einmal lachte er: „Na, du fackelst ja nicht lange, was?“

Atemlos blickte ich zu ihm hinauf. In seinen Augen tanzte das gleich wilde Feuer, das sich auch in meinen wiederfinden musste. „Ich dachte, das ist das, was du willst.“ Meine bebende Stimme war kaum wiederzuerkennen.

„Schon, aber wenn wir es jetzt miteinander treiben, werden die anderen es mitbekommen. Die Party hat noch nicht mal angefangen.“ Tief atmete Jack durch, dann zog er meine Hand aus seiner Hose – was ihm, dem gequälten Stöhnen nach zu urteilen, nicht leichtfiel. „Warten wir, bis sie sich alle zugedröhnt haben, dann sind wir ungestört.“

„Wer sagt, dass ich das überhaupt will? Vielleicht wollte ich dich ja nur aufgeilen und dann unbefriedigt zurücklassen?“, behauptete ich stichelnd. Mein Körper schrie bei diesen Worten protestierend auf, aber Jack kaufte mir die Worte nicht ab.

Lächelnd schob er eine Hand in meinen Nacken, und ich drohte, in seinem lüsternen Blick zu ertrinken. „Das wäre sehr grausam von dir. Außerdem kannst du mir vielleicht etwas vormachen, aber dein Körper nicht. Er schreit förmlich danach, von mir beglückt zu werden.“

„Ich wurde eben ewig nicht mehr flachgelegt“, erklärte ich nüchtern. „Das ist eine ganz natürliche Reaktion. Genauso gut hätte Wyatt mir hier auf dem Flur auflauern können. Er hätte mich genauso angemacht.“

„Rede dir das ruhig ein.“ Mit dem Daumen strich Jack über meine Lippen und drang damit halb in meinen Mund ein. Es war unverkennbar, wie erregt wir beide waren. Unser beider Atem ging stoßweise, Jacks Blick war fiebrig vor unerfülltem Verlangen, und meine aufgerichteten Brustwarzen drückten schmerzhaft gegen mein Bikinioberteil, schrien danach, von seinen erfahrenen Händen befreit zu werden.

Dann küsste er mich erneut.

Ungestüm und voll dunkler Versprechungen.

Dieser Kuss … er war alles, was ich mir je von einem Kuss erträumt hatte. Er ließ meine Sinne davonfliegen und machte unsere Umgebung, unsere Wette bedeutungslos. Ich bekam kaum mit, wie Jack sich von mir löste und verkündete, dass er jetzt den Butler aufsuchen würde. Erregt und atemlos stand ich einfach nur da und sah zu, wie er in der Dunkelheit verschwand.

 

 

 

Devils Club LOGO

 

Eine Stunde später platzte die Terrasse fast aus allen Nähten, weshalb wir die Schiebetüren öffneten, damit sich die Gäste zwischen dem Wohnzimmer und dem ausgedehnten Vorbau frei bewegen konnten. Von wegen ein paar Mädels einladen. Es waren 15 neue Personen hinzugekommen, darunter auch Jungs, und so oft wie Wyatt telefonierte, schienen bald noch weitere einzutreffen. Die Musik dröhnte mir in den Ohren, auf den Tischen und Ablagen stapelten sich Flaschen, gefüllte Becher und Snacks, und die Luft war von Zigarettenrauch und süßen Dampfschwaden erfüllt. Ich mochte ja solche spontanen Partys, die erst klein anfingen und sich dann wie ein Lauffeuer ausbreiteten. Das waren oft die Partys, die unvergesslich wurden.

Apropos unvergesslich.

Nach meinem sinnlichen Intermezzo mit Jack war ich geradewegs zur Bar marschiert und hatte mir einen Cocktail hinter die Binde gekippt, um mein aufgewühltes Gemüt zu beruhigen. Das hatte allerdings nur bedingt funktioniert, und nun nippte ich an meinem zweiten Mischgetränk und versuchte, Jacks Blicke, die er mir quer durch den Raum zuwarf, zu ignorieren. Er hatte sich mir nicht noch einmal genähert, nachdem er von seinem Auftrag zurückgekehrt war. Dafür lächelte er jedes Mal verführerisch, wenn sich unsere Blicke trafen.

Was sollte das?

Machte er sich über mich lustig, oder wollte er mich so richtig scharf machen, bevor wir miteinander ins Bett gingen? Ich ließ mir jedenfalls nichts anmerken und hielt mich mal auf der überfüllten Terrasse und mal drinnen auf. Dabei beobachtete ich die Hot Devils in ihrem natürlichen Habitat und stellte wenig überrascht fest, dass sie sich nicht anders als im Club benahmen. Sie flirteten pausenlos und waren von aufgetakelten Frauen, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten, nur so umringt. Es kam mir fast vor, als machten die Damen einen Wettkampf daraus. Wer schaffte es am schnellsten, einen Hot Devil herumzukriegen?

Dabei gingen sie nicht gerade zimperlich vor.

Eine Blondine hatte sich rittlings auf Nataniels Schoß gesetzt und knabberte an seinem Ohr. Ich bezweifelte allerdings, dass er großartig etwas davon mitbekam, denn sein Blick war verschleiert und in seiner Hand qualmte wieder ein Joint. Wie viele hatte er davon schon geraucht? Ein Sofa weiter wurde Logan von nicht weniger als drei Frauen belagert, eine hübscher als die andere. Doch er schien mehr an der Unterhaltung als an ihren in Szene gesetzten Körpern interessiert zu sein. Wyatt tanzte mit einer Fluppe in der einen und einem Becher in der anderen Hand quer durchs Wohnzimmer und Jack … sah in diesem Moment wieder in meine Richtung.

Schmunzelnd wandte ich den Blick ab und ließ mich, mangels freier Plätze, neben unserem Gastgeber nieder. Etliche Leute drängelten sich auf der Sofagruppe, entsprechend laut war der Stimmpegel um mich herum. Nicht, dass es mich störte. Ich war gern unter Leuten und hatte auch nichts gegen Feiernde, die über die Stränge schlugen. Aber die zwei Typen neben mir grölten so laut, dass mir fast die Ohren abfielen.

Ich wandte das Gesicht ab, aber das war auch nicht besser, da es neben mir ordentlich zur Sache ging. 

„Gott, ich bin so unfassbar scharf auf dich“, raunte die Blondine unserem Gastgeber ins Ohr. Sie biss ihm fast das Ohrläppchen ab, so energisch knabberte sie daran. Und Nataniel? Der schien jetzt doch etwas zu spüren, wenn ich sein Stöhnen richtig interpretierte.

Ich schmunzelte in mich hinein, weil Amy an meiner Stelle spätestens jetzt das Weite gesucht hätte. Für sie war es schon ein Affront, in der Öffentlichkeit zu knutschen. Dabei zuzusehen, wie es zwei fast miteinander trieben, würde sie schreiend davonrennen lassen.

Lachend nippte ich an meinem Cocktail, als Nataniel mir seinen Joint in die Hand drückte. „Kannst du mal kurz halten?“, bat er mich, während die Blondine von seinem Schoß kletterte. Schwerfällig stand er auf, dann verschwanden die beiden durch eine Tür am anderen Ende des Raumes. Ich vermutete in sein Schlafzimmer.

Ich betrachtete den Joint in meiner Hand, der garantiert noch vor Nataniels Rückkehr heruntergebrannt sein würde. Ich sollte ihn ausmachen oder ihn an jemand anderen weiterreichen. Oder du ziehst mal dran , dachte ich und setzte meinen Gedanken prompt in die Tat um. Es war Ewigkeiten her, dass ich das letzte Mal gekifft hatte. Wobei kiffen in meinem Fall bedeutete, ein-, höchstens zweimal daran zu ziehen, und das vielleicht einmal im Jahr. 

Ich sah keinen Sinn darin, mich dermaßen zuzudröhnen, dass ich keinen anständigen Satz mehr zustande brachte. Da trank ich lieber einen leckeren Cocktail, dessen Wirkung ich wenigstens einschätzen konnte.

Nachdem ich mir nach einem kräftigen Zug fast die Seele aus dem Leib gehustet hatte, reichte ich das qualmende Ding an meine lärmenden Sitznachbarn weiter, die es dankend entgegennahmen. Eine Weile wartete ich darauf, dass das Gras wirkte, aber ein Zug war offenbar nicht genug gewesen, denn ich fühlte mich auch nach 5 Minuten nicht anders. Na ja, war mir auch egal. Ich ging in die Küche, knabberte eine Handvoll Chips und trank ein Glas Wasser. Zum Takt der Musik wippend ließ ich meinen Blick umherschweifen … und blieb an Wyatt und Jack hängen, die auf der Terrasse stehend die Köpfe zusammengesteckt hatten. Ich hätte ihnen keine weitere Beachtung geschenkt, hätten sie nicht beide zu mir gesehen.

Im Ernst?

Redeten sie etwa schon wieder über mich?

Mit dem Cocktail in der Hand bahnte ich mir einen Weg zwischen den Feiernden hindurch und trat in die milde Nacht hinaus. Ein Teppich aus funkelnden Sternen spannte sich über den Himmel und sorgte zusammen mit den brennenden Fackeln für eine romantische Atmosphäre. Als ich die besten Freunde erreichte, trat Wyatt einen Schritt zurück und lehnte sich mit einem gedehnten Lächeln an die Balustrade. Ich musterte die zwei abwechselnd.

„Sagt nicht, ihr tuschelt schon wieder über mich.“

Wyatt zwinkerte mir nur zu, Jack fuhr sich leise lachend durchs Haar. „Nur, weil wir die Köpfe zusammenstecken, heißt das nicht, dass wir jedes Mal über dich reden.“

Ich forschte in seinem Blick, der zu heiter und zu verdorben war, um aufrichtig sein zu können. „Warum habe ich das Gefühl, dass du mich anlügst?“

Anzüglich leckte er sich die Lippen, und mich überlief eine Gänsehaut, als sein Blick über meine Kurven wanderte. In einem Zug leerte Jack sein Glas, dann beugte er sich zu mir herunter und sagte dicht an meinen Lippen: „Weil du offenbar gute Instinkte hast.“ Mit diesen Worten und einem geheimnisvollen Lächeln schlenderte er davon.

„Oh Mann!“, murmelte Wyatt neben mir. „Du bist ja so was von am Arsch.“

Ich riss den Blick von Jack los und betrachtete den Lockenkopf. „Wie meinst du das?“

„Jack findet Gefallen an dir, das merkt man.“

„Wäre auch seltsam, wenn nicht, oder? Immerhin soll ich doch sein nächstes Opfer sein.“

Wyatt ging nicht auf meinen spöttischen Ton ein und erklärte: „Ich meine, dass er offensichtlich nicht nur Interesse im Rahmen der Wette an dir hat. Das macht ihn noch gefährlicher, als er ohnehin schon ist. Für dein Herz, meine ich.“

Stirnrunzelnd musterte ich den Stripper, dessen dunkle Locken sich sanft im Wind bewegten. Wir waren nicht die Einzigen auf der Terrasse, deshalb senkte ich die Stimme, als ich fragte: „Versuchst du gerade durch die Blume mich vor deinem besten Freund zu warnen?“

Wyatt sah in die Richtung, in die Jack gegangen war. „Er ist ein anständiger Kerl, aber …“

„Ja?“, hakte ich neugierig nach, als er nicht weitersprach.

Wyatt seufzte, bevor er seine kaffeebraunen Augen wieder auf mich richtete. „Denk einfach immer daran, dass alles nur ein Spiel ist, Willow.“

    „Das tue ich. In jeder Minute, die ich mit euch zusammen bin.“

     Ich sagte absichtlich euch , denn auch Wyatt hatte im Club angekündigt, mich erobern zu wollen. Somit stellte er die gleiche Gefahr für mein Herz dar wie Jack. Auf meine Worte reagierte er mit einem Lippenzucken. Gut so. Er sollte wissen, dass ich ihm genauso misstraute wie seinem besten Freund. Doch seine Worte irritierten mich. Warum warnte Wyatt mich vor Jack? Das war doch auch für ihn kontraproduktiv. Oder dachte er, er hätte sowieso keine Chance gegen seinen Freund und wollte uns deshalb gegeneinander ausspielen?

     „Hat dir der Kuss mit Jack gefallen?“, wechselte Wyatt das Thema.

„Also habt ihr doch über mich geredet“, begriff ich, teils verärgert, teils belustigt: „Warum willst du das wissen? Hat Jack sich damit vor dir gerühmt?“

„Nein, gar nicht, und er hat es mir auch nicht von sich aus erzählt. Aber für jemanden mit meiner Erfahrung ist es offensichtlich, dass zwischen euch etwas gelaufen ist. Mir war gleich klar, dass Jack die Gelegenheit nutzen und dich in der Dusche abfangen würde. Du hast dich ihm ja quasi auf dem Silbertablett serviert.“

Ich betrachtete Wyatts bildschönes Gesicht und fragte schmunzelnd: „Höre ich da etwa Eifersucht heraus?“

Mein Gegenüber grunzte. „Ich bin nie eifersüchtig, Süße. Und wer sagt denn, dass wir dich nicht beide haben können?“

Fast hätte ich mich an meiner Spucke verschluckt. „Du meinst … einzeln? Oder zusammen?“

Wyatt, der offenbar mit einer empörten Abfuhr gerechnet hatte, riss verblüfft die Augen auf. Er musterte mich kurz, dann lachte er. „Verdammt soll Jack sein! Wir haben gewettet, ob du zu prüde für einen Dreier bist oder nicht. Ich habe dafür gestimmt, Jack dagegen.“

Ich grinste verschlagen. „Kopf hoch, du bist nicht der Erste, der mich unterschätzt. Muss an meinem unschuldigen Gesicht liegen. Also, was ist jetzt mit dem Dreier? Wie habt ihr euch das vorgestellt?“

Eine Hand noch auf der Brüstung beugte Wyatt sich zu mir herunter. In seinen Augen funkelte es, als würden sich die Sterne darin widerspiegeln. „Das überlassen wir ganz dir. Jack und ich sind für alles offen.“ Er richtete sich wieder auf und schenkte mir ein schiefes Lächeln. „Aber überleg nicht zu lange, sonst suche ich mir für heute eine andere.“

Damit ließ auch er mich auf der Terrasse zurück.

Kurz zweifelte ich an meinem Verstand, beziehungsweise an meiner Nüchternheit. Hatte er mir wirklich einen Dreier mit Jack angeboten, oder wirkte das Marihuana jetzt doch? Aufgewühlt verfolgte ich, wie Wyatt ins Wohnzimmer ging, wo er sich tanzend an die nächstbeste Frau heranschmiss. Er schien unersättlich zu sein, was das Feiern anging. Vielleicht ja auch in anderer Hinsicht. Ich war wahrlich nicht prüde, aber an einen Dreier hatte ich mich bisher noch nicht herangetraut. Das lag zum einen daran, dass ich keine jungen Männer kannte, die offen genug dafür wären, und zum anderen, dass sich wohl nur die wenigsten Heteros auf einen zweiten Mann einlassen würden.

Dieses Thema hatte also nie zur Debatte gestanden.

Bis jetzt.