Kapitel 9

 

 

 

 

Auf unserer Fahrt in die Innenstadt punktete Willow mit ihrer humorvollen, unkomplizierten Art, sich zu unterhalten. Peinliche Momente gab es nicht, und wenn wir mal für ein paar Minuten schwiegen, war es zu keiner Zeit unangenehm. So eine lockere Atmosphäre kannte ich sonst nur von meinen Kumpels. Willows Vorgängerinnen waren entweder so nervös in meiner Nähe gewesen, dass sie keinen Ton über die Lippen bekommen hatten, oder sie hatten pausenlos gebrabbelt. Meine Beifahrerin tat nichts dergleichen. Sie redete nur, wenn sie auch etwas zu sagen hatte. Das gefiel mir

    „Wie lief die Klausur?“, erkundigte ich mich und drehte an der Klimaanlage herum. Heute war wieder einer dieser Tage, an denen man sich am liebsten in seinem Kühlschrank verkriechen und die Hitze aussitzen würde.

    „Ganz gut, denke ich. Aber bei mir ist das wie mit dem Glücksspiel. Mal schreibe ich Bestnoten und dann wieder totale Flops.“

Ich schmunzelte und sah im Augenwinkel, wie sie zu mir schaute. „Was hast du damals studiert?“

„Architektur.“

„Du sagtest neulich, du hast das Studium abgeschlossen, richtig?“

„Ja, mit Bestnote sogar.“

Das Unverständnis war ihr anzuhören, als sie fragte: „Aber wozu hast du studiert, wenn du am Ende in einem Nachtclub tanzt? Oder machst du das nur nebenberuflich?“

„Wie ich neulich am See schon sagte: Ich habe es nicht eilig, mir einen seriösen Job zu suchen.“

„Richtig“, sagte sie mit einem Lächeln und lehnte den Kopf zurück. „Du hältst ja nichts davon, Pläne zu schmieden.“

„Das stimmt so nicht ganz. Ich habe Pläne“, widersprach ich und lenkte den Wagen auf den Freeway. „Ich will mich zum Beispiel später mal als Innenarchitekt selbstständig machen. Aber ich gehe die Dinge gern langsam an und jage meinen Zielen nicht fieberhaft hinterher. Ich bin schließlich nur einmal jung.“

„Wie man unschwer an deinem Frauenverschleiß erkennt“, bemerkte sie trocken.

„Eifersüchtig?“

Willow schnaubte belustigt. „Wie könnte ich eifersüchtig auf etwas sein, was ich schon hatte?“

Mein Mund dehnte sich so weit, dass es fast schmerzte. „Woher willst du wissen, dass du mich hattest? Deine Augen waren verbunden, es könnte auch nur Wyatt gewesen sein.“

Den Kopf noch immer zurückgelehnt drehte Willow ihn zu mir, und als ich ihr einen flüchtigen Blick zuwarf, lächelte sie träge. „Weil ich den Unterschied gespürt habe, Jack.“ Ihre Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Mein Blick zuckte zu ihren nackten Schenkeln, die in der ausgefransten Shorts fast vollständig zu sehen waren. „Könntest du dich bitte auf die Straße konzentrieren, Sullivan?“ Willow klang, als wäre sie zwischen Belustigung und Besorgnis gefangen.

Lächelnd zwang ich meinen Blick wieder geradeaus und bat: „Sag das noch mal.“

„Was?“

„Meinen Nachnamen.“

„Sullivan?“

Keine Ahnung, warum, aber aus ihrem Mund bescherte mir der Klang meines Nachnamens ein wohliges Kribbeln im Magen. „Gefällt mir, wenn du ihn sagst.“

Willow tat meine Worte mit einem amüsierten Kopfschütteln ab und schaute wieder aus dem Fenster.

20 Minuten später reihten wir uns in die Warteschlange eines Geschäfts ein, das sich Vodoo Doughnut nannte und so perverse Varianten wie Karamell-Donuts mit gebratenen Speckstreifen anbot. Willow ging hier wohl häufiger essen, und sie machte kein Geheimnis aus ihrer Donut-Obsession. Noch perverser als die Kreationen war die Wartezeit von einer halben Stunde. Aber was tat man nicht alles, um eine Frau zu beeindrucken?

Mit einem beladenen Tablett begaben wir uns auf die hauseigene Terrasse und hatten Glück, dass gerade ein Tisch frei wurde. Wir nahmen Platz und ich stellte das Tablett mit Willows Donuts und unseren Eiskaffees in die Tischmitte. Die große Terrasse war bis auf den letzten Tisch besetzt, und wohin ich meinen Kopf auch drehte, erblickte ich diese grauenhaften Donuts. Mit leichtem Ekel verfolgte ich, wie meine Begleiterin sich über ihr Essen hermachte. Ich selbst schlürfte meinen Eiskaffee.

„Danach kann ich dich nie wieder küssen“, entfuhr es mir.

Lachend biss Willow in diese … diese Perversion hinein, kaute und leckte sich dann genüsslich die Lippen. „Gut, dann kannst du wenigstens nicht mehr über mich herfallen, wie im Zimmer vorhin.“

     „Als ob dir das nicht gefallen hätte.“

Willow hob den Blick und sah mich eine Weile an. Schmunzelnd sagte sie: „Okay, zugegeben, das hat es. Aber weißt du, was mir noch viel mehr gefällt? Das hier.“ Sie nahm den Speck, an dem noch Zuckerreste klebten, und schob ihn sich in den Mund.

„Du kannst echt abtörnend sein“, murmelte ich angeekelt. Wieder lachte Willow, und sie ahnte nicht, was es mit mir anstellte. Ihr Lachen klang, wie sich ein kühler Luftzug an einem heißen Sommertag anfühlte: erfrischend und sehr willkommen.

Nachdem Willow ihre Donuts vertilgt hatte, machte sie sich über ihr Getränk her. Meins hatte ich schon ausgetrunken, und so beobachtete ich, wie sie an den Resten ihre Eiskaffees schlürfte. Sie setzte das Glas gerade ab, als mir zwei junge Frauen ein paar Tische hinter Willow ins Auge fielen. Ich spürte ihre Blicke schon seit einer Weile auf mir, hatte es aber meinem Aussehen zugeschrieben. Als ich jetzt offen zu ihnen hinübersah, bemerkte ich zu spät, dass sie mich heimlich mit ihren Handys filmten. Na großartig! Sie hatten mich offenbar wiedererkannt. Stöhnend wandte ich den Blick ab. Wie ich es hasste, wenn man ungefragt Fotos oder Videos von mir machte.

„Was ist?“, fragte Willow, der meine Reaktion nicht entgangen war. Etwas Milchschaum klebte an ihrem rechten Mundwinkel und sie leckte ihn weg.

Nat hätte die beiden jetzt quer über die Tische angeschnauzt. Er konnte es noch weniger leiden, gestalkt zu werden. Ich hingegen winkte nur ab und nuckelte genervt an meinem Getränk. Doch da drehte Willow sich schon um, suchte die Tische mit Blicken ab und fand die zwei, die mich noch immer ungeniert fotografierten. Jetzt war auch Willows Gesicht mit im Bild. Keine Ahnung, was ich gedacht hatte, wie sie reagieren würde, aber ich hätte nie erwartet, dass sie aufstehen und zu den beiden hinübergehen würde. Was ging denn jetzt ab? Wollte sie ihnen etwa eine Szene machen? Vor all den Leuten hier? Mit wenigen Schritten war Willow bei ihnen, lächelte freundlich auf die jungen Frauen herunter und bot ihnen dann an, zu uns zu kommen und ein Selfie mit mir zu schießen.

Schon schoben sie aufgeregt ihre Stühle zurück, und ich setzte ein professionelles Lächeln auf, als sie zu mir herüber kamen. „Diese beiden hätten gern ein Foto mit dir“, erklärte Willow mir vergnügt. „Hast du etwas dagegen?“

Geht ja wohl schlecht, wenn du sie mir vor aller Augen aufzwingst. Laut säuselte ich: „Wie könnte ich bei so entzückenden Wesen etwas dagegen haben?“

Augenzwinkernd schob ich den Stuhl zurück, stand auf und legte jeder der Frauen einen Arm um die Schulter. Dann schoss Willow Fotos mit ihren Handys und gab sie ihnen zurück. Die Frauen bedankten sich bei uns, und da nun sämtliche Blicke auf uns gerichtet waren, machten wir, dass wir hier wegkamen.  

    „Was sollte die Aktion?“, fragte ich Willow, kaum, dass wir auf der Straße waren. Ich hatte aus Parkplatzmangel zwei Kreuzungen weiter parken müssen, und nun hatten wir einen kleinen Fußmarsch vor uns.

   Sie zuckte die Schultern. „Ich habe mir vorgestellt, wie ich mich fühlen würde, wenn nur ein paar Tische weiter jemand sitzen würde, den ich bewundere. Und ich dachte mir, für dich ist das doch bestimmt Alltag.“

   War es tatsächlich, dennoch … „Die meisten Frauen werden eifersüchtig, wenn ich vor ihrer Nase mit anderen Fotos mache.“

   Willow schnaubte ungläubig. „Wieso das denn? Es sind doch bloß Fotos. Du schiebst ihnen ja nicht die Zunge in den Hals! Wobei ... nach deiner Aktion in meinem Zimmer …“

    Lachend legte ich einen Arm um ihre Schulter – ich konnte einfach nicht aufhören, sie zu berühren – und zu meiner Verblüffung ließ Willow es zu. „Irgendwelche Vorschläge, was wir jetzt machen wollen? Meine Schicht beginnt erst um 19 Uhr. Wir haben also noch knapp vier Stunden.“

    „Willst du dich vorher nicht ausruhen?“

    „Und auf die kostbare Zeit mit dir verzichten? Auf keinen Fall! Irgendwie muss ich die letzten drei Tage doch aufholen.“

   Erheitert blickte sie zu mir empor. In der prallen Sonne wirkten ihre Sommersprossen dunkler als sonst. „Im Ernst, Jack. Wenn du lieber ein Nickerchen vor deiner Nachtschicht machen willst, ist das kein Problem.“

    „Ein Nickerchen zu machen, ist aber nicht annähernd so schön, wie Zeit mit dir zu verbringen.“ Die Worte rutschten mir einfach heraus. Zum Glück interpretierte Willow sie als billige Masche, um ihr Herz zu erobern. Augenrollend boxte sie mir in die Seite, sodass ich sie wieder loslassen musste, und ich kaschierte mein Entsetzen über das eben Gesagte mit einem spöttischen Wackeln meiner Augenbrauen.

„Also, was schwebt dir vor?“

 

Devils Club LOGO

 

Willow schlug einen Spaziergang im Park vor, und so schlenderten wir unter den dichten Baumkronen entlang, immer darauf bedacht, nicht in die pralle Sonne zu treten. Im Schatten der Bäume ließ sich die Hitze schon besser ertragen, dennoch konnte ich es kaum erwarten, dass sich der Tag dem Ende zuneigte und die Temperaturen sanken. Als wir eine knappe Stunde später wieder in mein Auto stiegen, war es an der Zeit, Willow meinen Vorschlag zu unterbreiten.

Ich startete den Motor, um die Klimaanlage einzuschalten, und sagte wie beiläufig: „Wirf mal einen Blick ins Handschuhfach. Da ist etwas für dich.“

   Sie zögerte. „Etwas Gruseliges wie eine Plastikspinne? Oder etwas Perverses? Denn wenn du mir Sexspielzeug zeigen willst …“

„Öffne es einfach“, unterbrach ich sie amüsiert.

Schmunzelnd kam Willow meiner Aufforderung nach, zog ein Dokument aus dem Fach und las laut daraus vor. „Bescheinigung für sexuell übertragbare Infektionen. Auf folgende Infektionen wurde der Patient Jack Sullivan negativ getestet.“ Dann ratterte sie sämtliche Geschlechtskrankheiten herunter, die auf dem Dokument aufgelistet waren. Als sie fertig war, lachte sie. „Wow! Legst du allen Frauen, mit denen du schläfst, so einen Test vor?“

„Nur denen, die ich besonders ins Herz geschlossen habe.“ Vielsagend grinste ich sie an, dann fragte ich: „Und, was sagst du?“

„Was soll ich dazu sagen? Herzlichen Glückwunsch?“

Sie machte sich über mich lustig, doch ich ließ mich von ihr nicht provozieren und fragte ruhig: „Wirst du dich auch untersuchen lassen? Der Test ist kostenlos, anonym und man bekommt die Ergebnisse innerhalb von 24 Stunden per Mail zugeschickt.“ Ich zeigte auf das Ausstellungsdatum. „Siehst du? Er ist von gestern. Ich bin absolut clean.“

Als Willow sich abermals dem Dokument zuwandte, wirkte sie nicht mehr so sarkastisch. Im Gegenteil, ich hätte schwören können, dass ihre Wangen Farbe bekommen hatten. „Ich weiß, wie so ein Test abläuft“, sagte sie. „In meinem Institut bieten wir den auch an. Das letzte Mal habe ich mich vor einem halben Jahr testen lassen.“

Hieß das, sie hatte so lange keinen Sex mehr gehabt? Neulich bei Nat hatte sie gesagt, es wäre schon eine Weile bei ihr her. Aber da hatte ich geglaubt, sie würde von Wochen oder Monaten reden. Die Männer mussten bei ihr doch Schlange stehen. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sah Willow mich an. Ihr Blick war schwer zu deuten. „Du willst also ungeschützten Sex mit mir?“

   „Ungeschützt klingt in diesem Zusammenhang irgendwie falsch. Wir schützen uns ja. Mit den Tests. Aber ja, ich würde gern das Kondom weglassen.“

    Ich beobachtete ihre Reaktion, und es schien, als würde mein Angebot sie in einen inneren Konflikt stürzen. „Wer sagt mir, dass du nebenbei nicht ungeschützt mit anderen Frauen schläfst?“ Jetzt troff ihre Stimme wieder vor Sarkasmus, und so langsam glaubte ich ein Muster in ihrem Verhalten zu erkennen. Willow schien immer dann mit Hohn zu reagieren, wenn sie unsicher oder ihr etwas peinlich war.

    „Traust du mir wirklich zu, dass ich diesen Aufwand betreibe, nur, um dann hemmungslos in der Gegend herumzuvögeln?“

    „Du bist ein Hot Devil. Ihr habt doch bestimmt jeden Tag Sex.“

Ungerührt lächelte ich ihre Provokation weg und erklärte: „Ich weiß zwar nicht, was man sich für Gerüchte über uns erzählt, aber ich kann dir versichern, dass ich nicht jeden Tag Sex habe. Erstens wäre mir das viel zu stressig, da ich mir ständig neue One-Night-Stands suchen müsste, und zweitens verlangen unsere Tanzshows uns körperliche Höchstleistung ab. Ich hätte gar nicht die Energie, mich jeden Tag noch zusätzlich so zu verausgaben.“

Das brachte Willow zum Lachen. Sie sah mich noch einen Moment an, dann überraschte sie mich, indem sie sagte: „Gut, ich mach’s. Ich lasse mich am Sonntag auf der Arbeit testen.“ Sie legte das Dokument ins Handschuhfach zurück, und ich erschauderte. Die Aussicht, sie ohne Kondom spüren zu können, setzte meinen Körper unter Hochspannung. Allerdings hatten wir das Wichtigste noch nicht geklärt.

„Verhütest du?“

„Ja, ich habe eine Spirale.“

„Kannst du das beweisen?“

„Klar.“ Sie kramte ihr Portemonnaie aus der Handtasche, zog einen lilafarbenen Ausweis heraus und reichte ihn mir. „Das ist ein Implantatausweis, ausgestellt von meinem Frauenarzt. Dort steht, wann die Spirale eingesetzt wurde und wann sie wieder entfernt wird.“

Aufmerksam las ich die Angaben darauf, dann gab ich ihr den Ausweis wieder zurück. „Dann ist es beschlossene Sache?“

Lächelnd biss Willow sich auf die Unterlippe. „Sieht so aus.“

 

 

Willow

 

Am Samstagmorgen rief Amy mich an und teilte mir begeistert mit, dass sie spontan freibekommen hatte, weil eine Kollegin mit ihr die Schicht hatte tauschen wollen. Da es nur etwa einmal alle Jahrhunderte vorkam, dass Amy und ich zusammen frei hatten, rief ich Jack daraufhin an und sagte ihm für heute ab. Anfangs hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen – ich hatte immerhin versprochen, ihm mehr Zeit zu widmen –, aber meine Zustimmung gestern hatte ihn offenbar in solche Hochstimmung versetzt, dass er sich verständnisvoll zeigte und uns sogar viel Spaß wünschte.

Amy und ich wollten so viel wie möglich vom Tag haben, deshalb fuhr ich schon morgens zu ihr, brachte Croissants vom Bäcker mit und frühstückte mit ihr und ihrer Schwester Nancy. Ihre Mutter Charlotte war schon auf der Arbeit. Sie war alleinerziehend, hatte zwei Jobs, und kümmerte sich so liebevoll um ihre Töchter, wie ich es nur selten gesehen hatte. Mit ihnen lebten noch zwei Maine Coon-Katzen namens Jack und Russel, die – warum auch immer – einen Narren an mir gefressen hatten und jedes Mal auf mir herumkletterten, wenn ich zu Besuch kam. So auch beim Frühstück, wo Russel es sich auf meinem Schoß bequem machte und Jack pausenlos um meine Beine scharwenzelte.

Nach dem Essen fuhren wir in die größte Buchhandlung des Landes und verbrachten dort Stunden mit Lesen und Herumstöbern. Andere Freundinnen hätten einen Beauty-Tag gemacht und sich die Nägel maniküren lassen, aber nicht wir Bücherwürmer. Mit unserer Ausbeute von insgesamt sieben Wälzern entspannten wir anschließend bei einem Stück Kuchen in unserem Lieblingscafé und redeten über Gott und die Welt. Dabei kamen wir wieder auf meine Wette mit Jack zu sprechen, allerdings erwähnte ich unseren jüngsten Beschluss mit keinem Wort. Es würde ihre Wut auf ihn und ihre Sorge um mich nur unnötig vergrößern.

Am späten Nachmittag stand ein Besuch im Kino an. Das hatten wir lange nicht mehr gemacht, und während ich so Popcorn mampfend neben Amy saß, wurde mir klar, wie sehr ich das hier vermisst hatte. Wenn man sich jeden Tag in der Uni sah, vergaß man schnell, auch Zeit außerhalb miteinander zu verbringen, fernab vom Unistress. Wir schworen uns, solche Tage öfter zu wiederholen, und als ich nach einem langen, unterhaltsamen Tag ins Bett fiel, war ich so erschöpft und glücklich wie lange nicht mehr.

    Am Sonntag arbeitete ich wieder im Institut, und ich nutzte meine Mittagspause, um mich testen zu lassen. Das war eine Angelegenheit von 10 Minuten. Ich wurde kurz beraten, füllte einen Bogen aus, bekam Blut abgenommen und durfte wieder gehen. Im Laufe des morgigen Tages würde man mir die Ergebnisse dann per Mail zuschicken. Damit stand meinem Vorhaben mit Jack nichts mehr im Wege. Dachte ich zumindest … bis ich am Montag in der Vorlesung eine Nachricht von meiner Mom bekam, in der stand, dass sich für den Nachmittag meine Cousine mit ihrer 6 Monate alten Tochter angekündigt hatte.

    Das war gelinde gesagt ungünstig, denn nach der Uni war ich mit Jack verabredet.

    Ich konnte ihm unmöglich schon wieder absagen. Das glaubte er mir doch langsam nicht mehr. Aber als ich Mom nach der Lesung anrief und mich subtil erkundigte, wie lange Amanda bleiben wollte, erfuhr ich, dass die beiden bereits den restlichen Tag verplant hatten. Mit Kaffeekränzchen, langem Spaziergang und abendlichem Restaurantbesuch. Jetzt konnte ich erst recht nicht absagen, denn mit meiner Mutter machte ich noch seltener Ausflüge als mit Amy. Ihr Beruf als Anwältin war zu zeitintensiv.

     Schlechten Gewissens wählte ich Jacks Nummer und zog mich in eine ruhige Ecke des Flurs zurück. Lange konnte ich allerdings nicht telefonieren, da Amy sicher schon unter der Magnolie auf mich wartete.

    „Hey, Willow, was gibt’s?“, begrüßte Jack mich gut gelaunt. Das war das erste Mal, dass ich mit ihm telefonierte. Es war seltsam, seine Stimme am Telefon zu hören, aber ich wollte ihm nicht wieder per Textnachricht absagen.

     „Hey, Jack. Du, das ist mir etwas peinlich, aber ich muss dich heute leider noch mal vertrösten.“

     „Okay? Ist etwas passiert?“

     „Nein, alles bestens. Meine Cousine kommt nur mit ihrem Baby zu Besuch, und ich sehe sie nicht so oft, deshalb ... Es tut mir wahnsinnig leid. Ich hätte den Tag wirklich gern mit dir verbracht.“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, bereute ich sie. Verdammt, warum hatte ich das gesagt? Weil es die Wahrheit ist , meldete sich eine Stimme in meinem Kopf, die ich nur zu gern zum Schweigen gebracht hätte. Aber sie hatte recht. Entgegen jeder Vernunft hatte ich mich auf den Tag mit Jack gefreut. Bedeutete das, dass ich anfing, ihn zu mögen? Mich in ihn zu verlieben? Am anderen Ende der Leitung war es auffallend still geworden. Sicher, weil auch Jack meine Worte gerade analysierte.

„Muss es nicht“, sagte er mit Verspätung, und ich war ihm dankbar, dass er auf meinen Fauxpas nicht einging. „Familie und Arbeit gehen vor. Dann wünsche ich dir viel Spaß heute.“

„Warte“, sagte ich eilig, da es klang, als wollte er auflegen. Vielleicht war es sein Verständnis, das mich dazu bewog, oder etwas anderes, über das ich lieber nicht so genau nachdenken wollte. Jedenfalls schlug ich vor: „Wie wäre es, wenn ich dich morgen Abend im Club besuche? Als Wiedergutmachung für die abgesagten Tage?“

Jack überlegte. „Ich hätte nicht viel Zeit für dich. Morgen habe ich drei Dates und eine Tanzshow.“

„Dann gucke ich dir eben zu. Du legst bestimmt einen Wahnsinns-Lapdance hin.“

Jacks Lachen strich durch das Telefon wie eine tatsächliche Berührung. „Du willst mir beim Flirten mit anderen Frauen zugucken?“

„Auf jeden Fall. Vielleicht lerne ich ja noch was vom Meister.“

„Also gut“, sagte er mit hörbar besserer Laune in der Stimme. „Dann sehen wir uns morgen Abend. Ich freue mich auf dich.“