Als wir 20 Minuten später auf das Gelände eines heruntergekommenen Trailer-Parks rollten, wirkte Jack nachdenklich. Wir hatten herumgealbert und gewettet, wer bei einem Sexentzug zuerst einknicken würde, aber je näher wir unserem Ziel gekommen waren, desto ruhiger war er geworden, bis er in drückendes Schweigen verfallen war. Jack sah angespannt aus, als bereute er es jetzt schon, mich mitgenommen zu haben. Als ich Kinder sah, die in schmutzigen Klamotten an uns vorbeirannten, da wurde mir klar, warum er seine Wohnsituation nicht an die große Glocke hängte.
„Du siehst schockiert aus“, bemerkte Jack mit einem grimmigen Lächeln. Er stoppte den Motor und verfolgte mit seinen dunklen Augen jede meiner Gesichtsregungen.
„Ich bin nicht schockiert“, sagte ich, nahm meine Handtasche und stieg aus. Ich schulterte sie, warf die Beifahrertür zu und sah Jack über das Autodach hinweg an. „Meine Cousine wohnt auch in einem. Ist doch nichts dabei.“ Dennoch schauderte ich, als mein Blick zum Nachbartrailer glitt, vor dem ein zwielichtig aussehender Mann auf einem Klappstuhl herumlungerte und uns beobachtete. Das hier war definitiv einer der ärmeren Parks. Nicht so ein schicker wie der, in dem meine Cousine lebte. „Aber ich denke, ich versteh jetzt, warum du damit hinter dem Berg hältst. Oder warum du Nataniels teuren Schlitten fährst und einen gewissen Lebensstandard vorgibst. Aus Imagegründen.“
„Armselig, oder? Im Club himmeln die Frauen mich an, aber sie würden es nicht mehr tun, wenn sie wüssten, dass ich in einem schäbigen Trailer lebe. Das passt nicht zu meinem Bad Boy-Image.“ Jack klang so verbittert, dass ich mich dazu verpflichtet fühlte, ihn aufzumuntern.
„Also, mir ist es egal, wo du wohnst, solange du mich um den Verstand vögelst.“
„Wie romantisch“, lachte Jack und steuerte auf einen himmelblau lackierten Trailer zu.
Ich folgte ihm mit den Worten: „Das soll auch nicht romantisch sein. Sonst hätte ich ja Gefühle für dich.“
Vor der Tür wandte Jack mir sein Gesicht zu. In seinen Augen stand ein grüblerischer Ausdruck. Vielleicht hast du die ja längst , bildete ich mir ein, darin zu lesen. Aber dann wandte er sich wieder von mir ab und klopfte an die Tür.
„Hast du keinen Schlüssel?“, erkundigte ich mich.
„Doch, aber meine Mutter mag keine unangekündigten Besucher.“
Als uns niemand öffnete, schloss Jack die Tür auf, machte einen Schritt in den Raum und stoppte dann unvermittelt. Der Geruch von abgestandenem Zigarettenqualm schlug mir entgegen und ließ mich die Nase rümpfen.
„Was ist?“, fragte ich und trat hinter ihm ein.
„Meine Mom … sie ist nicht da.“ Er ging ins Wohnzimmer, eine kleine Nische, in der ein Zweisitzer-Sofa, ein Fernseher und ein gläserner Couchtisch standen. Daran grenzte eine zusammengewürfelte Küche an, die ebenfalls nicht sehr groß war. Im Eingang verharrend beobachtete ich, wie Jack einen Notizblock vom Tisch nahm. Jemand hatte etwas darauf geschrieben. „Bin bei Bryce. Essen ist im Kühlschrank. Mom.“
An der Art, wie Jack die Brauen zusammenschob, merkte ich, dass ihm das missfiel.
„Ist das nicht gut?“, fragte ich vorsichtig und schloss die Tür hinter mir. „So sind wir allein.“
Mit dem Zettel in der Hand drehte er sich zu mir um. „Weißt du, wie erstaunlich das ist? Meine Mutter ist gefühlt seit Jahren nicht mehr aus dem Haus gegangen. Und wenn, dann nie weiter als bis zur Grenze des Trailer-Parks.“ Er senkte den Blick auf das Geschriebene. „Vielleicht tut der Arsch ihr doch ganz gut … zumindest in dieser Hinsicht.“
Er legte den Notizblock zurück, ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Während er darin offenbar nach etwas Essbarem suchte, sah ich mich weiter um. Es gab ein paar Fotos an den fleckigen Wänden. Hauptsächlich Kinderfotos von Jack, die mich zum Lächeln brachten. Ansonsten musste seine Mutter Kettenraucherin sein, denn die Zigarettenschachteln stapelten sich nur so auf den schäbigen Kommoden und Ablagen. Jetzt verstand ich, warum Jack keine Frauen mit hierher brachte. Wobei es mir herzlich egal wäre, wie er lebte, solange sein Charakter stimmte.
Ich wandte mich wieder Jack zu, der eine Frischhaltedose geöffnet hatte und am Inhalt schnupperte. Naserümpfend schloss er den Deckel wieder und stellte sie zurück. „Leider kann sie immer noch absolut nicht kochen.“
Mein Blick fiel auf einen angrenzenden Raum, durch dessen Türspalt ich ein Bett mit grauem Bezug sah. „Ist das dein Zimmer?“, fragte ich und deutete in die Richtung. Jack folgte meinem Blick und nickte. Dann bedeutete er mir, hineinzugehen.
Sein privates Reich war klein und schlicht, jedoch nicht so heruntergekommen wie der Rest der Wohnung. Vor allem in Elektrogeräte hatte Jack investiert. Auf dem Schreibtisch entdeckte ich einen iMac und ein MacBook, neben dem Tisch stand eine kostspielig aussehende Musikanlage und unter dem Flachbildfernseher in der Ecke stand die neueste Playstation. Trailer hin oder her, Jack nagte eindeutig nicht am Hungertuch. Zudem war sein Zimmer erstaunlich sauber und aufgeräumt. Dank des offenen Fensters stank es hier nicht so nach Zigaretten, sein Bett war gemacht und nirgendwo lagen Klamotten oder Socken herum. Dafür könnte natürlich auch seine Mutter gesorgt haben, aber wenn ich mir das Zigarettenchaos im Wohnzimmer ansah, glaubte ich das eher nicht.
Jack trug eine Wasserflasche, Gläser und Softgetränke ins Zimmer. Er stellte alles auf den Schreibtisch, dann fragte er mich, was ich trinken wollte, und ich entschied mich für kaltes Wasser. Nachdem er mir ein gefülltes Glas gereicht hatte, fläzte er sich auf seinen Bürostuhl und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich setzte mich mit dem Glas auf die Bettkante.
„Du wolltest meine Familiengeschichte erfahren“, begann er ohne Umschweife und bohrte seinen Blick jetzt in meinen. „Tja, die ist ziemlich simpel. Mein Vater hat uns schon früh verlassen. Mom war auf sich allein gestellt und hatte sich als Sängerin durchgeboxt. Sie war keine Berühmtheit, aber es reichte aus, um unsere Rechnungen zu zahlen. Bis sie eines Tages heiser wurde und der Arzt eine Stimmbandschwellung diagnostizierte. Eigentlich keine große Sache. So eine Schwellung sollte in wenigen Wochen behandelt sein. Aber Mom war nicht versichert und um Kosten zu sparen, ging sie zu einem zwielichtigen Arzt, der wohl an ihren Stimmbändern herumgepfuscht hat, denn sie konnte sie danach nie wieder richtig belasten.“ Er machte eine Pause und fuhr sich durchs Haar. Es war offensichtlich, dass die Erinnerungen ihn schmerzten. Ich fragte mich, wie vielen er seine Geschichte wohl schon erzählt hatte. Seinen Kumpels bestimmt, aber darüber hinaus? „Sie wurde depressiv und fing aus Frust mit dem Rauchen an. Allerdings so exzessiv, dass sie mit den Jahren zusätzliche Probleme mit der Lunge bekam. Irgendwann wurde sie dann für arbeitsunfähig erklärt, und seitdem vegetiert sie hier vor sich hin.“ Jack musterte mich und fragte dann mit einem schiefen Lächeln, das ich ihm irgendwie nicht abkaufte: „So, ist deine Neugierde damit gestillt?“
„Nicht mal annähernd“, sagte ich traurig lächelnd. „Es tut mir leid für deine Mom. Und für dich.“
Jack nahm die Arme herunter und goss sich ein Glas Cola ein. „Braucht es nicht. Ich habe dir das nicht erzählt, weil ich dein Mitleid will. Mom und ich kommen schon klar, und wie es aussieht, ist sie glücklich mit ihrem neuen Lover.“ Er leerte das Glas in wenigen Zügen und lachte, als er meinen verstörten Gesichtsausdruck sah. Welcher normale Mensch spülte bitte Cola hinunter, als wäre es Wasser? Mir ätzte es schon allein vom Zugucken die Speiseröhre weg. „Können wir jetzt bitte über etwas Aufmunterndes reden?“, bat er.
„Was zum Beispiel?“ Ich rutschte vorsichtig mit meinem Glas bis an die Wand zurück.
„Keine Ahnung. Erzähl mir etwas über dein Institut. Wie kommt ein anständiges Mädchen wie du dazu, in so einer perversen Einrichtung zu arbeiten?“
„Sexualwissenschaft ist nicht pervers, sondern hochkomplex und interessant.“
Jacks Mundwinkel zuckten. „Das hast du gestern eindrucksvoll bewiesen.“
Lächelnd schüttelte ich den Kopf und sagte: „Wir suchen übrigens immer noch Probanden. Und nein, du müsstest dort mit niemandem schlafen. Es ist eine harmlose Studie.“
Jack sah etwas skeptisch aus, schien aber auch nicht gänzlich abgeneigt zu sein. „Was springt für mich dabei heraus?“
Ich trank einen großen Schluck Wasser, dann lehnte ich mich zum Schreibtisch herüber und stellte das Glas ab. „50 Dollar für eine Stunde herumsitzen und Fragen beantworten. Ist doch ein guter Stundenlohn.“
„Hm, worum geht’s genau?
„Es ist eine Studie, die den Einfluss der sexuellen Partnerpräferenz auf die Verarbeitung visueller Reize erforscht. Dafür suchen wir männliche Probanden.“
„Aha, ich habe nur visuelle Reize verstanden. Wie darf ich mir das vorstellen? Ziehst du dich vor mir aus, und sie messen, wie hart meine Latte wird?“
Ich rollte die Augen. „Ja, und im nächsten Schritt blase ich dir vor aller Augen einen, und sie messen deine Gehirnströme.“ Jack lachte kehlig. Ich erklärte schmunzelnd: „Sie messen wirklich deine Gehirnströme, aber während eines gesitteten Interviews. Ich würde dich wirklich gern in die Liste eintragen. Du wärst mein erster angeworbener Proband.“
„Hm.“ Nachdenklich ließ Jack seinen Blick über mich wandern. Die Intensität, mit der er das tat, ließ meine Knie weich werden. „Kriegst du Provision dafür?“
„Nein, aber ich würde im Ansehen meiner Chefin steigen.“
„Dann mache ich es … unter einer Bedingung. Geh mit mir aus.“
„Was?“ Hätte ich das Glas noch in der Hand gehabt, hätte ich es vor Schreck vermutlich verschüttet.
„Zu einem Date“, überging Jack meine Reaktion. „Nur wir zwei.“
„Das ist nicht dein Ernst!“
„Doch ist es.“
Offen und ruhig musterte er mich, doch ich schnaubte belustigt. „Netter Versuch, aber du solltest endlich akzeptieren, dass ich nur körperlich an dir interessiert bin. Man kann eben nicht jedes Herz erobern, Jack.“
Ein, zwei Sekunden lang sah er mich noch an, dann stand er auf und ich drückte mich misstrauisch an die Wand, als er zu mir aufs Bett kam. „Bist du sicher?“, hakte Jack mit einem diabolischen Lächeln nach. Ohne Vorwarnung drückte er seine Lippen auf meine. Dabei schob er mein Kleid hoch und winkelte meine Beine an, damit er sich kniend dazwischen schieben konnte. Daran könnte ich mich gewöhnen, dachte ich schaudernd. Immer wieder zwischen ihm und einer Wand zu landen. Einen Moment gab ich mich Jack voll und ganz hin, genoss das Gefühl seiner weichen Lippen und wie er seinen Körper an mir rieb. Aber dann legte Jack eine Hand auf mein Herz und sagte: „Denn jedes Mal, wenn ich dich küsse, springt dir fast das Herz aus der Brust. Was macht dir so zu schaffen, Willow? Gefühle?“
Seine Worte waren wie ein Schwall eiskaltes Wasser, das mir jemand ins Gesicht schüttete und mich wieder zur Besinnung brachte. Erschrocken und verärgert stieß ich ihn von mir. Hatte er mich nur geküsst, um etwas zu beweisen? Doch ich unterschätzte Jacks Körperkraft. Er ließ sich zwar auf den Rücken fallen, zog mich aber mit sich, sodass ich rittlings auf ihm landete. Ich wollte mich hochstemmen, doch seine Hände packten fest meine Hüften und machten eine Flucht unmöglich.
„Lass mich runter!“, verlangte ich wutschnaubend. Jack dachte nicht daran.
„Das muss dir nicht peinlich sein, Willow.“ Seine Mundwinkel zuckten, aber in seinen Augen stand jetzt eine Ernsthaftigkeit, die mir die Kehle zuschnürte. War es jetzt so weit? Würde er sein Urteil fällen und die Wette für gewonnen erklären? Falls ja, könnte ich wohl nichts dagegen tun. Er hatte die Wahrheit längst erkannt. Eine Wahrheit, die ich mir nur noch nicht eingestanden hatte. „Los, sag es.“
„Gar nichts werde ich dir sagen! Aber ich werde schreien, wenn du mich nicht auf der Stelle loslässt!“
Träge lächelte Jack zu mir empor, doch er konnte mir nichts vormachen. Auch sein Herz raste. Ich spürte es unter meinen Handflächen wummern, die flach auf seiner Brust lagen. Schaudernd wurde mir bewusst, dass unsere Becken sich berührten. Es wäre ein Leichtes, meinen Slip zur Seite zu schieben und seinen Hosenstall zu öffnen. Deshalb waren wir doch hier, um es endlich ohne Kondom zu tun.
Doch Jack war offenbar mehr im Plaudermodus, denn er sagte: „So stur, hm? Gut, dann mache ich den Anfang.“ Zu meiner Überraschung ließ er mich jetzt los und stützte sich auf seine Unterarme. Ich hätte die Chance nutzen und aufspringen können, doch ich war neugierig, was jetzt kam. „Du warst zu Beginn nur eine weitere Wette für mich. Eine Gelegenheit, meine Langeweile zu vertreiben. Aber schon bei unserem Ausflug an den Teich habe ich gemerkt, dass du in jeglicher Hinsicht anders bist, als ich erwartet habe.“ Er lachte kurz, was unsere Körper vibrieren ließ. „Sturer und frecher, aber auch liebenswerter, witziger und kühner. Kurzum, du hast mich vom Hocker gehauen, Willow.“
„Das ist doch ein Trick“, murmelte ich und schüttelte den Kopf, als könnte ich so verhindern, dass seine Worte einen Weg in mein Herz fanden. „Das sagst du bloß, um mir ein Geständnis zu entlocken.“
Jack verzog das Gesicht. „Ich kann dir nicht verübeln, dass du so denkst. Aber ich meine es ernst. Gestern im Aufenthaltsraum ist mir klar geworden, dass ich das nicht mehr will. Dieses Misstrauen in deinen Augen zu sehen.“ Er hob einen Arm und strich mir behutsam eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich will, dass du mir glaubst, wenn ich dir Komplimente mache, und es nicht als Täuschung abtust. Von mir aus können wir die Wette hier und jetzt beenden. Ich gebe dir auch das Geld, wenn du willst, es liegt unter meinem Bett. Du musst es nur sagen. Dann können wir vielleicht noch mal von vorn anfangen.“
Verdattert starrte ich auf Jack herab. Gut möglich, dass ich einen Hitzschlag erlitten hatte und mir das alles nur einbildete. „Du willst die Wette wirklich beenden? Nach nur zwei Wochen?“
„Vorausgesetzt natürlich, du triffst dich auch weiterhin mit mir.“ Sein Lächeln war vorsichtig, ja, beinahe unsicher.
Doch bevor ich entscheiden konnte, ob ich Jack Glauben schenkte oder nicht, krachte etwas gegen die Haustür und ließ uns beide zusammenzucken.
Abrupt richtete Jack sich auf, und ich kletterte eilig von seinem Schoß, als sich das Geräusch wiederholte. Stimmen waren draußen zu hören, und wieder warf sich etwas Schweres gegen die Tür. Scheppernd krachte die Eingangstür gegen die Wand. Wer auch immer das war, hatte sich soeben Zutritt verschafft. Mit einem Satz war Jack auf den Beinen, griff hinter die Tür und holte einen Totenschläger hervor, der dort vor meinen Blicken verborgen gelehnt hatte.
„Du bleibst hier“, wies er mich an und ging ins Wohnzimmer. Das konnte er vergessen. Schon war ich hinter ihm und starrte die beiden Männer an, die jetzt im Eingang standen. „Wer seid ihr?“, wollte Jack wissen. Sein ganzer Körper war angespannt.
Beide Männer waren dunkelhaarig und vermutlich um die vierzig. Der kleinere war bullig, trug schwarze Klamotten und sah schon wie ein Schläger aus. Der große hingegen … das war doch der Typ, der nebenan auf dem Klappstuhl gesessen und uns beobachtet hatte! Seine Augen waren kalt, seine schmalen Lippen spöttisch verzogen und sein schulterlanges Haar klebte ihm in fettigen Strähnen im Gesicht.
„Wir sind Freunde von Bryce“, säuselte er, wobei sein Blick abschätzig an Jacks Totenschläger hängen blieb. Er und sein kleinerer Freund waren unbewaffnet, aber sie waren zu zweit und erwachsene Männer. Hätte Jack eine Chance gegen sie?
„Und?“, fragte Jack gelangweilt.
„ Und er schuldet uns Geld“, erklärte der Kleine mit gefletschten Zähnen. Ungefragt machte er einen Schritt ins Wohnzimmer. Jack beobachtete ihn, rührte sich aber nicht. „ Viel Geld.“
„Tut mir leid, er ist nicht hier. Aber wenn ich ihn sehe, richte ich ihm aus, dass ihr nach ihm gefragt habt.“
Es war mir ein Rätsel, wie Jack so ruhig bleiben konnte. Ich machte mir vor Angst fast in die Hose. Aber der Kleine lachte kratzig und erklärte, als hätte er Jacks Worte nicht gehört: „Bryce hat Spielschulden bei uns gemacht, und die wollen wir zurück. Da er dafür bekannt ist, gern das Geld anderer zu horten, dachten wir, wir versuchen unser Glück mal bei seiner neuen Tussi. Du bist ihr Sohn, oder?“
„Ich denke, ihr geht jetzt besser.“ Warnend klopfte Jack mit dem Schläger gegen sein Bein, doch die Männer ließen sich davon nicht beeindrucken.
„Wir machen dir einen Vorschlag“, sagte der Langhaarige, wobei sein Blick kurz an mir hängenblieb. „Ihr tretet beiseite, lasst uns in Ruhe die Wohnung durchsuchen, und wenn wir finden, was wir suchen, verschwinden wir wieder und niemand wird verletzt.“
„Ihr werdet hier gar nichts durchsuchen“, zischte Jack.
„Aaah“, machte der Langhaarige und lächelte schmierig. „Das heißt dann wohl, dass der gute Bryce hier wirklich Geld versteckt, oder? Was clever von ihm ist, weil wir zuerst in seiner Bude nachgesehen haben.“
Ich konnte Jacks Gesicht nicht sehen, da sein Rücken vor mir aufragte, aber es war bestimmt aschfahl, als er fragte: „War meine Mutter dort? Habt ihr ihr etwas getan?“
„Nein, nein.“ Amüsiert winkte der Große ab. „Sie waren gar nicht da … was ihr Glück war. Aber wir beobachten Bryce schon seit einer Weile, und er geht hier oft ein und aus. Du weißt, wo das Geld versteckt ist, nicht wahr?“
Meine Brust schnürte sich vor Angst zusammen. Redeten sie etwa von dem Geld, von dem Jack gesagt hatte, dass es unter seinem Bett wäre? Versteckte er es etwa für diesen Bryce? Ich hatte kurz nicht aufgepasst, deshalb war mir entgangen, was Jack gesagt hatte. Aber was auch immer es war, es veranlasste die Männer dazu, sich zeitgleich auf ihn zu stürzen. Jack schubste mich ins Zimmer zurück und ich taumelte gegen das Bett. Dann vernahm ich einen dumpfen Schlag und etwas Gläsernes ging zu Bruch.
Der Couchtisch.
Panisch rappelte ich mich auf, stürmte ins Wohnzimmer und bekam gerade noch mit, wie Jack dem Langhaarigen einen Kinnhaken verpasste. Der Mann taumelte rückwärts gegen die noch halb offene Tür. Sein Kumpane lag benommen auf dem Couchtisch, versuchte aber schon, sich wieder aufzurappeln. Jack hatte seinen Schläger nicht mehr in der Hand. Vielleicht hatte der Langhaarige ihn ihm entrissen. Ich entdeckte ihn in einigen Metern Entfernung, doch als ich darauf zustürzen wollte, rief Jack über die Schulter: „Geh ins Zimmer zurück, verdammt noch mal!“
Ein Fehler, den er sofort büßte, als der Mann die Gelegenheit nutzte und ihm einen Hieb ins Gesicht verpasste. Jack taumelte gegen mich und brachte mich damit so aus dem Gleichgewicht, dass ich neben dem Bulligen auf die Knie fiel. Der rappelte sich auf, scheinbar wieder Herr seiner Sinne, griff nach dem Schläger und warf ihm dem Großen zu. Der holte Schwung und zielte auf Jacks Gesicht.
„Nein!“, schrie ich noch, und das so laut, dass sämtliche Nachbarn im Umkreis es mitkriegen mussten.
Dann ging Jack auch schon wie ein k.o. geschlagener Boxer zu Boden. Blut spritzte aus seiner Nase, als er dumpf mit dem Körper aufschlug. Ich war so entsetzt, dass ich kein Wort mehr herausbekam. Mit erhobenem Schläger ragte der Langhaarige über ihm auf. Tränen liefen mir über die Wangen, und ich fiel zitternd vor Jack auf die Knie. Glas knirschte hinter mir, als der Bullige sich näherte, doch ich hatte nur Augen für Jack, der ruckartig wieder zu sich kam.
Er war zumindest nicht tot.
Als er sich aufsetzen wollte, schaffte er es nicht. Ich half ihm dabei, griff unter seine Arme und hievte ihn in eine sitzende Position. Mit blutender Nase und aufgeplatzter Lippe sackte er gegen das Sofa und starrte hasserfüllt zu den Männern auf.
„So“, sagte der Langhaarige und wischte sich das Blut aus dem Mundwinkel. Mit dem Schläger zeigte er auf Jacks Gesicht. „Und jetzt sagst du uns, wo das Geld ist, oder ich gebe dir den Rest.“
„Das wagst du nicht!“, stieß ich bebend hervor, doch es klang wie eine Frage. Eine Hand schützend vor Jack ausgestreckt sagte ich: „Du würdest ihn umbringen!“
„Was du nicht sagst.“ Als der Mann auf uns heruntersah, brannte grausame Entschlossenheit in seinem Blick. „Ich will mein verschissenes Geld wiederhaben. Dafür gehe ich über Leichen!“
Entsetzt sah ich von ihm zu Jack und wieder zurück. Er würde es wirklich tun! Und dennoch starrte Jack nur feindselig und schwer atmend zu ihm auf. Ohne einen Ton von sich zu geben. Das konnte ich nicht zulassen. Als der Mann den Schläger mit beiden Händen umfasste, platzte es aus mir heraus: „Es ist unter dem Bett! Das Geld ist unter dem Bett!“
„Nicht!“, stieß Jack keuchend aus, doch ich zeigte bereits mit zittrigen Händen auf seine Zimmertür. Sie würden nicht aufhören, ehe sie nicht das Geld hatten und die paar Hundert Dollar waren es nicht wert, dass er dafür totgeprügelt wurde.
Der Langhaarige behielt uns im Blick, während der andere das Zimmer betrat. Ich konnte sehen, wie er sich unter das Bett bückte, eine Sporttasche hervorzog und damit zurückkam.
„Was hast du getan?“, stöhnte Jack neben mir. Er versuchte wieder, sich aufzurichten, doch ich drückte ihn runter und beobachtete angewidert, wie der Kleine die Sporttasche vor uns auf den Boden knallte. Er kniete sich davor, zog den Reißverschluss auf … und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
„Jackpot!“, sagte er und blickte grinsend zu seinem Kameraden auf.
„Das ist mein Geld!“, brachte Jack benommen hervor, doch keiner der Männer beachtete ihn.
Ich konnte es nicht fassen, als ich die unzähligen Geldbündel sah, die aus Fünfzigdollarnoten bestanden. Das mussten 5000 oder 6000 Dollar sein! Warum besaß Jack so viel Bargeld, und was meinte er damit, es wäre seins? Steckte er etwa mit Bryce unter einer Decke? War er in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt?
Ohne ein weiteres Wort zogen die Männer von dannen und ließen uns in dem demolierten Wohnzimmer zurück. Der Couchtisch war zerbrochen, der Aschenbecher mit den Stummeln auf dem Teppich ausgekippt und einige Möbel verschoben. Außerdem hatten sich Blutstropfen auf dem Boden verteilt, die von Jack und dem Langhaarigen stammten. Eine Weile saßen wir schweigend da. Jack mit angewinkelten Beinen, den Kopf auf die verschränkten Arme gesenkt und ich daneben. Seine Atemzüge beruhigten sich mit der Zeit, was ich von meinen nicht behaupten konnte.
„Ich sollte einen Krankenwagen rufen“, sagte ich kleinlaut. „Nicht, dass du eine Gehirnerschütterung hast.“
Doch er murmelte nur mit gesenktem Kopf. „Das waren meine gesamten Ersparnisse.“
„Was?“, fragte ich irritiert.
„Das Geld.“ Jack hob den Kopf und sah mich zum ersten Mal an, seit die Männer weg waren. In seinen Augen standen Schmerz und Hass, und etwas sagte mir, dass Letzteres nicht nur den Dieben galt. „Ich spare es seit meinem ersten Semester. Davon wollte ich mir ein Mobile Home mit Garten kaufen, und in einem halben Jahr hätte ich genug zusammengehabt.“
Seine Worte waren wie eine Ohrfeige. Also war es wirklich sein Geld gewesen! Sein Lebenstraum … der ihm meinetwegen entrissen worden war! „Oh Gott, Jack, das … das tut mir so leid! Aber sie hätten dich umgebracht. Ich konnte doch nicht …“
„Hätten sie nicht“, unterbrach er mich schnaubend. „Sie wollten dich nur einschüchtern. Was ihnen gelungen ist.“
Er rappelte sich auf. Als ich ihm dabei helfen wollte, entriss er sich meiner stützenden Hand jedoch. Fassungslos kam ich auf die Beine. „Wirklich jetzt? Du bist sauer auf mich?“
Jack stand aufrecht, wirkte aber noch etwas wackelig auf den Beinen. Fahrig wischte er sich das Blut von der Nase. Seine Augen blitzten wie Klingen auf. „Du gehst jetzt lieber.“
„Das kann nicht dein Ernst sein! Ich wollte doch nur dein Leben retten!“
„Scheiße, Willow, denkst du, das weiß ich nicht?“, brüllte er mich an. Vor Schreck wich ich an die Küchenzeile zurück, aber Jack schien nicht mehr er selbst zu sein. Schon stapfte er auf mich zu und ragte wie ein zorniger Gott vor mir auf. Seine Frisur war zerzaust und auf seiner Stirn perlte Schweiß. Außerdem schwoll sein linkes Auge zu und seine Nase und Mundwinkel waren blutverschmiert. Jack sah fürchterlich aus, und zum ersten Mal empfand ich seine Größe als bedrohlich. „Sie haben meine gesamten Ersparnisse mitgehen lassen!“, fuhr er mich aufgebracht, aber wenigstens nicht mehr brüllend, an. „Alles, worauf ich hingearbeitet habe! Also entschuldige bitte, wenn ich deinen Anblick gerade nicht ertragen kann, weil du sie darauf gestoßen hast! Ich weiß, du wolltest das nicht, aber … Fuck! Ich kann das jetzt nicht, verstehst du?“
„Okay“, sagte ich und machte eine beschwichtigende Geste.
Abermals fuhr Jack sich durchs Haar, dann fluchte er und trat von mir zurück. Unruhig lief er im Wohnzimmer auf und ab, und ich löste mich vorsichtig von der Küchenzeile. Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen. Er war vermutlich noch voller Adrenalin und Hass auf die Männer.
„Ich verstehe dich“, hob ich vorsichtig an. „Du bist gerade völlig fertig mit den Nerven. Aber wir müssen trotzdem vernünftig sein. Zuerst rufe ich einen Krankenwagen, dann die Polizei. Wir werden Anzeige erstatten und versuchen, das Geld irgendwie zurückzuholen.“
Jack stieß ein hartes Lachen aus. „Ach, ja? Und was soll das bringen? Ich bin nicht versichert, und die Typen sind längst über alle Berge. Welcher Bulle wird mir denn bitte glauben, dass ich 6000 Dollar in diesem heruntergekommenen Schuppen versteckt hatte?“
Verdammt, da hatte er wahrscheinlich recht. Das würde ihm niemand abkaufen. Dennoch … „Aber irgendetwas müssen wir doch tun.“
„ Wir werden gar nichts tun.“ Er hörte auf, herum zu tigern, und sah mich schmerzerfüllt an. „Ich gebe dir keine Schuld daran. Ich weiß, du wolltest nur helfen. Aber du musst mich jetzt allein lassen, Willow. Bitte.“
„Soll ich nicht wenigstens Wyatt anrufen? Damit er herkommt?“
„Ich mache das schon“, behauptete Jack. „Ich muss ihm sowieso Bescheid sagen. Mit dem demolierten Gesicht kann ich diese Woche auf keinen Fall auf der Arbeit erscheinen.“
Zögernd musterte ich ihn. „Ich würde mich wirklich besser fühlen, wenn ich bei dir bleiben könnte. Nur zur Sicherheit.“
Jack rang sich ein Lächeln ab, aber sein ausdrucksloser Blick machte jede Hoffnung darauf zunichte. Er musste jetzt allein sein und das mit sich ausmachen.
„Ich komme schon klar.“