Titeldekoration

Sechs

Folgendes wäre ein gutes Naturkundeprojekt:

Der Wissenschaftswettbewerb fand in der Turnhalle statt. Unser Turnlehrer Mr Mathis lief mit seiner Pfeife herum und murmelte die ganze Zeit vor sich hin, dass all die Tische den Boden besser nicht zerkratzen sollten. Ich hatte den Verdacht, dass er die ganze Wissenschaft nicht mochte. Er hielt Sport für das Wichtigste auf der Welt. Ich war froh, ein paar Tage kein Turnen zu haben. Wir spielten Völkerball und Bethany versuchte dauernd, mich mit dem roten Gummiball hart genug zu treffen, dass er einen blauen Fleck hinterließ.

Nach dem Mittagessen stellten wir unsere Naturkundeprojekte auf und konnten jetzt sehen, was die anderen gemacht hatten. Die Wertung würde erst morgen Vormittag vorgenommen werden, damit alle Eltern kommen konnten.

Ich hatte in den letzten paar Tagen mein Bestes getan, doch die eine Pflanze sah noch immer weit gesünder aus, als sie eigentlich sollte. Katie stellte ihr Projekt neben meinem auf. Sie hatte aus ihrem alten rosa Barbie-Auto und ein paar Legosteinen einen Mars-Rover nachgebaut. Er sah gut genug für die NASA aus.

»Guck mal«, sagte sie und griff zur Fernsteuerung, um den Rover auf dem Boden der Turnhalle vor und zurück fahren zu lassen. »Ich habe übers Internet einen Lego-Roboter-Bausatz gekauft, aber ich habe ihn ganz allein zusammengebaut.«

»Wow.« Ich wusste, dass Katie sich was Cooles einfallen lassen würde, doch sie hatte ihren eigenen Roboter gebaut! Ich hatte es nicht einmal geschafft, eine Pflanze mit Limo zu gießen.

»Mir gefällt, dass dein Roboter rosa ist«, sagte Paula. Sie stellte ihr Projekt auf dem Tisch auf der anderen Seite neben mir auf. »Der Weltraum wäre viel cooler, wenn es dort besseres Zeug gäbe. Alles ist weiß, schwarz oder grau. Und die Raumanzüge der Astronauten sind superunförmig. Darin sieht jeder fett aus.«

»Sie müssen unförmig sein, weil in ihnen alle möglichen Lebenserhaltungssysteme untergebracht sind. Im Weltraum gibt es keine Luft«, erklärte Katie. »Sie fertigen Raumanzüge nicht wirklich wegen des Aussehens an.«

»Man sollte meinen, all die Wissenschaftler könnten sich doch was einfallen lassen, dass die Raumanzüge gut aussehen, während sie einen am Leben erhalten. Wisst ihr, ich interessiere mich wirklich für Astronomie und so. Mein Projekt hat damit zu tun.« Paula richtete ihr Plakat.

Katie und ich sahen es uns an. Es zeigte sämtliche Sternzeichen und was sie bedeuteten.

»Was ist dein Sternzeichen?«, fragte Paula Katie.

»Löwe.«

»Das macht dich zu einer Anführerin. Es bedeutet auch«, Paula sah auf ihre Notizen, »dass die Sonne dein beherrschender Stern ist.«

»Ähm, Paula?«, sagte Katie. »Hast du gewusst, dass Astronomie und Astrologie zwei verschiedene Dinge sind? Astronomie ist die Wissenschaft von den Gestirnen. Astrologie ist nicht wirklich eine Wissenschaft.«

»Ist sie nicht?« Paulas Schultern sanken herab, und ihre Unterlippe fing zu zittern an. »Ich war mir so sicher. Warum klingen die so ähnlich, wenn die Leute nicht durcheinanderkommen sollen?«

»Es ist blöd, dass diese beiden Wörter so ähnlich sind. So eine Verwechslung kann jedem passieren. Außerdem ist es trotzdem ein beeindruckendes Plakat«, sagte Katie und stieß mich dann mit dem Ellbogen an.

»Oh ja, total beeindruckend. Mir gefällt, wie du die ganzen Sternzeichen gezeichnet hast. Das von den Fischen mit all den Fischschuppen ist besonders hübsch«, steuerte ich bei. Ich erwähnte nicht, dass der Stier ein bisschen wie ein Elch aussah.

Bethany schubste mich weg, um ihren Arm um Paula zu legen. »Hast du unser Projekt gesehen? Nathan und ich gewinnen bestimmt. Ich überlege bereits, was ich ins Weltraum-Camp mitnehmen werde.« Bethany zeigte auf die andere Seite des Gangs. Nathan stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, neben ihrem Tisch und machte ein finsteres Gesicht.

»Heiliger Strohsack«, sagte Paula.

Paula hatte nicht immer recht. Sie glaubte zum Beispiel, Haie und Delfine wären das Gleiche, bloß dass die Haie eben die Fiesen waren. Aber diesmal hatte sie recht. Es war beeindruckend. Das Projekt von Bethany und Nathan war ein riesiges, durchsichtiges Plastikherz. Es hatte rote und blaue Beschriftungen für die verschiedenen Teile.

»Na los, Nathan, steck den Stecker rein«, sagte Bethany. Nathan machte weiterhin bloß ein finsteres Gesicht, also bückte Bethany sich unter den Tisch und schaltete das Herz ein. Einen Moment lang passierte gar nichts, doch dann begann das Innere zu schlagen und rotes Wasser floss durch die verschiedenen Teile des Plastikherzens. »Ich kann die Geschwindigkeit erhöhen, um zu zeigen, wie es aussieht, wenn jemand läuft.«

Katie sah das Plastikherz an und dann ihren Barbie-Rover. Ich wusste, dass sie entmutigt war. Das Herz pochte sogar. Es sah aus wie etwas, das man vielleicht machte, wenn man tausend Jahre auf dem College gewesen war.

»Das hast du nicht allein gemacht«, sagte ich. Nie im Leben würde irgendwer Bethany glauben, sie hätte das allein gemacht. Sie passte in Naturkunde nie auf und wenn sie in Kunst ein Pferd zeichnete, sah es immer wie ein Walross aus. Wenn sie das Herz gemacht hätte, hätte es eher wie ein Klumpen ausgesehen. Bethanys Vater war Arzt. Wahrscheinlich hatte er das Herz auf der medizinischen Hochschule gemacht. »Die Regeln lauten, dass du das Projekt allein machen musst.«

»Woher willst du wissen, dass ich es nicht gemacht habe? Im Übrigen sieht es so aus, als hättest du bloß Zeug aus deinem Garten ausgebuddelt.«

»Wenigstens habe ich die Pflanzen selber ausgebuddelt.« Ich straffte die Schultern. Vielleicht war mein Projekt ja nicht besonders gut, aber wenigstens hatte ich nicht gemogelt.

»Oooh, es ist ja echt beeindruckende Wissenschaft, Zeug auszubuddeln.« Bethany verdrehte die Augen und wandte sich an Nathan. »Es ist gut, dass du mit mir zusammengearbeitet hast, Nathan, sonst hättest du mit der Versagerin gärtnern müssen.«

Meine Augen verengten sich und ich flüsterte einen kurzen Zauberspruch.

»Hör doch auf, Bethany«, gab Nathan zurück.

Bethany machte den Mund auf, um etwas zu sagen, bekam aber plötzlich Schluckauf. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und ich grinste. Sie wird gleich herausfinden, dass dieser spezielle Schluckauf schwer loszuwerden ist.

»He, hast du gewusst, dass Astronomie und Astrologie zwei verschiedene Dinge sind?«, fragte Paula Nathan.

Bethany hielt mir den Finger vor die Nase, bevor Nathan antworten konnte. »Du bist –« hick »– ja bloß eifersüchtig –« hick »– weil du –« hick »– weißt, dass wir –« hick »– gewinnen werden.« Hick, hick, hick, hick.

»Du solltest Wasser trinken, damit der Schluckauf aufhört. Es soll Leute geben, die ihn jahrelang nicht loswerden«, sagte ich.

»Komm schon, ich will sehen, was die aus der Fünften gemacht haben.« Katie zog mich von Bethany weg und durch einen anderen Gang.

»Kannst du es fassen, dass sie gemogelt hat?« Ich schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass sie sich mit jemandem zusammentun musste. Sie könnte unmöglich erklären, dass sie das alles allein gemacht hat.«

»Hast du ihr den Schluckauf verpasst?«, fragte Katie.

Ich kicherte. »Ja.« Ich schaute, ob sie wütend war. »Der Zauber wird in ein paar Stunden nachlassen.« Mir gefiel die Vorstellung, dass Bethany den restlichen Tag Schluckauf haben und ihre Mutter sie deswegen vielleicht sogar zum Arzt bringen würde. Hoffentlich wollte Katie nicht, dass ich den Zauber zu schnell aufhob.

»Du hättest ihr ein Dauerpupsen verpassen sollen«, sagte Katie. »Kannst du dir vorstellen, wie sie versucht, das vor Nathan zu verbergen?« Wir brachen in Gelächter aus. Katie hatte fast immer die besten Ideen. Bethany konnte froh sein, dass ich zaubern konnte und nicht Katie. Ein zauberndes Supergenie konnte eine sehr gefährliche Feindin sein. Ich fragte mich, ob es das war, wovor der Feenrat Angst hatte: in welche Schwierigkeiten wir beide gemeinsam geraten konnten.

»Alle mal herhören!«, rief Mrs Doyle, die Schuldirektorin. Sie war die coolste Schuldirektorin auf der ganzen Welt. Sie brüllte nie, selbst wenn man etwas getan hatte, was man wirklich nicht sollte, und sie kümmerte sich um jeden Schüler an der Riverside-Grundschule. Und sie war meine Großmutter; das machte sie für mich also noch zusätzlich zu etwas Besonderem. »Morgen Vormittag sehen wir uns alle zur Wertung wieder.« Großmama lächelte alle an. »Es sieht so aus, als würden die Preisrichter es schwer haben; es gibt ein paar wirklich schöne Projekte.«

Alle gingen zu den Ausgängen. Katie und ich hakten einander unter. Ich war bei ihr zum Abendessen eingeladen. Ihre Mutter machte Pizza, mein Lieblingsessen (ohne Salami, dafür mit besonders viel Käse und Champignons).

»Bis morgen –« hick »– ihr Versagerinnen –« HICK, sagte Bethany, als wir alle aus der Schule rausgingen.

Ich machte schon den Mund auf, um etwas zu erwidern. Zum Beispiel, dass ich zwar vielleicht den Wissenschaftswettbewerb verlieren würde, aber wenigstens einen Satz zu Ende bringen konnte, ohne »hick« zu sagen, doch jemand berührte mich am Arm. Es war Nathan.

»Lass dich nicht von ihr nerven. Ich finde dein Projekt ziemlich cool«, sagte er.

Ich starrte ihn an. Mein Projekt? Ich verstand, dass jemand Katies Projekt cool fand – aber meins? War er blind? Ich hatte bloß vier Pflanzen. »Du bist wahrscheinlich ziemlich zufrieden mit eurem Herzen«, sagte ich.

»Hör mal … was mein Projekt betrifft«, begann Nathan, Katie packte mich jedoch so fest am Arm, dass ich fast hinfiel.

»Willow muss jetzt gehen«, sagte Katie und zog mich den Gehsteig entlang.

»Ich wollte ihr bloß sagen …« Verwirrt stand Nathan mitten auf dem Gehsteig.

»’tschuldigung, keine Zeit. Du kannst morgen mit ihr reden.« Katie zog mich weiter.

»Jetzt warte doch. Ich wollte hören, was er zu sagen hat.« Ich versuchte, in die Gegenrichtung zu ziehen, aber Katie konnte sehr stark sein, wenn sie wollte. Das kam von den ganzen Überschlägen beim Turnen.

»Vertrau mir, das musst du einfach sehen.« Katie zog mich um die Ecke und deutete auf das Schulgebäude.

Ich sah die Schule an. Zuerst kapierte ich nicht, was Katie mir zeigen wollte. Doch dann sah ich ein Aufblitzen von Rot in einer der Fensterecken. Oh nein. Diese Mütze kannte ich.

Jakob, der Zwerg, war im Schulgebäude. Er presste seine winzigen Hände an die Fensterscheibe und streckte mir die Zunge raus.

Ich riss mich von Katie los, lief zum Fenster und klopfte an die Scheibe. »Was machst du da drinnen?«

»Das ist der Zwerg, von dem du mir erzählt hast, oder?«, fragte Katie. »Ich meine – selbst wenn du ihn nicht beschrieben hättest, hätte ich es wahrscheinlich erraten. Er sieht genauso aus wie diese Gartenzwerge aus Gips, bis auf die unanständigen Gesten.« Jakob presste seinen Hintern an die Fensterscheibe und wackelte damit vor unseren Gesichtern herum. »Abgesehen davon habe ich so was, bevor ich wusste, dass du eine Fee bist, nie gesehen.«

»Er wird an meinem Projekt rumpfuschen«, sagte ich zu Katie. »Ich hätte wissen müssen, dass er es probieren würde. Kannst du aufpassen, während ich reingehe, um ihn aufzustöbern?« Ich pochte noch einmal an die Fensterscheibe. »Komm da raus!«

»Ist alles in Ordnung?«

Katie und ich wirbelten herum und da stand Nathan. Meine Arme sanken herab. »Ich kann erklären, was das ist«, sagte ich. Ich wusste nicht genau, wie ich es erklären würde. Aber Katie stand direkt neben mir und sie wollte Schriftstellerin werden, wenn sie groß war. Also verließ ich mich darauf, dass ihr etwas einfiel.

»Was erklären?«, fragte Nathan. »Die Gipsfigur?«

Ich fuhr herum. Jakob verharrte unbeweglich an Ort und Stelle, die Hände auf den Hüften und ein breites, falsches Lächeln im Gesicht. Er sah wie jeder x-beliebige Gartenzwerg aus Gips aus, wie man sie in den Gärten der Leute sah. »Ähm, ja. Der Gartenzwerg passt zu meinen Pflanzen.«

»Er ist so was wie ein Talisman«, fügte Katie hinzu.

»Genau. Ein Talisman. Mir ist bloß gerade eingefallen, dass ich ihn hiergelassen habe. Und mir ist klar geworden, dass ich ihn über Nacht nicht in der Schule lassen sollte.«

»Warum nicht?«

»Weil ihn vielleicht jemand klaut«, erklärte ich. Ich fügte nicht hinzu, dass jeder, der diesen speziellen Gartenzwerg klaute, sich auf eine höchst unangenehme Überraschung gefasst machen konnte.

»Es werden ständig Gartenzwerge geklaut«, sagte Katie. »Man liest darüber im Internet. Die Leute stellen sie an merkwürdigen Orten auf und machen dann Fotos davon. Es ist grausam.«

»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Niemand wird ihn klauen. Der Hausmeister sperrt gerade die Schule zu«, sagte Nathan.

Ich blickte Katie an und rannte dann zum Schultor. Ich raste um die Ecke und sah, wie Mr Hooper, der Hausmeister, gerade das Schultor zusperren wollte. Ich sauste die Stufen hinauf. Ich atmete so schwer, dass ich zuerst kein Wort herausbrachte. Ich musste mich vorbeugen, um wieder zu Atem zu kommen. »Ich hab etwas vergessen«, keuchte ich.

»Du musst es morgen holen. Es ist schon alles zugesperrt«, sagte Mr Hooper und schüttelte zum Beweis seinen riesigen Schlüsselbund.

»Es dauert bloß eine Minute«, versprach ich.

»Tut mir leid, aber ich darf nach Schulschluss keine Kinder in der Schule einsperren.« Er begann das Tor zu schließen, und ich schob meinen Schuh in den Spalt.

»Warten Sie! Können Sie meine Großmutter holen? Es ist wirklich wichtig, dass ich mit ihr rede.«

»Frau Direktorin Doyle ist vor ein paar Minuten gegangen. Sie hat direkt nach der Schule eine Sitzung.«

Mr Hooper tätschelte mir den Kopf und brachte mir dabei das Haar durcheinander. »Zu meiner Zeit konnten die Kinder es kaum erwarten, aus der Schule rauszukommen – sie haben nicht dafür gekämpft, wieder reinzukommen so wie du.« Er lachte leise in sich hinein. »Und jetzt ab mit dir nach Hause.«

»Warten Sie!«, rief ich, aber Mr Hooper wartete nicht. Er machte mir das Tor einfach vor der Nase zu. Das Schloss schnappte mit einem lauten KLICK zu.

Jakob war drinnen. Ich hatte keine Ahnung, was er anstellen würde. Ich war mir aber hundertprozentig sicher, dass es nichts Gutes war.