Kapitel 25
Lenny, Kati, Timo und Sarah fuhren in zwei Autos zurück ins Präsidium. Lenny steuerte den Wagen durch den nächtlichen Verkehr. Kati sah auf ihre Uhr und fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. »Es ist schon Viertel vor zehn!« Verzweifelt ging ihr Blick zu Lenny. »Wo kann er bloß mit ihnen hin sein? Was hat er vor?«
Lenny blieb an einer Ampel stehen und sah sie an. »Ich habe keine Ahnung Kati. Stuttgart ist groß, er kann überall sein. Ich denke, er wird seinen Plan durchziehen und wir werden irgendwann die Leichen finden.«
Kati schüttelte den Kopf. Damit durften sie sich doch nicht zufriedengeben! Sie hatten noch fünfundzwanzig Minuten Zeit! Ihr Blick glitt von Lenny zurück zum Frontfenster. Der Schnee fiel immer noch in dichten Flocken. Der Scheibenwischer fuhr quietschend über die Scheibe und gab den Blick auf eine innen beleuchtete S-Bahn frei. In ihr saßen und standen einige Leute, die in die Innenstadt wollten.
Ein Gedanke jagte Kati durch den Kopf. Der Zeitpunkt, an dem die Geiseln sterben sollten war exakt 22:09 Uhr, nicht zehn nach zehn oder Viertel nach zehn, sondern genau neun Minuten nach zehn! »Er sagte doch: Die Gefangenen werden genau um 22:09 Uhr sterben, oder?«
»Ich glaube, ja.« Die Ampel sprang auf Grün und Lenny fuhr weiter.
Kati sah auf ihre Uhr. Sie zeigte 21:47 Uhr. Scheiße! Ihr Puls beschleunigte sich. »Halt mal hier rechts an!«
»Warum?«, fragte Lenny und sah sie kopfschüttelnd an. »Siehst du, was hier für ein Verkehr ist? Ich kann nicht …«
»Bitte! Mach einfach!«, drängte Kati.
Lenny stellte den Warnblinker an und stoppte den Wagen. Hinter ihnen setzte ein Hupkonzert ein. »Was ist denn? Was ist los? Hast du eine Idee, wo sie sein könnten?«
Kati nickte. Immer mehr Adrenalin schoss durch ihre Adern. »Komm mit!« Sie öffnete die Tür, sprang aus dem Auto und lief durch den Schneematsch zu dem Wagen hinter ihnen, in dem Timo und Sarah saßen. Lenny folgte ihr. Auf der zweiten Fahrspur fuhr hupend ein Wagen an ihnen vorbei und Kati sah, wie der Fahrer schimpfte und ihnen einen Vogel zeigte.
Sarah ließ das Fenster runter. »Was ist denn los? Warum haltet ihr?«
»Weißt du noch, wo und wann Lydia Warnecke gestorben ist?«, fragte Kati. Sie spürte das regelmäßige Klopfen ihres Pulses im Kopf.
»Am Nikolaustag vor drei Jahren auf den Gleisen«, antwortete sie.
»Nein! Zu welcher Uhrzeit und an welcher Stelle?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht genau, da muss ich erst auf dem Laptop nachsehen.«
»Na dann mach mal bitte!« Kati sah auf ihre Uhr. Es war 21:49 Uhr! »Aber schnell!«
»Du meinst, er will die beiden genau dort umbringen, wo Lydia vor drei Jahren umgekommen ist?«, fragte Timo und beugte sich etwas zu Sarah. »Auf den Gleisen?«
»Genau. Dort an der Stelle wird wahrscheinlich um 22:09 Uhr ein Zug kommen, der ihm diesen Job abnimmt.«
»Das hört sich plausibel an«, sagte Lenny, der direkt neben ihr stand. Timo stimmte ihnen zu. »Finde ich auch. Einen Versuch ist es wert.«
Lenny zückte sein Handy.
»Sagst du dem Team Bescheid?«, fragte Kati.
Er nickte. »Yep.«
»Hoffen wir, dass die Stelle nicht zu weit weg ist und wir es rechtzeitig schaffen.«
Auf einer Teilstrecke hatten sie das Blaulicht eingeschaltet, um schneller voranzukommen, doch auf dem letzten Kilometer wieder ausgeschaltet. Sie wollten den Entführer nicht vorwarnen, falls sie ihn wirklich dort antrafen, wo sich Lydia Warnecke vor drei Jahren umgebracht hatte.
Lenny lenkte den BMW auf einen kleinen Parkplatz, der circa fünfzig Meter von der Stelle entfernt lag. Es handelte sich dabei nicht um einen Parkplatz der Bahn an einer Bahnstation. Es schien eher ein wilder Parkplatz zu sein, den Spaziergänger und Hundebesitzer nutzten.
Hinter ihnen hielt der Wagen von Timo und Sarah. Vom SEK war noch nichts zu sehen.
Kati und Lenny stiegen aus, es schneite heftig. Sie gingen um den Wagen herum und Kati öffnete die Heckklappe. Während sie sich erneut die schusssichere Weste überzog, ließ Kati ihren Blick über den Parkplatz schleifen. Hier stand nur ein einziger anderer Wagen. Als sie erkannte, was es für einer war, machte ihr Herz einen kleinen freudigen Satz.
Sie hob den Arm und zeigte in die Richtung des Leichenwagens, der einsam und verlassen auf der anderen Seite des Parkplatzes stand. »Ich glaube, wir sind hier richtig«, sagte sie. Sie drückte seitlich auf den Knopf ihrer Fitnessuhr und sah, dass es fünf vor zehn war.
Sarah und Timo traten auf sie zu. Sie trugen ebenfalls schusssichere Westen. Sarah wies mit dem Kinn auf den Leichenwagen. »Er ist tatsächlich hier. Du hast recht gehabt.«
»Sollen wir auf das SEK warten?«, fragte Timo und sah zu Lenny.
Dieser schüttelte den Kopf. »Nein. Drei von uns kümmern sich um Pauli und die Geiseln und einer bleibt hier, um dem Team Bescheid zu geben.«
Sarah nickte. »Wenn es dir recht ist, bin ich das. Ich bin vorhin ausgerutscht und leicht umgeknickt. Der linke Fuß schmerzt etwas.«
»Okay«, sagte Lenny nickend. »Wir sollten diese Teilstrecke für den Zugverkehr sperren lassen, solange wir nicht wissen, was los ist. Kümmer dich bitte sofort darum, Sarah!«
»Ist schon so gut wie erledigt. Ich muss nur herausfinden, wer zuständig ist. Ich hoffe, das klappt rechtzeitig!«
»Gut, dann los! Es bleibt nicht mehr viel Zeit, nur noch dreizehn Minuten.«
Lenny, Timo und Kati gingen in Richtung Leichenwagen, doch ein kurzer Blick in das Auto bestätigte ihnen, dass sich dort niemand aufhielt. Timo legte eine Hand auf die Kühlerhaube. »Er ist noch warm.«
Kati entdeckte einen schmalen Weg, der in ein schneebedecktes Wirrwarr aus Gebüsch und kleinen Bäumen führte. »Ich glaube, hier sind Fußspuren«, zischte sie den beiden Männern zu.
Lenny zog seine Waffe aus dem Holster und Kati und Timo taten es ihm gleich. Sie mussten mit allem rechnen.
»Ich gehe vor«, flüsterte Lenny. Kati und Timo folgten ihm. Es war dunkel. Das Mondlicht drang durch das starke Schneetreiben kaum bis zu ihnen durch. Eine Taschenlampe zu benutzen war nicht ratsam, denn der Lichtschein würde sie verraten und ihnen die Chance nehmen, den Entführer zu überraschen.
Die Spuren auf dem kleinen Trampelpfad endeten nach dreißig Metern an einem Steinwall der Bahntrasse.
Lenny blieb stehen und drehte sich zu den anderen beiden um. Auf seinen Rastalocken hatten sich Schneeflocken angesammelt. »Ab hier müssen wir noch leiser sein«, sagte er im Flüsterton. »Ich nehme an, dass Pauli direkt in der Nähe bei den Gleisen steht.«
Kati nickte. »Das denke ich auch.« Sie sah auf ihre Uhr. Es war 21:58 Uhr. Sie hatten nur noch elf Minuten Zeit.
»Ich sehe nach«, sagte sie, kletterte den kleinen Wall empor und legte sich oben an der Kante auf den Bauch. Der Untergrund war eisig kalt. Sie merkte wie ein Kribbeln in ihrer Nase aufstieg, als sie sich gerade den letzten Zentimeter nach vorne schieben wollte, um über den Wall zu schauen. Nein, nicht niesen! Nicht jetzt!, dachte sie. Das Kribbeln wurde stärker. Sie zog sich schnell zurück, hielt sich die Nase zu und öffnete im letzten Moment ihren Mantelaufschlag, um die Lautstärke zu vermindern. Heraus kam ein kleines Nieserchen, das auch eine Katze oder ein Welpe hätte verursachen können.
Kati sah auf ihre Uhr. Eine Minute vor zehn! Vielleicht hatte der Zug Verspätung und verschaffte ihnen mehr Zeit. Doch darauf konnten sie sich nicht verlassen.
»Was ist?«, zischte Lenny von unten.
Kati schob sich wieder an die Kante und riskierte einen Blick.
Etwa zehn Meter von ihr entfernt stand ein Mann neben einem der beiden parallel verlaufenden Gleispaare. Eine Handytaschenlampe leuchtete im Dunkeln. Wow, dachte sie. Er ist wirklich hier! Neben ihm zappelten im Schein des Lichts zwei Körper, die quer über den Gleisen lagen. Marie von Beesten und der andere, der sie hatte vergewaltigen müssen. Wahrscheinlich Lessing. Beide hatten Stricke an Händen und Füßen und wanden sich wie Aale. In ihren Mündern steckten Knebel.
Kati zog erneut die Waffe, die sie vor dem Hinaufklettern in ihr Holster gesteckt hatte, und gab Lenny und Timo einen Daumen nach oben, das Zeichen, dass sie ebenfalls herauf kommen sollten. Zehn Sekunden später lagen sie neben ihr auf den Bäuchen und spähten ebenfalls auf die Gleise.
»Es ist 22:01 Uhr«, flüsterte Lenny. »Wir haben nur noch acht Minuten, bis der Zug eintrifft. Auf das SEK können wir nicht warten. Der Himmel weiß, wo die stecken.«
»Hmm.« Kati verengte ihre Augen und versuchte zu erkennen, ob der Entführer eine Waffe bei sich trug. Doch das war schwer, denn er trug eine dicke Jacke, unter der er alles Mögliche verbergen konnte.
Alle drei rutschten ein Stück zurück und sahen sich an. Timo hauchte sich in die kalten Hände.
»Wir haben keine Zeit mehr, uns großartig eine Taktik zu überlegen«, flüsterte Lenny. »Ich versuche, ihn von hier aus zur Aufgabe seiner Pläne zu überreden, und nur wenn das nicht klappt, wird geschossen. Verstanden?«
Kati und Timo nickten.
»Es ist die erste Priorität, die beiden Geiseln zu retten«, sagte Lenny, als hinter dem Wall die Hölle losbrach.
Jemand brüllte etwas. Kati erschrak und merkte, dass auch Lenny und Timo zusammenzuckten.
Was zum Teufel?, dachte Kati und spähte wie die anderen über die Kante. Ihr Herz überschlug sich fast. Sie erblickte einen Mann, der die Böschung auf der anderen Seite herunterkam und dabei ein paar der grauen Steine mit sich riss, die hinter ihm klackernd herunterkullerten.
Am Rand des Walls blieb der Mann stehen und zog ein Messer. »Du mieses Schwein lässt Marie frei! Sofort!«, rief er.
Pauli hatte sich zu dem Mann gedreht und fing unvermittelt an zu lachen. »Lessing? Maries Stecher? Was für eine Überraschung! Du willst dich wohl dazulegen, was?« Pauli ging auf den anderen Mann zu und entfernte sich zehn Meter von den Geiseln.
»Lessing?«, fragte Kati leise.
Timo schüttelte den Kopf. »Krass! Und wer liegt dort auf den Gleisen?«
»Das ist mir wurscht«, zischte Kati. Sie sah auf die Uhr. Es ist drei nach zehn! Wir machen dem Ganzen jetzt ein Ende!«
»Ja«, sagte Lenny. »Kati hält Pauli und Lessing in Schach. Rede mit ihnen und lenk sie ab. Timo und ich versuchen inzwischen, die beiden Geiseln von den Gleisen zu ziehen. Wir haben die meiste Kraft.«
»Bin dabei«, sagte Timo und Kati nickte.
»Schaltet eure Taschenlampen ein, wenn ich ihn gleich anspreche. Blenden und irritieren wir ihn damit. Seid vorsichtig!«
»Sind wir«, versprach Kati, während sie ihre Taschenlampe aus der Manteltasche nahm.
»Dann los!« Alle drei standen auf.
»Polizei!«, rief Lenny oben auf dem Wall. Alle drei richteten ihre Waffen und die Taschenlampen auf den Entführer.
»Pauli! Sie sind verhaftet! Hände gut sichtbar nach oben!«
Pauli erschrak sichtlich, wendete sich zu ihnen um und ließ sein Handy fallen, folgte der Anweisung jedoch nicht.
Lenny, Timo und Kati liefen den drei Meter hohen Steilhang hinunter.
»Lessing?«, rief Lenny. »Sie ziehen sich unverzüglich zurück!«
Unten angekommen, teilten sie sich auf. Kati ging nach rechts und die beiden Männer nach links. Pauli wurde nur noch von ihrer Taschenlampe angeleuchtet. Sie konzentrierte sich voll auf den Mann vor sich und achtete nicht auf Lessing.
»Hände auf den Kopf legen!«, rief sie ihm zu.
Er lachte sie hämisch an. »Sie sind zu spät! Gleich ist es soweit. Der Zug kommt schon. Ich spüre es.«
Plötzlich sprang Lessing aus dem Dunkel hervor und riss Pauli zu Boden. »Du mieses Arschloch!«
Kati stockte der Atem. Fuck!, dachte sie und stolperte über einen größeren Stein und strauchelte. »Lessing! Lassen Sie ihn! Entfernen Sie sich und überlassen Sie uns die Sache!«
Die Ansage verpuffte im Nichts. Sie sah, wie die beiden Männer zwischen den Gleisen miteinander rangen.
Sie blieb drei Meter vor Pauli und Lessing stehen, hatte sie im Visier und leuchtete die Männer an. »Auseinander, habe ich gesagt!«
»Du verdammtes Schwein! Was hast du mit Marie gemacht? Ist sie schon tot?«, hörte sie Lessing schreien.
Pauli wehrte sich und schlug nach seinem Gegner.
Kati sah für eine Sekunde zu ihren Kollegen. Das Schneetreiben erschwerte die Sicht erheblich. Sie waren acht Meter entfernt und sie sah nicht, ob sie schon etwas ausrichten konnten. Sie drehte ihren Kopf zurück zu den beiden Männern. »Auseinander habe ich gesagt, sonst muss ich schießen!«, rief sie, als im gleichen Moment ihre Taschenlampe erlosch. Der Akku war alle!
»Nein!«, rief sie. Sie sah nichts mehr.
»Ahh.« Jemand stöhnte laut vor Schmerz.
Plötzlich erfüllte ein Rauschen die Luft. Kati drehte sich um und sah in etwa hundert Meter Entfernung Lichter auf sich zu kommen. Ihr Herz setzte aus. »Der Zug kommt!«, schrie sie, so laut die konnte, in Lennys und Timos Richtung.
Beide hatten ihre Taschenlampen auf den Boden gelegt. Durch den dichten Schnee war die Sicht schlecht. Scheiße, dachte sie. »Beeilt euch! Ihr müsst von den Gleisen runter! Der Zug kommt!!«
Die Lichter vom Zug kamen immer näher. Wie schnell ist so ein ICE?, fuhr es Kati durch den Kopf und bewegte sich auf die Kollegen zu. Sie hatten nur noch wenige Sekunden! Pauli war vergessen. Sie musste ihren Kollegen helfen! Hatten sie sie überhaupt gehört!? »Lenny? Timo! Der Zug!«
Die Lichter war nur noch fünfzig Meter weg.
Plötzlich fielen kurz hintereinander mehrere Schüsse.
Kati duckte sich instinktiv, sprang zur Seite und schlug hart auf den kantigen, schneebedeckten Steinen neben den Gleisen auf. Wer schoss da? War das SEK doch zu ihnen gestoßen?, dachte sie, während sie gleichzeitig ein stechender Schmerz durchfuhr. Ein Stein hatte ihr die linke Hand aufgerissen. Sie spürte das warme Blut in ihrer Handfläche.
Dann war der Zug da und rauschte ungebremst an ihr vorbei!
Der Sog, der durch die Geschwindigkeit entstand, ließ ihre langen Haare fliegen, die Lautstärke und die Zugluft raubten ihr den Atem.
Der Zug raste an ihr vorbei. Lenny! Timo!, durchfuhr es sie. Hatte der Zug sie erfasst? Sie und die Geiseln? Saurer Mageninhalt stieg ihre Kehle hinauf, doch sie zwang die Galle zurück. Reiß dich zusammen, Kati, dachte sie. Sie haben es sicher geschafft. Sie müssen es geschafft haben!
Sie blickte in die Richtung, aus der der Zug gekommen war, sah aber niemanden am Seitenstreifen. Nein!, kreischte es in ihrem Kopf. Sie sind auf der anderen Seite! Sie müssen dort sein! Ein wenig unsicher kam sie auf die Beine, um direkt los zu sprinten, wenn der letzte Waggon an ihr vorbeigefahren sein würde. Sie starrte zu den beleuchteten Fenstern des ICE. Die Menschen dort drinnen ahnten nichts von dem Drama, das sich hier draußen abspielte. Ahnten nichts von Jägern und Gejagten.
Der Zug raste zischend an ihr vorbei. Es kam Kati elend lang vor, doch dann plötzlich sah sie nur noch die Rücklichter des Zuges und die Lautstärke nahm ab.
Sie drehte sich um und starrte in die Dunkelheit. Sie spürte Schneeflocken auf ihr Gesicht fallen.
»Lenny? Timo?«, rief sie laut und lief los. Nichts! Kein Licht, nur dunkle Schatten zwischen den Gleisen.
Oh nein, schrie eine Stimme in Katis Kopf und sie verlangsamte ihren Lauf. Die Übelkeit übermannte sie erneut. Ungläubig steuerte sie auf die graue Masse vor sich zu. Hatte der Zug sie erwischt und war ungebremst weitergefahren?!
Plötzlich flackerte aus der dunklen Masse vor ihr ein Licht auf.
»Kati, wir sind hier!«, hörte sie und sah, wie sich zwei Menschen aufrichteten. Sie leben! Sie leben, durchfuhr es Kati und sie setzte sich wieder in Bewegung.
Sie erkannte Lenny und fiel ihm in die Arme. »Gott sei Dank«, rief sie.
Lenny streichelte ihr über den Rücken. »Alles gut«, sagte er mit seiner sonoren Stimme. »Alles gut!«
»Mir geht's übrigens auch gut«, sagte Timo hinter ihr stehend und rang sich ein Lächeln ab.
Kati löste sich von Lenny und nahm auch ihn den Arm. »Ich bin so froh«, sagte sie und sah zu den Geiseln. Sie lagen in der Mitte der Gleise und hatten keine Knebel mehr im Mund, waren jedoch noch gefesselt.
Kati war fassungslos. »Habt ihr mit ihnen zusammen hier gelegen?«, fragte sie und sah Lenny mit aufgerissenen Augen an.
»Ja, wir hatten zu wenig Zeit, da haben wir sie nur zwischen die Gleise gezogen, als der Zug kam, und gebetet, dass das nicht in die Hose geht. Er ist über uns hinweggerauscht und ich habe gedacht, ich würde sterben. Ich glaube, es war das erste Mal, dass ein ICE zu früh gekommen ist«, lachte er und wurde gleich wieder ernst.
»Was ist mit Pauli und Lessing?«, fragte er und leuchtete in die Richtung, wo sie gestanden hatten, doch dort lag niemand. »Hast du Pauli festgesetzt? Wer hat geschossen?«
Kati schüttelte den Kopf. »Nein. Lessing hat ihn angegriffen und sie kämpften, als der Zug kam. Ich habe nicht geschossen. Einer von ihnen muss eine Waffe bei sich haben. Wir sollten sie suchen. Sie müssen noch in der Nähe sein.«
Er nickte. »Timo? Hältst du die Stellung? Wir suchen … Ah!«, rief Lenny und zeigte auf ein paar Lichter, die auf einer Seite des Walls erschienen. »Die Verstärkung ist da.« Er winkte breit mit den Armen. »Hierher!! Wir brauchen Sanitäter!! Schnell!«
Die Männer des SEK kamen in ihre Richtung und Kati vernahm Stimmen, die über Sprechfunk Befehle weitergaben.
Timo zog seine Jacke aus und legte sie über Frau von Beesten. »Sie ist ohnmächtig.«
»Sie bekommt sofort Hilfe«, sagte Lenny, dann wendete er sich an Kati. »Los suchen wir ihn.«
»Warte kurz«, sagte Kati und ging neben dem Mann in die Hocke. »Leuchte ihn bitte mal an«, bat sie.
Sie erkannte den kahlgeschorenen Mann aus dem Video wieder. Er war ebenfalls nicht bei Sinnen. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie runzelte die Stirn. »Das ist doch …«
Ein Sanitäter stellte neben ihm eine Trage ab und ein zweiter einen Koffer. »Dürfen wir?«
Lenny zog Kati am Arm nach oben. »Kennst du ihn?«
Kati nickte und sah noch einmal zu dem Mann. Sie war verwirrt. »Das kann nicht sein«, murmelte sie.
Lenny ruckelte an ihrem Arm. »Wer ist es?« Kati sah zu ihm. »Von Beesten«, sagte sie. »Tibor von Beesten.«
»Meinst du wirklich?« Lenny starrte zu dem Mann, der gerade von den Sanitätern untersucht wurde. »Der Mann ist doch verbrannt!«
»Ich bin mir ziemlich sicher.« Kati sah, wie Kander auf sie zukam. »Das klären wir später«, sagte sie und zog Lenny mit sich. »Suchen wir Lukas Pauli! Der darf uns nicht entkommen!«