VIER

Der Australier Geoff Hunt hatte das Gefühl, dass die pakistanischen Spieler, gegen die er im Squash-Court antrat, ihn im Rudel jagten. Anstatt sich im Lauf eines Turniers darüber auszutauschen, wie sie den Pokal gewinnen konnten, setzten sie sich in seiner Vorstellung zusammen, um zu überlegen, wie sie ihn schlagen konnten, denn sie waren sich sicher, wenn sie Hunt erst einmal ausgeschaltet hatten, würden sie das Turnier gewinnen.

Ich stellte mir gern vor, wie Hiddy Jahan und Gogi Alauddin und Qamar Zaman und Mohibullah Khan in Winterjacken in einem dunklen Hotelzimmer um einen Tisch herumstanden und bis in die Nacht ernst und leidenschaftlich über die Taktik diskutierten, mit der sie Hunt beikommen wollten. Ich stellte mir einen offenen Kamin vor, in dem ein Feuer flackerte und die Schatten an den Wänden wachsen ließ, stellte mir vor, wie dieses Feuer im Lauf der Debatte wuchs und die Stimmen der Männer immer tiefer wurden.

Seit Maqsud in unser Leben getreten war, standen er, Pa, Ged und ich oft auf dem Court zusammen und besprachen unser Trainingsprogramm für das Turnier in Durham, und jedes Mal musste ich an diese winterlichen Diskussionen denken. Pa trug einen Anzug, während Maqsud, Ged und ich unsere Trainingssachen anhatten, die Rucksäcke und Schläger vor unseren Füßen. Wir sprachen über unsere Stärken und Schwächen und darüber, wie wir sie einsetzen oder überwinden konnten. Ich wusste mich auf dem Court zu bewegen, und manchmal gelangen mir schöne, aggressive Schläge, aber meine Leistung war nicht beständig. Ged besaß ein instinktives Gespür für den Court. Er wusste immer, wo er war und wo sein Gegner war und wohin er den Ball schlagen musste. Insofern war er ein angriffslustiger Spieler, aber manchmal, wenn er alles gegeben hatte, wenn er drauf und dran war zu gewinnen, kam ihm die Konzentration abhanden. Bei unseren Besprechungen hörten sich Pa und Maqsud genauso aufmerksam an, was Ged und ich zu sagen hatten, wie sie einander zuhörten. Hin und wieder ließ Maqsud eine Geschichte ins Gespräch einfließen. Am liebsten erzählte er von Gogi Alauddin. Gogi stammte aus einer armen Familie. Er war noch jung, als ihn zwei Geschäftsleute spielen sahen, die ihm daraufhin Schläger kauften und ihn mit Milch versorgten. Was Gogi extrem motivierte. In Lahore, wo Gogi wohnte, gab es nicht viele Squash-Spieler, und manchmal spielte er gegen zwei Gegner gleichzeitig, um sich herauszufordern. Gogi sei zwar nie die Nummer eins geworden, sagte Maqsud, aber er sei einer der ganz Großen.

Mona und Khush beobachteten mich immer aufmerksamer. Sie hatten mitbekommen, dass sich in der Western Lane etwas tat, das nichts mit ihnen zu tun hatte. Ich rechnete damit, dass Mona mir mitteilen würde, was sie von alldem hielt, und das tat sie auch. Sie meinte, Pa würde mir erlauben, mit Ged zu spielen, weil niemand erfuhr, was im Sportzentrum vor sich ging. Niemand aus unserer Familie, niemand aus dem Gujarati-Unterricht, keiner von Pas Freunden.

Niemand, sagte sie, würde erfahren, dass ein weißer Junge und ich zusammen Sport trieben. Niemand würde erfahren, dass wir auf engem Raum umeinander herum rannten, schwitzten und uns die feuchten Handflächen an denselben Wänden abwischten, erst er, dann ich.

»Pa hat es nicht erlaubt, er hat es arrangiert«, sagte ich. »Und er hat Bala davon erzählt.«

Wir waren im Fort hinter unserem Haus. Wir hatten unsere Tennisschläger dabei, aber der Ball war weg, und wir saßen herum, unschlüssig, womit wir uns die Zeit vertreiben sollten.

»Nein, hat er nicht«, sagte Mona.

Sie ließ ihren Schläger auf dem Betonboden hüpfen.

»Bala zählt nicht«, sagte sie nach einer Weile.

Ich schaute Khush an.

»Pa redet manchmal mit Geds Mutter«, sagte ich.

Das war nicht an Mona gerichtet, aber sie stand auf und ging. Khush und ich schauten ihr nach, dann nahmen wir unsere Jacken und Schläger und folgten ihr.

»Tut er nicht«, sagte Mona, als wir sie einholten.

»Tut er wohl.«

Meine Schwestern wussten längst, dass Pa draußen vor den Courts mit Geds Mutter rauchte, aber es tat mir leid, dass ich es ihnen erzählt hatte, denn es war etwas Privates. Es hatte nichts mit uns zu tun.

Mona murmelte etwas über Tante Ranjan.

Irgendwann hatte uns Jinal, das Mädchen aus dem Gujarati-Unterricht, eine Nachricht von ihrer Mutter überbracht. Ihre Mutter hatte uns alle zum Abendessen eingeladen. Jinal hatte keine Lust gehabt, uns einzuladen, und wir hatten keine Lust gehabt, eingeladen zu werden. Mona hatte gesagt, wir müssten erst mit Pa sprechen, aber als sie Pa von der Einladung erzählte, fügte sie hinzu: »Wir haben schon nein gesagt.« Pa wollte wissen, ob wir uns für die Einladung bedankt hätten, und Mona sagte ja, und damit war die Sache für Pa erledigt. Dann hatte Tante Ranjan durch Jinals Kathak-Lehrerin, die mit Jinals Mutter befreundet war, von der Einladung erfahren. Sie rief an und wollte Pa sprechen, aber Pa war nicht zu Hause, also fragte sie Mona, was das alles zu bedeuten habe. »Nichts, Tante«, antwortete Mona. »Pa hat gesagt, wir können die Einladung nicht annehmen.« Das hatte Tante Ranjan offenbar zufriedengestellt, denn sie hatte den Hörer an Onkel Pavan weitergegeben. Jetzt fragten wir uns alle, was Tante Ranjan sagen würde, wenn sie wüsste, dass Pa mit Geds Mutter zum Rauchen nach draußen ging.

»Es ist nichts dabei«, sagte Mona. »Sie reden nur.«

Aber die Art, wie Pa mit Geds Mutter redete, hatte etwas. Er erzählte ihr, was er von bestimmten Dingen hielt, und wollte ihre Meinung hören. So hatten wir ihn mit Ma nie reden gehört, oder mit unseren Tanten oder irgendeiner anderen Frau.

Der Sommer begann in dem Jahr sonnig und heiter wie eh und je. Wir hätten uns nicht gewundert, wenn Pa und Geds Mutter, wenn sie vom Rauchen kamen, Sand oder Salzwasser an den Füßen gehabt hätten. Geds Mutter trug gelbe Sandalen und pinkfarbenen Nagellack auf den Zehennägeln. Sie war nett. Sie kam häufig kurz vorbei, um hallo zu sagen, und sie merkte sich Sachen, die man ihr erzählte. Es war immer besser, wenn meine Schwestern dann nicht da waren, denn Mona verdarb mit ihrer Missbilligung die ganze Stimmung.

Da Mona mit Pa nicht über Geds Mutter reden konnte, redete sie über die Zigaretten, und dabei ging es ihr, obwohl sie es nicht direkt aussprach, eigentlich um das Geld. Pa rauchte Camel, und er kaufte sich immer nur eine Schachtel.

»Weißt du eigentlich, wie viele Päckchen du inzwischen rauchst, Pa?«, fragte sie.

Und Pa blickte von seiner Zeitung auf.

»Du wirst es mir schon noch sagen.«

Sicher hätte sie am liebsten ausgerufen, dass es vier Schachteln pro Woche waren, aber sie wechselte das Thema. Solche verkürzten Gespräche gab es in dem Sommer in unserer Küche mehr oder weniger täglich.

Mona stellte jede Woche einen genauen Speiseplan auf, aber Pa arbeitete weniger, lehnte unter dem Vorwand, er habe zu viel zu tun, Aufträge ab oder erschien einfach nicht zur verabredeten Zeit, und so war ständig das Geld knapp. Wir mussten keinen Hunger leiden, aber für mich reichte es nie aus, um das Training zu überstehen. Bei den Sprints wurde mir übel. Meine Muskeln ermüdeten schnell.

Einmal verstauchte ich mir ein Fußgelenk. Pa merkte es erst am nächsten Morgen, weil er in dem Moment, als es passierte, gerade zum Rauchen draußen war und ich einfach weitergespielt hatte. Ged hatte es natürlich mitbekommen. Da ich nichts sagte, sagte er auch nichts, aber von da an spielte er den Ball immer direkt auf meinen Schläger, damit ich nicht so viel laufen und keine allzu schweren Ausfallschritte auf meine Rückhandseite machen musste. Er ließ sich mit dem Aufschlagen viel Zeit und nestelte nach jedem Ballwechsel an den Saiten seines Schlägers herum. Es war einfach unglaublich, wie gut er darauf achtete, wo ich war, um mir den Ball leicht zuzuspielen.

Als Pa und meine Schwestern schon schliefen, rührte ich in der Küche eine Kurkumapaste an, schmierte sie auf mein schmerzendes Fußgelenk und zog eine alte Socke darüber. Am nächsten Morgen ging ich ins Bad und entfernte die Socke; sie war auf der Innenseite ganz gelb und voller getrockneter Kurkumaklumpen. Das Gelenk war kaum geschwollen, aber wenn ich den Fuß belastete, tat es so weh, dass ich ein bisschen humpelte. Als Pa das bemerkte, befahl er mir, mich hinzusetzen und den Fuß hochzulegen. Er nahm eine Tüte Erbsen aus dem Tiefkühlschrank und packte sie auf meinen Knöchel. Dann machte er mir eine Wärmeflasche und setzte sich zu mir. Ich sagte, ich hätte es ihm erzählen sollen. Nach zwanzig Minuten legte er die Erbsen zurück in den Tiefkühlschrank, und wir warteten, bis sie wieder gefroren waren. Mona sagte, wir könnten die Erbsen nicht mehr essen, weil sie schon mal aufgetaut und dann wieder gefroren waren. Um zu verhindern, dass wir sie aus Versehen aßen, schrieb sie »Fuß« auf einen weißen Zettel und klebte ihn auf die Erbsentüte. Ein paar Tage später stand ich wieder im Court.

Als ich mir das nächste Mal den Fuß verstauchte, tat es von Anfang an viel mehr weh und es dauerte viel länger, bis ich wieder trainieren konnte. Pa und ich waren seit einer Stunde auf dem Court, als es passierte. Ich fühlte mich schwerfällig an dem Tag und sah den Ball nicht gut. Pa sagte, es sei nicht zu übersehen, dass ich erschöpft sei, aber manchmal müsse man die Erschöpfung eben überwinden. Er sagte, behalt den Ball im Auge, doch es gelang mir nicht. Ich musste viele scharfe Drehungen und Ausfallschritte machen, um den Ball zu bekommen, und irgendwann ist mein Fuß einfach umgeknickt. Der Schmerz fuhr mir wie ein eisiger Schock bis in den Kopf. Mir wurde schwarz vor Augen, und als Nächstes lag ich auf dem Boden. Ich weiß noch, wie Pa mir aufgeholfen und mich vom Court bugsiert hat, obwohl ich dachte, ich könnte noch laufen. Er hatte seine Trainingssachen an, weiße Hose und weißes T-Shirt, ich erinnere mich, dass ich dachte, wie sehr ich ihn enttäuscht hatte, und ich weiß noch, wie schön er aussah und wie schwer ich mich auf ihn stützen musste.

Pa gab mir Schmerztabletten. Diesmal bereitete er die Kurkumapaste für mich zu, dann befahl er mir, den Fuß hochzulegen. Er machte mir Kurkumawickel und kühlte das Gelenk zusätzlich. Mona lehnte mit verschränkten Armen an der Spüle und schaute uns zu. Und als Pa abends unter der Dusche stand, füllte sie eine Plastikschüssel mit warmem Wasser und stellte sie vor mich auf den Boden. Etwas von dem Wasser schwappte über und lief über meinen Verband.

Ich sagte: »Pa macht das.«

»Pa ist müde«, sagte sie.

Sie wusch die Kurkumapaste von meinem Fuß, machte frische Paste und trug sie mit dem gleichen konzentrierten Gesichtsausdruck, mit dem Ma früher Mehl gesiebt oder eine Schnittwunde verbunden hatte, ganz sanft auf die Schwellung auf. Ich sagte danke, und sie nickte, und dann warf sie einen kurzen Blick auf ihr Spiegelbild im Türfenster hinter mir.

Als Pa nach unten kam und sah, was Mona getan hatte, schaute er sie kurz an, dann setzte er sich an den Tisch, um seine Briefe zu schreiben.

Manchmal tat es sogar weh, wenn ich den Fuß hochgelegt hatte, aber es war ein dumpfer Schmerz, und meistens ging er weg, wenn ich den Fuß hin und her bewegte. Ich ging so lange nicht zur Schule, bis die Schwellung weg war und ich meine Turnschuhe wieder anziehen konnte. Ich sagte, ich könne zu Fuß gehen, aber Pa brachte uns mit dem Auto. Manchmal fuhr er zur Arbeit, während meine Schwestern und ich in der Schule waren, aber keiner von uns ging ins Sportzentrum.

Nach drei Wochen begann ich von der Western Lane zu träumen. Ich sah die weißen Wände und die Blumen vor dem Gebäude. Nachts stand ich auf, nahm meinen Schläger und setzte mich vor dem Fenster auf den Boden, da, wo zwischen den Vorhängen ein bisschen Licht ins Zimmer fiel. Ich lehnte mich an den Heizkörper, der kein Geräusch mehr machte, da die Heizung nicht an war. Ziemlich ungeschickt umwickelte ich den Griff meines Schlägers neu mit Klebeband, pulte es aber wieder ab und versuchte es erneut. Manchmal machte ich im Halbdunkel ein paar Übungen, Kniebeugen auf einem Bein zum Beispiel. Wenn Mona mich ermahnte, ich solle mich wieder ins Bett legen, hörte ich nicht auf sie, und nach einer Weile blieb sie einfach auf der Seite liegen und schaute mir zu.

Während jener Wochen, die wir nicht ins Sportzentrum fuhren, ging Pa früh schlafen, kam erst aus seinem Zimmer, wenn wir schon in der Schule waren, und war immerzu müde. Soweit wir das mitbekamen, ging er tagsüber arbeiten, aber den gesamten Haushalt überließ er Mona. Den Scheck für meine Teilnahme an dem Squash-Turnier füllte er selbst aus, aber Mona musste ihn in einen Umschlag stecken und in den Briefkasten werfen.

Mona saß oft sehr lange vor der Frisierkommode und schaute in den Spiegel. Sie legte sich einen stoischen Gesichtsausdruck zu, der sie älter erscheinen ließ. Als wir endlich in die Western Lane zurückkehrten, war es, als ginge Mona mit Pa und uns eine ganz neue Beziehung ein. Sie regelte alles im Haus, aber neuerdings bat sie Pa zu allem und jedem um seine Meinung und hörte ihm aufmerksam zu. Sie gab mir eine Extraportion Linsen und Reis und teilte sich selbst weniger zu. Nach dem Training fragte sie, ob ich mir auch trockene Sachen angezogen hätte, und sie erkundigte sich bei Khush, ob sie mit ihren Hausaufgaben zurechtkäme. Sie war uns allen gegenüber sehr aufmerksam, ja regelrecht liebevoll. Manchmal spürten wir, wie sehr sie sich anstrengte, wie sehr es sie geistig und körperlich belastete, eine Rolle auszufüllen, der sie nicht gewachsen war.

Wir waren alle in der Western Lane, als eines Tages Maqsuds Neffe aufkreuzte. Shaan war sechzehn. Er sah gut aus. Maqsud erzählte uns, sein Neffe sei für einen Nachmittag aus Coventry, wo er bei seinen Großeltern wohnte, zu Besuch gekommen und werde zusammen mit Ged und mir im Januar an dem Turnier teilnehmen. Während wir trainierten, standen Shaan und Maqsud im Flur und diskutierten über das Spiel in dem Court neben uns. Wir sahen, dass Maqsud an dem, was Shaan dazu zu sagen hatte, sehr interessiert war.

Nachdem wir zwanzig Minuten gespielt hatten, merkte ich, dass Shaan immer wieder zu unserem Court herüberschaute. Mona fiel es auch auf. Plötzlich kam sie mir vor wie eine ganz andere Spielerin. Sie hielt den Schläger oben und drehte richtig auf, sie schlug ziemlich gut. Erst dachte ich, sie wäre sauer, doch dann merkte ich, dass es etwas anderes war. Ich beobachtete sie, fasziniert von der Veränderung, bis sie sich plötzlich mitten in der Bewegung umdrehte, ihren Schläger fallen ließ, zur Rückwand ging, in aller Ruhe die Tür öffnete und in den Flur hinaustrat. Sie ging zu Pa und sagte leise etwas zu ihm. Als Khush und ich uns zu den beiden umdrehten, schaute Mona auf die Wand hinter uns und richtete mit ruckartigen Bewegungen ihren Pferdeschwanz. Ihre Augen leuchteten, und ihr Gesicht war gerötet.

Auf dem gesamten Heimweg redete Mona von dem Turnier in Durham und Cleveland.

Am nächsten Tag ging das so weiter und auch am übernächsten. Es waren noch Monate bis zum Turnier, aber wir fingen bald an, immer und immer wieder die logistischen Abläufe durchzugehen. Pa, Ged und ich würden mit Maqsud im Auto fahren und unterwegs seinen Neffen abholen. Falls es einer von uns dreien bis zum nächsten Tag schaffte, würden wir bei Maqsuds Vetter übernachten, der in Newcastle ein Restaurant besaß. So würden wir die Hotelkosten sparen. Mona überlegte, ob wir bei Maqsuds Vetter auch würden essen können oder ob wir Verpflegung für zwei Tage mitnehmen mussten.

Mona spielte in der Western Lane das eine oder andere Spiel, aber meistens unterhielt sie sich mit Maqsud. Nach einem dieser Gespräche verkündete sie, Khush und sie würden uns nach Durham und Cleveland begleiten. Sie würden nicht am Turnier teilnehmen, sondern mich unterstützen. Sie sagte, Maqsud finde das gut. Pa war einverstanden und drehte das Radio lauter.

Mona beobachtete ihn, und ihr dämmerte, dass er längst Bescheid gewusst hatte, dass das alles vielleicht sogar seine Idee gewesen war.

Sie trat an die Spüle, ließ warmes Wasser laufen, bis es dampfte, und begann mit dem Abwasch. Dann hielt sie plötzlich inne. Drehte sich um und sagte: »Ich hab einen Job angenommen.«

Pa schaltete das Radio aus.

Mona trocknete sich sorgfältig die Hände ab, setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und sagte, sie werde in einem der Friseursalons auf der Leagrave Road als Aushilfe anfangen. Sie werde Haare waschen, den Boden fegen, Fenster putzen, alle Arbeiten übernehmen, die so anfielen. Als Pa sie unverwandt anschaute, senkte sie den Blick und sagte, sie brauche eben Beschäftigung. Sie sagte nicht, wie viel sie verdienen würde, das Thema Geld erwähnte sie mit keinem Wort. Einen Moment lang herrschte Stille, dann sagte Pa, er werde sich mit dem Chef des Friseursalons unterhalten. Mona sah ihn verwundert an und fragte, warum. Er sagte, er wolle wissen, für wen sie arbeite. Ich hatte den Eindruck, dass das Mona irgendwie gefiel. Pa musste ihr versprechen, gleich am nächsten Tag mit dem Chef zu sprechen und nichts zu sagen, was sie in Verlegenheit bringen könnte. Pa hielt Wort, und anscheinend verlief das Gespräch mit dem Chef zu seiner Zufriedenheit, denn von da an drückte Mona Khush jeden Donnerstagnachmittag und jeden Samstagmorgen eine Liste mit Hausarbeiten in die Hand und machte sich auf den Weg zur Arbeit.

Weil zwei Beschäftigte sich immer wieder krankmeldeten, musste Mona ein paarmal im Friseursalon die Kasse bedienen. Sie sprach mit dem Chef über seine Finanzen. Nachdem er festgestellt hatte, dass sie ehrlich war und gut mit Geld umgehen konnte, vertraute er ihr die Buchhaltung an und erzählte den Besitzern der dreistöckigen Zoohandlung und des Gartenzentrums auf der anderen Straßenseite davon. Schon bald brachte Mona stapelweise Unterlagen mit nach Hause und machte abends die Buchhaltung für alle drei Geschäfte.

Eines Abends versuchte sie, mit Pa über mein Training zu sprechen.

»Ich hab gelesen, dass sie kurz vor dem Turnier nicht mehr mit Gewichten trainieren sollte«, sagte sie. Sie hatte mal wieder seit Tagen Kopfschmerzen und entsprechend schlechte Laune.

Pa sah sie nur wortlos an, denn ich trainierte gar nicht mit Gewichten.

Sie erwiderte seinen Blick, dann sagte sie beiläufig, wir sollten vielleicht einen neuen Schläger für mich kaufen.

Ich schaute erst zu Mona, dann auf das Glas mit Chaas, das vor mir stand. Pa mischte etwas Reis unter sein Linsen-Dal. Er sah mich an.

»Möchtest du das?«, fragte er.

Ich konzentrierte mich auf mein Glas und dachte an Maqsuds weißen, tropfenförmigen Dunlop-Schläger. Pa hielt inne, den Löffel auf halbem Weg zum Mund, und ich hörte mich sagen: »Ja.«

Ich wagte nicht zu atmen. Mona räusperte sich, wie um Pa zum Reden zu ermuntern.

»Also gut«, sagte Pa.

Mona wartete, aber von Pa kam nichts mehr.

Sie sagte, sie werde den Schläger von ihrem Lohn bezahlen.

»Wir müssen ihn bald kaufen«, fügte sie hinzu. »Sie muss sich vor dem Turnier an den neuen Schläger gewöhnen.«

Pa leerte seinen Teller, stellte ihn in die Spüle und ging ins Wohnzimmer.

Mona schaute ihm nach, dann wandte sie sich mir zu.

»Ich würde mich sehr über einen neuen Schläger freuen«, sagte ich.

Im Winter hatten Pa und ich uns einmal ausführlich über die Schläger unterhalten, die die Männer von Vauxhall benutzten. Einige hatten hölzerne Schläger, aber die meisten spielten mit welchen aus Aluminium und Fiberglas. Wir hatten über das Für und Wider dieser Schläger gesprochen, bis Pa sein Notizheft zugeklappt hatte. Jahangir Khan spiele mit hölzernen Schlägern, hatte er erklärt, genau wie wir. Aber seit Maqsud uns zum ersten Mal angesprochen hatte, träumte ich von einem Dunlop, wie ihn die Männer benutzten. Open Throat, so hießen diese tropfenförmigen Schläger.

Meine Schwestern und ich fuhren mit dem Zug nach London.

Pa meinte, eine zusätzliche Fahrkarte für ihn würde nur Geld kosten, das wir lieber für den Schläger ausgeben sollten. Er brachte uns zum Bahnhof und wollte dann arbeiten gehen.

Er sagte mir nicht, welchen Schläger ich mir seiner Meinung nach kaufen sollte, und ich fragte ihn auch nicht. Ich hatte Maqsud gefragt. Und Maqsud hatte geantwortet, sobald ich den richtigen Schläger in der Hand hielte, würde ich es wissen.

Maqsud hatte Mona auch gesagt, wo wir hingehen sollten. Der Laden befand sich in einer Seitenstraße, wo Müllsäcke am Straßenrand standen. Von außen sah er nach nichts aus, aber drinnen bot sich mir ein Anblick, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Alles war hell erleuchtet, und an sämtlichen Wänden hingen Schläger. Die meisten waren Tennisschläger, aber eine ganze Wand war voll mit Squash-Schlägern. Es waren mindestens tausend.

Mona sagte dem Verkäufer, wie viel sie ausgeben konnte, und er dachte eine Weile nach. Dann brachte er mir fünf Schläger, und keiner davon war aus Holz. Wenn ich ihn bäte, mir einen aus Holz zu bringen, würde er das sicher tun, dachte ich. Ich nahm die fünf Schläger einen nach dem anderen in die Hand.

»Schwing ihn ruhig mal«, sagte der Verkäufer. »Du kannst auch gern nach draußen gehen und einen Ball gegen die Wand schlagen.«

»Ist schon in Ordnung«, sagte ich.

Ein Schläger hatte es mir besonders angetan.

Er war ganz silbern. Es war nicht genau so einer, wie Maqsud ihn benutzte, aber er war tropfenförmig, und Maqsud hatte recht. Als ich den Schläger in der Hand hielt, wusste ich es sofort.

»Das ist ein sehr guter Schläger für den Preis«, sagte der Verkäufer.

Als er mir die Tasche mit meinem neuen Schläger reichte, wusste ich vor lauter Glück gar nicht, was ich tun sollte. Der Verkäufer machte ein Gesicht, als wollte er etwas sagen, aber er räusperte sich nur und kehrte hinter die Kasse zurück.

Draußen sagte Mona: »Und jetzt gönnen wir uns einen Milkshake.«

Wir setzten uns auf eine sonnige Bank in einem Park, mein neuer Schläger lag auf meinem Schoß.

Die Milkshakes waren cremig mit dicken Eiskugeln darin. Wir tauschten unsere Becher, damit wir alle Sorten probieren konnten.

»Wahnsinn«, sagte Khush.

Es war wirklich wahnsinnig schön. Der Himmel war blau, die Häuser rund um den Park waren weiß und hoch, und wir saßen in der Sonne und tauschten Milkshakes.

Mona hatte noch etwas Geld übrig, also gingen wir in ein Kaufhaus. Eine Verkäuferin an einem Kosmetikstand überredete Khush, sich die Augen schminken zu lassen. Sie setzte sich auf einen Hochstuhl, und wir sahen zu. Dann war Mona dran, und als sie fertig geschminkt war, sah sie sehr hübsch aus, aber nicht so hübsch wie Khush. Meine Schwestern kauften sich einen Lippenstift. Ich sagte, ich wolle nichts, außerdem habe Mona mir ja schon den Schläger gekauft, aber Mona suchte eine Farbe für mich aus und schminkte mir mit einem Tester die Lippen. Khush meinte, das sehe hübsch aus und wir sollten den Lippenstift für mich kaufen. Die Leute schauten uns an, vor allem Khush, die in ihren grauen Leggins und dem grauen T-Shirt dasaß, mit Augen zum Weinen schön.

Ganz aufgeregt kehrten wir nach Hause zurück. Anstatt hineinzugehen, setzte ich mich mit meinem Schläger auf die Stufe vor der Tür. Khush kam auch wieder nach draußen und setzte sich neben mich.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie.

Ich nickte. Wir sahen zu, wie das Licht allmählich aus dem Himmel wich und nach und nach die Sterne auftauchten. Ich dachte, wenn Fourth Avenue jetzt um die Garagen herumkäme, würde es uns nichts ausmachen, wir würden einfach sitzen bleiben und den Himmel betrachten, denn er würde uns nichts anhaben können.

Pa hatte Reis und Dal gekocht. Noch vor der Tür rochen wir den Reis und die Gewürze. Der Duft erinnerte uns daran, dass wir hungrig waren. In der Küche lief das Radio, und Pa war dabei, das Essen aufzutragen. Er reichte uns unsere Teller und fragte, wie unser Tag verlaufen sei. Während des Essens lehnte ich die Tasche mit meinem Schläger gegen mein Bein. Pa konnte uns nicht ansehen. Er sagte nichts dazu, dass wir geschminkt waren, und erst nachdem Mona den Tisch abgeräumt hatte und sie und Khush mit dem Abwasch anfingen, fragte er nach meinem Schläger. Ich nahm ihn aus der Tasche und reichte ihn über den Tisch. Meine Schwestern hielten inne und schauten zu.

Pa hielt den Schläger offen und passte die Handhaltung an. Er runzelte die Stirn, griff noch einmal anders zu. Das Radio dudelte, und langsam beschlich uns das Gefühl, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, nach London zu fahren und Monas Geld auszugeben.

Pa fuhr mit dem Daumen über den silbernen Rahmen. Dann endlich legte er den Schläger zwischen uns auf den Tisch.

»Er ist sehr gut«, sagte er. »Du hast eine gute Wahl getroffen.«

Das waren seine Worte, aber mit seinem Blick und seinem Körper – den Schultern, dem Hals, den Knochen, die sich unter der Haut abzeichneten – sagte er uns, dass wir ihn an dem Tag bloßgestellt hatten, dass wir ihn zurückgelassen, ihn schutzlos dem ausgeliefert hatten, was auf ihn zukommen mochte.

Er stand auf, legte Mona eine Hand auf die Schulter und ging nach oben.

Wir schalteten das Radio aus und räumten die Küche auf. Dann standen wir in der Küchentür und schauten in den dunklen Flur.

»Was machen wir jetzt?«, flüsterte ich.

Khush nahm den Schläger vom Tisch und reichte ihn mir.

»Nichts«, sagte sie. »Wir gehen ins Bett.«