Ebba, die Gattin des schwedischen Holzfabrikanten, legte ihre Ohrringe in die mit Samt ausgeschlagene Schatulle. Åle, ihr Mann, hatte ihr das Geschmeide geschenkt, nachdem sie knapp dem Tode entronnen waren. Truppen der deutschen Wehrmacht hatten die waldreiche Gegend um Edsbyn, wo Åles Sägewerk stand, auf der Suche nach Partisanen durchkämmt. Åle und seine Frau waren ins Mündungsfeuer eines deutschen Maschinengewehrs geraten. Eine Rotbuche hatte die Kugeln aufgefangen. Seitdem war diese Buche zu einem Wallfahrtsort für Åle und Ebba geworden. Manchmal saßen sie dort und plauderten über die dunkle Zeit, die hinter ihnen lag. Als Zeichen ihrer Errettung hatte Åle seiner Ebba diese Ohrringe geschenkt, die von seltenen Steinen, zwei »feurigen Hyazinthen« geziert wurden.
»Plågar vitlök dig också?«, fragte Ebba. «Det var för mycket vitlök i stekt lamm.«
Im Schlafanzug zupfte Åle mit der Pinzette Nasenhaare aus. Er widersprach Ebba, denn er fand, im Lammbraten sei nicht zu viel Knoblauch gewesen.
»Jag går och lägger mig«, sagte sie und nahm den Stern des Nordens ab, einen Diamanten von beachtlicher Größe, eingefasst in Platin. Dieses Schmuckstück allein war bei Lloyd’s mit vierzigtausend Pfund versichert. Åle wollte nicht gleich zu Bett gehen und erwiderte, er werde noch ein bisschen lesen. Ebbas Armband aus achtzehnkarätigem Gold, auch ihr Smaragdring kamen ebenfalls in die Schatulle. Sie gab Åle das Kästchen aus Ebenholz und bat ihn, leise ins Bett zu kommen, weil sie, einmal erwacht, nicht mehr einschlafen könne. »God natt.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»God natt, min älskling.« Er wollte sie zärtlicher küssen, doch Ebba wandte sich ab.
»Uuh, du luktar som vitlök.« Ebba rümpfte wegen des Knoblauchgeruchs die Nase.
Åle hauchte in seine Hand und stellte fest, dass sie recht hatte. Ebba ging nach drüben und löschte das Licht. Er trug die Schatulle in den Salon und sperrte den Sekretär auf. Die Nachricht, dass die Nazi-Frau aus dem vierten Stock beraubt worden war, hatte im Hotel die Runde gemacht. War es klug, Ebbas Juwelen im Sekretär zu verwahren? Sollte Åle nicht besser den Butler kommen lassen, damit er das Kästchen im Hotelsafe einschloss? Er hatte keine Lust, den Morgenmantel überzuwerfen und auf den Bedienten zu warten. Von nebenan hörte er die gleichmäßigen Atemzüge Ebbas. Sie besaß die Gabe, sofort einzuschlafen. Åle selbst fiel das mit den Jahren immer schwerer. Nein, Ebba sollte nicht gestört werden, entschied er. Schließlich waren die Klunker hoch versichert. Er schob die Schatulle ins oberste Fach, verschloss den Sekretär und legte den Schlüssel auf den Couchtisch. Später, wenn er selbst zu Bett ging, wollte er ihn im Nachttisch verwahren.
Åle griff zur schwedischen Ausgabe von Arc de Triomphe, dem Bestseller von Erich Maria Remarque. Während des Krieges hatte Åle sich geschworen, nie wieder eine Zeile eines deutschen Autors zu lesen, aber der Mann schrieb einfach spannende Bücher.
Eine halbe Stunde später löschte er das Licht und schlüpfte neben seine Frau, ohne sie zu wecken. Nach zwanzigjähriger Ehe kannte jeder von beiden die Vorlieben und Schwachstellen des anderen. Vertrauen, Verlässlichkeit und wiederkehrende Tagesrituale, so etwas mochte Åle. Mit Ebba durfte er es täglich erleben.
Der Schlüssel, ach, wie dumm, er hatte den Schlüssel für den Sekretär vergessen. Sollte er ihn drüben lassen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sich ausgerechnet heute Nacht ein Dieb in die Suite einschleichen würde? Die Fenster waren verschlossen, die Tür versperrt, kein Grund, übervorsichtig zu sein. Doch es war verflixt, wenn Åle einmal etwas in den Sinn kam, konnte er es nicht aus seinen Gedanken löschen. Er schob sich leise an den Bettrand, stellte die Füße zu Boden und kam so geschmeidig hoch, als wäre er selbst ein Meisterdieb. Barfuß schlich er in den Salon und stand der Gestalt in Schwarz gegenüber.
Åle wollte schreien, nicht vor Schreck, sondern aus Wut, weil der Kerl dort bereits den Schlüssel zum Sekretär herumdrehte. Doch selbst in dieser Lage war Åle ein liebender, rücksichtsvoller Ehemann, dem der Schlaf seiner Frau über alles ging.
»Hur kom du in?«, flüsterte er.
Der Einbrecher wandte sich zwar um, blieb aber stumm. Auf dem Kopf trug er eine schwarze Maske, die nur Augen und Mund freiließ.
Åle war ein typischer Skandinavier, groß und breit gebaut, mit einem Wohlstandsbauch. Er trat dem Einbrecher in den Weg. Der Vermummte machte einen Fluchtversuch ins Bad.
»Var inte för bråttom, kompis.« Åles massiger Brustkorb schob sich dem anderen in den Weg. Mit seinen blond behaarten Händen versuchte er ihn festzuhalten. »Nu har jag dig!«
Die Gestalt schlug Åles Arme beiseite und rammte ihm den Ellbogen in den Bauch. Åle mochte ein Hüne sein, aber er hatte einen empfindlichen Magen. Er krümmte sich und torkelte gegen die Wand. Im nächsten Moment war der Unbekannte an ihm vorbei und schlüpfte ins Bad, von wo er offenbar gekommen war. Åle taumelte ihm nach. Der Einbrecher zog sich am Fenster hoch, das zu winzig schien, um dort zu entkommen. Doch ihm gelang es. Åle hielt den Fuß des Unbekannten fest. Der trat ihn mit der Kreppsohle gegen die Stirn. Fluchend rieb sich Åle den Kopf. Dieser Moment genügte dem Dieb, um zu entkommen.
Åle stieg mit dem linken Bein auf den Badewannenrand und starrte durch die kleine Öffnung ins Dunkel. Ein Lichthof, ein Luftschacht – der klassische Weg, auf dem sich ein Juwelendieb Zutritt verschaffte. Nun, dieser Raubzug war dem Kerl vermasselt worden. Oder etwa nicht? Der Mann hatte den Schlüssel in der Hand gehalten. Wollte er ihn erst benützen oder hatte er sich schon bedient?
Åle ließ das Fenster Fenster sein, auf diesem Weg konnte er den Kerl keinesfalls verfolgen, und rannte in den Salon. Er rannte auf Zehenspitzen; Ebba hatte sich noch nicht gerührt. Der Schlüssel steckte. Vorsichtig, als könne eine Giftschlange herausspringen, drehte Åle den Schlüssel herum, öffnete das oberste Fach und fand es leer. Er war zu spät gekommen. Der Dieb hatte bereits Beute gemacht.
»Himmel, röv och tråd!«, flüsterte der Schwede, wandte sich zum Bad, zum Vorraum und griff zum Telefon. Als er den Hörer nahm, erhob sich ein Lärm, dessen Ursprung er nicht ausmachen konnte. Es schien aus dem Bad zu kommen. Åle hörte Schreie, ein Keuchen, Schläge, einen Knall, einen Sturz und hastige Schritte. Den Hörer in der Hand stand er da und wartete, was als Nächstes passieren würde.
Am anderen Ende meldete sich jemand. »Hallo? Rezeption, was kann ich für Sie tun?«
»Hallå?«, stieß Åle hervor. »Ett inbrott har ägt rum här.«
»Guten Abend, Mr Sjögren«, antwortete der Nachtportier. »Bitte verzeihen Sie, aber ich spreche kein Schwedisch. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Ja – ja –« Åle versuchte, sich an sein Schulenglisch zu erinnern. »Ein Mann, der stehlen«, brachte er hervor. »Stehlen. Mann. Gold, Gold, Diamant, Gold, alles stehlen.«
»Wollen Sie sagen, dass Sie bestohlen wurden, Mr Sjögren? Hat bei Ihnen ein Diebstahl stattgefunden?«
»Jo, Diebstahl, jo, schnell, Diebstahl.«
»Bitte unternehmen Sie nichts, Sir«, beriet ihn der Rezeptionist. »Ziehen Sie sich in ein sicheres Zimmer zurück, am besten ins Bad. Schließen Sie sich ein.«
»Bad, nein, Diebstahl in Bad –«
»Wie bitte, aus Ihrem Bad wurde etwas gestohlen?«, fragte der Portier erstaunt.
Åle wollte erklären, dass er sich nicht im Bad einschließen könne, weil der Dieb von dort gekommen und dorthin verschwunden sei. Darum sagte er es besonders langsam auf Schwedisch, weil er annahm, dann verstehe man ihn leichter. »Inbrottstjuven kom in genom badrumsfönstret.«
»Unternehmen Sie nichts«, wiederholte der Pförtner geduldig. »Es ist bereits jemand unterwegs.«
»Jo, jo, unterwegs.« Åle war im Begriff aufzulegen, als er ein erneutes Geräusch aus dem Bad vernahm.
»Vem är där?«, rief er, jede Rücksicht auf Ebba vergessend. Wie einen Faustkeil hielt Åle den Telefonhörer erhoben.
»Guten Abend«, sagte ein gut aussehender Mann in Schwarz. »Sind Sie Mr Sjögren?« Der Mann trat aus dem Bad. Er trug Schuhe mit Kreppsohlen. Seine Hände waren schmutzig, seine Jacke zerrissen. Eine dunkle Flüssigkeit trat an dem Riss aus. War das Blut?
»Varför kommer du tillbaka?«, brach es aus Åle hervor. »Warum – zurück – warum kommen?«
»Zurück? Was? Nein.« Der Mann hob die Hände. »Ich bin nicht der Dieb«, erklärte Gary Stewart. »Ich war dem Dieb auf der Spur. Ich habe ihn auf dem Dach erwartet. Beinahe hätte ich ihn geschnappt. Aber er hatte ein Messer. Er hat mir …« Er zeigte auf den Riss in der Jacke. »Jedenfalls ist er entkommen.«
Åle hatte endgültig genug. Ein Dieb, der in flagranti erwischt wurde und fliehen konnte, war eine Sache. Ein Dieb, der entkommen war, aber die Frechheit besaß, zum zweiten Mal im Bad einzusteigen und seine Maske abzunehmen, das war zu viel für Åle Sjögren. Das Telefonkabel mit sich ziehend, sprang er auf den überraschten Einbrecher zu und zog ihm mit dem elfenbeinfarbenen Hörer eins über den Schädel. Gary Stewart ging zu Boden wie vom Blitz getroffen.
»Tja«, keuchte Åle. »Du bad om det.«
Da der Einbrecher sich nicht mehr rührte, beschlich Åle die Sorge, er könnte ihn erschlagen haben. Am Telefonhörer klebte Blut. Åle ging auf die Knie und fasste an die Halsschlagader des Bewusstlosen.
»Vad händer här?« Ebba Sjögren stand in der Schlafzimmertür. »Vem är denna man?« Sie zeigte auf den Liegenden.
Åle bat sie um Verzeihung, weil er sie geweckt hatte. Zu weiteren Erklärungen kam er nicht. Es klopfte. Er sprang auf und öffnete. Clarence Oppenheim betrat die Suite, gefolgt von mehreren Angestellten und dem Chefbutler.
»Guten Abend.« Der Hoteldetektiv überragte sogar den Schweden. »Ist das der Dieb, Sir?«
»Dieb – jo – Dieb«, nickte Åle.
»Dieb?«, fragte seine schlaftrunkene Gattin.
»Tjuven«, übersetzte Åle.
»Wer hat den Mann niedergeschlagen?«, fragte Oppenheim.
»Jag«, antwortete der Schwede nicht ohne Stolz. »Jag slog honom.«
Ebba betrachtete den Mann auf dem Boden. Ein Ausdruck trat in ihre Miene, wie viele Frauen ihn bekamen, wenn sie Gary Stewart zum ersten Mal sahen. Selbst als Bewusstloser sah er hinreißend aus.