Ein paar von euch Älteren haben so etwas vielleicht schon auf Partys gesehen«, sagte Coach Greene, die vor der versammelten Oberstufe auf einem Podium stand und eine grüne Glasflasche in der Hand hielt. »Der Hersteller nennt es ›Bartes & Jaymes Wine Cooler‹, aber für die Polizei von Charleston Country heißt es ›Vergewaltigungssaft‹.«
Gretchen, die neben Abby saß, beugte sich ruckartig vor und zuckte zusammen. Sie versuchte, mit einem Blick über die Schulter festzustellen, wer sie berührt hatte, doch da war natürlich niemand. Hinter ihnen setzte gedämpftes Flüstern und Kichern ein: Wallace Stoney und seine Football-Kumpels John Bailey und Malcolm Zuckerman (der aus unerfindlichen Gründen angefangen hatte, sich Nuke zu nennen).
»Es schmeckt süß«, fuhr Coach Greene fort. »Es kostet etwa einen Dollar, und bei heißem Wetter trinkt man, wenn man nicht aufpasst, drei oder vier davon, ohne es überhaupt zu merken. Aber lasst euch nicht täuschen. Jede dieser Flaschen enthält mehr Alkohol als eine Dose Bier. Als junge Frau kann man sich mit diesen Getränken sehr leicht in eine Situation bringen, in der das, was einem am teuersten ist, für immer zerstört wird. Ihr wisst alle, wovon ich rede.«
Sie machte eine dramatische Pause und ließ den Blick über ihr Publikum wandern, als wollte sie die Schüler dazu herausfordern, einen, auch nur einen einzigen Witz zu machen. Lachen war tödlich, wenn man gerade ZU SEINEM EIGENEN BESTEN belehrt wurde.
»Es gibt Dinge, die man nicht wieder in Ordnung bringen kann, wenn sie einmal kaputt sind«, sagte Coach Greene. »Manchmal braucht es nur einen einzigen Fehler, um etwas zu zerstören, das sich nicht reparieren lässt, sei es ein guter Ruf, der gute Name einer Familie oder euer … kostbarstes … Geschenk.«
Abby wollte sich vorbeugen und Gretchen mit tiefem Ernst zuflüstern: Euer … kostbarstes … Geschenk. Diese Worte hatten das Potenzial, zu etwas zu werden, was sie einander immer wieder sagen konnten, wie »Knick-knack-wugi-wugi-wugi«, der Paarungsruf des Koalabären, oder »Feste Tüte – Labbertüte, feste Tüte – Labbertüte« aus der Fernsehwerbung. Doch seit sie sich heute Morgen in den Beifahrersitz des Golfs hatte sinken lassen, schaute Gretchen verschwollen und missmutig aus der Wäsche. Sie war ein einziges Bündel bloß liegender Nerven.
Unsichtbare Hände hatten sie die ganze Nacht über berührt, hatte sie Abby berichtet. Sie hatten ihr Gesicht angefasst, ihr auf die Schultern getippt, ihre Brust gestreichelt. Sie hatte stundenlang absolut regungslos im Bett gelegen und gebetet, dass die Flashbacks endlich aufhören würden, während ihr Tränen über die Schläfen rannen und sich in ihren Ohren sammelten. Um etwa zwei Uhr nachts war Gretchen mit dem schnurlosen Telefon in ihr Schlafzimmer geschlichen, hatte Andy angerufen und zwei Stunden mit ihm telefoniert, bis sie schließlich eingeschlafen war. Als sie im Morgengrauen erwacht war, war sie begeistert gewesen, ganze zwei Stunden am Stück geschlafen zu haben. Dann hatte sie gespürt, wie ihr eine Hand über den Bauch strich, war ins Bad gerannt und hatte sich übergeben.
»Ich kann euch gar nicht erzählen, wie viele Schülerinnen weinend zu mir ins Zimmer kommen«, sagte Coach Greene von der großen Bühne aus hellem Holz am Kopfende der Aula. »Man weiß nicht, wie viel etwas wert ist, bis man es verloren hat.«
Abby fragte sich, ob Gretchen vielleicht übertrieb. Wie lang konnten solche Flashbacks denn anhalten? Aber allem Anschein nach sagte sie die Wahrheit. Früher am Morgen war Gretchen in Amerikanische Geschichte eingeschlafen, sodass Mr Groat auf ihr Pult geklopft und durch seinen Schnurrbart gejammert hatte, dass sie es im Sekretariat vielleicht interessanter finden würde.
»Ich rede hier von eurer Zukunft, Leute«, rief Coach Greene. »Ihr müsst nur ein kleines bisschen nachlässig sein, um sie für immer zu zerstören. Einfach so!«
Sie schnippte mit den Fingern, und das Geräusch klang nach brechenden Knochen. Coach Greene machte eine Pause, damit ihre Worte einsickern konnten. Schweiß glänzte auf ihrer Oberlippe.
Rumpelnd drückte die gewaltige Klimaanlage kalte Luft durch die Belüftungsschlitze in der Decke. Am anderen Ende der Aula hustete jemand. In der Stille ruckte Gretchen einmal mehr nach vorne, sodass ihr Stuhl klapperte. Abby warf ihr einen Blick zu. Gretchens rechte Schulter zuckte, als stieße jemand sie dort immer wieder an, zerrte sie vor und zurück. In der Kirche betete Abby nie, aber jetzt in diesem Moment betete sie darum, dass Coach Greene nichts von dieser Störung mitbekommen würde.
»Hör auf«, sagte Gretchen halblaut.
Kalter Schweiß lief Abby an den Flanken herab.
»Psst«, flüsterte sie.
»Ein Geschenk«, wiederholte Coach Greene und wedelte dramatisch mit der grünen Flasche. »Und man kann es nur einmal jemandem geben, und dieser Jemand sollte der sein, den man liebt, und nicht …«
»Aufhören!«, rief Gretchen, stand auf und drehte sich mit hochrotem Gesicht um.
Alle Köpfe wirbelten herum, und die gesamte Aufmerksamkeit richtete sich mit einem Mal auf Gretchen, die mit hochrotem Kopf und vor Anspannung zitternd dastand.
»Ich hab nichts gemacht«, sagte Wallace Stoney, lehnte sich zurück und hob die Arme, wie um sich zu ergeben.
»Kann ich Ihnen helfen, Ms Lang?«, fragte Coach Greene.
»Gretchen«, flüsterte Abby aus dem Mundwinkel. »Setz. Dich. Hin.«
»Gibt es ein Problem, Ms Lang?«, wiederholte Coach Greene und betonte jedes einzelne Wort deutlich.
»Irgendwer fasst mich dauernd an«, sagte Gretchen.
»Und dann bist du aufgewacht«, murmelte Wallace Stoney und wurde mit leisem Gelächter von den Jungs um ihn herum belohnt.
»Ruhe!«, rief Coach Greene. »Langweile ich Sie, Ms Lang? Weil ich das nämlich auch in der Samstagsschule noch einmal erzählen kann, wenn es Ihnen lieber wäre. Oder vielleicht können Sie es sich noch mal anhören, wenn Sie weinend bei mir im Sprechzimmer sitzen, nachdem Sie Ihren größten Schatz in die Gosse geworfen und Schande über sich, Ihre Familie und Ihre Schule gebracht haben. Gefällt Ihnen diese Vorstellung?«
Gretchen hätte sagen sollen: »Nein, Ma’am.« Sie hätte sich entschuldigen sollen. Sie hätte sich hinsetzen und ihre verdiente Strafe über sich ergehen lassen sollen. Stattdessen widersprach sie zu Abbys Entsetzen.
»Wallace berührt mich die ganze Zeit hinten am Hals.«
»Das hättest du wohl gerne!«, sagte Wallace, und selbst Mrs Massey, die am Ende ihrer Reihe saß, lachte, bevor sie ihr Lehrerinnengesicht aufsetzte, sich vorbeugte und Wallace mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Verstummen brachte.
»Das reicht«, sagte sie.
»Aber ich habe nichts gemacht«, wandte Wallace ein.
»Wir haben ihn gesehen«, sprang Nuke Zuckerman seinem Kumpel bei. »Er hat hier bloß gesessen. Die spinnt.«
Coach Greene zeigte mit der Wine-Cooler-Flasche auf Gretchen.
»Warten Sie im Vorraum, Lang«, sagte sie. »Oder besser noch, gehen Sie ins Sekretariat und warten Sie auf Major. Der dürfte eine klare Vorstellung davon haben, wie mit Ihnen zu verfahren ist.«
»Ich habe nichts gemacht!«, rief Gretchen.
»Raus, sofort! Abmarsch!«
»Aber …«
»Sofort!«
Abby sah auf ihre Hände hinab und schlang die Finger ineinander.
»Das ist ungerecht«, brummte Gretchen, während sie schwerfällig über Abbys Beine kletterte und die Reihe entlangstolperte, erschöpft und mit wackligen Gliedern. Vielleicht war sie nur gestrauchelt, oder vielleicht hatte jemand ihr ein Bein gestellt, jedenfalls fiel sie hin, als sie das Ende der Stuhlreihe erreichte, und landete auf allen vieren im Mittelgang. In diesem Moment erklang das Buhen.
Niemand weiß, wie es dazu kommt oder wer so etwas anfängt, aber es ist der Laut, der spontan ertönt, wenn jemand in der Mensa ein Glas zerbricht. Ein langer, tiefer Laut des Tadels und der Scham, der leise aus dreihundert Kehlen drang und die Aula erfüllte: Buuuuuh. Unerbittlich und unbeirrbar wie ein Bombenalarm begleitete er Gretchen auf ihrem langen Marsch den Mittelgang hinauf bis zur Doppeltür. Abby saß die ganze Zeit da, als hätte sie einen Stock verschluckt, entsetzt und fest entschlossen, nicht mit einzufallen.
»Aufhören«, rief Coach Greene vom Kopfende des Auditoriums. Sie klatschte zweimal ins Mikrofon. »Schluss damit!«
Dann nahm sie die Pfeife, die sie um den Hals hängen hatte, beugte sich ans Mikrofon und blies einmal laut hinein. Eine jaulende Rückkopplung ertönte, das Buhen verstummte, und die Schüler fassten sich in übertriebenen Gesten des Schmerzes an die Ohren.
»Findet ihr das lustig?«, brüllte Coach Greene. »Da draußen gibt es Leute, die nur darauf warten, euch eine Sekunde lang abzulenken, damit sie euch Drogen in eure Coca-Cola mischen können: GBH, LSD, PCP. Denkt ihr, dass ich lüge? Dann lest mal eine Zeitung.«
In diesem Moment wuchtete Major sich von seinem Stuhl in der ersten Reihe hoch und walzte ans Podium, wobei er Coach Greene einfach zur Seite drängte.
»Ruhe«, murmelte er mit seiner verschleimten, monotonen Stimme. »Ruhe, alle. Danke, Coach, für diese wertvollen Informationen.«
Er schlug seine dicken Flossen in einem dumpfen Trommelrhythmus zusammen, der kein Ende fand, bis der Lehrkörper schließlich kapierte und mitklatschte; schließlich fielen hier und da auch die Schüler in den Applaus mit ein.
»Ich möchte diese Gelegenheit gerne nutzen, um meine tiefe Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen«, brummte Major. »Die grundlegenden Werte der Albemarle Academy kommen in unserem Motto zum Ausdruck: Vertrauen und Ehre. Und heute Morgen haben Sie alle mein Vertrauen missachtet.«
Major war immer von allen enttäuscht. Das war sein einziger Gefühlszustand. Er hatte dicke Hüften und war grau: grauhaarig, grauhäutig, grauzüngig, graulippig. Er war als Junge auf die Albemarle gegangen und seit über drei Jahrzehnten erst Lehrer und dann Rektor gewesen, und in all der Zeit hatte jeder einzelne Schüler, der durch seine Tür getreten war, ihn enttäuscht.
»Das Schuljahr hat gerade erst begonnen, und es gibt bereits Vorfälle von Vandalismus im Oberstufenhaus«, polterte er weiter und walzte damit all jene nieder, die in den Reihen vor ihm flüsterten. »Schüler haben auf dem Oberstufenparkplatz geparkt, ohne die dafür benötigten Aufkleber deutlich sichtbar in ihren Fenstern anzubringen. Man hat Schüler auf dem Schulgelände beim Rauchen beobachtet. Ab heute Nachmittag bleibt das Oberstufenhaus für den Rest des Halbjahrs geschlossen. Ich habe mit dem Betreuungslehrer, Mr Groat, gesprochen, der meiner Entscheidung zustimmt.«
Es gab eine Pause. Die Atmosphäre fühlte sich geladen an.
»Also«, fuhr Major fort, »wessen Fahrzeug ohne den benötigten Aufkleber auf dem Oberstufenparkplatz gefunden wird, der wird suspendiert. Disziplin …« Geflüster durchlief die Reihen. Coach Greene ging den Mittelgang entlang und schrieb Namen auf. »Ruhe. Disziplin ist die Ausbildung, die eine Strafe überflüssig macht. Singen wir nun die Hymne unserer Alma Mater.«
Mrs Gray hastete an das Klavier am Fuß der Bühne und griff in die Tasten, während Major, Coach Greene und der neue Hausseelsorger Vater Morgan sich erhoben und sangen. Lehrkörper und Schülerschaft standen widerwillig auf und fielen mit ein. Abby war wahrscheinlich die Einzige in der Aula, die den ganzen Text auswendig kannte, aber sie nuschelte sich durch die Strophen, genau wie alle anderen. Misstönender Gesang erfüllte den Saal, während die Schülerschaft ihre Schule so frohgemut pries wie Häftlinge beim Steinehacken.
Unmittelbar danach fanden Abby, Glee und Margaret sich zur Manöverbesprechung zusammen. Die Schüler waren in aufgekratzten Grüppchen über den Rasen verteilt. Es gab Gerüchte, dass Major den Homecoming-Ball absagen würde, oder die Spaßwoche, oder dass er das Oberstufenhaus abreißen lassen würde, oder dass er die Eltern aller Schüler ermorden und sie alle samstags nachsitzen lassen würde. Keiner wusste, was er tun würde. Der Mann war wahnsinnig.
Die drei Mädchen hingegen machten sich Sorgen um Gretchen. Gleich nach Ende der Vollversammlung waren sie direkt zum Sekretariat gegangen, aber Ms Toné, die Oberstufensekretärin, hatte sie sofort wieder rausgeworfen. Daraufhin hatten sie den Rückzug Richtung Rasen angetreten und saßen nun an einem Platz, von dem aus sie die Tür zum Sekretariat sehen konnten. So wachsam, wie sie die Tür beobachteten, war es ein Wunder, dass sie nicht spontan in Flammen aufging. Sie sahen Major hineingehen. Sie sahen, wie er mit Gretchen zu seinem Büro ging. Sie sahen, wie er seine Jalousien zumachte. Sie starrten auf die Tür des Sekretariats und sprachen kaum ein Wort. Sie mussten Gretchen sehen, wenn sie wieder rauskam.
»Na, ihr Nulpen?«, fragte Wallace Stoney, ließ sich zwischen Margaret und Glee im Gras nieder und stecke Margaret die Zunge in den Hals.
»Leute«, sagte Glee. »Mir wird schlecht. Echt.«
Während sie mit dem Gesicht immer noch an Wallace’ Mundöffnung klebte, zeigte Margaret Glee den Finger, legte ihm die Beine auf den Schoß und fütterte ihn weiter mit ihrer Zunge.
»Sehr reif«, sagte Glee.
Abby war sich sicher, dass es irre toll war, wenn jemand die ganze Zeit körperlich auf einen scharf war, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um mit seiner mordsgeilen Romanze anzugeben, indem man mitten auf dem Rasen rummachte.
»Was hast du mit Gretchen gemacht?«, fragte sie Wallace.
»Du warst doch da«, sagte er und löste sich von Margaret. »Wisch dir die Scheißschminke aus den Augen. Offensichtlich träumt sie davon, dass ich sie anfasse, weil sie nämlich die ganze Zeit davon redet.«
»Wegen dir ist sie jetzt schon eine halbe Stunde da drin«, sagte Abby. »Du solltest ihnen sagen, was du gemacht hast.«
»Du solltest dich um deinen eigenen Scheiß kümmern«, sagte Wallace ruhig. »Deine kleine Herzallerliebste hat’n Sprung in der Schüssel, was kann ich dafür?«
Sie beachteten ihn nicht weiter, weil Gretchen nun endlich aus der Tür zum Sekretariat trat. Sie kam zu ihnen geschlurft und ließ sich neben Abby auf den Rasen plumpsen, ohne Wallace auch nur anzusehen.
»Was ist passiert?«, fragte Glee. »Du warst da drei Stunden oder so drin.«
Margaret wischte sich Wallace’ Spucke vom Kinn. Dann brach sie die Hälfte von ihrem Frühstücksriegel ab und reichte sie Gretchen. Sie gab nur zu gerne feste Nahrung ab, die tatsächlich Kalorien enthielt.
»Was hat der Giftzwerg zu dir gesagt?«, fragte sie.
Gretchen begann, Margarets Frühstücksriegel zu kleinen Krümeln zu zerbröseln, die sie ins Gras fallen ließ. »Er hat bloß geredet«, sagte sie. »In erster Linie von Vertrauen und Ehre, und davon, dass in Amerika ein Krieg um die Seelen seiner Kinder stattfindet oder so. Ich habe irgendwann nicht mehr zugehört. Er wollte wissen, ob ich auf Drogen sei.«
»Ja«, sagte Wallace. »Diese blöden Pillen.«
Niemand beachtete ihn.
»Was hast du gesagt?«, fragte Margaret. Sie hegte die irrationale Angst, dass Gretchen sie vielleicht alle hatte hochgehen lassen.
»Ich habe ihm gesagt, dass Coach Greene nichts zu erzählen hätte, was ich mir anhören müsste. Dann hat er mir gesagt, dass ich mich bei ihr entschuldigen muss, bevor ich wieder zum Volleyball gehen kann. Und dann habe ich ihm gesagt, dass das schon in Ordnung sei, weil ich das Team verlasse.«
Die drei anderen starrten sie entsetzt an. Wenn man in Schwierigkeiten geriet, versuchte man, aus der Sache rauszukommen, und nicht, sie noch schlimmer zu machen. Wallace Stoney lachte ein Robbenlachen.
»Du bist so was von angeschmiert!«, gackerte er.
»Was hat er gemacht?«, fragte Abby.
»Er lässt mich nachsitzen«, sagte Gretchen. »Wegen mangelnden Respekts.«
»Sauber gemacht, Gretchi.« Wallace lachte erneut. »Da hast du dich ja echt ins Zeug gelegt.«
»Ehrlich?«, fragte Abby ungläubig. Wie konnte Gretchen sie einfach allein im Volleyball-Team zurücklassen? »Wenn du aus dem Team aussteigst, bringen deine Eltern dich um.«
Gretchen zuckte mit den Schultern. Dann meldete Wallace sich wieder zu Wort und riss das Gespräch an sich, ohne auch nur zu merken, dass keiner lachte.
»Hast du deine Tage?«, fragte er. »Hast du deshalb versucht, mich in Schwierigkeiten zu bringen?«
»Wallace«, sagte Gretchen leise. »Hör auf, dich wie ein Schwein zu verhalten.«
Alle hielten einen Moment lang die Luft an und warteten auf Margarets Reaktion.
»Hör auf, dich wie eine blöde Hure zu verhalten«, erwiderte Wallace lachend – ein Oberstufenschüler, der ein Mädchen aus der Mittelstufe runtermachte.
»Bei uns musst du nicht den Harten markieren«, sagte Gretchen. »Wir wissen alle vom ersten Mal, als du und Margaret es miteinander getrieben habt. Du hast keine fünf Sekunden durchgehalten.«
Jetzt starrte sie Wallace an, die Hände um die Schienbeine gekrallt, das Kinn hinter den Knien. Niemand lachte, niemand wagte es auch nur, sich zu regen. Was Margaret ihnen erzählt hatte, war absolut geheim gewesen, und sie wussten alle, dass sie ihre Worte niemals wiederholen durften. Die Narbe an Wallace’ Oberlippe wurde weiß.
Margaret riss einen Klumpen Gras aus und warf ihn auf Gretchen. »Tickst du nicht ganz richtig?«, fuhr sie sie an.
»Ich bin nur ehrlich zu unserem kleinen, süßen Hengst«, sagte Gretchen. »Er ist ein Poser. Er kann nicht bumsen, wenn er nicht besoffen ist, und er hackt auf Abby rum, weil sie zu nett ist, um sich zu wehren. Ich bin es leid, höflich zu ihm zu sein.«
»Immerhin bin ich kein jungfräuliches Eisköniginnenmiststück«, knurrte Wallace Gretchen an, während er sich aufsetzte und Margarets Beine von seinem Schoß schob.
Gretchen hatte sofort eine Erwiderung parat.
»Immerhin schnuppere ich nicht an den Unterhosen meiner Schwester.«
Wallace stürzte sich mit ausgestreckten Armen auf sie. Glee und Abby kreischten. Alle Blicke richteten sich auf sie, und sogar die Boccia-Spieler hörten auf, Bälle zu werfen, und starrten sie an. Margaret sprang Wallace auf den Rücken und stieß ihn von Gretchen weg, die wie eine Krabbe auf dem Rasen rückwärtskrabbelte.
»Fick dich, du Schlampe!«, brüllte Wallace und versuchte aufzustehen, während Margaret immer noch an ihm dranhing.
»Würdest du wohl gern«, sagte Gretchen.
Abby und Glee waren wie erstarrt. Wallace Stoney schnupperte an den Unterhosen seiner Schwester?
Gretchen stand auf und stellte sich direkt vor Wallace. Er sah aus, als hätte er sie am liebsten gepackt, aber selbst er wusste, dass man nicht mitten auf dem Schulrasen ein Mädchen schlug.
»Du bist nicht gut genug für Margaret«, sagte Gretchen. »Du betrügst, du lügst, du sagst, dass du sie liebst, alles nur, damit sie mit dir bumst. Und weißt du, was daran am traurigsten ist? Dass du die ganze Zeit versuchst, mich anzumachen. Ich bin nicht interessiert, Schlappschwanz.«
Gretchen hatte den Unterkiefer vorgeschoben, die Sehnen an ihrem Hals traten hervor, und sie hatte die Augen so weit aufgerissen, dass man rundherum das Weiße sehen konnte. Abby hatte das Gefühl, dass sie sie irgendwie aufhalten musste, aber die Sache war bereits zu weit gegangen. Sie befanden sich nun in für Abby fremden Gewässern.
»Margaret sollte einfach mit dir Schluss machen«, sagte Gretchen, »weil …«
Dann beugte sie sich vor und übergab sich. Abby und Glee wichen hektisch zurück, als ein paar Liter heißer, milchiger Flüssigkeit mit Hochdruck aus Gretchens Mund und auf das Gras zwischen Wallace’ Füßen spritzten. Abby war gerade so aus der Gefahrenzone, als Gretchens Magen sich erneut zusammenkrampfte und eine weitere Ladung einer dicken, weißen Flüssigkeit hochpumpte. Darin befanden sich schwarze Streifen, die nach Würmern aussahen. Als Abby sich vorbeugte, erkannte sie, dass es sich um Federn handelte.
Wallace sprang zurück und kreischte wie ein Mädchen.
»Das sind neue Schuhe!«, rief er.
Als er bemerkte, dass alle zusahen, drückte er die Brust raus und schob Margaret hinter sich wie ein echter Mann, der seine Frau vor der schrecklichen Bedrohung durch Mädchenkotze schützte. Gretchen stand vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, und atmete schwer. Alle hörten das Kreischen der Möwen über ihren Köpfen, die sich bei der plötzlich aufgetauchten reichhaltigen Nahrungsquelle sammelten.
»Oh. Mein. Gott«, sagte Glee.
»Ich …«, setzte Gretchen an, und dann fiel sie auf die Knie und schoss einen weiteren Strahl weißer Kotze ab; danach hingen ein paar der Federn wie Spinnenbeine an ihrer Unterlippe. Abby sah, wie Mr Barlow über den Rasen zu ihnen rannte; die Leute setzten sich nach und nach in Bewegung, und weit weg klatschte jemand sehr langsam und pfiff. Überall auf dem Rasen begannen die Leute zu reden, doch Abby hatte nur Augen für Gretchen. Gretchen hob den Kopf, und ihre Blicke begegneten einander. Es sah aus, als bildete Gretchen mit den Lippen die Worte: »Hilf mir.«
Dann war Mr Barlow bei ihnen, und alle redeten, und er zog Gretchen behutsam auf die Beine, um sie ins Sekretariat zu bringen. Wallace verließ schnellstens den Tatort und kehrte zu seinen Freunden zurück, wobei er Margaret hinter sich herzog.
Langsam näherten sich die Leute dem Schauplatz der Katastrophe, doch bevor irgendjemand allzu dicht heran war, riss Abby das Volleyball-T-Shirt aus ihrer Tasche und bedeckte die Lache von Erbrochenem damit. Als sie ihren Jersey über die weiße Pfütze breitete, hätte sie schwören können, dass sie sah, wie einige der schwarzen Federn sich wurmartig wanden, entfalteten und wie etwas Lebendiges ineinanderschlangen.