Party All The Time

Leute, habt ihr Lust, total abzugehen?«, fragte Margaret Middleton.

Blutwarmes Wasser schwappte gegen den Rumpf der Boston Whaler. Seit fast einer Stunde trieben die vier Mädchen schweigend auf dem kleinen Fluss dahin; Bob Marleys Stimme drang leise aus der Anlage, sie hatten die Augen geschlossen, die Beine hochgelegt, die Sonne war warm, und sie dösten vor sich hin. Vorher waren sie bei Wadmalaw Island Wasserski gefahren, aber nachdem Gretchen übel abgeschmiert war, hatte Margaret sie in einen Seitenarm gefahren, den Motor abgeschaltet, den Anker ausgeworfen und sie treiben lassen. Eine Stunde lang war das lauteste Geräusch das gelegentliche Aufflackern eines Feuerzeugs, wenn jemand sich eine Mentholzigarette anzündete, oder das üppige Plopp, wenn jemand sich ein lauwarmes Bier aufmachte. All das wurde untermalt vom ewigen Rauschen des Sumpfgrases im Wind.

Abby erwachte aus ihrem Halbschlaf und sah, wie Glee ein Bier aus der Kühlbox holte. Glee machte ihr »Willst du eins?«-Gesicht. Als Abby den Arm ausstreckte, spürte sie, wie die Schicht aus getrocknetem Salz auf ihrer Haut Risse bekam. Sie nahm einen tiefen Schluck von dem warmen, wässrigen, wunderbaren Bier. Busch war ihre Lieblingsmarke, weil die alte Dame vom Getränkemarkt ihnen für vierzig Dollar einen Kasten davon gab, ohne einen Altersnachweis zu verlangen.

Abby war erfüllt von einem Gefühl der Zugehörigkeit. Hier draußen gab es nichts, worüber man sich hätte Sorgen machen müssen. Sie mussten nicht reden. Sie mussten bei niemandem Eindruck schinden. Sie konnten vor den Augen der anderen einschlafen. Die wirkliche Welt war weit weg.

Die vier waren beste Freundinnen. Manche bezeichneten sie als Schicksen oder Konsumopfer oder Doofie-Debütantinnen, aber das ging ihnen am Arsch vorbei. Gretchen war die Zweitbeste in ihrer Klasse, und die anderen waren in den Top Ten. Sie alle standen auf der Liste der Schulbesten, spielten im Volleyball-Team, engagierten sich in gemeinnützigen Projekten, hatten einwandfreie Noten, und, wie Hugh Horton es einmal mit großer Ehrerbietung formuliert hatte, ihre Scheiße schmeckte nach Zucker.

Das kam nicht von ungefähr. Es war ihnen wichtig, und sie strengten sich an. Ihre Kleider waren ihnen wichtig, ihr Haar, ihre Schminke (vor allem Abby war ihre Schminke wichtig) und ihre Noten. Abby, Gretchen, Glee und Margaret hatten noch so einiges vor im Leben.

Margaret saß am Steuer, die Beine auf der Wasserrutsche, und blies große Wolken Mentholrauch aus. Sie war scheiße reich, vollgepumpt mit dem Geld einer alteingesessenen Charleston-Familie, als Amerikanerin geboren und Südstaatlerin von Gottes Gnaden. Sie war Maxi-Margaret, eine riesengroße blonde Sportskanone, die mit ihren weit ausladenden Armen und Beinen das halbe Boot vereinnahmte. Alles an ihr war einfach zu viel: Ihre Lippen waren zu rot, ihr Haar zu blond, ihre Nase zu krumm, ihre Stimme zu laut.

Glee gähnte und streckte sich. Sie war das absolute Gegenteil von Margaret, die winzig kleine, sonnengebräunte Mädchenversion von Michael J. Fox, die ihre Schuhe noch immer in der Kinderabteilung kaufen musste. Im Sommer nahm ihre Haut einen noch dunkleren, haselnussbraunen Farbton an, und ihr Bauchnabel wurde schwarz. Ihr Haar hatte Strähnen in sieben verschiedenen Brauntönen, und obwohl sie eine Nase wie ein Koalabär und traurige Welpenaugen hatte, zog sie immer viel männliche Aufmerksamkeit auf sich, weil sie für ihr Alter und im Verhältnis zu ihrer Körpergröße außergewöhnlich gut entwickelt war. Außerdem war Glee so smart, dass es einem Angst machte, ein kleiner Yuppie bis ins Mark. Ihren kleinen roten Saab hatte sie nicht von ihrem Daddy bekommen: Sie hatte die Anzahlung mit Geld geleistet, das sie auf dem Aktienmarkt gemacht hatte. Das Einzige, was ihr Daddy für sie getan hatte, war, die Käufe zu tätigen.

Gretchen, die mit dem Gesicht nach unten auf einem Handtuch am Heck lag, hob den Kopf und nahm einen Schluck von ihrem Bier. Gretchen: Die Kassenwartin der Schülergemeinde, Gründerin der Recycling-AG, Gründerin der hiesigen Amnesty-International-Schülergruppe, und, wenn es nach den Toilettenwänden ging, das schärfste Mädchen der Zehnten. Hochgewachsen, schlank, langgliedrig und blond, war sie eine Laura-Ashley-Prinzessin in Blumendruckkleidern und Esprit-Tops – was sie in scharfen Kontrast zu Abby setzte, die Gretchen kaum bis zu den Schultern reichte und mit ihrer ausladenden Frisur und der dick aufgetragenen Schminke aussah wie die Bedienung eines Truckstop-Diners. Abby gab sich alle Mühe, nicht zu viel über ihr Aussehen nachzudenken, und meistens, insbesondere an Tagen wie diesen, gelang ihr das auch.

Während sie ihre Zigaretten anzündeten, ihre Biere öffneten und träge blinzelnd in die Gegenwart zurückkehrten, zog Margaret eine schwarze Plastikfilmdose aus ihrer Handtasche, hielt sie hoch und fragte:

»Leute, habt ihr Lust, total abzugehen?«

»Was ist das?«, fragte Abby.

»Acid«, sagte Margaret.

Mit einem Mal umschmeichelte Bob Marleys Stimme ihre Ohren noch sehr viel schöner.

Gretchen drehte sich auf ihrem Handtuch herum. »Wo hast du das her?«

»Sie hat es von Riley geklaut«, log Glee.

Margaret war das einzige Mädchen in ihrer riesigen Familie, und ihr zweitältester Bruder Riley war ein stadtbekannter Junkie, der seine Zeit abwechselnd am College und in der Entzugsklinik in Fenwick Hall verbrachte, wo die reichsten Alkoholiker Charlestons hingingen, um sich eine Auszeit zu nehmen. Er war dafür bekannt, dass er den Mädchen im Windjammer Drogen in die Drinks schmuggelte, um dann, wenn sie das Bewusstsein verloren hatten, auf der Rückbank seines Wagens Sex mit ihnen zu haben. Die ganze Sache hatte ein Ende, als eines der Mädchen aufwachte, ihm die Nase brach, oben ohne den Ocean Boulevard entlangrannte und sich dabei die Lungen aus dem Leib schrie. Der Richter hielt die Eltern des Mädchens dazu an, keine Anklage zu erheben, weil Riley aus einer guten Familie kam und noch sein ganzes Leben vor sich hatte. Letztendlich verdonnerte man ihn nur dazu, für ein Jahr zu Hause zu wohnen. Also zog er zwischen verschiedenen Häusern der Middletons hin und her – von Wadmalaw nach Seabrook nach Sullivan’s Island nach Downtown –, wobei er immer Abstand zu seinem Dad hielt. Angeblich ging er zu Treffen der Anonymen Alkoholiker, aber in erster Linie verkaufte er Drogen.

Aber immerhin kannten sie Riley. Wenn Margaret und Glee Gretchen erzählt hätten, wo sie das Acid wirklich herhatten, hätte sie es niemals genommen; und wenn diese Mädchen einen Fehltritt begingen, dann entweder alle gemeinsam oder überhaupt nicht. So hielten sie es mit allen Dingen.

»Ich weiß nicht«, sagte Gretchen. »Ich will nicht enden wie Syd Barrett.«

Syd Barrett, der ursprüngliche Leadsänger von Pink Floyd, hatte in den Sechzigern so viel Acid genommen, dass es ihm das Gehirn gegrillt hatte, und nun, zwanzig Jahre später, wohnte er bei seiner Mom im Keller und schaffte es manchmal, an seinen guten Tagen, mit dem Fahrrad zur Post zu fahren. Er sammelte Briefmarken. Gretchen war hundertprozentig davon überzeugt, dass sie den Syd Barrett machen und nie wieder normal werden würde, wenn sie anfing, Acid zu nehmen.

»Mein Bruder hat erzählt, dass Syd letztes Jahr ein Album rausgebracht hat, aber dass alle Lieder darauf vom Briefmarkensammeln handeln«, sagte Glee.

»Stellt euch vor, das wäre ich«, sagte Gretchen.

Dramatisch blies Margaret eine Rauchwolke aus.

»Und du sammelst nicht mal Briefmarken«, sagte sie. »Scheiße, worüber sollst du dann bloß singen?«

»Ich mache es, wenn du mir versprichst, alle Dosen der Recycling-AG zur Recyclingstelle zu fahren«, sagte Gretchen zu Margaret.

Margaret schnipste ihren Zigarettenstummel ins Wasser.

»Hier hast du was zum Recyceln, du Hippie.«

»Glee?«, fragte Gretchen.

»Die Säcke haben Löcher«, sagte Glee. »Da bekomme ich Wespen ins Auto.«

Gretchen stand auf, hob die Arme über den Kopf und berührte mit den Fingerspitzen den Himmel. »Wie immer«, sagte sie. »Danke für eure Unterstützung.«

Dann streckte sie eins ihrer langen Beine aus, machte einen Schritt übers Heck und glitt ohne einen Spritzer ins Wasser hinab. Sie tauchte nicht wieder auf. Großes Gejohle. Gretchen konnte ewig die Luft anhalten, und sie schmollte gerne am eiskalten Grund des Flusses. Das war das Gute an Gretchen. Sosehr sie den Planeten auch retten wollte, sie blieb in der Beziehung trotzdem locker.

»Wenn du ihr sagst, wo wir es herhaben, schlag ich dir die Fresse ein«, sagte Margaret zu Abby.

Der Sommer ’88 war der großartigste Sommer aller Zeiten gewesen. Es war der Sommer von »Pour Some Sugar on Me« und »Sweet Chid O’ Mine«, und Abbys ganzes Geld ging für Benzin drauf, weil sie endlich ihren Führerschein hatte und nach Einbruch der Dunkelheit fahren durfte. Jeden Abend um sechs Minuten nach elf drückten sie und Gretchen die Fliegengitter aus ihren Fenstern, schlüpften ins Freie und fuhren in Charleston durch die Gegend. Sie gingen nachts am Strand schwimmen, sie hingen mit den James-Island-Kids am City Market rum, sie rauchten auf dem Parkplatz vor dem Garden & Gun-Klub und schauten zu, wie die Typen vom Military College sich mit anderen Leuten anlegten. Eines Nachts waren sie einfach auf der 17 nach Norden gefahren und bis fast nach Myrtle Beach gekommen. Unterwegs rauchten sie eine ganze Packung Parliaments und hörten immer wieder »Fast Car« und »Talkin’ Bout a Revolution« von Tracy Chapman. Bei Sonnenaufgang machten sie sich wieder auf den Weg nach Hause.

Derweil hatten Margaret und Glee den Großteil ihres Sommers damit verbracht, in Glees Wagen zu sitzen und darauf zu warten, dass Drogendeals zustande kamen. Abgesehen von den totalen Mutanten aus ihrer Klasse, hatte niemand von ihnen jemals Acid genommen, deshalb war es Margaret wichtig, dass sie die ersten normalen Leute waren, die einen Drogenrausch erlebten; genau wie sie die ersten Mädchen gewesen waren, die eine Entschuldigung für den Sportunterricht mitgebracht hatten, weil sie ihre Periode bekommen hatten, genau wie sie die ersten vier gewesen waren, die ein Livekonzert (Cindy Lauper) besucht hatten, und die ersten vier, die ihren Führerschein gemacht hatten (mit Ausnahme von Gretchen, die Probleme damit hatte, links von rechts zu unterscheiden).

Margaret und Glee verbrachten Monate mit dem Acid-Projekt, aber aus keinem ihrer Deals wurde etwas. Nach einer Weile tat Glee Abby leid, und sie bot ihren Golf für eine weitere lange Drogenfahrt ins Nirgendwo an. Abbys Angebot versetzte sowohl Glee als auch Margaret in Zorn.

»Scheiße noch mal, nein«, sagte Margaret. »Du fährst nicht. Die Grundschule, in die wir gegangen sind, ist nach meinem Großpapa benannt.«

»Die Firma meines Vaters betreut das Portfolio der Schule«, fügte Glee hinzu.

»Wenn man uns erwischt, dann werden wir suspendiert«, sagte Margaret. »Das ist Gratisurlaub. Wenn man dich erwischt, fliegst du. Ich will nicht mit einer gescheiterten Existenz befreundet sein, die bei S-Mart arbeitet.«

Abby hielt das für eine übertrieben negative Sicht der Dinge. Ja, sie war auf dieser Schule, weil sie ein Stipendium mit hundert Auflagen und Verpflichtungen hatte, aber die Albemarle Academy war eindeutig nicht auf der Suche nach einem Grund, sie loszuwerden. Ihre Noten waren ausgezeichnet. Doch mit Margaret zu streiten, war zwecklos, also bot Abby an, Glee stattdessen das Benzin zu bezahlen, und war insgeheim erleichtert, als Glee das ablehnte.

Ihre jüngste Drogensafari hatte Glee und Margaret zum Parkplatz eines Anglerbedarfsladens am Folly Beach geführt, wo sie zwei Stunden lang im strömenden Regen in Glees Auto saßen, bevor Margaret zur Telefonzelle ging und in Erfahrung brachte, dass ihr Verbindungsmann sich nicht bloß wahnsinnig viel Zeit damit ließ, ihnen ein Zeichen zu geben. Er war hochgenommen worden. Sie gingen in sein Zimmer im Holiday Inn – was hätten sie sonst tun sollen? – und stellten fest, dass die Cops nicht nur die Tür sperrangelweit offen gelassen, sondern auch das Vorratslager unter seiner Matratze übersehen hatten. Margaret und Glee begingen diesen Fehler nicht.

Natürlich besteht immer die Chance, dass Acid, das man unter einer Matratze in einem Holiday Inn findet und das vorher Leuten gehörte, die man nicht persönlich kennt, die vor der Polizei auf der Flucht waren und die nun im Gefängnis sitzen, mit Strychnin oder Schlimmerem versetzt ist. Aber es bestand auch die Chance, dass es nicht mit Strychnin oder etwas Schlimmerem versetzt war, und Abby sah die Dinge lieber positiv.

Gretchen kam aus dem Wasser hoch und spuckte Margarets Zigarettenstummel ins Boot. Er blieb an Margarets riesigem Oberschenkel kleben.

»Oh mein Gott«, sagte Margaret. »Woher willst du überhaupt wissen, ob das meiner war? Aids!«

Gretchen spritzte einen Mundvoll Wasser ins Boot.

»So kriegt man kein Aids«, sagte sie. »Wie wir alle wissen, bekommt man Aids, indem man Wallace Stoney einen bläst.«

»Der hat kein Aids!«, sagte Margaret.

»Pah!«, sagte Glee. »Aber man bekommt Herpes.«

Margaret wirkte sauer.

»Wie schmeckt das?«, fragte Gretchen, ergriff den Bootsrand und reckte das Kinn, um Margaret in die Augen zu sehen. »Schmecken diese Herpeslippen nach wahrer Liebe?«

Die beiden starrten einander an.

»Nur damit du es weißt, das sind keine Herpesbläschen, sondern Pickel«, sagte Margaret. »Und sie schmecken nach Clearasil.«

Sie lachten, und Gretchen stieß sich vom Boot ab und trieb auf dem Rücken.

»Ich mache es«, verkündete sie dem Himmel. »Aber ihr müsst versprechen, dass ich keinen Hirnschaden kriege.«

»Du hast schon einen Hirnschaden«, sagte Margaret, sprang ins Wasser, wobei sie beinahe das Boot zum Kentern brachte, landete auf Gretchen, schlang ihr einen Arm um den Hals und zog sie unter Wasser. Spuckend, lachend und aneinandergeklammert tauchten sie wieder auf. »Mörderin!«

Sie fuhren das Boot zurück zu Margarets Anlegestelle, während die Luft sich mit dem Sonnenuntergang abkühlte. Abby hängte sich ein flatterndes Handtuch um die Schultern, und Gretchen ließ sich den Wind in die Wangen fahren, sodass er sie aufblies wie einen Luftballon. Drei Delfine kamen an ihrer Backbordseite an die Oberfläche und begleiteten sie ein paar Hundert Meter, bevor sie abdrehten und wieder aufs Meer hinausschwammen. Margaret tat so, als schösse sie mit den Fingern auf sie. Gretchen und Abby drehten sich um und sahen zu, wie die Tiere ab- und wieder auftauchten, glitzernd durch die Wellen sprangen und schließlich grau wie die Wogen in der Ferne verschwanden.

Sie vertäuten das Boot an Margarets Anleger und schleppten die Skier hinters Haus, aber Gretchen blieb mit Abby beim Boot und umfasste ihre Ellbogen.

»Machst du es wirklich?«, fragte sie.

»Auf jeden«, sagte Abby.

»Hast du Angst?«, fragte sie.

»Auf jeden«, sagte Abby.

»Warum machst du es dann?«

»Weil ich wissen will, ob Dark Side of the Moon wirklich einen tieferen Sinn hat.«

Gretchen lachte nicht.

»Was, wenn es die Tore der Wahrnehmung aufstößt und ich sie nicht wieder zukriege?«, sorgte sich Gretchen. »Was, wenn ich die Energie des gesamten Planeten sehe und höre und das Acid einfach nicht aufhört zu wirken?«

»Dann würde ich dich im Southern Pines besuchen kommen«, sagte Abby. »Und ich wette, dass deine Eltern dafür sorgen würden, dass man die Lobotomie-Abteilung oder so was nach dir benennt.«

»Das wäre wirklich ganz toll«, pflichtete Gretchen ihr bei.

»Das wird der totale Spaß«, sagte Abby. »Wir bleiben zusammen wie Schwimmpartner im Ferienlager. Wir sind Trip-Partner.«

Gretchen zog sich eine Haarsträhne an den Mund und sog Salzwasser aus den Spitzen.

»Versprichst du mir, dass du mich daran erinnerst, heute Abend bei meiner Mom anzurufen?«, fragte sie. »Ich muss mich um zehn melden.«

»Ich erkläre es zu meinem wichtigsten Ziel im Leben«, gelobte Abby.

»Ausgezeichnet«, sagte Gretchen. »Dann gehen wir mal mein Gehirn grillen.«

Alle vier warfen ihre Sachen auf einen großen Haufen im Hof und spritzten sie ab. Dann zielte Abby mit dem Schlauch auf Margarets Hintern.

»Ich mach dir einen Einlauf!«, brüllte sie.

»Du verwechselst mich mit meiner Mutter!«, rief Margaret und flüchtete sich ins Haus.

Abby wandte sich nun Glee zu, aber Gretchen quetschte den Schlauch ab. Die Ereignisse begannen gerade, sich zu überschlagen, als Margaret mit einem der silbernen Teetabletts ihrer Mutter nach hinten auf die Veranda kam.

»Meine Damen«, trällerte sie. »Der Tee ist fertig.«

Sie versammelten sich unter der Lebenseiche um das Tablett. Es gab vier Porzellanuntertassen, und auf jeder davon lag ein kleiner weißer Papierstreifen. Auf jeden der winzigen Streifen war ein blauer Einhornkopf aufgestempelt.

»Das ist es?«, fragte Gretchen.

»Nein, ich dachte mir, dass ich euch ein bisschen Papier zum Kauen bringe«, sagte Margaret. »Blöde Frage.«

Glee streckte die Hand aus, um ihren Umschlag anzutippen, zog dann jedoch den Finger zurück, bevor sie ihn berührt hatte. Sie wussten alle, dass man Acid durch die Haut aufnehmen konnte. Das Ganze hätte irgendwie feierlicher ablaufen sollen; sie hätten sich erst duschen oder etwas essen sollen. Vielleicht war es auch nicht gut, dass sie den ganzen Tag draußen in der Sonne gewesen waren und so viel Bier getrunken hatten. Sie machten das alles völlig falsch. Abby spürte, wie alle die Nerven verloren, sie selbst eingeschlossen, und in dem Moment, in dem Gretchen zu einer Ausrede ansetzte, schnappte Abby sich ihren Streifen und steckte ihn sich in den Mund.

»Wie schmeckt es?«, fragte Gretchen.

»Nach nix«, sagte Abby.

Margaret nahm ihren Streifen. Glee tat es ihr nach, und schließlich auch Gretchen.

»Kaut man das?«, lispelte sie in dem Versuch, nicht die Zunge zu bewegen.

»Lass es sich auflösen«, lispelte Margaret zurück.

»Wie lange dauert es?«, fragte Gretchen.

»Ganz ruhig, Kleines«, lispelte Margaret mit gelähmter Zunge.

Abby betrachtete den grell orangefarbenen Sonnenuntergang, der über dem Sumpf ausbrannte, und spürte, dass etwas Endgültiges geschehen war: Sie hatte Acid genommen. Nun war es unwiderruflich in ihrem Körper. Was auch immer geschehen würde, sie musste da durch. Der Sonnenuntergang leuchtete pulsierend am Horizont, und Abby fragte sich, ob er auch so eindrucksvoll gewesen wäre, wenn sie kein Acid eingeworfen hätte. Aus einem Reflex heraus verschluckte sie das kleine Stück Papier. Das war es dann also: Sie hatte etwas getan, was sich nicht ungeschehen machen ließ, hatte eine Grenze überschritten, hinter die man nicht wieder zurückkonnte. Sie hatte schreckliche Angst.

»Spürt jemand was?«, fragte Glee.

»Es dauert Stunden, bis es anfängt zu wirken, du Hirni«, sagte Margaret.

»Ach so«, sagte Glee. »Dann hattest du also schon immer eine Schweinenase?«

»Sei nicht fies«, sagte Gretchen. »Ich will keinen schlimmen Trip. Wirklich nicht.«

»Leute, erinnert ihr euch an Mrs Graves in der sechsten Klasse?«, fragte Glee. »Mit den Micky-Maus-Aufklebern?«

»Das war so krass«, sagte Margaret. »Das habt ihr alle mitgekriegt, oder? Ihr Vortrag darüber, wie an Halloween die Teufelsanbeter rumfahren und den kleinen Kindern Micky-Maus-Aufkleber geben, und wenn die Kinder die Aufkleber anlecken, ist LSD drauf, und dann bringen sie im Drogenrausch ihre Eltern um.«

Gretchen hielt Margaret mit beiden Händen den Mund zu.

»Hör auf … zu reden …«, sagte sie.

Und so lagen sie draußen im Garten rum, während es dunkel wurde, rauchten Zigaretten, redeten über schöne Dinge, wie zum Beispiel, was es mit Maximilian Buskirks komischem Hintern auf sich hatte und über die diesjährige Volleyball-Saison, und Glee erzählte ihnen von einer neuen Geschlechtskrankheit, von der sie gelesen hatte und an der Lanie Ott mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit litt, und sie redeten darüber, ob sie Coach Greene ein Epiliergerät für die Oberlippe besorgen sollten, und darüber, ob Vater Morgan Dornenvögel-scharf war, ganz normal scharf, oder einfach nur Lehrer-scharf. Insgeheim versuchten sie alle dabei die ganze Zeit, festzustellen, ob ihr Zigarettenrauch sich in Drachengestalten verwandelte oder ob die Bäume tanzten. Keine wollte die Letzte sein, die halluzinierte.

Schließlich verfielen sie in ein angenehmes Schweigen. Nur Margaret summte irgendein Lied, das sie im Radio gehört hatte, und knackte dabei mit den Zehenknöcheln.

»Kommt, sehen wir uns die Glühwürmchen an«, sagte Gretchen.

»Super«, sagte Abby und stemmte sich aus dem Gras hoch.

»Lieber Himmel«, sagte Margaret. »Ihr seid so was von lesbisch.«

Sie rannten durch den Garten und ins lange Gras zwischen Haus und Wald, wo sie die grünen Lichtkäfer mit den leuchtenden Hinterteilen beobachteten, während die Luft den Lavendelton annahm, der typisch für den Sonnenuntergang draußen auf dem Land war. Gretchen rannte zu Abby rüber.

»Dreh mich im Kreis«, sagte sie.

Abby nahm sie bei den Händen, und sie drehten sich mit zurückgelegten Köpfen und versuchten, ihren Trip in Gang zu bringen. Aber als sie ins Gras fielen, waren sie nicht high. Ihnen war nur schwindelig.

»Ich will nicht zusehen, wie Margaret den Glühwürmchen den Hintern abkneift«, sagte Gretchen. »Wir sollten das Grundstück nebenan kaufen und ein Naturreservat daraus machen, damit niemand den Fluss ruinieren kann.«

»Auf jeden Fall«, sagte Abby.

»Sieh mal, Sterne«, sagte Gretchen und zeigte auf die ersten Lichter, die am dunkelblauen Himmel erschienen waren. »Du musst mir versprechen, mich nicht abstürzen zu lassen.«

»Bleib einfach bei mir«, sagte Abby. »Ich bin dein LSD-Sherpa. Wo du hingehst, gehe auch ich hin.«

Sie hielten sich im Gras bei den Händen. Sie hatten nie Scheu davor gehabt, einander zu berühren, nicht einmal, nachdem Hunter Prioleaux sie in der fünften Klasse als Homos bezeichnet hatte, aber nur, weil Hunter Prioleaux nie von jemandem geliebt worden war.

»Ich muss dir etwas sagen …«, setzte Gretchen an.

Margaret ragte in der Dunkelheit auf. Sie hatte sich abgekniffene Glühwürmchenhinterteile als leuchtende Streifen unter die Augen geschmiert.

»Gehen wir rein«, sagte sie. »Das Acid wirkt langsam!«