Siebzehntes Kapitel
Uri
Uri ließ sich erschöpft in den Strohballen fallen. Seine sonst goldene Gesichtsfarbe war matt und grau. Die weichen hellen Haare fielen ihm wirr ins Gesicht. Das Leinenhemd, das normalerweise locker von dem hageren Körper fiel, klebte am Oberkörper fest. Der Hals, das Gesicht und die Arme waren von kleinen goldenen Schweißperlen bedeckt. Uri fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und zog die Brille aus.
»Hast du Ludmilla endlich erreichen können?«
Ada stürzte auf ihn zu und beugte sich über ihn. Stundenlang hatte sie ihn nicht ansprechen dürfen und versucht, sich zu beherrschen, und ihm dabei zugeschaut, wie sein Gesicht immer grauer wurde. Sie hatte die Verzweiflung gesehen und die Anspannung, die sich in seinem ganzen Körper ausgebreitet hatte. Nun erkannte sie zwar Erschöpfung, aber auch Entspannung und Erleichterung. Er hatte es geschafft. Endlich hatte er Ludmilla erreicht.
»Was hat sie gesagt?«
Uri stöhnte auf, als fiele ihm selbst das Sprechen schwer.
»Gar nichts. Ich war froh, dass ich sie erreichen konnte. Sie ist so weit weg, dass ich sie kaum finden konnte. Ich konnte nicht erkennen, wo sie ist. Es war zu dunkel, und ich musste meine ganze Energie darauf konzentrieren, ihr unsere Botschaft zu übermitteln.«
»Geht es ihr gut?«
Uri hob die Schultern. »Ich denke schon. Ich habe ihre Kraft gespürt, und sie war überwältigend. Stärker als das letzte Mal, als ich sie spürte. Ich habe Schemen um sie herum wahrgenommen. Sie war nicht allein. Für alles Weitere reichte meine Energie nicht aus.«
Als er ihren enttäuschten Blick wahrnahm, hob er nur die Schultern. »In meinem Zustand und mit der wenigen Kraft, über die ich zurzeit verfüge, grenzt das schon fast an ein Wunder. Es war so dunkel, dass sie sich nur in Fenris aufhalten kann, im hintersten Winkel dieses finsteren Teils unserer Welt. Wenn ich doch nur wüsste, wo sie genau ist.«
Ada schien zu erwarten, dass es noch mehr Informationen gab.
»Mehr kann ich dir nicht sagen, Ada. Es geht ihr gut. Das ist alles, was ich sagen kann.«
»Es gibt zusätzlich noch gute Nachrichten: Ich kann wieder hören, was in Eldrid vor sich geht«, flüsterte Uri noch, bevor er einschlief. Das Lächeln auf seinen Lippen blieb.
Ada ließ sich erleichtert neben ihm ins Stroh fallen. »Das sind gute Neuigkeiten. Bald bist du wieder ganz der Alte.«
Wenig später erklangen schnelle Fußschritte in dem Höhlengang, der nach draußen führte. Ada rüttelte Uri wach.
»Da kommt jemand. Wie stark bist du inzwischen? Kannst du uns verteidigen oder muss ich meine Mächte einsetzen?«
Verwirrt schob sich der Spiegelwächter in eine Sitzposition. »Wir warten erst einmal, wer uns besucht.«
Er setzte die feine goldene Brille auf die Nase und wollte aufstehen, aber seine Beine trugen hin nicht. Ada musste ihn stützen, während er sich langsam aufrichtete. In diesem Augenblick betrat Kelby die Höhle. Sein Gesicht war eingefallen. Er schien gerannt zu sein, denn sein Atem ging schnell und unregelmäßig.
»Uri«, keuchte er. »Arden dreht durch.«
Uri runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Er will die Spiegel zerstören.«
»Er will was?«, rief Ada dazwischen.
Uri hob die Hände. Ein kleiner Funkenregen ging zu Boden. Er lächelte versonnen.
»Na also«, flüsterte er mehr zu sich selbst. »Jetzt beruhige dich erst einmal, Kelby, und setze dich.«
Kelby schüttelte den Kopf. »Ich will mich nicht beruhigen, und ich will mich auch nicht setzen, Uri. Die Luft ist verpestet. Irgendetwas stimmt hier nicht. Erst Zamir, jetzt Arden. Die Spiegelwächter drehen langsam alle durch. Bodan hat keinen Schatten mehr, er ist von dieser Krankheit vielleicht verschont, dennoch bleiben nur noch du und ich übrig.«
Uri blickte ihn verständnislos an. »Wovon redest du da, Kelby?« Er wies auf den Strohballen neben sich. »Du solltest dich beruhigen, sonst kann ich dir nicht folgen. Erzähle mir ganz genau, was vorgefallen ist.«
Kelby ließ sich widerwillig nieder. Nervös blickte er immer wieder zu dem Gang, der aus der Höhle herausführte. Er suchte nach den richtigen Worten.
»Uri«, schnaufte er. »Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt. Arden hat einen schrecklichen Plan, und ich kann ihn nicht davon abhalten.«